Interview mit Leonard Weinglass6. August 2007Exklusiv für freethefive.org
Das Interview mit Leonard Weinglass, dem Anwalt von Antonio Guerrero, wurde von Gloria La Riva, der Koordinatorin des National Committee to Free the Cuban Five, am 1. August 2007 geführt.
Gloria La Riva: Herr Weinglass, die mündliche Anhörung im Berufungsverfahren der Cuban Five vor dem 11th Circuit Court of Appeals in Atlanta wird am 20. August stattfinden. Können Sie bitte den derzeitigen Stand des Falles der Cuban Five erläutern? Welche Punkte wird die Verteidigung präsentieren?
Leonard Weinglass: Die Anhörung findet vor einem Zwei-Richter-Gremium statt. Möglicherweise wird das Gericht auf ein Drei-Richter-Gremium erweitert, aber das werden wir erst eine Woche vorher wissen. Es ist das selbe Gericht, das die erste Anhörung über den Fall veranstaltete und im August 2005 entschied, die Fünf hätten in Miami kein faires Verfahren bekommen. GLR: Welche Punkte gehen in die Berufung?
LW: Es gibt eine Reihe von Punkten, aber ich werde die drei wichtigsten betonen, die am wahrscheinlichsten vorgebracht werden. GLR: Sie erwähnten, dass der Staatsanwalt keine Indizien habe vorlegen können, die die Beschuldigung der Mordverschwörung gegen Gerardo Hernández beweisen. Dies ist eine extrem ungewöhnliche und irreguläre Beschuldigung wenn man bedenkt, dass sogar der Staatsanwalt sich nach richterlicher Anweisung mit einer "writ of prohibition" [in etwa: Erlass eines Verbotes Anm. d. Ü.] während des Verfahrens an das 11. Bezirksberufungsgericht gewandt hatte, weil der Staatsanwalt gesagt hat, er habe keine überzeugenden Indizien. Was speziell wäre für eine Verurteilung notwendig gewesen?
LW: Was nötig gewesen wäre für eine Verurteilung nach US-Gesetz ist ein zweifelsfreier Beweis dafür, dass Gerardo Hernández Teil einer Übereinkunft war, deren Ziel es gewesen ist, den Tod von den vier Personen herbeizuführen, die nach dem Abschuss ihrer Flugzeuge starben. Es gibt keinerlei Hinweise dafür, dass Hernández irgend eine Kenntnis davon hatte, dass die Abschüsse bevorstanden. Und darum scheitert der Fall auf die Dauer aus Mangel an Beweisen. GLR: Hat die Staatsanwaltschaft nicht auch behauptet, dass Gerardo Hernández gewusst habe, dass die Flugzeuge über internationalem Gewässer abgeschossen würden? Trotzdem, Gerardo war nicht an einem Plan für den Abschuss beteiligt, obwohl es eine gerechtfertigte und legale Aktion Kubas war.
LW: Das ist richtig. Es gibt keine Indizien dafür, dass er wusste, dass es zu einem Abschuss käme. Das einzige Indiz im Verfahren war, dass er eine Botschaft aus Kuba bekommen hatte, nach der seine Landsleute in dieser Zeitspanne nicht mit dem Flugzeug der "Brothers to the Rescue" [Brüder zur Rettung] fliegen sollten. GLR: In Bezug auf die lebenslangen Strafen haben Sie erklärt, es gebe in einem Bundesgefängnis keinerlei Möglichkeit auf Begnadigung oder vorzeitige Entlassung, außer man stirbt. Hat diese Doktrin von lebenslänglich ohne Begnadigung schon immer bestanden, und wenn nicht, wann hat sich das geändert? LW: Die Begnadigung wurde im Bundessystem in den Vereinigten Staaten abgeschafft, und ich glaube die Änderung trat ungefähr 1994 in Kraft. Der Fall der Fünf entstand 1998, nach der Änderung. Darum wurden die Fünf nach der neuen Regel ohne Möglichkeit der Begnadigung verurteilt. GLR: Haben Gefangene, die vor 1994 verurteilt wurden, Anspruch auf Begnadigung? LW: Ja, ich glaube, sie haben Anspruch darauf, sobald sie annähernd 32 oder 34 Jahre verbüßt haben. GLR: Inwiefern beeinträchtigt dieser Fall die Rechtsgarantien, wie sie die meisten Leute vom Gericht zu erwarten haben? Und was kann unter Berücksichtigung des Verhandlungsortes noch für die Fünf vor Gericht getan werden?
