Laudatio - Preis für Solidarität und Menschenwürde für die "Cuban Five"Von Norman Paech 31. August 2008
Exzellenz, sehr geehrter Herr Botschafter, lieber Gerardo,
liebe Freundinnen und Freunde, verehrte Gäste! Ich bin gebeten worden, die Laudatio, zu deutsch: Lobrede, für fünf kubanische Staatsbürger zu halten, die heute den Preis für Solidarität und Menschenwürde des Vereins für soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde in Berlin erhalten. Ein eher trauriger Anlass, obwohl Preisverleihungen ein Grund des Feierns und der Freude sein sollten. Denn diese kubanischen Staatsbürger sind seit nun fast 10 Jahren in US-amerikanischen Gefängnissen inhaftiert, getrennt voneinander, fern von ihren Familien, Verwandten und Freunden. Weshalb mir die Ehre zukommt, zu dieser Preisverleihung
Ich kenne Leonard Weinglass aus seiner Verteidigung von Mumia Abu Jamal, kenne seine nüchterne Einstellung seinem Beruf gegenüber und weiß, dass diese Worte der Hochachtung nicht professionelle Höflichkeit oder Verbeugung vor dem schweren Schicksal seiner Mandanten sind. Dieses "Glück", von dem er spricht, muss aus der Begegnung mit fünf außergewöhnlichen Persönlichkeiten resultieren. Wer sind diese Männer in den US-Gefängnissen?
Die Mission, die die nach Florida entsandten Patrioten übernommen hatten, sollte die zahlreichen antikubanischen und konterrevolutionären Organisationen unterwandern, deren terroristische Aktivitäten gegen Kuba auskundschaften und die Informationen an die kubanische Regierung weitergeben. Das verstieß zwar gegen US-amerikanische Gesetze, insofern die Fünf ihre nachrichtendienstlichen Aktivitäten den US-amerikanischen Behörden nicht mitgeteilt hatten. Es war aber kein Vergehen, welches so schwere Freiheitsstrafen nach sich ziehen konnte. Eine Spionagetätigkeit gegen die USA, wie sie ihnen vom Gericht vorgeworfen wurde, kann man nur unter einer Bedingung daraus konstruieren - wenn man nämlich unterstellt, dass die US-Behörden jene illegalen antikubanischen Aktivitäten, die mit ihrem Wissen und in ihrem Interesse unternommen wurden, aktiv unterstützten und sich zu eigen machten. Dafür spricht in der Tat vieles. Als ich im Juni vergangenen Jahres in Havanna war, hatte die US-amerikanische Justiz gerade Luis Posada Carilles, CIA-Agent und einer der bekanntesten und gesuchtesten Terroristen, von dem Vergehen der illegalen Einreise in die USA freigesprochen. Er hat die Explosion eines Flugzeuges der "Cubana de Aviación" am 6. Oktober 1976 auf dem Gewissen, bei der 73 Passagiere ums Leben kamen. Er ist verantwortlich für mehrere Bombenanschläge auf touristische Anlagen in Kuba und war aus einem venezolanischen Gefängnis geflohen, in dem er wegen seiner Terroraktivitäten inhaftiert war. Denn diese beschränkten sich nicht auf Kuba. Seine Anschläge gegen kubanische Einrichtungen hatte er u. a. von El Salvador aus organisiert, wo er mit dem CIA unter der Leitung des berüchtigten Oliver North die Rückzugsmöglichkeiten für die Contras in Nicaragua sowie die Waffentransporte im Rahmen des Iran-Contra-Skandals koordinierte. Im Jahr 2000 hatte er einen Bombenanschlag auf Fidel Castro während seiner Rede beim Iberoamerikanischen Gipfel in Panama vorbereitet. Er wurde mit seinen Komplizen gefasst, aber vier Jahre später begnadigt. 2005 tauchte er wieder in den USA auf und wurde dort bei einer Pressekonferenz verhaftet - er hatte sich offensichtlich zu sicher gefühlt. Der Freispruch im Mai 2007 und die Entlassung von Posada Carriles aus dem Gefängnis enthüllt die skandalöse Seite des US-amerikanischen Kampfes gegen den Terror. Dieser Kampf schützt die Karriere eines sich offen zum Terror bekennenden Kriminellen, der nun als freier Bürger in den USA seinen Lebensabend verbringen kann. Gleichzeitig verfolgen FBI und Justiz gnadenlos die Versuche derjenigen, die den Terror verhindern wollen, der von US-amerikanischem Territorium ausgeht und den die USA selbst zu unterbinden verpflichtet wären. Nur selten zeigt sich die Verlogenheit einer Kampagne so deutlich wie bei der Vorzugsbehandlung dieses Terroristen und der Verfolgung von Menschen, die sich dem Kampf gegen den Terrorismus verschrieben haben. Wer weiß schon in Europa, dass durch die Anschläge der sich zumeist