119 Bände Zeugenaussagen und nur fünf Minuten für die Berufung

[Auszug aus einer Rede von Leonard Weinglass in Miami am 14.09.03, anlässlich des 5. Jahrestages vom 12.09.03 der Inhaftierung der "Cuban Five", Original 8 Seiten]

(aus: www.antiterroristas.cu)

Der US-amerikanische Rechtsanwalt für Zivilrecht, Leonard Weinglass, der einen der fünf Cubaner, Antonio Guerrero, vertritt, sprach in Miami am fünften Jahrestag [12.9.2003] der Inhaftierung der Fünf in den USA. Er bezog sich auf Themen, die mit dem Berufungsverfahren zusammenhängen – wie die Anklagen, die gegen seine Mandanten erhoben wurden – und sagte, dass man ihm selbst nur fünf Minuten gewähre, um seinen Klienten bei der Anhörung vor dem Berufungsgericht des 11th Circuit Court of Appeal in Atlanta zu verteidigen, obwohl 119 Bände mit Zeugenaussagen dafür in Betracht zu ziehen seien.

[Einführung]: [...]

[Leonard Weinglass]: Um von den Prozessen in Chicago zu sprechen: einmal vertrat ich einen der Acht von Chicago als "ein junger jüdischer Rechtsanwalt, der sich anstrengt, seine Karriere zu ruinieren". Ich muss beinahe rechtfertigend sagen, dass wir in New York eine fast einhellige Vorstellung von Miami haben: alle sind gemeinsam gegen die Cubanische Revolution, und das ist ihr Prinzip und das Ende der Geschichte. Und dann komme ich heute hierher und sehe, dass es tatsächlich Personen mit ausgewogenen Ansichten gibt, bereit, die Augenscheinlichkeiten um der Wahrheit willen zu analysieren und sich eine eigene Meinung auf der Grundlage der Beweise zu bilden und nicht auf Grund der Propaganda. Es ist sehr erfreulich, heute hier bei Euch zu sein.

Auch ist es erfreulich, meine Worte nicht mit 40-minütigen Erklärungen beginnen zu müssen über die Geschichte der Beziehungen zwischen Cuba und den Vereinigten Staaten. Wie viele von Ihnen wahrnehmen konnten, sind die Vereinigten Staaten nicht mit einer informierten Öffentlichkeit gesegnet.[...]

Wie Sie sich erinnern werden, begann der Prozess im Herbst 2000 und endete sieben Monate danach im Juni 2001.Vor Gericht erschienen mehr als 70 Zeugen. Ich weiß nicht, wie viele von Ihnen das wissen, aber dieser Prozess war seiner Zeit der längste Prozess in den Vereinigten Staaten. Sie brauchten 119 Bände Abschriften, Kisten von Beweisdokumenten und 15 Bände nur für Erzählungen über die dem Prozess vorangegangen Aktionen. Es ist ein enormes und erschöpfendes Register. Ein Register, das man außerhalb von Miami nicht kennt und von dem ich mir nicht sicher bin, wie gut man es in Miami selbst kennt.

Die Fünf wurden im Dezember 2001 verurteilt, und ich war mir mit Bruce in seiner Empfehlung einig, die Verteidigungsschriften der Fünf zu ihren Verurteilungen zu lesen. Diese historischen Erklärungen sollen gelesen und aufgezeichnet sein. Der Hauptangeklagte, Gerardo Hernández, wurde zu zweimal lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt, soweit das überhaupt möglich ist. Zwei andere, mein Klient Antonio Guerrero und Ramón Labañino, erhielten ebenfalls lebenslange Haftstrafen. Fernando González und René González wurden zu 19 bzw. 15 Jahren verurteilt. Dies waren die möglichen Höchststrafen in allen fünf Fällen. Eines Tages wird man diese Strafen im Zusammenhang des Geschehens und in einen ordnungsgemäßen Fall überführen.

