Darstellung meiner künstlerischen EntwicklungVon Antonio Guerrero, 15. November 2007
Als ich Anfang 2003 gerade mein erstes Jahr der Gefangenschaft in diesem Zuchthaus in Florence, Colorado, hinter mir hatte, suchte ich verzweifelt nach etwas, womit ich mir die Zeit vertreiben könnte, abseits von der in diesem Gefängnis herrschenden Spannung und gewalttätigen Atmosphäre.
Poesie war eine wirkungsvolle Waffe sowohl zur Überwindung der langen Zeiten unrechtmäßiger Bestrafung in den Zellen des so genannten "Lochs" als auch in den verlängerten "lock downs", welcher alle Gefängnisinsassen nach irgend einem gewalttätigen Vorfall ausgesetzt werden. Aber bei dieser ständigen Unruhe während der "normalen" Routine im Gefängnis wurde meine Muse manchmal verschreckt, sie entglitt mir und konnte mich nicht mehr inspirieren. Daher fand ich, als ich eines schönen Tages zum so genannten "Hobbywerken" (Abteilung für Erholung) ging, einen Gefangenen, der Zeichenunterricht gab, hauptsächlich machte jeder dort Porträts. Ich war beeindruckt, vor allem von der Arbeit des Ausbilders, und ich fragte ihn, ob ich an seinem Unterricht teilnehmen könne. Es stellte sich heraus, dass dieser Mensch ein begeisterter Lehrer dessen war, was er wusste, und er war dabei in meinem Schlaftrakt sogar noch glücklicher. Er gab mir einige Materialien, und am folgenden Tag entschied ich mich für mein erstes Projekt: ein Portrait meiner geliebten Mutter. Bevor ich diese erste Arbeit auch nur beenden konnte, kam die plötzliche und gemeine Bestrafung über uns, bei der wir Fünf in unseren fünf jeweiligen Gefängnissen in Isolationszellen im "Loch" gesteckt wurden. Es war die Folge der vom US-Justizminister angeordneten "Special Administrative Measures (SAM)" [Anwendung von administrativen Sondermaßmaßnahmen, Anm.d.Ü.]. Die internationale Solidarität und die energischen Forderungen unserer Anwälte ermöglichten es, dass diese unrechtmäßige Bestrafung nach einem Monat aufgehoben wurde. So kam es, dass ich bei meiner Rückkehr in meinen Schlaftrakt meinen Platz dort "verloren" hatte und sie keine Zelle hatten, in die sie mich stecken konnten. Ich bemerkte, dass der Mitgefangene, der den Zeichenunterricht gab, in seiner Zelle allein war, und ich sagte zum Wachhabenden: "Stecken sie mich zu ihm." Er war überrascht, weil dieser Gefangene ein Schwarzer war, das, was sie hier Afro-Amerikaner nennen, und es ist hier selten zu sehen (noch wird es von den Gefangenen akzeptiert), dass Gefangene verschiedener Rassen oder Gruppen (oder Banden) zusammen wohnen. Wie ich gehofft hatte, akzeptierte mich Andre als Mitbewohner seiner Zelle. Während unseres Zusammenwohnens wuchs mein Interesse am Zeichnen und wir schlossen gute Freundschaft. Täglich widmete ich etliche Stunden dem Zeichnen. Meine ersten fünf Werke bedurften der Hilfe des Ausbilders. Aber ich erinnere mich daran, dass Andre, als wir fast einen Monat lang im "lock-down" waren, zu mir sagte: "Jetzt wirst du deine Portraits alleine machen." Und während dieses Zelleneinschlusses machte ich die Portraits von José Martí und Cintio Vitier allein. Als ich sie fertig hatte, merkte ich, dass ich eigenständig weiter arbeiten könnte, und es war der richtige Zeitpunkt, denn Andre wurde, sobald der "lock down" aufgehoben worden war, in ein anderes Gefängnis in Kalifornien überführt. Ein indianischer Ureinwohner, der auch in meinem Trakt inhaftiert war, trat an Andres Stelle. Wir wurden ebenfalls gute Freunde. Jeden Abend arbeiteten wir zusammen an verschiedenen Projekten. Die Kombination von Andres Lehrmethode und der des neuen Ausbilders ermöglichte es, mir meine eigene Arbeitsmethode zu schaffen. Bei manchen Gelegenheiten konnte ich mit meiner eigenen Methode eine Zeichnung in einem Tag fertig stellen. Bis jetzt habe ich bis zu 100 Bleistiftzeichnungen geschaffen. 