GRANMA, 14. Oktober 2003

GERARDO HERNANDEZ

Lebenslänglich - obwohl sogar der Bezirksstaatsanwalt das Fehlen von Beweisen zugibt

Das US-Bundesluftfahrtministerium selber setzte die kubanischen Behörden davon in Kenntnis, dass die Flugzeuge unterwegs waren, für deren Abschuss Gerardo angeklagt wurde

Sonderbericht von Jean-Guy Allard für Granma International

GERARDO Hernández, einer der Miami Five, wurde kraft einer Anklage, die ihn mit dem Abschuss von zwei Kleinflugzeugen in Verbindung brachte, zu lebenslänglicher Gefangenschaft verurteilt, obwohl das Büro der Bezirksstaatsanwaltschaft anerkannte, dass es überhaupt keine Beweise dafür gebe - so viel zu der dem Berufungsgericht in Atlanta vorgetragenen Forderung, die Anklage fallen zu lassen. Es ist noch absurder: Kuba wurde von der Ankunft dieser Flugzeuge in seinem Luftraum benachrichtigt und zwar nicht von Gerardo, sondern von der US-Bundesluftfahrtbehörde selbst. Vor einer dichtgedrängten öffentlichen Versammlung, die neulich in Miami anlässlich des 5. Jahrestages der Inhaftierung der Fünf abgehalten wurde, analysierte der New Yorker Anwalt, Leonard Weinglass - bekannter Zivilrechtsexperte - die verschiedenen Aspekte des Falls der Kubaner, indem er zeigte, wie die von persönlicher Feindschaft gegen Kuba geleiteten Geschworenen zu solch einer unsinnigen Entscheidung kamen. Weinglass erinnerte: "Die Beweislage stützte sich so sehr auf die Verschwörung zum Mord, dass die Staatsanwaltschaft am Ende der Gerichtsverhandlung dem Berufungsgericht eine Dringlichkeitsverfügung überreichte, die besagte: ‚Wir haben keine Sache gegen Gerardo Hernández, falls die Richterin die Geschworenen in Kenntnis setzen wird, wie sie sagte, dass sie es tun wird, denn wir haben keinerlei Beweis, dass die Verschwörung eine Verschwörung zum Abschuss zweier Flugzeuge über internationalem Gewässer war.' Das ist der buchstäbliche Sinn der Anklageschrift, dass die Richterin die Geschworenen anwies zu lesen. Und obwohl sie ihnen die Anweisung gab zu lesen, dass die Staatsanwaltschaft keine Beweise habe für eine Vereinbarung über den Abschuss der Flugzeuge über internationalem Gewässer (dann gäbe es keine Gerichtssache), verbrachten die Geschworenen einen Tag mit der Aufgabe, Gerardo Hernández zu einer zweiten lebenslänglichen Strafe zu verurteilen."

Kein Land würde so etwas dulden

In den 20 Monaten, die dem Abschuss der Flugzeuge voraus gingen, erinnerte Weinglass, "gab es 25 Flüge über Kuba, ohne dass die kubanische Regierung irgendwelche Maßnahmen gegen sie ergriffen hätte. Kein Land würde so etwas dulden. Noch weniger ein Land, dass eine Geschichte durchlitten hat, wie sie Kuba von den Vereinigten Staaten zu erleiden hatte." Er erwähnte noch einmal, dass Kuba im Januar 1996 Admiral Caroll von der US-Navy in sein Land eingeladen hatte. "Während seines Aufenthaltes traf er sich mit dem Chef der kubanischen Luftwaffe, der sagte: ‚Admiral Caroll, wir werden das nicht mehr hinnehmen. Wir können es nicht. Wir bekommen Informationen, dass Pläne imgange sind, diese Flugzeuge, die uns überfliegen, mit Rohrbomben und explosivem Material zu bewaffnen, und wir müssen uns verteidigen.' Er bat Admiral Caroll, sich mit dem State-Department und dem Pentagon in Verbindung zu setzen und diesen Überflügen ein Ende zu bereiten." Am 24. Februar 1996 missachteten die ‚Brothers to the Rescue' entsprechende Warnungen. Sie wurden, bevor sie von der US-Basis abhoben, gewarnt und dann noch einmal durch die kubanischen Behörden in Kuba.

