Leserbrief zu Cholet "Kleine Schritte, große Wirkung?" (ND vom 25.6.04)

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein "amnesty-international"-Freund Cholet beginnt allmählich, mich zu verärgern. Ähnliches war von ihm schon vor einiger Zeit im ai-JOURNAL zu lesen. Das hatte mir damals schon nicht gefallen. Ich wäre Ihnen deshalb sehr zu Dank verbunden, wenn Sie möglichst zeitnah meinen nachstehenden Leserbrief veröffentlichen könnten.

Mit freundlichen Grüßen

(Günter Belchaus)

"Zu Jéròme Cholet "Kleine Schritte, große Wirkung?" (ND vom 25. Juni 2004)

"Fiat justicia pereat mundus" möchte man zu dem Artikel von Cholet bemerken, oder frei übersetzt: "Möge Gerechtigkeit, d.h. die volle Umsetzung der Menschenrechte, walten, wenn auch die Welt, im konkreten Falle Kuba, darüber zugrunde ginge." Ich bin wie der Verfasser ebenfalls – aktives – Mitglied von "amnesty international". Auch für mich steht außer Frage, daß die Menschenrechte universell gelten, daß sie unteilbar sind und nicht verwirkt werden können. Aber dieses Prinzip sollte man nicht zu Tode reiten. Es mag an meinem Alter liegen oder daran, daß ich Kuba, die Verhältnisse dort im Land, aber auch die außen- und sicherheitspolitische Situation von Kuba wahrscheinlich etwas besser kenne und beurteilen kann als der Verfasser – ich verstehe zumindest, warum man in Kuba im Frühjahr des vergangenen Jahres derart rigoros reagierte. Die Insel steht mit dem Rücken an der Wand. Die Bush-Administration droht unverhohlen mit einer militärischen Intervention, ihre letzten Maßnahmen – Einschränkungen der Dollar-Überweisungen von Exil-Kubanern an Familienangehörige, weitere Einschränkungen im Reiseverkehr – verstärken die ökonomische Strangulierung der Insel, deren Bevölkerung ohnehin seit Jahren unter dem von den USA verhängten, völkerrechtswidrigen Embargo zu leiden hat. Washington unterläßt wirklich nichts, um die von Fidel Castro geführte verhaßte Regierung zu stürzen und das Land wieder unter die Kontrolle der USA zu bringen. Ich behaupte weiterhin, daß die "Opposition" in Kuba bewußt mit dem Ziel aufgebaut und unterstützt worden ist, die "Oppositionellen" bei der ersten besten Gelegenheit in zynischem Kalkül zu opfern, um Kuba als Land, in dem die Menschenrechte massiv verletzt werden, vor der Weltöffentlichkeit bloßstellen zu können und zu isolieren, um so einen Vorwand zu schaffen, demnächst auch dort einzumarschieren (wenn ich der kubanischen Regierung etwas übelnehme, dann ist es vor allem das, daß sie in die von den USA dergestalt aufgestellte Falle getappt ist). Im übrigen: auch unser Staat mißbilligt den Hochverrat, den er u.a. dann als gegeben ansieht, wenn jemand die Freiheit der Bundesrepublik "von fremder Botmäßigkeit" aufheben oder tragende Verfassungsgrundsätze beseitigen will (§§ 81, 92 StGB). Was aber passiert, wenn die USA gewaltsam Demokratie und Achtung der Menschenrechte durchzusetzen vorgeben, das sah und sieht man beispielsweise in Afghanistan oder heutzutage besonders deutlich in Irak: die Menschenrechte Einzelner, insbesondere ihre elementaren Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit, stehen dann ganz selbstverständlich zur Disposition. Insoweit ist es wohl doch nicht nur gestattet, sondern auch geboten, Menschenrechte gegeneinander abzuwägen. - Es gäbe zu Cholet noch vieles anzumerken, nämlich u.a. zu fragen, wie "amnesty" eigentlich an die Gerichtsakten gekommen ist, wenn andererseits geltend gemacht wird, die Urteile seien in Geheimverfahren gefällt worden, warum es mir nicht gelingt, die 140 Seiten Dokumentation aufzurufen, und warum nicht auch auf die Dokumentation des kubanischen Außenministeriums über den Verlauf der Strafprozesse und die aktuellen Haftbedingungen der Verurteilten, die der Menschenrechtskommission in Genf vorgelegen hat, eingegangen wird. Zusammengefaßt: Mit meiner heutigen Stellungnahme möchte ich daran erinnern, daß die Welt leider nicht vollkommen ist, daß es zwischen Schwarz und Weiß eine Menge Grautöne gibt. Letztlich möchte ich erreichen, daß klarer erkannt wird, was Ursache und was Wirkung ist und daß die Verhältnisse und Geschehnisse differenzierter gesehen werden müssen. Ich plädiere dafür, mehr Verständnis für die äußerst bedrängte Lage von Kuba aufzubringen. Kuba braucht in erster Linie unsere Solidarität, um zu verhindern, daß das Land das nächste Opfer der USA wird."
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