Interview mit Weinglass, dem Anwalt von Antonio Guerrero

Gloria La Riva, 22. November 2006

Es wurden neue Berufungsanträge gegen die Verurteilungen der Cuban Five eingereicht. Gloria La Riva, die Koordinatorin des National Committee to Free the Five, führte mit Leonard Weinglass, dem Anwalt von Antonio Guerrero, einem der Fünf, folgendes Interview:

Gloria La Riva (GLR): Können Sie bitte den Stand der Berufung zu diesem Zeitpunkt erklären und uns nach dem 9. August, als den Cuban Five ein neues Verfahren verweigert wurde, auf den neusten Stand bringen?

Leonard Weinglass (LW): Am 9. August 2006 erhielten wir das Urteil des gesamten Gerichtes in Atlanta. Mit 10 zu 2 Stimmen bestätigte dieses Gericht die Richterin, die eine Ortsverlegung des Prozesses abgelehnt hatte. Es gab einen starken 53-seitigen Widerspruch der beiden Richter dazu, die zu dem Drei-Richter-Gremium gehörten, das ursprünglich zugunsten der Ortsverlegung gestimmt hatte.
Aber der Fall wurde an unser ursprüngliches Gremium, das nun aus zwei Richtern besteht, mit der Zielsetzung zurückgegeben, dass das Gremium die verbleibenden Sachverhalte, für die wir in unserer Berufung ursprünglich eingetreten sind, in Betracht gezogen werden. Der dritte Richter des Gremiums ist pensioniert.
Dann hörten wir am 17. Oktober von dem Gremium der beiden Richter. Sie wollten zusätzliche, ergänzende Schriftsätze beider Seiten, wobei unser Schriftsatz zum 20. November fällig war. Wir haben den Antrag gerade am Abend des 20. eingereicht, und die Regierung hat bis zum 17. Dezember Zeit, darauf zu antworten.
Es gibt drei von uns eingereichte Schriftsätze, die alle neun Sachverhalte ansprechen, aber wir haben vier der neun Angelegenheiten hervorgehoben. Diese Angelegenheiten sind:
dass der Punkt 3 oder Verschwörung zum Mord nicht bewiesen ist und fallen gelassen werden sollte.
Zweitens wurde die Verschwörung zur Spionage nicht bewiesen, und in jedem Fall waren die auf dieser Basis ausgesprochenen lebenslänglichen Urteile überzogen und außerhalb des Strafmaßes, innerhalb dessen die Richterin die Drei zu lebenslänglich verurteilen konnte.
Drittens legten wir dar, dass das Verfahren des Staatsanwaltes während der Gerichtsverhandlung die Normen für Strafverfolgung verletzte, dass dies staatsanwaltliches Fehlverhalten war und insbesondere auf ihr Schlussplädoyer gegenüber der Jury zutraf. Die Staatsanwaltschaft plädierte gegenüber der Jury, die Fünf schuldig zu sprechen, weil, um ihre eigenen Worte zu benutzen, "sie in die Vereinigten Staaten kamen, um die Vereinigten Staaten zu zerstören." Das wurde nicht nur einmal gesagt, sondern dreimal. Das würde, falls das Gericht so befände, beide Verschwörungsanklagen aufheben, sowohl die Verschwörung, Spionage begehen zu wollen als auch die Verschwörung, Mord begehen zu wollen.
Zuletzt und viertens legten wir ausführlich dar, wie die vorsitzende Richterin die CIPA-Sache behandelte, den Classified Information Procedure Act [Gesetz zum Schutz von Geheiminformation]. In diesem Fall gab es keine Geheimdokumente. Aber was geschah, ist, dass die Regierung jedes der eigenen Dokumente der Angeklagten als streng geheim einstufte und dann so argumentierte, dass deswegen die Klausel des CIPA angewandt wurde. Uns wurde der Zugang zu einigen unserer eigenen Dokumente verweigert.
Wir legten diese vier Sachverhalte in den neuen Ergänzungsschriftsätzen dar. Es geht wieder darum, dass [die Anklage auf] Verschwörung zum Mord fallen gelassen werden sollte, zweitens, dass [die Anklage auf] Verschwörung zu Spionage wegen nicht ausreichender Beweise fallen gelassen werden sollte, drittens waren die Verurteilungen wegen Spionage grob außerhalb der tatsächlichen Richtlinien des Gesetzes, und viertens beging die Staatsanwaltschaft eine Verfehlung. Schließlich war in diesem Fall die Anwendung des CIPA falsch.
Wie die Sache jetzt steht, warten wir bis zum 20. Dezember, wenn wir das Antwortschreiben der Regierung erhalten. An diesem Punkt werden wir entscheiden, ob wir die Gelegenheit beantragen, darauf ein Antwortschreiben einzureichen, und wir werden es, wenn notwendig, tun.
Wir haben das Gremium auch darüber informiert, dass wir an der nochmaligen Erörterung irgend eines oder aller neun Sachverhalte teilnehmen wollten, wenn sie es wünschten.