2005 traf ich einen Gefangenen, der mir anbot, mir Kalligraphie beizubringen. Ich war daran interessiert, saubere Abschriften meiner Gedichte anzufertigen, die ich in den Jahren im Gefängnis geschrieben hatte. Ich besorgte mir einige notwendige Materialien, aber ich erkannte, dass die Wasserfarben, die ich als Tinte benutzte, nicht gut und nicht genug waren. Während ich nach etwas suchte, das meine Tinte (die man hier nicht kaufen darf) ersetzen könnte, fiel mir ein Bündel Tuben mit Wasserfarben von einem anderen Gefangenen in die Hände. Aber der Versuch, sie für die Kalligraphie zu nutzen, führte zu einem weiteren Desaster, und ich fragte mich: "was tue ich mit dem Zeug?" Ich beschloss, sie für kleine Malereien auszuprobieren. Keiner hier malte in dieser Technik, sodass ich nur auf die Hilfe einiger Bücher, die ich mitgebracht hatte, zählen konnte. Mit der Zeit gewann ich Vertrauen in meine Arbeit mit der Handvoll Pinsel, die ich besaß, und steckte mir höhere Ziele. Die Farbe verlieh meinen Schöpfungen ein anderes Leben. Das Malen machte mich glücklich. In ein oder zwei Tagen beendete ich jetzt jedes Werk. Mit der Hilfe einer großen Freundin von Kuba und den Fünfen, Cindy O'Hara, die mir Bücher und Fotos gab, war ich in der Lage zwei interessante Projekte mit Wasserfarben zu beenden: Die Vögel, die in Kuba endemisch sind [Bienenelfen, die kleinsten Vögel der Welt], und die Arten der Guacamayos [Aras]. Andere fürsorgliche Freunde in den Vereinigten Staaten, wie die unermüdliche Priscilla Felia, haben mir Bücher geschickt, die sehr nützlich für meinen autodidaktischen Fortschritt in dieser und anderen Techniken waren. Ende 2005 kam ein Gefangener aus Marion in Illinois an, der beeindruckende Pastell-Foto-Arbeiten zeigte. Sie wiesen ihn in meine Schlafsaaleinheit ein, und sofort bekam ich Interesse an dieser neuen Technik. Nach seinen Anweisungen besorgte ich mir einige Materialien. Er hatte große Lust zu lehren, bekam aber schon bald Probleme und wurde ins "Loch" gesteckt. Er ist nie wieder in den normalen Vollzug zurückgekommen. Einmal mehr fragte ich mich, was ich mit den Malutensilien, die ich mir beschafft hatte, tun sollte, und einmal mehr kehrte ich zu den Büchern zurück, um in eine ungewohnte Technik zu tauchen. Ich beschloss, ein Portrait von Che solle meine erste Arbeit in Pastell sein, und danach unternahm ich ein Projekt mit 14 Portraits der wichtigsten Persönlichkeiten unserer Geschichte. Ich habe weiter Pastellfarben benutzt, ohne meine künstlerischen Darstellungen zu unterbrechen. Das letzte in dieser Technik ist eine Gruppe von Nackten, die ich dazu nutze, den menschlichen Körper und die verschiedenen Hauttönungen unter dem Einfluss von Licht und Schatten zu studieren. Vor zwei Monaten stieg ich, ebenfalls autodidaktisch, in die Acrylmalerei ein, indem ich eine Sprühpistole benutzte (in Englisch ist diese Technik unter der Bezeichnung "airbrushing" bekannt). Und Ölmalerei entzog sich auch nicht meinem Interesse. Hier ist nur eine Art von wasserlöslicher Ölfarbe erlaubt, und obwohl es nicht die traditionelle Art von Farbe ist, ist sie in Anwendung und Ergebnis ähnlich genug. Bis jetzt habe ich fünf Werke in dieser Technik vollendet. Ohne besonderen Plan und Führer, glaube ich, war es der richtige Weg, zuerst Bleistiftportraits anzufertigen und dann Wasserfarben, Pastellfarben und am Ende Öl zu verwenden. Natürlich mussten alle Werke ohne professionelle Einweisung auskommen, die eine Kunstschule bieten könnte, oder ein Lehrer mit richtigen Kenntnissen der Bildenden Kunst. Das wichtigste, glaube ich, ist es, dass ich die Haft mit einer gesunden und nützlichen Aktivität wie Bildender Kunst bewältige. Jedes Werk drückt nicht nur mein persönliches Wesen aus, sondern das der Fünf, vereint in unzerstörbaren Prinzipien. Das Wenige, habe ich gelernt, teile ich selbstlos mit anderen Gefangenen und zeitweilig mit großer Geduld. "Die Wahrheit braucht Kunst" wie José Martí gesagt hat, und die Wahrheit regiert unsere Herzen, die mit Liebe und Überzeugung mit der gerechten Sache unseres Volkes verschmolzen sind: Das ist meine Motivation für jedes Kunstwerk! Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db)
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