BASULTOS GELÄCHTER

"Denkt ihr, dass es Gerardo Hernández war, der die Kubaner warnte?" fragte der Rechtsanwalt. "Das war es aber, weswegen er angeklagt wurde, das als Teilnahme an der Verschwörung zum Mord galt. Es war nicht Gerardo Hernández. Es hat sich herausgestellt, dass es das FAA [Bundesluftfahrtministerium] der Vereinigten Staaten war, das die Kubaner benachrichtigte, dass Flugzeuge kämen. Gerardo Hernández hatte damit nichts zu tun. An diesem Tag setzten die Maschinen ihren Flug, trotz der Warnungen, in Richtung kubanisches Territorium fort," erklärte Weinglass. "Die Kubaner starteten ihre MIGs, Basulto kehrte um, und die MIGs schossen die beiden anderen Flugzeuge ab. Basulto hatte sein Tonbandgerät im Cockpit wegen dieser ‚erfolgreichen' Mission über Kuba eingeschaltet. Das Tonband lief, als sich die MIGs näherten und man hört ihn lachen, als die beiden anderen Flugzeuge angegriffen wurden..."

Weinglass sagte, dass dies das erste Mal in der US-Geschichte sei, "dass sogar Mordanklage gestellt würde, wenn zwei Flugzeuge eines souveränen Landes bei der Verteidigung ihrer territorialen Integrität in einen Abschuss verwickelt seien."

SEHR MERKWÜRDIGE GESCHWORENE

Der New Yorker Anwalt - der durch die Verteidigung der ‚Chicago Eight' berühmt wurde - wies darauf hin, wie David Bucker, "der Vorsitzende der Geschworenen, die diese fünf kubanischen Agenten verurteilten, sagte, dass er gegen die kommunistische Diktatur Fidel Castros sei und den Tag herbeisehne, an dem der abgesetzt würde. Der zweite Geschworene, ein pensionierter Bankier aus Illinois, sagte, dass sein Sohn 21 Jahre bei der Marine und seine Tochter 15 Jahre lang beim FBI gewesen und jetzt noch beim FBI sei. Der dritte Geschworene arbeitete für den Justizminister des Staates Florida in der Verbrechensabteilung. Und so ging es mit allen Zwölfen weiter. Das waren die Geschworenen, denen sie im südlichen Bezirk von Florida ausgeliefert waren." Weinglass erinnerte auch daran, wie die Geschworenen, nach der Anhörung von 92 Zeugen, "sich nur einen Tag dafür nahmen, über den Spionageteil des Falles zu entscheiden, der lebenslängliche Strafen verursachte, und sie stellten nicht eine Frage oder hatten irgend etwas von den Zeugenaussagen nachgelesen oder hatten irgend eine Frage zu den Anklageschriften, die ihnen zu lesen gegeben worden waren - sie erledigten eine siebenmonatige Gerichtsverhandlung an einem Tag." Die Sache gegen Gerardo basierte auf diesen Anklagen, "die, wie wir hoffen, nicht vor dem Elften Bezirksberufungsgericht aufrecht erhalten werden können," versicherte Weinglass.

3 MINUTEN

Nun fragt man sich: Wann wird das Berufungsgericht in Atlanta seine Entscheidung treffen. Hier ist keine bessere Erklärung als die von Leonard Weinglass: "Nachdem sie verurteilt worden waren, stellten sie einen Antrag auf Berufung. Die Berufung liegt beim Eleventh Circuit Court of Appeal [Berufungsgericht des 11. Bezirks] in Atlanta, Georgia. Der Fall wird vor drei Richtern verhandelt werden. Wir reichten unsere schriftlichen Begründungen oder Anträge im Juni 2003 ein. Der Regierung [bzw. Staatsanwaltschaft] wurden 90 Tage zur Beantwortung der schriftlichen Begründungen gegeben - die Antworten sind morgen fällig. Aber wir fanden heraus, dass die Regierung ...sich mehr Zeit ausbedungen hat, um diesen Fall vorzubereiten.

Die Verteidiger hoffen, ihre Antwort am oder um den 1. November 2003 abgeben zu können, und dann wird der Fall zur öffentlichen Anhörung vor den drei Richtern am 11. Bezirksgericht kommen. Wann es passieren wird, weiß ich nicht, aber es wird wahrscheinlich nach dem Ersten des Jahres sein - das bringt den Fall in das Jahr 2004. Ich werde für meine Argumentation 3 Minuten haben (15 Minuten werden unter den fünf Anwälten aufgeteilt) eine enorme Rekordzeit im Namen meines Klienten, der eine lebenslängliche Gefängnisstrafe abbüßt. Wir haben um mehr Zeit gebeten, und mir wurde gesagt, dass wir sie erhalten könnten, denn das Gericht - in einer besonders großzügigen Geste - könnte uns möglicherweise fünf Minuten gewähren," schloss er.

Deutsch: ¡Basta Ya!

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