GLR: Wäre das eine mündliche Anhörung?

LW: Ja, wenn es das Gericht so wünschte, und wir warten darauf, von dem Gericht davon zu hören. Wenn wir nichts weiteres darüber hören und ein Antwortschreiben nicht nötig ist, werden wir auf das Urteil des Gremiums warten. Wir können nicht sagen, wann es ergeht. Nach unseren günstigsten Schätzungen wird es wahrscheinlich zwischen Februar und Mai sein, innerhalb dieses Zeitrahmens. Wir können nicht sicher sein. Man muss im Kopf behalten, dass es dasselbe Gremium ist, dass 16 Monate brauchte, um die Sache der Ortsverlegung zu entscheiden. Es ist sehr schwer vorhersagbar.

GLR: Sie erklären, dass zwei Richter die Sachverhalte überprüfen. Wenn es zwischen den beiden Meinungsverschiedenheiten gäbe, was geschähe dann?
LW: Wenn die beiden sich nicht einig werden können, dann wird der Oberste Richter des 11. Bezirks einen dritten Richter ernennen, und dieser wird sich dann an der Urteilsfindung beteiligen. Man muss ein einvernehmliches Urteil von zwei Richtern haben, um ein gültiges Urteil vom Berufungsgericht zu bekommen. Wenn diese beiden Richter einander zustimmen, ist die Sache endgültig, wenn nicht, wird ein dritter Richter erforderlich sein.

GLR: Was sind die unmittelbar nächsten rechtlichen Schritte, wenn es kein zufriedenstellendes Ergebnis oder einen Teilsieg in dem kommenden Urteil gibt?

LW: Wir können gegen jede Sache, die das Gremium gegen uns entscheidet, in Berufung gehen. Das wäre zuerst bei dem gesamten Gerichtshof des 11. Bezirks, den wir schon wegen der Ortverlegung anriefen. Dann würden wir über einen direkten Antrag beim Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten um eine Überprüfung dieser Sachverhalte sowie auch des Anliegens der Ortsverlegung bitten, das wir auch vor den Obersten Gerichtshof bringen können. Das käme in Frage, wenn wir vor dem Gremium verlieren.

GLR: Wenn Sie auf dieser Ebene keinen Erfolg haben, welche Möglichkeiten haben die Anwälte dann?

LW: Alles worüber wir bisher gesprochen haben, nennt man direkte Berufung. Das ist eine unmittelbare Berufung gegen das Urteil. Wenn wir irgendwo verlieren, einschließlich vor dem Supreme Court, dann haben wir das Recht auf eine mittelbare Berufung. Das wäre eine Berufung unter Anwendung des von der Verfassung garantierten "habeas corpus" [Jeder Festgenommene oder Inhaftierte hat das Recht, ohne Verzug und öffentlich vor einem Richter zu erscheinen und angehört zu werden, damit der Richter entscheidet, ob die Festnahme rechtmäßig war oder nicht. Denn: Habeas corpus! Du hast ein Recht an deinem Körper inne.], wobei keine Punkte, die bereits behandelt und über die bereits entschieden wurde, wiederholt, sondern neue bisher nicht verhandelte uns zur Verfügung stehende Aspekte behandelt würden.

GLR: Das Verteidigerteam hat während der Berufung sehr sorgfältig gearbeitet. Haben Sie eine Botschaft an die Unterstützerbewegung in den Vereinigten Staaten und der ganzen Welt?

LW: Die Anstrengungen der Unterstützer sind eine große Hilfe, dies ist eine Lehrstunde in Geschichte. Dies ist in jedem wichtigen Fall so gewesen und war es auch in diesem Fall. Wir sind überzeugt, dass der Sieg, den wir hatten, und das war ein nie dagewesener Sieg im August 2005, die Antwort auf die Unterstützung hier und international war.
Das Gericht, das die Entscheidung von 2005 überstimmt hat, ist ein Gericht, das im letzten Vierteljahrhundert niemals zugunsten eines Angeklagten entschieden hat. In dem Gericht standen wir vor einem unüberwindbaren Hindernis. Aber die Unterstützung war von historischer Bedeutung.
Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, aber der derzeitige Kontext ist sehr bedeutend. Die zwei Richter, vor denen wir jetzt stehen und die vorgelegten Argumente geben uns derzeit wahrscheinlich die beste Gelegenheit, die Fünf zu befreien. Dies ist eine kritische Zeit, und es ist außerordentlich notwendig, dass das Netzwerk der Unterstützer sich aktiv in dem Fall engagiert.