LW: Die Entscheidung über den Verhandlungsort, gegen die wir in der Folge vor dem Obersten Gericht Einspruch einlegen können, beeinträchtigt jeden, der in Amerika vor Gericht gestellt wurde. Die Verhandlungsortsregeln haben gegenüber diesem Urteil Vorrang. Es sind Regeln, die entworfen wurden, um einen Angeklagten davor zu schützen, vor das Gericht einer Gemeinde gestellt zu werden, die aufgrund von Vorurteilen gegen den Angeklagten aufgebracht worden ist. Dieser grundlegende und kennzeichnende Teil des Strafverfolgungssystems wurde durch das Urteil des Elften Bezirksgerichts bei der Sitzung des gesamten Gremiums im August 2006 untergraben.
GLR: Trotz der durch die Richterin aufgebauten Hindernisse versuchten die Anwälte der Fünf die lange Geschichte des Terrorismus in Miami und den Hauptgrund für die Mission der Fünf in Miami aufzuzeigen, nämlich diesen Terrorismus zu beenden. Seit ihrer Verurteilung gab es Entdeckungen, Enthüllungen der fortgesetzten Anschläge gegen das kubanische Volk durch in Miami ansässige Terroristen. Und natürlich wurde einer der berüchtigsten Terroristen Luis Posada Carriles im Mai befreit, um sich zu seinen Komplizen in Miami gesellen zu können.
LW: Von den neun Angelegenheiten, die vor dem Zwei-Richtergremium verhandelt werden, habe ich nur drei Hauptpunkte erwähnt, die wir verhandeln wollen. Es gibt noch sechs zusätzliche Punkte. Einer von ihnen ist die Sache der Rechtfertigung. Nach amerikanischem Gesetz könnte ein Angeklagter zugeben, dieses Verbrechen begangen zu haben und dann argumentieren, dass es aus Not gerechtfertigt war, um größeres Leid zu verhindern. Es ist eine Art der Selbstverteidigung, die dann zusätzlich gewährt wird, wenn die betreffenden Aktionen andere Parteien schützen. Das wurde in der ursprünglichen Verhandlung vorgetragen. Aber die Richterin [Joan Lenard], enthielt der Jury diese Sache vor, daher wurde sie von der Jury nie in Betracht gezogen. Wir behaupten, dass dies ein Fehler war. Wir werden argumentieren, dass das Anrecht auf "defense of necessity" [Verteidigung der Notwendigkeit] der Jury hätte unterbreitet werden müssen, weil die Fünf in die Vereinigten Staaten kamen, um weitere Gewalt, Verletzungen und Leid anderer zu verhüten. GLR: Haben Sie ein Beispiel dafür, wie das Recht auf Verteidigung der Notwendigkeit genutzt wurde?
