Antonio
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Grußbotschaft von Antonio:

Verehrte Teilnehmer und Gäste der Rosa-Luxemburg-Konferenz,

Freunde aus Deutschland haben mich in einem Brief über die Durchführung dieser wichtigen Veranstaltung unterrichtet und mir mitgeteilt, dass ich, wenn ich dies wünsche, eine Grußbotschaft an die Konferenz übermitteln könnte. In der Zeit des Nachdenkens, was ich schreiben könnte, wurde unvermutet eine totale Kommunikationssperre in dem Gefängnis verhängt, in dem ich widerrechtlich gefangengehalten werde.
Wir werden in den Zellen 24 Stunden am Tag festgehalten. Gemeinhin heißt das "lockdown" So ist das seit dem 22 Dezember, und heute, da ich diese Zeilen schreibe, ist bereits der 27. Dezember, und man weiß nicht mit Sicherheit, wann die Zellentüren wieder geöffnet werden.
Ich versuche immer, Nutzen aus diesen rigorosen Haftbedingungen zu ziehen, indem ich zahlreiche Briefe schreibe und viel lese. Ein Mithäftling hat mir eine nordamerikanische Zeitschrift geliehen, die weltweit bekannt ist und "The Economist" heißt. Und nachdem ich mehrere Artikel dieser Ausgabe vom 11. Dezember dieses Jahres gelesen habe, fand ich auf der letzten Seite, kaum wahrnehmbar, eine Meldung zur Situation der Kinder, die in mir Bestürzung und tiefen Schmerz ausgelöst hat. Es ist ein kleiner Absatz, den ich mit meinem bescheidenen Englisch übersetzen konnte und der mit einer nicht im einzelnen beschriebenen Grafik veröffentlicht wurde. Der Text lautet: "Die Armut, der Krieg und Aids haben zur Folge, dass über eine Milliarde Kinder im schlimmsten Elend leben" laut den von UNICEF veröffentlichten Zahlen in "The State of de Worlds Children 2005".

Schätzungsweise 15 Millionen Kinder sind Waisen infolge Aids.

Nahezu die Hälfte der 3,6 Millionen Menschen, die in bewaffneten Konflikten seit 1990 getötet wurden, sind Kinder. Extreme Armut soll heißen, dass 640 Millionen Kinder kein angemessenes Obdach haben und 270 Millionen keinerlei Zugang zur gesundheitlichen Betreuung. UNICEF ersucht dringend die Regierungen, sich mit mehr Nachdruck den Programmen zur Entwicklung der Fürsorge für die Kinder zu widmen. Bis hierher die erwähnte Meldung im Wortlaut. Zu diesen erschreckenden Zahlen können wir weitere UNICEF-Angaben hinzufügen:

  • mehr als 120 Millionen Kinder besuchen keine Grundschule, das heißt eines von fünf im entsprechenden schulfähigen Alter;

  • rund 300 Millionen Kinder müssen arbeiten, um leben zu können;

  • jedes Jahr sterben 11 Millionen Kinder an Krankheiten, die verhütbar oder heilbar sind.