aus exilkubanischen Kreisen rekrutierenden und von der CIA ausgebildeten Terroristen in den letzten zehn Jahren etwa 3500 Kubaner getötet wurden und 2100 schwere Verletzungen erlitten? Wer weiß von den schweren Schäden, die die kubanische Wirtschaft dadurch erlitten hat? Die kubanische Regierung hatte dem FBI 1998 umfassendes und beweiskräftiges Material über die Aktivitäten der Exilkubaner übermittelt, das ihre Aufklärer in Florida gesammelt hatten. Darunter waren Sprengstoffsubstanzen, die von in einem Hotel und einem Touristenbus entdeckten Bomben stammten, Mitschnitte von Luis Posada Carriles' Telefonaten, die Informationen über Terroranschläge in Kuba enthielten, und anderes eindeutiges Beweismaterial. Das FBI zeigte sich zwar beeindruckt und versprach Ermittlungen gegen die Terrormafia. Er täuschte jedoch seine Gesprächspartner in Havanna und wandte seine ganze Aufmerksamkeit den Informanten zu, von denen er schließlich zehn in einer spektakulären Aktion am 12. September 1998 verhaftete. Zwei Tage später erklärte der US-Staatsanwalt auf einer Pressekonferenz im Hauptquartier des FBI: "Dieser Spionagering wurde von der kubanischen Regierung geschickt, um unser nationales Sicherheitssystem, ja, unseren demokratischen Rechtsablauf mitten ins Herz zu treffen." Zynischer kann man sich auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kaum berufen als mit dieser Ineinssetzung ausgewiesener Terrororganisationen im Süden der USA mit ihrem "nationalen Sicherheitssystem". Niemand hätte etwas einwenden können gegen eine Anklage wegen des Versäumnisses, die undercover-Aufklärung bei den US-amerikanischen Behörden anzumelden. Aber eine Anklage und spätere Verurteilung wegen "Verschwörung zu Spionage und Mord" ist auch bei weitestgehender Auslegung des Strafgesetzes nur unter schwerer Verbiegung des Rechts möglich. Die Angeklagten wollten mit ihrer "Spionage" schwerste Verstöße gegen das Völkerrecht verhindern, die private Gruppen ausgehend von US-Territorium regelmäßig begingen. Sie hatten nie das staatliche Sicherheitssystem der USA selbst im Blick und hatten keinerlei Informationen darüber weitergeleitet. Aber ein Merkmal politischer Justiz ist - bei allen System- und Verfahrensunterschieden in den verschiedenen Staaten - der willkürliche Umgang mit den eigenen Gesetzen. Doch dies ist nur ein Vorwurf gegen das Verfahren, dem die fünf Gefangenen ausgesetzt wurden - die anderen fünf hatten unter dem offensichtlich extremen Druck mit den Behörden "kooperiert" und waren in einem abgetrennten Verfahren zu symbolischen Mindeststrafen verurteilt worden. Das Gericht für die verbleibenden Fünf tagte in Miami, Hochburg der Exilkubaner und ein wegen seiner notorisch antikubanischen Atmosphäre vollkommen ungeeigneter Ort für ein faires Gerichtsverfahren. Dies wurde auch im August 2005 von einer Berufungskammer in Atlanta so gesehen, welche die Urteile als unfair und rechtswidrig aufhob und einen neuen Prozess an einem neuen Ort verlangte. Im März davor hatte schon eine "Arbeitsgruppe über willkürliche Haft" der UN-Menschenrechtskommission in Genf harte Kritik an den Haftbedingungen und dem Verfahren geübt. Nach der Verhaftung waren die Gefangenen 17 Monate in Isolationshaft gehalten worden, der Kontakt zu ihren Anwälten und der Zugang zu Beweismitteln war dadurch stark eingeschränkt - ein schwerer Verstoß gegen die Habeas Corpus-Rechte der Angeklagten. Zudem hatte das Gericht alle von den Verhafteten gesammelten Dokumente und Materialien sowie andere Beweismittel nach dem Classified Information Procedures Act (CIPA) als geheim eingestuft und damit dem Zugang durch die Anwälte entzogen. Es herrschte ein Klima der Voreingenommenheit und Vorverurteilung gegen die Angeklagten, das keinen fairen Prozess im Sinne des Artikels 14 des Internationalen Paktes über die bürgerlichen und politischen Rechte zuließ. Die Berufungskammer in Atlanta war zu dem gleichen Ergebnis gekommen und listete all die Gruppen auf, die seit Jahrzehnten geheime und offene terroristische Operationen gegen Kuba unternommen hatten: Alpha 66, Brigade 2506, Brothers to the Rescue, Independent und Democratic Cuba, Comandos L, Cuban American National Foundation und andere. Sie folgerte daraus, "die