LW: Ich setzte es erfolgreich bei der Verteidigung von Präsident Carters Tochter Amy ein. Sie besetzte mit anderen Studenten aus Protest gegen CIA-Agenten, die auf den Campus gekommen waren, um Studenten für die CIA zu rekrutieren, ein Gebäude an der Universität von Massachusetts. Sie gab zu, dass ihre Gebäudebesetzung ein Vergehen war, doch sie argumentierte, dass es durch den Lehrsatz von der Notwendigkeit gerechtfertigt gewesen sei, weil die CIA damals an einem illegalen Krieg in Nicaragua beteiligt war. GLR: Wenn in dieser Berufung keine ausreichende Entlastung für die Fünf erreicht wird, gibt es dann irgendeine Möglichkeit der Berufung auf der Grundlage der ursprünglichen Argumentation ihrer antiterroristischen Mission? LW: Also, die Strafverteidiger haben eine sehr gute Arbeit bei der Erbringung von 35 Anlagen geleistet, die dem Gericht und der Jury die lange Geschichte der gegen Kuba gerichteten terroristischen Gewalt aus dem Gebiet Südfloridas zeigen. Sie stellten auch leibhaftige Zeugen vor, die an diesen Aktionen beteiligt waren, die die Jury hören und sehen konnte. Tatsächlich zitierte unser ursprüngliches Gremium von drei Richtern, als sie eine 93-seitige Begründung zur Wiederaufnahme des Falles wegen der Vorurteile in Miami schrieben, in ihrem juristischen Urteil in den Fußnoten die Beweise, die dem Gericht vorlagen und bezogen sich auf Posada Carriles als einen Terroristen. Ich denke, es ist das erste juristische Urteil, das gegen Kuba gerichtete Handlungen tatsächlich als terroristische Aktivitäten anerkannte. [Die 93-seitige Urteilsbegründung vom 9. August, 2005 ist auf www.freethefive.org verfügbar] GLR: Die Verteidigung konzentriert sich während der mündlichen Anhörung auf drei Hauptpunkte. Kommt es daher, dass die Zeit des Verteidigungsteams in dem gesamten Berufungsverfahren auf 30 Minuten beschränkt ist?
LW: Die Berufung umfasst eine Gerichtsakte von 119 Transkriptseiten und 20.000 Seiten Beweismaterials. Man hat uns insgesamt 30 Minuten zur Argumentation aller neun Punkte gegeben. Wenn Sie das aufteilen, bleiben uns drei Minuten pro Anliegen. Wie bei allen jeweiligen Berufungsverfahren müssen die Anwälte eine Entscheidung treffen, welche Themen sie verhandeln wollen. Nach einem Treffen mit dem gesamten rechtlichen Beistand, haben wir uns auf drei Verhandlungspunkte konzentriert, von denen wir glauben, dass sie eine Aufhebung der Hauptanklagen bringen und einen Weg für die Freilassung der Fünf bereiten können. GLR: Konnten sie in der schriftlichen Eingabe alle Anklagepunkte ansprechen? LW: Sie sind alle umfassend angesprochen worden. Es gibt auch eine Begrenzung für die Zahl der Wörter, die man in einen Schriftsatz eingeben darf, und wir haben den gesamten uns zugemessenen Raum für die Diskussion aller neun Anliegen genutzt. GLR: Hatten sie in jüngster Zeit mit irgend einem der Cuban Five Kontakt? LW: Ich stehe in ganz regelmäßigem Austausch mit Antonio Guerrero. Und ich erhielt gerade einen vom 19. Juli datierten Brief von ihm. Er ist wie gewöhnlich sehr guten Mutes. Er ist sich dessen, was am Gericht geschieht, vollständig bewusst und darüber, welche Argumente wir einsetzen werden. Er bleibt stark und optimistisch. GLR: Sie haben eine lange Geschichte der Verteidigung politischer Aktivisten seit den 1960ern. Bei diesem Fall, mit der weltweiten und der U.S.-Bewegung zur Unterstützung für die Freiheit der Fünf, wie stufen Sie da die Bedeutung der politischen Unterstützung für diesen Fall ein?
LW: Dieser Fall ist nach unserem Gedächtnis der erste, der zum dritten Mal in die Berufung geht. Nach unser aller Erinnerung geschah das nie zuvor. Warum geschieht es diesmal? Wir glauben, es liegt an der internationalen und heimischen Beachtung, die dieser Fall bekommen hat. Als Anwälte wissen wir, dass wir das Recht auf Diskussion und auf schriftliche Eingaben haben. Aber wir wissen auch aus Erfahrung, dass, ob die Argumente gehört oder die Berufungen ernstgenommen werden oder nicht, in der Regel davon abhängt, wie groß die Unterstützung ist und wie breit das Interesse an dem Fall angelegt ist. GLR: Vielen Dank. Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db) |