Und ich frage mich: Warum erscheinen diese Angaben nicht auf den ersten Seiten? Warum schreiben die Autoren dieser namhaften Zeitschrift keine profunde Analyse dieser deprimierenden Lage der Kinder in der Welt? Warum spricht man nicht darüber, wie mit konkreten Aktionen geholfen werden kann? Die Experten der Weltwirtschaft müßten doch wissen, dass die finanziellen Ressourcen sehr wohl vorhanden sind, um die schwerwiegenden Probleme der Menschheit zu lösen. Statt dessen jedoch haben diejenigen, die über die Reichtümer verfügen und zugleich über die Informationsmedien, das heißt also die entwickelten Länder, nicht den politischen Willen, die notwendige Hilfe zu leisten, und noch weniger sind sie an einer Veränderung interessiert, durch welche die Reichtümer gleichberechtigt verteilt werden. Sie ziehen es vor, weiterhin von den unterentwickelten Ländern eine Auslandsschuld einzutreiben, die unmoralisch und unbezahlbar ist und deren Einnahmen fast siebenmal höher sind als die Summe, die als offizielle Entwicklungshilfe ausgewiesen wird. Somit sind wir Armen es, die wir den Überfluss der Reichen finanzieren. Diese ziehen es vor, ihren Verpflichtungen selbst mit dieser Hilfe, die lediglich 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandproduktes ausmacht, schlicht und einfach nicht nachzukommen. Sie ziehen es vor, über keine Art von Steuern auf die internationalen Finanztransaktionen zugunsten der Entwicklung zu sprechen. Sie sind die gleichen Leute, die es vorziehen, mehr als 900 Milliarden Dollar für Waffen auszugeben, welche eben jene Tragödien verursachen wie die in dem von mir übersetzten erwähnten Artikel über das Kinderelend.
Ich bin kein Wirtschaftsfachmann. Ich kann diese Dinge analysieren, weil ich Graphiken lesen und interpretieren kann. Als Kind von Arbeitern hat mir die kubanische Revolution die Möglichkeit gegeben, ein kostenloses Universitätsstudium zu absolvieren, das ich als Bauingenieur in Kiew, in der Ukraine, abgeschlossen habe. Das war zwischen 1978 und 1983, als die Sowjetunion noch existierte. Aber das ist nicht das Glück von über einer Milliarde Bewohner der heutigen Welt, die trotz des erreichten wissenschaftlichen Entwicklungstandes absolute Analphabeten sind.
Wenn doch alle Länder allen ihren Einwohnern eine kostenlose Ausbildung geben könnten, mit Bildungsprogrammen wie die in meinem Vaterland, wo nahezu 25 Prozent am Schulunterricht teilnehmen und wo es einen Lehrer für jeweils 36,8 Einwohner gibt.
Die Welt wäre wohl ganz anders, wenn alle, die unseren Planeten bewohnen, bereits in frühen Jahren lesen und schreiben lernen könnten. Sie könnten so die Ursachen der Problemen erkennen, und das gerade wollen diejenigen nicht, die über die Reichtümer verfügen und die Völker ausbeuten.
Wir wissen jedoch, dass nichts verhindern kann, dass die Männer und Frauen der Welt sich der tiefgehenden Krise bewusst werden, welche die Menschheit bedroht, und sich zusammenschließen, um ein System zu errichten, in dem Gerechtigkeit, Frieden und Solidarität herrschen. Nichts kann verhindern, dass die guten Beispiele und die gerechten Ideen uns weiterhin den richtigen Weg weisen.
Deshalb sind wir heute im Besitz, entschlossener als jemals zuvor, der erneuernden Ideen wie der von Rosa Luxemburg und sagen in voller Überzeugung: "Eine bessere Welt ist möglich".
Lasst uns unermüdlich für die Kinder arbeiten, wie uns ein anderer großer Denker und Revolutionär, José Martí, lehrte, "weil die Kinder es sind, die zu lieben wissen, weil die Kinder die Hoffnung der Welt sind".
Verzeihen Sie mir, wenn meine Zeilen zu lang geworden sind, dies sollte eine Grußbotschaft sein. Stellen Sie sich vor, wie viele Dinge Sie an meiner Stelle und in meiner Lage nicht schreiben würden. Vielleicht verstehen Sie dann besser dieses Übermaß an Wahrheiten und reinen Gefühlen. Sie sind Ausdruck nicht nur meines Empfindens, sondern von uns Fünf, die wir uns Brüder nennen und die wir sind:
Fünf Kubaner, politische Gefangene des Imperiums.

Euch allen einen brüderlichen Gruß.
Es lebe die Freundschaft, die Gerechtigkeit und der Frieden!

Vielen Dank.

Antonio Guerrero Rodríguez

 

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