Originaltitel:"Before Night Falls", Besetzung: Javier Bardem, Olivier Martínez, Andrea
di Stefano, Johnny Depp, and Michael Wincott; Regie: Julian Schnabel; nach den Memoiren von
Reinaldo Arenas; Breitwandfilm, Fine Line Films 2000.
"Bevor es Nacht wird" erhielt landesweit außerordentlich gute Kritiken.
Das Werk heimste zahlreiche Auszeichnungen ein, insbesondere für Javier Bardem, der den in
freiwiliger Verbannung lebenden kubanischen Poeten und Novellisten, Reinaldo Arenas spielt.
Ein Satz von David Ansen aus "Newsweek", fängt die Kernaussage der typischen
Rezensionen ein. Er schwärmt, der Film sei "lyrisch, sinnlich und
überwältigend...eine vernichtende Anklage des Castro-Regimes." Das sollte alle
Aktivisten davor warnen, was sie erwartet. Die Rezension beabsichtigt, die politische Funktion
dieses Films zu skizzieren. (Eine detailliertere Analyse der Lügen und Halbwahrheiten von
"Bevor es Nacht wird" bzw."Before Night falls" siehe unter: The Sexual
Politics of Reinaldo Arenas: Fact, Fiction and the Real Record of the Cuban Revolution,
das auch auf weitere Fragen eingeht, die der Film aufwirft,
unter Verwendung von kubanischen Primärquellen und anderen ergänzenden
Dokumentationen.)hier
"Bevor es Nacht wird" ist die Autobiographie von Reinaldo Arenas.
Er beendete sie kurz vor seinem Tod 1990 in New York City, zehn Jahre nachdem er Kuba
während der "Mariel"-Auswanderungswelle verlassen hatte. Sie wurde 1993 in englischer Sprache veröffentlicht.
Arenas war einer der in Kuba preisgekrönten Nachwuchspoeten. Er wurde während der
Revolution erwachsen, die er bis 1968 verteidigte. Das ist eine der vielen Tatsachen, die er aus "Bevor es Nacht wird" tilgt. Er bemüht sich um die nahtlose Anpassung seines neugestalteten Lebens auf die Figur des aufsässigen Oppositionellen und des der "Castro-Diktatur" entkommenen Opfers.
Als ein begabter, talentierter Autor, den die Revolution entdeckte und ermutigte, wurde Arenas durch die missbräuchlichen Praktiken unter deren Banner verbittert. Das brachte ihn auf einen lebenslangen Schleuderkurs, der in den Vereinigten Staaten endete. Von Aids ruiniert, ohne einen Penny, aus einem Apartment nach dem anderen hinausgeworfen und ohne Krankenversicherung beging er Selbstmord.
Arenas benutzte die Politik und die Praktiken der ersten Jahre der Revolution, die später von der kubanischen Regierung allgemein als Irrtümer, Fehler und Unrecht betrachtet wurden, um seine Beschuldigungen gegen deren Regierung noch zuzuspitzen. Diese schließen die Arbeitslager ein, bekannt als UMAP (Military Units to Aid Production, d.h.: Militäreinheinheiten zur Produktionshilfe). Sie bestanden von 1965 bis 1967, um "Delinquenten" - viele von ihnen waren homosexuell - zur Erfüllung ihrer Militärverpflichtung zu zwingen. Sie waren Teil der Unterdrückungspolitik, die sich in den späten 1960ern und den frühen 1970ern gegen bestimmte Intellektuelle, Künstler und Autoren richtete und während dieses Zeitraums, als formelle Diskriminierung gegen Homosexuelle.
Solche Praktiken entsprangen einer geballten Kombination verschiedener Faktoren: dem kulturellen Vermächtnis aus Kubas Abhängigkeit von kapitalistischer Wirtschaft und den sozialen Verhältnissen, zeitweilig auf "Machismo" beschränkt, dem Erbe der spanischen Kolonialzeit und dem Zusammenprall mit dem sexuellen Dogma der katholischen Kirche. Dazu kam die damalige starre sowjetische Einstellung, Homosexualität sei pervers, eine Form von "moralischer Degeneration" und "bürgerlicher Dekadenz". (Homosexualität wurde in den ersten Tagen der russischen Revolution 1917 legalisiert, später aber unter Stalin 1934 kriminalisiert.)
Ausdehnung, Ausmaße und Handlungsspielraum der Ereignisse, die in Kuba unter diesem reaktionären Konstrukt stattfanden, werden von Arenas in seinen Memoiren übertrieben und entsprechend ausgeschlachtet. Schlimmer noch, Kritik und Opposition zu solchen Maßnahmen, die zu deren Korrektur führten, erhielten in seinem Buch keinen Raum. Stattdessen ist "Bevor es Nacht wird" vom Hass auf die sozialistische Revolution zersetzt, der ihre unleugbar erreichten Verbesserungen schlicht ignoriert.