Nach der Verurteilung gaben sie die Berufung bekannt. Diese befindet sich zur Zeit vor dem Berufungsgericht des 11th Circuit Court [11. Bezirksgericht] von Atlanta (Georgia). Der Fall wird überprüft durch drei Richter dieses Gerichtshofes. Im Juni wurden unsere Argumente und Informationen schriftlich vorgebracht. Man gab der Regierung 90 Tage Zeit, darauf zu antworten. Die Antworten sollten morgen gegeben werden. Aber man hat uns davon unterrichtet, dass die Regierung morgen nicht antworten wird, weil sie gesagt hat, dass sie mehr Zeit brauche, um ihre Sache vorzubereiten, und sie hat zwei weitere Wochen Zeit beantragt bzw. mitgeteilt, dass die Antworten nicht bis Ende September fertig seien. Danach werden wir 30 Tage Zeit haben, um unsere Entgegnung einzureichen. Das soll um den 01.11.2003 herum geschehen, und dann wird man ein Datum für eine mündliche Verhandlung des Falles vor den drei Richtern des Gerichtshofes des 11th Circuit Court festlegen. Ich weiß nicht genau, wann das passieren wird, aber möglicherweise Mitte 2004.

Als ich von "mündlichen Argumenten" sprach, benutzte ich einen Begriff, der vielleicht nicht sehr passend ist, weil gemäß dem Verständnis der Regelungen des Gerichtshofes 15 Minuten für die Fünf bleiben, d.h., dass ich drei Minuten habe, um eine enorme Menge von Informationen im Namen meines Klienten, der eine lebenslange Haftstrafe absitzt, vorzutragen. Drei Minuten. Als wir 1970 im Prozess der Acht von Chicago in Berufung gingen, gaben sie uns zwei Tage, und in jenem Fall waren die Angeklagten mit Höchststrafen von zehn Jahren konfrontiert. Aber die Justiz hat sich in den letzten Jahren sehr verändert, wie Bruce vorhin schon sagte. Üblich war eine Darlegung der Argumente über zwei Tage hinweg vor einem Berufungsgericht, damit dieses einen Prozess auf allen Grundlagen der Sache führen könne, die das Leben der Personen betraf. Jetzt, 2003, hat man das umgewandelt in eine mündliche Argumentation von drei Minuten vor drei Richtern mit 119 Bänden von Zeugenaussagen, die zu analysieren sind. Wir haben um mehr Zeit gebeten und man hat uns gesagt, dass wir sie vielleicht erhalten, weil der Gerichtshof in einer großzügigen Sonderentscheidung uns vielleicht fünf statt drei Minuten gewährt.

Das ist die Situation des Falles. Aber worum geht es in diesem Fall wirklich?

Gut, sie präsentierten im einzelnen 26 Klagen gegen die Fünf. 24 davon sind verhältnismäßig geringfügige Klagen und eher technischer Art. Aber zwei waren schwerwiegend, weil jede einzelne von ihnen lebenslängliche Freiheitsstrafe nach sich zieht. Einer der 24 anderen Anklagepunkte war der, sich nicht als ausländische Agenten bei der Bundesstaatsanwaltschaft der Vereinigten Staaten registrieren lassen zu haben. Die Angeklagten waren mit dieser Klage einverstanden. Trotzdem versuchten sie, es zu erklären (dass sie diesen Technizismus, des sich-registrieren-Lassens als ausländische Agenten), nicht erfüllt hatten. Als die Verteidigung die ‚Notwendigkeit’ ihres Verhaltens ins Feld führte, nach der ihnen verziehen werden sollte, weil ihr Auftrag lautete, menschliches Leben zu schützen und terroristischen Handlungen sowie Schädigungen an Eigentum vorzubeugen, hat man dem nicht stattgegeben. Nach den US-amerikanischen Gesetzen dürfen sie eine per Gesetz bestehende Regelung technisch verletzen, wenn es geschieht, um schwerwiegenderen Schaden zu verhindern.

Das ist nichts Akademisches.

Ich hatte das Privileg, Amy Carter, die Tochter des Präsidenten Carter, im Bundesstaat von Massachussets zu verteidigen, wo sie und andere Studenten sich eines Gebäudes auf dem Campus der Universität von Massachussets bemächtigt hatten, um zu verhindern, dass die CIA dort Anwerbungsgespräche mit Studenten durchführte. Als sie dem Gerichtshof ihre Sache vortrug, sagte sie, dass sie technisch gesehen das Gesetz verletzt habe, aber dass sie es getan habe, weil die CIA zu dieser Zeit in eine illegale Operation in Nicaragua verwickelt war, wie es der Internationale Gerichtshof festgestellt hatte. [ Anm.: Dies ist das einzige Mal in der bisherigen Geschichte des Internationalen Gerichtshof gewesen, dass die USA von ihm zur Rechenschaft gezogen wurde, s. auch Interview von Bernie Dwyer, Radio Havana am 29.10.03 mit Noam Chomsky]

Deshalb solle ihr die technische Verletzung nach dem ‚Gesetz der Notwendigkeit’ vergeben werden. Der Gerichtshof gab dem Argument statt, und sie wurde freigesprochen, weil das Schwurgericht nach dieser Information durch eine Reihe von Zeugenaussagen erkannte, dass Amy Carter und andere Studenten an einer Aktion teilnahmen, die Schlimmeres verhinderte.

