junge Welt, 11.03.2004
Interview
Interview: Harald Neuber
Anhörung im Fall der »Miami 5«: Faires Berufungsverfahren möglich?
jW sprach mit Peter Erlinder. Er ist Professor an der William-Mitchell-Universität für Rechtswissenschaften im US-Bundesstaat Minnesota. Im laufenden Berufungsverfahren gegen fünf in Miami verurteilte Kubaner plädierte er im Auftrag des US-Anwaltsvereins und der Demokratischen Anwaltsvereinigung mit einem sogenannten Amici-Curiae-Gutachten für eine Wiederaufnahme der Verhandlung>
F: Entgegen dem Strafverfahren vor zwei Jahren saßen der gestrige Anhörung für ein Berufungsverfahren gegen die »Miami 5« drei Richter aus Atlanta vor. Läßt das auf eine fairere Rechtsprechung schließen, als bei dem ersten Strafverfahren? Ja, diese Anhörung unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von dem damaligen Verfahren. Bei dem Strafverfahren vor zwei Jahren wurden die Urteile durch eine zwölfköpfige Jury aus Bürgerinnen und Bürgern gefällt. Die drei Richter hingegen werden auf Basis der Berufungsanträge und der gestrigen Anhörung lediglich über etwaige Verfahrensfehler entscheiden. Im US-Rechtssystem können nach der Hauptverhandlung in höheren Instanzen keine neuen Beweise oder Zeugen präsentiert werden. Aus diesen Gründen geht es dem Anwaltsteam nun darum, die Beeinflussung der damaligen Jury durch die exilkubanische Gemeinde zu belegen und so ein neues Verfahren zu bewirken... F: ... das in einer anderen Stadt als Miami abgehalten werden soll. Weshalb? Weil das US-amerikanische Rechtssystem sich stark auf Bürgerjuroren stützt, ist die Ortsfrage ein entscheidendes Kriterium. Wenn die Menschen in einer bestimmten Region aufgrund der dort vorherrschenden öffentlichen Meinung nicht frei Urteilen können, ist die Verlegung des Verfahrens in eine andere Stadt die gängige Methode, um etwaige Vorurteile der Jury auszuräumen. F: Welche Anhaltspunkte gab es im Fall der »Miami 5« für solche Vorurteile? Den starken Einfluß der anticastristischen Elemente in Miami. Im Fall der fünf Männer hatte der leitende Staatsanwalt damals die Verlegung des Verfahrens mit dem Argument abgelehnt, Miami sei so groß, daß der Einfluß der betreffenden Gruppen nicht ins Gewicht falle. Ein Jahr später plädierte derselbe Staatsanwalt aber für die Verlegung eines Verfahrens gegen Justizminister John Ashcroft aus Miami. Ein ehemaliger Justizbeamter hatte gegen Ashcroft wegen Diskriminierung im Amt geklagt. Der gleiche Staatsanwalt versuchte, das Verfahren in eine andere Stadt zu verlegen, weil in Miami eine große exilkubanische Gemeinde existiere und der Kläger einen spanischen Nachnamen trug. Es scheint, daß er im ersten Verfahren wider besseren Wissens gelogen hat. F: Wie bedeutend ist die öffentliche Meinung im Fall der »Miami 5«? Sie ist wichtig, weil sich die US-Justiz gemeinhin als größte Wahrerin der Menschenrechte präsentiert. Die Urteile gegen Fernando González, René González, Antonio Guerrero, Gerardo Hernández und Ramón Labańino aber waren politisch motiviert. Eine juristisch haltbare Entscheidung wie die kürzliche Revidierung des Urteils im Hamburger Terrorprozeß wäre in den USA derzeit kaum denkbar. Die öffentliche Meinung kann in solchen Situationen offensichtlicher politischer Dominanz über die Justiz als wichtiges Korrektiv wirken. F: Inwieweit läßt sich der Fall der »Miami 5« mit dem politischen Urteil gegen Mumia Abu-Jamal vergleichen? Der »Fall Mumia« ist ein politischer Fall, weil er auf die rassistischen Züge im Justizwesen hinweist und weil der Verurteilte als Aktivist gegen Polizeigewalt bekannt war. Da kam die Anklage wegen Polizistenmord nur recht. Im Fall der fünf Kubaner ist der politische Aspekt offensichtlicher: Die Anklagen wurden auf Basis von Informationen erhoben, die Washington von der kubanischen Regierung zur Verfügung gestellt bekommen hatte, damit sie gegen terroristische Organisationen auf US-Territorium vorgehe. Aufgrund der Art der Informationen wurden die fünf Männer als Informanten Havannas ausfindig gemacht und festgenommen. Sie haben weder Gewalttaten verübt, noch militärische Geheimnisse verraten, noch die innere Sicherheit der USA gefährdet. Hier waren also schon die Anklagen politisch motiviert. Der weitere Verlauf wird zeigen, wie weit die US-Regierung geht, um über rechtsstaatliche Grenzen hinweg prokubanische Kräfte in den USA zu unterdrücken.
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