GLR: Sie haben in den letzten Wochen vor zahlreichen Zuhörern über die Cuban Five gesprochen, am 23. September vor einem Forum in Washington, DC, während der Vorstellung von Salim Lamranis Buch in New York, am 16. Oktober vor Hunderten von Jurastudenten und Professoren im William Mitchell College of Law in Minneapolis, als auch vor der National Lawyers Guild in Austin, Texas. Wie waren die Reaktionen auf Ihre Ausführungen über die Fünf von den Leuten, die zum ersten Mal von dem Fall hörten?

LW: Ich glaube, sie waren etwas geschockt und konnten nicht glauben, dass die Leute nichts von der Verhandlung gehört hatten, die zu der Zeit, als sie stattfand, die längste der Vereinigten Staaten war. Es war ein Verfahren, dass wichtige Aspekte der Außenpolitik einschloss, in dem der Kubaberater des Präsidenten unter Eid aussagte; zwei pensionierte Generäle, ein Admiral und zwei Beamte der kubanischen Regierung sagten dort aus.
Alle diese Dinge von großer Bedeutung und Konsequenz waren nie Gegenstand wichtiger Berichterstattung. Und das schockiert die Leute. Aber darüber hinaus geht es um die Geschichte von Kuba und den Vereinigten Staaten, um Terrorismus der von unseren Küsten gegen ein Land betrieben wird, mit dem wir in Frieden leben und das wie wir Mitglied der Vereinten Nationen ist.
Das alles löst einen großen Schock und Unglauben bei Leuten aus, die davon hören. Ich glaube, man sollte fairerweise sagen, dass es sich im Bewusstsein und den Gefühlen der Leute festsetzt, es erregt Ekel gegen diese Geschichte und das, was passiert ist, und steigert die Sympathie für die Fünf, die außerordentlich lange Strafen dafür bekamen, dass sie diese heldenhafte Arbeit für ihr Land leisteten.

GLR: Nach der Rücknahme des Sieges der Fünf gab es in diesem Sommer eine Menge Interviews mit Ihnen. Haben Sie ein Gefühl für die Ansichten und Empfindungen dieser Reporter bekommen, z.B. verglichen mit der Behandlung des Terroristen Posada Carriles durch die US-Regierung?

LW: Erstens erinnert es mich an die kürzliche Gesinnungsänderung der Medien gegenüber dem Irakkrieg, worüber sie jetzt eine Menge schreiben in der Art wie "Wo waren wir als wir die Gelegenheit hatten, alle diese Lügen, die uns in diesen Krieg gezogen haben, aufzudecken? Warum waren wir nicht schlauer und aggressiver?" Die Reaktionen der Medien auf Posada Carriles und neuerer Entwicklungen war, "Warum haben wir diesen Fall nicht genauer verfolgt, als er passierte? Es gibt eine Menge "mea culpa" [meine Schuld]. Es gibt eine Menge Selbstbeschuldigungen und Gefühle von Unwürdigkeit, dass man nicht besser aufgepasst hat. Es gibt das Gefühl, dass über den Fall von Posada genau berichtet werden muss und zwar zusammen mit dem Fall der Fünf.
Ich bin erfreut, das zu sehen, nicht nur vom Netzwerk der Unterstützer sondern auch der Medien selbst, sie berichten über beide Fälle - den der fünf Antiterroristen und den des Terroristen Posada - in einem einzigen Artikel, womit sie die Scheinheiligkeit der USA entlarven.
GLR: Sie haben kürzlich Antonio Guerrero im Gefängnis in Florence, Colorado, besucht. Haben sie auch die anderen Brüder besucht? Wie geht es ihnen?

LW: Antonio habe ich Mitte Oktober besucht, der ist so produktiv wie nie zuvor. Er gibt ein neues Buch heraus mit seinen Gedichten, Kalligrafien und Illustrationen. Es enthält auch ein Porträt von Nelson Mandela, der es unterzeichnet und an Antonio zurückgeschickt hat. Ich besitze eine Kopie davon.
Ich habe auch René González in Florida und Gerardo Hernández in Kalifornien besucht, beide wegen der Weigerung der US-Regierung, ihren Ehefrauen zu erlauben, sie zu besuchen. Ich habe ihnen einen neuen Anwalt vorgestellt, der die Fälle von Adriana Pérez und Olga Salanueva betreuen wird.

GLR: Wie ist ihre Stimmung?

Sie besitzen alle viel Energie, sie sind inspiriert, sehr klar, optimistisch, aber realistisch darüber, wessen sie gegenüberstehen und warum. Dies sind Männer, die ihr Leben einer edlen und gerechten Sache gewidmet haben und dies in Geist und Gesinnung reflektieren.

GLR: Im Namen aller der Cuban-Five-Solidaritätsbewegung danken wir Ihnen Leonard, Richard Klugh und dem ganzen Verteidigerteam für alles, was Sie für die fünf kubanischen Helden tun.

LW: Danke

Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db)

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