Im Fall der Fünf versuchte die Verteidigung dieses Argument in Reaktion auf die Anklage der technischen Verletzung des ‚Gesetzes, des sich nicht-registrieren-Lassens’, vorzubringen, aber die Richterin hier in Miami erlaubte dessen Anwendung nicht.

Eine andere Anklage war die des Nutzens einer falschen Identität, gegen die die Angeklagten ebenfalls nichts einwandten. Diese Klagen ziehen Höchststrafen von fünf Jahren nach sich, so dass sie heute, am fünften Jahrestag ihrer Inhaftierung, in Freiheit sein könnten.

Jetzt möchte ich mich auf zwei prinzipielle Anklagen beziehen, für die ich mir mehr Zeit nehmen werde.

Darüber sollten Sie schon mehr als ich gehört haben, bei meinen Reisen und Interviews sah ich, dass man (nur – d. Übers.) etwas weiß, und das verbreitete Unwissen in diesem Fall ist unglaublich – nämlich über die Anklage wegen "Spionage".

Zuerst möchte ich Ihnen sagen, dass es in diesem Fall keinerlei Verurteilung wegen Spionage gibt. Die Regierung der Vereinigten Staaten präsentierte keine Klagen wegen Spionage gegen sie. Das überrascht Sie? Was die Regierung in diesem Fall tat, ist dasselbe, was sie üblicherweise (immer) getan hat, wenn ein Prozess politisch ist und offensichtlich kein Delikt vorliegt. Ich kenne Personen aus vorherigen politischen Fällen, die das Schwurgericht dazu brachten, einen Schuldspruch ohne Beweise zu fällen, den Argumenten glaubend und die Theorie nutzend, die das Gesetz als ‚Verschwörung’ kennt.

Und was ist eine Verschwörung? Eine Verschwörung ist ein gemeinsames Abkommen, eine Straftat zu begehen. Die Regierung muss nicht beweisen, dass ein Delikt begangen wurde, sondern nur, dass es ein Abkommen gibt, das zu tun – das Abkommen ist das Delikt. Bzw. in diesem Fall und so steht es in den Regierungsakten, angeführt eins ums andere Mal, dass niemand der Spionage noch fürs Spionieren angeklagt ist. Aber das sagten sie der Presse außerhalb des Gerichtshofes nicht. Ihr gegenüber klagte man sie des Abkommens und der Tat zu einem unbestimmten, zukünftigen Zeitpunkt an, wonach die Fünf irgendwann Spionage begehen würden.

Was war demzufolge das Erste, worüber der Staatsanwalt gegenüber dem Schwurgericht zu sprechen begann? Er sagte: "Lasst uns die fünf Männer verhaften und 20.000 Seiten Dokumente ihrer Computer beschlagnahmen, aber, Damen und Herren des Schwurgerichts, von diesen 20.000 Seiten können wir ihnen nicht eine Seite als klassifizierte Information nachweisen." Das steht in den Akten: nicht eine einzige Seite. Antonio, Gerardo und Ramón verbüßen lebenslange Strafen. Dasselbe Urteil erhielt Aldridge Ames wegen Verkaufens von Tausenden von klassifizierten Dokumenten an die Russen, und Robert Hanssen, der Oberbefehlshaber des FBI, der sein Land verriet, indem er den Russen Tausende Seiten klassifizierter Dokumente übergab, eine Tat, die viele Menschen das Leben kostete. Drei der fünf Cubaner erhielten dieselben Strafen wie diese zwei Herren, ohne dass auch nur eine einzige Seite klassifizierter Information existiert.

Daher ist es wichtig, dass wir nicht vergessen, was nach legalen Begriffen in diesem Fall existiert und was nicht existiert.

Die Regierung präsentierte im Prozess einige wichtige Geheimdienstmitarbeiter der Vereinigten Staaten, einen General, den ehemaligen Direktor des Geheimdienstes für Verteidigung, des wichtigsten Geheimdienstes der Regierung. Paul McKenna, einer der Rechtsanwälte der Verteidigung, fragte den General, ob er einige der 20.000 Seiten gelesen habe, und er antwortete, dass er das getan habe. Danach fragte ihn Paul, wie viele davon mit Informationen über die nationale Verteidigung zu tun hätten, und die Antwort des Generals war, dass in dieser Aktensammlung "keine, an die ich mich erinnere," war.