Der Regisseur der Filmversion, Julian Schnable, geht noch einen Schritt weiter als Arenas. Er pfropft den Halbwahrheiten absichtlich noch unverschämte Lügen, Verleumdungen und Fälschungen auf. Verzerrungen und Fälschungen sind Kennzeichen dieser Autobiographie.
Arenas behauptete zum Beispiel, er und sein Freundeskreis von Schwulen kämpfte gegen die Unterdrückung, indem sie "Sex hatten". Im Buch prahlt er damit, bis zum Alter von 25 Jahren 1968 5000 solcher Begegnungen gehabt zu haben. Diese Behauptung und alles, was sie beinhaltet, wird im Film ausgelassen. Genaugenommen hat Arenas’ Anspruch jedoch nichts mit Opposition gegen Unterdrückung zu tun, ob real oder in der Vorstellung. Aber solch ein Glauben bestimmte sein Leben. Schnable zeichnet von Arenas ein Portrait bäuerlicher Unschuld, die sich zu befreitem Flirt und zu einem Autor entwickelt, abseits der Politik.
Arenas eigene Worte und die Aufzeichnung seiner Taten beweisen das Gegenteil. Seine letzten Jahre in Kuba waren von Schmähschriften gegen die Revolution und der Kollaboration mit ausländischen Regierungen gekennzeichnet, um seine Polemik in Übersee veröffentlichen zu können. In den Vereinigten Staaten beteiligte er sich an Kampagnen, die die "Castro-Diktatur" anprangerten. Arenas arbeitete 1984 zusammen mit Néstor Almendros an der Dokumentation "Ungehöriges Verhalten", dessen Interviews unter anderem unterstellen, dass Kubas Politik gegen Homosexuelle vergleichbar sei mit den Grausamkeiten der Nazis an den Juden in Auschwitz. Er sprach in der breiten Öffentlichkeit gegen die Revolution - zu seiner großen Verblüffung oft angefochten von deren Verteidigern.
Arenas widmete seine Novelle, "Der hellste Stern" einem Freund, dessen missglückter Versuch einer bewaffneten Flugzeugentführung, zu Festnahme, Verurteilung und Hinrichtung führte. In Arenas’ Abschiedsbrief, der in dem Buch, "Bevor es Nacht wird" abgedruckt wurde, verlangte er nach der Fortsetzung des Kampfes, die Regierung in Kuba zu stürzen. Er macht auch Fidel Castro für sein unglückliches Schicksal verantwortlich, eine Anklage, die bei der Wiedergabe dieser Aufzeichnung auf der "Before Night Falls" - website gelöscht wurde.
Schnabels trügerische gereinigte Version von Arenas dient einem breiteren Erfolg des Films. Er beschreibt ihn als eine Arbeit "gegen Totalitarismus in jedwedem Land". Natürlich handelt es sich bei dem dafür infragekommenden Land um Kuba, das Transportmittel für den Angriff ist die Verweigerung der Menschenrechte für Homosexuelle, und der Film ist auf das fortschrittliche Publikum zugeschnitten, in der Rollenbesetzung mit Johnny Depp und Sean Penn. Lou Reed und Laurie Anderson steuerten die Musik dazu bei. Und Hauptakteur Javier Bardem ist der Sohn eines Mitglieds der Spanischen Kommunistischen Partei. Sowohl die schauspielerische Leistung als auch die Kameraführung des Films zeugt von Talent und Leistungsfähigkeit.
Dies ist kein Film für ein "rechtes" Publikum. Er ist nicht an das schwindende Publikum der sogenannten Gusanos gerichtet. In der Tat erklärte Arenas das kubanische Exilmilieu Miamis öffentlich als Karrikatur kubanischen Machismus’. Das Leben in Little Havana war für ihn das "Fegefeuer" im Vergleich zu der "Hölle" Kuba. Sein kurzer Aufenthalt in Miami und sein Eindruck davon werden im Film ausgelassen.
Der Film koppelt sich ausgezeichnet an Washingtons zynischer, unbarmherziger Kampagne an, gegen die angeblichen Menschenrechtsverletzungen in Kuba. In Wirklichkeit haben die Vereinigten Staaten eine geschichtlich nachgewiesen lange Liste von Fehlbehandlungen und Diskriminierungen der Homosexuellen. So wurde eine Atmosphäre geschaffen, in der kriminelle und polizeiliche Gewalt gegen Schwule und Lesbierinnen gediehen. Die Leitschnur für die aneinandergereihten Anklagepunkte gegen Kuba in dieser Frage ist daher von "Freiwilligen" aufgegriffen worden. Zu diesen gehören eingewanderte kubanische Autoren und andere Exilanten und selbsternannte rechtsorientierte Liberale und frühere Radikale, die sich bemühen, die "Dinge gerade zurücken". Sie erweisen der lange bestehenden Anti-Kuba-Propaganda des Empires einen unentbehrlichen Dienst, deren große Lügenmaschinerie permanent läuft.
