junge Welt, 22. April 2004

Politische Justiz in den USA: "Guter" und "böser" Terror?

jW sprach mit Rechtsanwalt Leonard Weinglass


Interview: Harald Neuber

* Der New Yorker Rechtsanwalt ist einer der bekanntesten Strafverteidiger der USA. In den siebziger Jahren vertrat er die Schauspielerin Jane Fonda gegen den damaligen Präsidenten Richard Nixon wegen Verletzung ihrer Redefreiheit. Später nahm er sich der Fälle der Bürgerrechtsaktivisten Angela Davis (1973) und Mumia Abu-Jamal (1994 bis 2001) an. Derzeit führt er in einem Anwaltsteam das Berufungsverfahren der sogenannten Miami 5 gegen die USA.

F: Die fünf Kubaner sind in den USA wegen "Verschwörung zu Spionage" verurteilt. Ist das trotz aller Skandale um das Verfahren nicht eigentlich ein bilateraler Fall? Was macht den Fall fürs deutsche Publikum interessant, dem Sie ihn mit einem Vortrag in Berlin näherbringen wollen?

In erster Linie reflektierten Art und Verlauf dieses Verfahrens natürlich die feindseligen Beziehungen zwischen den USA und Kuba in den vergangenen vier Jahrzehnten. Daneben aber geht es in dem Fall der fünf Kubaner um grundlegende Fragen des internationalen Terrorismus - ein sehr aktuelles Thema. In dem Verfahren gegen die "Miami 5" wird deutlich, daß die USA mit zahlreichen exilkubanischen Organisationen auch terroristische Gruppen auf dem eigenen Territorium dulden. Offenbar gibt es im Weißen Haus eine Unterscheidung zwischen "gutem" und "schlechtem" Terrorismus. Darum möchte ich den Fall der "Miami 5" in Deutschland vorstellen: Er vereinigte brisante Fragen internationaler Politik mit Fragen des internationalen Kampfes gegen den Terrorismus.

F: Die fünf Männer wurden 2001 verurteilt, weil sie aus den USA Informationen über geplante Anschläge gegen Kuba nach Havanna übermittelten. Sprechen wir also von politischer Justiz?

Tatsächlich wirft dieser Fall ein Schlaglicht auf Mißstände im internationalen und im US-amerikanischen Rechtssystem, weil er - objektiv gesehen - in einer unfairen Verurteilung gipfelte. In den USA haben sich ganze Jurafakultäten mit den "Miami 5" befaßt. Sie sind zu dem Schluß gekommen, daß die Kubaner auf keinen Fall in Miami hätten vor Gericht gestellt werden dürfen, weil sich die Stimmung dort wegen der großen kubanischen Exilgemeinde eindeutig gegen sie richtete.

F: Verfahren und Urteil fielen zeitlich mit den Terroranschlägen am 11. September 2001 zusammen. Wie hat das politische Klima den Fall beeinflußt?

Natürlich wurde und wird die öffentliche Debatte vom dem Thema des Antiterrorkampfes bestimmt. Das birgt für die Verteidigung aber auch Chancen, denn diese Diskussion deckt auch die Unterstützung von terroristischen Aktivitäten durch die US-Regierungen auf. Vier Beispiele: die exilkubanischen Gruppen in Miami, die paramilitärischen Contras in Nikaragua, UNITA in Angola oder Renamo in Moçambique. Diese vier Gruppen wurden nachweislich von den USA unterstützt. Zugleich passen alle vier perfekt in die juristische Definition des internationalen Terrorismus. Wir führen hier also Klage gegen eine Regierung, die den Kampf gegen den internationalen Terrorismus für sich reklamiert, zugleich aber nicht bestreiten kann, terroristische Gruppen selbst unterstützt zu haben. Insofern bestimmt das politische Klima den Fall - negativ und positiv.

F: International läuft eine Kampagne für die "Miami 5". Läßt sich diese Solidaritätsbewegung mit der Kampagne für die Freilassung des zum Tode verurteilten Journalisten Mumia Abu-Jamal vergleichen?

Ja. Mumias Fall hat die Frage der Todesstrafe thematisiert, die auch in der internationalen Rechtsdiskussion eine bedeutende Rolle spielt. Nun gibt es in der Europäischen Union keine Todesstrafe, weshalb hiesige Kräfte eine harte Debatte mit den USA um die Rechtmäßigkeit dieser Strafform führen. Der Fall von Mumia war dabei zentral. Derzeit dominiert die Diskussion um internationalen Terrorismus, und dabei ist wiederum der Fall der "Miami 5" charakteristisch. Er entlarvt die Rhetorik der amtierenden Regierung und offenbart die politische Realität der USA.

* Leonard Weinglass spricht am heutigen Donnerstag in der Humboldt-Universität zu Berlin zum Thema "Guter Terror - schlechter Terror. Der Fall der Miami 5", Hauptgebäude, Kinosaal, 19 Uhr

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