Worauf baut nun die Regierung auf? Darauf, dass mein Klient Antonio Guerrero in dem US-Flottenstützpunkt Boca Chica arbeitete. Er arbeitete auf einem Posten von geringerer Bedeutung, aber er war ein Agent der Regierung Cubas, der einen Auftrag hatte und sein Land informierte. Das alles wurde zugegeben. Aber der Auftrag, den er hatte und worüber er Cuba informierte, war nicht die Information über Nationale Verteidigung, sondern öffentlich verfügbare Information über irgend etwas, das er nehmen und irgendwohin schicken konnte, und das ist deshalb keine Grundlage für Anklagen wegen Spionage.

Was den Informationsfluss betrifft, leben wir bis jetzt in einem verhältnismäßig freien Land. Deshalb erlauben unsere Gesetze, dass jede beliebige Person in dieser Gesellschaft Informationen zusammenstellen und an ein beliebiges Land der Welt schicken kann, auch wenn es Informationen militärischen Charakters sind, solange sie öffentlich zugänglich sind.

Das, was Antonio nach Cuba sandte, waren Berichte über startende und landende Flugzeuge/Flüge, jede Information war öffentlich zugänglich. Die Regierung bezeichnete dies als unangemessen und als eine Verletzung der Spionagegesetze. Dem Schwurgericht in Miami sagte sie, dass ein cubanischer Agent, der in einer US-Basis arbeitete, Informationen nach Cuba sandte über startende und landende Flugzeuge und das alles legal. Gegenüber Antonio Guerrero sagte sie, dass er keines der Sicherungsmittel der Basis verletzte, und so war es in der Tat. Woher wissen wir, dass er es nicht tat? Weil die Regierung schon zwei Jahre vor seiner Festnahme von ihm wusste. Sie überwachten ihn und wussten, dass Antonio sich nie um eine Zugangsberechtigung beworben hatte, nie ohne Erlaubnis in einem Sicherheitsbereich gewesen ist und nie die Regelungen der Basis verletzt hatte. Sie fühlten sich so vertraut damit, dass Antonio nichts Illegales tat, dass, als die Chefin der Basis angerufen wurde, um es zu bestätigen, sie sagte, dass das FBI sie niemals informiert hätte, dass man dies alles über Antonio Guerrero wüsste. Niemals hätten sie ihr etwas davon gesagt. Und warum hatten sie es ihr niemals gesagt? Weil er nichts Unangemessenes getan hatte.

Trotzdem verurteilte ihn das Schwurgericht aufgrund eigener Vorurteile und Voreingenommenheit. Wer gehörte alles zum Schwurgericht in diesem Fall?

Wir haben viel Zeit mit Versuchen verbracht aufzuzeigen, warum die Fünf keinen gerechten Prozess bekamen. Wir haben Experten, die Zeitungsartikel zusammenstellten. Wir haben eine solche Dokumentation, wie sie niemand jemals zuvor darüber zusammengestellt hat, warum dieser Fall in Miami nicht hätte verhandelt werden dürfen. Trotzdem geschah es so. Sie beendeten ihn mit einem Schwurgericht, das sehr unüblich war. Der Vorsitzende des Schwurgerichts, der über diese fünf Agenten richtete, sagte, dass er gegen die Diktatur Fidel Castros sei und dass er den Tag herbeisehne, wo man ihn stürzen würde. Ein zweites Mitglied des Schwurgerichts, ein ehemaliger Banker aus Ilinois, sagte, dass sein Sohn seit 21 Jahren Marineinfanterist sei und das seine Tochter seit 15 Jahren beim FBI jetzt sei. Ein drittes Mitglied des Schwurgerichts arbeitete für den Generalstaatsanwalt des Staates Florida in der Strafdivision.

Und so waren auch die übrigen der 12 Mitglieder. Das war das Schwurgericht, das sie im Südbezirk Floridas hatten.

Das Schwurgericht brauchte nicht viel Zeit. Als der Prozess endete, das Schwurgericht dann von 70 Zeugenaussagen gehört hatte, nahm man sich tatsächlich nur einen Tag, um über die Anklage wegen Spionage zu entscheiden, die dann in Verurteilungen zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen gipfelte. Sie stellten nicht eine Frage, lasen nicht eine Zeugenaussage nach, prüften nicht einen Beweis. Einen Prozess, der sieben Monate gedauert hatte, entschieden sie einfach an nur einem Tag.