Annahme, dass diese Gruppen die Juroren derart einschüchtern können, dass es das Urteil ungünstig beeinträchtigt", sei "naheliegend". Doch die Freude über diese faire Entscheidung dauerte nicht lange, genau ein Jahr, dann hob das Berufungsgericht die Entscheidung seiner Kammer wieder auf. Der erneute Wiederaufnahmeantrag der Verteidigung wurde am 20. August 2007 wiederum in Atlanta unter starker internationaler Beteiligung verhandelt. Jetzt geht es im Wesentlichen nur noch um die Reduzierung des unverhältnismäßigen Strafmaßes, da die grundsätzliche Legitimation des Prozesses nicht mehr wirksam vor Gericht angegriffen werden kann. Ich greife hier nur einen der drei wesentlichen Aspekte auf, die von der Verteidigung vorgebracht wurden. Gerardo Hernández ist wegen "Verschwörung zum Mord" zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Dem lag folgender Tatbestand zugrunde: Die kubanische Regierung hatte nach zahlreichen Warnungen an die Behörden der USA schließlich ernst gemacht und zwei der drei in ihren Luftraum eindringenden Kleinflugzeuge der Gruppe "Brothers to the Rescue" abgeschossen. Vier der Abenteurer starben, während der Organisator dieser Provokation, der Schweinebucht-Veteran Basulto, vorher abdrehte und sicher wieder in Miami landete. Das Gericht machte Gerardo Hernández, der offensichtlich über die Flüge unterrichtet war, für den Abschuss durch die Kubaner verantwortlich. Der Tatbestand der Verschwörung verlangt jedoch, dass der Angeklagte von dem geplanten Abschuss zumindest gewusst hat. Das konnte die Regierung nach eigenem Eingeständnis nicht beweisen. Auch die Kammer hatte in der ersten Anhörung 2004 auf das Fehlen von Beweisen hingewiesen. Auf die Überlegung, dass jede Regierung eines souveränen Staates, also auch Kuba, befugt ist, sein Territorium gegen Provokationen und Grenzverletzungen zu schützen, verschwendete das Gericht kein Argument. Nur die Erwägung, ob der Abschuss eines Flugzeuges in dieser Situation die verhältnismäßigen Mittel zum Schutz der territorialen Integrität übersteigt, könnte zu Zweifeln an seiner Rechtmäßigkeit führen. Zu einer "Verschwörung zum Mord" bietet dieser Vorfall jedoch keine Anhaltspunkte. Der Antiterrorkampf steht im Zentrum der Außenpolitik der USA. Mit ihm legitimieren sie ihre Kriege in Afghanistan und Irak sowie ihre weltweiten militärischen Interventionen, ob in Sudan oder Somalia, vollkommen ohne Rücksicht auf Völkerrecht und UNO-Charta. In diesem Kampf hat auch die Justiz ihre Aufgaben. Es kommt allerdings darauf an, wie man den Terror definiert. Die fünf Kubaner, die sich unbewaffnet und ohne jeden Kontakt zu internationalen Terrornetzwerken in die exilkubanischen Gruppen eingeschlichen hatten, um deren Aktivitäten gegen Kuba zu entlarven und zu unterbinden, werden von den US-amerikanischen Gerichten zu Terroristen erklärt. Gemeinhin gelten jedoch gerade die Aktivitäten, die die Fünf verhindern wollten, als Terror: Attentate, Sprengstoffanschläge, Eindringen in fremden Luftraum. US-Administration und CIA unterstützen diesen Terror ganz offensichtlich. Sie sind nicht daran interessiert, von ihrer Südküste ausgehende offene Kriminalität und völkerrechtswidrige Intervention zu unterbinden, solange sie sich gegen Kuba richten. Nun reiht sich auch die Justiz in diesen Kampf ein und straft damit ihren Anspruch auf politische Neutralität Lügen. Wenn wir heute diese fünf Männer
Als Freunde Leonard Weinglass zu der Entlassung der Fünf aus der Isolationshaft gratulierten, wehrte er ab: "Es gibt viele, viele, denen man gratulieren muss, denn es war die Antwort der Solidaritätsbewegung, die die Fünf aus der Isolationshaft befreit hat." Das heißt für uns hier in Berlin, dass eine Preisverleihung den Preisträgern in den Gefängnissen nur dann hilft, wenn sie mit dem Versprechen verknüpft ist, diese Solidaritätsbewegung am Leben zu halten, sie mit neuen Initiativen zu stärken, um sie aus dieser unwürdigen Gefangenschaft zu befreien. Nehmen wir also diesen Preis "für Solidarität und Menschenwürde" als einen Ansporn zur Einlösung dieses Versprechens, welches erst dann erfüllt sein wird, wenn die fünf Kubaner wieder in Freiheit und in ihrer Heimat sind.
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