Granma, 27. Juli 2004
Bush und die kubanischen KinderRolando Pérez Betancourt - Autor der täglichen Granma-Redaktion
Vierzig Jahre an der Schreibtastatur haben mich gelehrt, niemals im Zorn zu schreiben. Daher stand ich auf, ging an den Kühlschrank, trank ein Glas Wasser und stand am Fenster, um die Vögel zu beobachten, die um das Dach flatterten, bevor ich mich wieder hinsetzte, um noch einmal die neuesten Erklärungen von Präsident Bush zu Kuba zu lesen, die er in Florida abgab.
"Beruhige dich," sagte ich mir, wobei ich versuchte, den vom realen Alltag abgehetzten Politiker zu "verstehen": im Irak versumpft, die schwierige Handhabung der gelben, orange-farbenen und roten Alarmstufen (die Politik mit der Angst), um bei den Bürgern eine ständige Angst vor Terrorangriffen aufrecht zu erhalten, wirtschaftliche Probleme, die grausame Realität der Umfragen, die anzeigen, dass er hinter seine demokratischen Kandidaten zurückfällt, viele andere Rückschläge und die Dokumentation von Michael Moore, die jedermann den Mangel an Professionalität des Präsidenten vor Augen führen will und ans Licht bringt, indem sie ihn durch ihre Beweisführung in beängstigendem Maße lächerlich macht. Es ist wahr, dass Florida ein verlässlicher Staat für ihn war. Doch die jüngsten Maßnahmen gegen den Stachel im Fleisch (Kuba), mit denen Cousinen, Tanten und Neffen auf der Insel in eine Art von Marsbewohner verwandelt werden, haben die Situation zu einem unvorstellbaren Zustand aufgeputscht. Und die Umfrageergebnisse - diese verdammten Zahlen(!) - belegen, dass seine Popularitätsrate auch dort sinkt. Sogar als Analphabetin verstand meine Großmutter die politischen Machenschaften ihrer Zeit ganz gut. Wenn sie heute noch lebte, wäre sie über 100 Jahre alt (sie musste sich einmal ihr Rückgrat verbiegen, um 50 Stimmen für einen aussichtsreichen Kongressabgeordneten und als Gegenleistung dafür ein Stipendium für eines ihrer anderen älteren Enkelkinder zu gewinnen). Sie pflegte zu sagen, dass diese Leute zu Zeiten der Wahlen so begierig darauf seien zu gewinnen, dass sie es schafften, Geier zu schlucken. Ich habe über all das nachgedacht und versucht, mich zu beruhigen, bevor ich die jüngsten Erklärungen von Präsident Bush in Florida lese. Worte, die, wie viele andere, aus von Hass getragenen Verleumdungen bestehen, könnten aus der Höhe unversehrter Würde ignoriert werden, wenn sie nicht eine Beleidigung meiner drei Töchter und der Kinder Kubas darstellten sowie der Familie und der Gesellschaft, in der ich lebe. Und was sagte Präsident Bush mitten im Wahlkampf? Er sagte laut der Zeitung El Nuevo Herald wörtlich etwas, was in diesen Berichten erschienen sein könnte, die anscheinend von einem schlechten Hollywood-Film-Autor stammen, der auf der Suche nach der Finanzierung für einen spektakulären Film ist. Der Präsident sagte, dass Kinder in Kuba ausgebeutet werden, um den Sextourismus für harte Währung anzukurbeln, was zu dem internationalen Problem des Reiseverkehrs der Menschen beiträgt. Und er betonte in epischer Stimmung, dass eine Strategie in Gang gesetzt werden müsse, den Tag so schnell wie möglich herbeizuführen, an dem kein kubanischer Junge oder kubanisches Mädchen mehr dazu missbraucht wird, eine verfehlte Revolution zu finanzieren. Übersetzung: Kubanische Kinder sind von einer Zuhälterregierung prostituiert worden. Ich werde nicht ein Wort schreiben, um etwas zu erläutern, das heutzutage jeder über kubanische Kindheit weiß. Stattdessen werde ich diese Spalten dazu nutzen, um an 1956 zu erinnern: Vor einem fast halben Jahrhundert ging ich oft über die Consulado-Straße, zwischen Trocadero und Colón, sehr nah am Colón Viertel gelegen, eines zu der Zeit größten Prostitutionsgebiete. Meine Mutter hielt mich davon ab, dort hinzugehen, besonders dann, wenn dort "Amerikaner 'rumhingen". Matrosen von der im Hafen von Havanna vor Anker liegenden U.S.-Navy pflegten nicht nur in betrunkenen Horden in diese Gegend, sondern auch auf die ganze Consulado Straße einzufallen, in eine Allee voller Nachtlokale "für Touristen". An mehr als einem Abend erlaubte sie mir, vom Balkon aus die aufsehenerregenden Schlägereien zwischen betrunkenen Besuchern aus dem Norden und den örtlichen Zuhältern zu beobachten. Was die Erinnerung dieses Kindes beeindruckte, das seine Welt von Fantasien nährte, waren nicht die dürftig gekleideten, manchmal nackten Frauen, die ihren Charme in Colón darboten - die ich hinter dem Rücken meiner, meine Frechheit zügelnden Mutter, gelegentlich besuchte, sondern die grotesk aufgemachten jungen Mädchen, beinahe in meinem Alter, die die Rolle der Dame von Welt spielten, um ihren Unterhalt zu verdienen. Um 1976 schrieb ich auf diesen Seiten die Kolumne, Es geschah vor 20 Jahren, die später in zwei Bänden vom Ciencias Sociales Verlag [Verlag für Sozialwissenschaften, Anm.:d. Übers.] veröffentlicht wurde. Es war eine Tageskolumne, und sie versuchte, die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und meist menschlichen Aspekte des Jahres 1956 auszuführen, das Vorspiel für die Landung der Motorjacht "Granma" im Dezember. Niemals wieder habe ich so schwer gearbeitet - um Archive zu durchstöbern, Veröffentlichungen zu überprüfen, Zeitzeugen zu befragen, die etwas Interessantes dazu beitragen konnten. Und nie, das kann ich Ihnen versichern, fand ich je irgendeinen Satz von einem "nördlichen" Beamten (noch viel weniger von einem Präsidenten!), der Pläne zur Rettung in Aussicht stellte, nicht nur für die erbarmungswürdigen Bewohner von Colón und die anderen, die in Massen über die Insel verstreut der sexuellen Entspannung von US-Soldaten dienten, sondern auch zur Rettung der Kinder, deren bedeutende Mehrzahl dazu verurteilt war, hinter der Schranke für die Gedemütigten aufzuwachsen und das Leben zu erblicken. Vierzig Jahre an meiner Schreibtastatur haben mich gelehrt, dass man nie im Zorn schreiben sollte. Das ist der Grund, warum ich mich nach nochmaliger und letzter Lektüre der Erklärung von Präsident Bush in Florida und so beleidigt, wie ich noch immer bin, in meinem Stuhl zurück setze, mir ein Lächeln erlaube und mich an das erinnere, was meine Großmutter über den Geschmack von Geiern zu Zeiten von Wahlen zu sagen pflegte. Deutsch: ¡Basta Ya! |