Das war es, was zum Thema Spionage geschah. Was gibt es über die Verurteilung zu lebenslanger Haft gegen Gerardo Hernández wegen anderer vermeintlicher Verschwörung? Die schwerwiegendsten Anklagen, die gegen ihn vorgebracht wurden, waren beide wegen Verschwörung. Welche andere Anklage gab es, die eine zweite lebenslange Haftstrafe wert war?

Sie handelte von Verschwörung zum Mord. In diesem Fall war die Beweisaufnahme erneut so dürftig, dass die Staatsanwaltschaft zum Ende des Prozesses mit einer Dringlichkeitsschrift zum Berufungsgerichtshof eilte und sagte: "Wenn die Richterin das Schwurgericht so angewiesen habe, wie sie sagte, dass es geschehen sei, haben wir keine Sache gegen Gerardo Hernández, weil wir keinerlei Beweise haben, die von einer Verschwörung zum Abschuss zweier Kleinflugzeuge über internationalen Gewässern handeln."

Das kennzeichnet buchstäblich die Bedeutung des Anklagebeschlusses, dass die Richterin das Schwurgericht zum Lesen aufforderte. Und obwohl sie sie zum lesen schickte, wurde der Teil nicht berücksichtigt, in dem berichtet wurde, dass die Regierung keine Beweise habe in bezug auf die Teilnahme des Angeklagten am Abschuss der beiden Kleinflugzeuge über internationalen Gewässern. Das Schwurgericht nahm sich nur einen Tag Zeit zum Analysieren dieser Anklage, um Gerardo Hernández dann zu einer zweiten lebenslänglichen Haftstrafe zu verurteilen.

Erlauben Sie mir, kurz auf den Abschuss der beiden Kleinflugzeuge einzugehen, weil ich zuletzt viele Dinge darüber gelernt habe. Wer ist der wirklich Schuldige am Abschuss der zwei Kleinflugzeuge am 24.02.1996?

Die Information, die wir darüber haben, stellt eines der faszinierendsten Kapitel und Illustrationen über die Geschichte der Beziehungen beider Länder dar. Wie war es, als man diese Information in den Prozess einbrachte? Die Verteidigung beantragte als Zeugen Admiral Carroll, einen ehemaligen US-amerikanischen Militär, und den ehemaligen US-General Atkinson. Sie beantragten Richard Nuncio zu hören, den Berater des Präsidenten Clinton, der sein Büro damals im Weißen Haus hatte und der unter Eid während des Prozesses folgendes aussagte: "Ich formulierte die Politik gegenüber Cuba", für den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Zeugen wie diese erschienen während des Prozesses, ebenso wie Funktionäre der Bundesluftfahrtbehörde und andere vom State Department. Man arbeitete eine vollständige Informationsschrift aus über das, was mit den zwei Kleinflugzeugen geschah und warum sie abgeschossen wurden.

Kurz gesagt, die Geschichte begann mit dem Jahreswechsel 1995, als die Vereinigten Staaten und Cuba zu einem historischen Abkommen zur Regulierung, Kontrolle und Humanisierung der Einwanderungspolitik gelangten. Und was geschah mit diesem Abkommen?

Die Organisation "Hermanos al Rescate" ["Brüder zur Rettung" - Anm. d. Übers.], die während vieler Jahre Summen und Beiträge für die Unterstützung der Balseros [cubanische Bootsflüchtlinge – Anm. d. Übers.] gewann, sah sich bald mit einer Lage konfrontiert, in der sie der US-Küstenwache jeden Balsero melden mussten, den sie erblickten, damit dieser dann nach Cuba zurückgeführt werden könne. Plötzlich merkten die "Hermanos al Rescate", dass sie ihre Aktivitäten ändern müssten. Und was taten sie dann? Die "Hermanos al Rescate" begannen terroristische Handlungen gegen Cuba zu entwickeln. In den 20 Monaten, die dem Abschuss der Kleinflugzeuge dann vorangingen, - und so steht es in der Information - wurden 25 Flüge über cubanischem Territorium von "Brüdern zur Rettung" durchgeführt, ohne dass die Regierung der Insel irgendwelche Maßnahmen dagegen ergriffen hätte. Kein Land toleriert so etwas; noch weniger eines wie Cuba, das unter einer langen Geschichte der von den Vereinigten Staaten ausgehenden Aggressionen leidet.

Was machte Cuba mit diesen 25 Flügen über seinem Territorium während dieser 20 Monate? Cuba präsentierte bei jeder einzelnen der Verletzungen seines Luftraumes eine formelle diplomatische Note, wie es im Prozess aufgenommen wurde. Und was machten die Vereinigten Staaten? Die Vereinigten Staaten unternahmen nichts dagegen.

Die Zahl der Flüge im cubanischen Luftraum wuchsen seit Januar 1996 an, Cuba lud Admiral Carroll von der US-Marine ein, die Insel zu besuchen. Während seines Aufenthaltes in Cuba unterhielt sich Admiral Carroll mit dem Chef der cubanischen Luftstreitkräfte, der ihm sagte: "Admiral Carroll, wir werden keine weiteren dieser Aktionen tolerieren. Wir können es nicht. Wir haben die Information (übermittelt von den Fünf – was er aber nicht sagte), dass es Pläne gibt, diese Flugzeuge, die unser Territorium überfliegen, mit Bomben und Explosivkörpern zu bewaffnen, und wir müssen uns verteidigen."

Er sagte Admiral Carroll, dass, wenn er in die Vereinigten Staaten zurückkehre, sich mit dem State Department und dem Pentagon in Verbindung setzen solle, um diesen illegalen Flügen über cubanischem Territorium ein Ende zu bereiten. Admiral Carroll sagte dies während des Prozesses aus, und so steht es in den Akten. Er kehrte nach Washington zurück und setzte sich mit Funktionären des Pentagons und des State Departements zusammen und sagte ihnen, wovon Cuba mit Ernst gesprochen hatte: "Sie sind gewarnt und besorgt und werden das nicht mehr tolerieren." Das Pentagon und das State Department unternahmen nichts.

Richard Nuncio bestätigte, dass es sich genau so ereignete und dass er so sehr besorgt war, dass er seine Untergebenen Memoranden erstellen und abschicken ließ, was ebenfalls in den Prozessakten steht.

Was besagten diese Denkschriften? Sie besagten folgendes – und das sind offizielle Memoranden des State Department: "Cuba verliert die Geduld." Eines der Memoranden schlussfolgerte, wie es nur ein Memorandum des State Department tun kann: "we better have all our ducks in a row (Besser, wir sind auf alles vorbereitet), weil zu erwarten ist, dass Cuba sich verteidigen und jemand abgeschossen wird, und wir sollten dann unsere Position klar haben."

Und Richard Nuncio bestätigte, dass er im Januar 1996 José Basulto – den Führer der "Hermanos al Rescate" - im US-Fernsehen über dessen feindliche Einfälle in den cubanischen Luftraum Vermutungen anstellen sah und wie dieser über die cubanische Regierung spottete, dass man bei deren Verteidigungsmitteln nicht damit rechnen könne, sie abzuschießen oder aufzuhalten, und er sagte über die Cubaner auf der Insel: "Seht Ihr? Sie können auf Konfrontation zu dieser Regierung gehen und meinem Beispiel folgen – wenn Sie Cuba angreifen, wird die Regierung der Insel abtreten". Nuncio sagte, dass sich sein Gesicht schmerzlich verzerrte, als er das gesehen habe, weil er wusste, dass die Cubaner auf der Insel dies auch im Fernsehen sähen und so etwas nicht weiter hinnehmen würden.

Und danach führten sie am 13.01.1996 neue Flüge über cubanischem Territorium aus. Dann kam der 24.02., wir wussten alle, dass sie an diesem Tag wieder in den cubanischen Luftraum eindringen würden. Und sie bereiteten alles vor.

Als Basulto und die anderen sich einteilten und starteten, um diese Mission – die so unglückseelig endete - auf die Spitze zu treiben, warnte man sie auf dem Flughafen, dass es sehr gefährlich sei, den cubanischen Luftraum überfliegen zu wollen. Herr Basulto bezeugte, dass sie zusammen kamen und darüber diskutierten und sich der Gefahr bewusst waren, in die sie sich begaben, doch sie hoben auf jeden Fall ab. Als sie sich Cuba näherten, unterhielten sie eine Funkverbindung mit den cubanischen Luftfahrtbehörden und mit einem cubanischen Fluglotsen, der sie darauf aufmerksam machte, dass sie in eine Militärzone eindrängen und dass es sehr gefährlich sei, weiterzufliegen. Trotzdem ließen die Kleinflugzeuge der "Hermanos al Rescate" diese Hinweise außer Acht. Sie sind auf die Gefahr hingewiesen worden, sowohl vor dem Starten auf der Basis in den Vereinigten Staaten als dann auch in Cuba von Cubanern.

Glauben Sie, dass es Gerardo Hernández war, der das den Cubanern vorschrieb? Daraufhin klagte man ihn an, Teil dieser "Verschwörung zum Mord" zu sein. Es war nicht Gerardo Hernández. Folglich war es die Bundesluftfahrtbehörde der Vereinigten Staaten, die die Cubaner benachrichtigte, dass die Kleinflugzeuge auf dem Weg waren. Gerardo Hernández hatte nichts damit zu tun.

Die Kleinflugzeuge folgten weiter dem Kurs Süd. Die Cubaner starteten ihre MiGs. Basulto kehrte um und die MiGs schossen die beiden anderen Kleinflugzeuge ab. Basulto stellte seinen Flugschreiber ein, um den Verlauf dieser neuen, "erfolgreichen" Mission aufzunehmen. Das Band lief, als sich die Kleinflugzeuge Cuba näherten, und man konnte das Lachen Basultos hören zu dem Zeitpunkt, als die beiden anderen Kleinflugzeuge angegriffen wurden und vier Menschen starben.

Jetzt gibt es einen neuen Aspekt in bezug auf den Abschuss. Ein US-amerikanischer Gerichtshof klagte die cubanischen Piloten und alle daran beteiligten Offiziere formell an. Was besagt diese neue Anklage? Sie besagt, dass die beiden Kleinflugzeuge über internationalen Gewässern abgeschossen wurden. Bei alledem, sagt die Anklage, dass eines der Kleinflugzeuge sich 16 Meilen vor der cubanischen Küste befand –vier Meilen außerhalb des Limits, vier Meilen! Bei der von den MiGs entwickelten Geschwindigkeit, wenn die Cubaner die Kleinflugzeuge wirklich über internationalen Gewässern abschossen, war es ein Fehler von Sekunden. Die Cubaner behaupten, dass die Kleinflugzeuge sich in cubanischem Luftraum befanden, aber die neue US-amerikanische Anklage sagt, dass sie sich 16 Meilen vor der Küste befanden, vier Meilen außerhalb des Limits. Das zweite Kleinflugzeug befand sich der Anklage zufolge 21 Meilen von der cubanischen Küste entfernt.

Das ist es, was ein Land behauptet, das in diesen Momenten mit 34 anderen Nationen verhandelt, damit diese seinen Soldaten vollständige Immunität gegen beliebige Delikte gewähren, die irgendwo begangen werden könnten. Zur gleichen Zeit, in der wir über internationale Immunität unserer Soldaten verhandeln, klagen wir auch zwei Piloten an wegen eines eventuellen Fehlers von nur einigen Sekunden.

Sie können dessen gewahr sein, dass die Beweislage gegen Gerardo ebenso dürftig war. In welchem Verhältnis stand Gerardo zu dieser Verschwörung? Die Staatsanwaltschaft hatte einen Beweis gegen Gerardo – ein Telegramm aus Cuba, in welchem man ihm sagte, dass er an diesem Tag nicht fliegen solle und, dass die anderen das auch nicht tun sollten.

Was zeigt das? Zeigt es vielleicht, dass er Kenntnis hatte oder auf dem Laufenden war über das, was an diesem Tag geschehen würde, oder dass er auf irgendeine Weise verwickelt gewesen wäre in eine "Verschwörung zum Mord"? Dies ist das erste Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten, dass sie Anklage wegen Mordes erheben, wenn zwei Flugzeuge eines souveränen Landes ein anderes Flugzeug in Verteidigung der territorialen Integrität ihres eigenen Landes abschießen. Niemals zuvor hat es einen Mordfall in ähnlichem Zusammenhang gegeben. Auch wurde niemals zuvor ein Mordfall angenommen, der auf einer so dürftigen Beweislage aufbaute, auch wenn er durchführbar gewesen wäre. Man verhandelt einen gerechtfertigen Akt eines souveränen Staates, den er in legitimer Verteidigung seines Territoriums ausführte.

Die Beweislage gegen Gerardo, die auf diesen beiden Anklagen aufbaut, kann sich nicht halten, sie wird in sich zusammenstürzen, und wir erwarten, dass der 11th Circuit Court of Appeal [Berufungsgerichtshof] es so betrachtet.

Wir sprachen uns auch über andere Angelegenheiten aus, die ich jetzt ausführen möchte. Die Vereinigten Staaten machten Gebrauch von jeglicher, in der juristischen Welt möglichen Taktik, um diese Strafen zu erreichen. Eine ihrer Taktiken war es, alles und jedes einzelne der 20.000 Dokumente bezüglich der fünf Angeklagten als streng geheim zu erklären. Darum lehnte die Regierung jedes Mal die Herausgabe der Dokumente ab, wenn die Angeklagten um deren Rückgabe baten, um sich verteidigen zu können, weil es sich um geheime Informationen handele. Dadurch schützte sich die Regierung mit dem CIPA, Classified Information Protection Act (Gesetz zum Schutz geheim eingestufter Informationen).

Was ist das CIPA? Die Vereinigten Staaten lernten aus dem Fall Ames und aus anderen, dass, wenn Angestellte der Regierung als geheim eingestufte Dokumente geraubt haben, sie sich damit verteidigen zu sagen: "Wenn Sie uns vor Gericht bringen, machen wir alle als geheim eingestuften Dokumente öffentlich", und deshalb konnten diese Dinge nicht vor Gericht verhandelt werden. Um dem vorzubeugen, hat der Kongress das CIPA bestätigt, das verhindert, das ehemalige Regierungsangestellte der Regierung ins Gesicht schlagen und einem Gerichtsprozess entgehen könnten.

Diese Dokumente gehören den Fünfen, aber nur einige wenige wurden zurückgegeben – die Regierung gab sie ihnen edelmütigerweise nach vielen Monaten Verspätung zurück. Demzufolge hielt die Regierung eine vertrauliche Sitzung mit der Richterin ab, um ihr die Gründe zu erklären, weshalb sie den Rest der Dokumente nicht der Verteidigung übergeben könne, und die Richterin war damit einverstanden. Die Rechtsanwälte der Verteidigung waren von dieser Versammlung ausgeschlossen. Die Abschriften dieses Verfahrens wurden versiegelt und noch heute verweigert die Regierung, sie herauszugeben, wenn wir beantragen, dass man uns erlaubt, diese zu konsultieren, um beim Berufungsverfahren damit argumentieren zu können. Wie können wir die Verteidigung vorbereiten, wenn wir nicht wissen, was sie der Richterin in dieser vertraulichen Sitzung sagten?

Das ist ein anderes unserer Argumente vor dem 11th Circuit Court of Appeal [Berufungsgerichtshof]. Es ist ein sehr komplexer Fall, es geht um so ernste Themen wie das internationale Recht, um Souveränität, die Glaubwürdigkeit und die Spionage. Als Rechtsanwalt habe ich den Fall an Schulen des Rechts debattiert. Professoren des Rechts, Dekane und andere Rechtsexperten haben die Papiere und die Geschichte dieses Falles durchgesehen/überprüft ebenso wie die Berichte der Verteidigung. Alle stimmen darin überein, dass wir diesen Fall in der Berufung in keiner Weise verlieren können. Ich würde das gerne glauben, spielten die Umstände dabei nicht eine sehr wichtige Rolle.

Nebenbei gesagt, sie haben mir erzählt, dass der 11th Circuit Court of Appeal nach Miami fahren könnte, um die Anhörung zu diesem Fall dort auszuführen, vielleicht im Januar oder Februar des nächsten Jahres.

Das Schlimme, das passieren könnte, ist, dass der Fall erneut verschwiegen wird. Man wird das Gesetz nur dann respektieren, wenn sich der Gerichtshof davon überzeugt, dass es Personen gibt, die den Fall beobachten und verfolgen. Deshalb ist die Unterstützung wichtig, ist die Solidarität wichtig, sind die Kenntnis und die Information wichtig. Es geht darum, dass es uns gelingt, uns zusammen zu tun, um Gedanken untereinander darüber auszutauschen, wie man ein größeres Bewusstsein darüber unter der Bevölkerung schaffen kann. Die Fünf brauchen diese Unterstützung wirklich, weil die Desinformation schrecklich ist und die Regierung schon Erfolg damit hatte, diesen Fall zu verschweigen oder die betroffenen Personen falsch zu informieren. - Es war mir eine Freude, mich heute hier mit Euch über diesen Fall betreffende Angelegenheiten auszutauschen.

(Aus dem Spanischen von ¡Basta Ya! - Die spanische Version des ursprünglich englischen Textes wurde uns von Graciela Ramirez zugestellt.)

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