Die Wahrheit ist, dass Kuba seit den 1960ern und 1970ern große Fortschritte auf dem Feld der Rechte für Schwule gemacht hat:
Um 1997 betrug der Anteil der als mit HIV/AIDS infiziert diagnostizierten Menschen ein Zehntel der Vorkommen von denen in Los Angeles, dessen Bevölkerung nur wenig kleiner ist als die auf der revolutionären Insel. Gesundheitsvorsorge ist in Kuba für HIV-infizierte Menschen kostenlos und deren Inanspruchnahme freiwillig. Das gilt sowohl für ambulante als auch für stationäre Behandlung. Das Gleiche gilt für Menschen mit jeder anderen Erkrankung. Staatlich geförderte Weiterbildung macht sich nun die Erfahrungen und das Wissen der Menschen im Umgang mit HIV zunutze, um in den kubanischen Schulen über "safer Sex" und HIV-Prevention zu sprechen. Das heutige Kuba hat die NIEDRIGSTE Wachstumsrate von HIV/AIDS der Welt.
Die Atmosphäre, die das Klima der Gewalt gegen Schwule nährt, in dem Matthew Shephard 1998 in Wyoming gefoltert und dann dem Sterben überlassen wurde, gibt es in Kuba nicht.
In den frühen 1990ern wurden in Nicaragua Anti-Sodomie-Gesetze verkündet, solche wurden auch auf einen führenden malayischen Poliker angewendet, um ihn abzusetzen und ins Gefängnis zu bringen. Es gibt sie nicht in Kuba.
Todesschwadronen, die Brasilien und Kolumbien von schrägen Typen und anderem angeblichem "sozialen Filz reinigen", gibt es in Kuba nicht. Öffentliche Plätze, wo sich Schwule versammeln, sind nicht Gegenstand von polizeilicher Verfolgungsjagd.
Die beim kubanischen Volk beliebten Rap-Künstler besingen nicht das Töten von Frauen und Homosexuellen. Kubanische Schwule und Lesben behalten das Sorgerecht für ihre biologischen Kinder und für die adoptierten. Seit den frühen 1990ern hat Kubas Nationales Zentrum für Sexuelle Bildung festgehalten, dass Homosexualität eine normale Spielart des menschlichen Sexualverhaltens ist. Entsprechend argumentierende Bücher wurden bereits 1979 in Kuba veröffentlicht.
Diese Fortschritte konnten nur aus den riesigen Entwicklungen und den heldenhaften Anstrengungen der arbeitenden Bevölkerung erwachsen, besonders aus denen der Frauen in ihrem Kampf um Emanzipation. Im Bewusstsein ihrer Arbeitskraft mit freiem Zugang zu höherer Bildung fühlen sich die kubanischen Frauen zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit berechtigt. Kubanische Frauen haben das Recht auf legale Abtreibung, freien Zugang zu Verhütungsmitteln, einfachen Zugang zu Scheidung, und Kindertagesbetreuung ist allgemein verfügbar. Frauen sind in der Armee und der Verteidigung ihres Landes stark vertreten.
Kubanische Frauen haben innerhalb von 40 Jahren ein Ziel errungen, das das weibliche Geschlecht in der Dritten Welt und das der meisten "entwickelten" Länder noch ereichen muss. Vergehen von Notzucht und körperlichen Missbrauchs aufgrund von jahrtausende langer Unterdrückung haben an Intensität abgenommen und sind dramatisch geringer als anderswo auf der Welt. Das spiegelt beides die von den Frauen errungenen Erfolge wieder und das erhöhte Bewusstsein und die revolutionäre Haltung von Frauen und Männern.
Die zunehmende Freiheit in gesellschaftlichen und persönlichen Beziehungen, verbunden mit der revolutionären Solidarität im Herzen des kubanischen Kommunismus’ hat dazu verholfen, neue Werte zu schaffen - und die vertrauensvollen Frauen und Männer, die sie verkörpern. Diese Umformung war ein zentrales Ziel des Kampfes, der im Sierra-Maestra-Gebirge vor fast einem halben Jahrhundert begann. Sie wurzelt in der wirtschaftlichen Umwandlung der Insel und in der Ermächtigung seiner arbeitenden Bevölkerung zu Herren ihrer eigenen Arbeit und zu Gestaltern ihrer eigenen Geschichte.
Das Bemühen darum förderte wiederum die Weiterentwicklung von objektiv- wissenschaftlicher Einstellung zu sexuellen Dingen, einschließlich einer entsprechenden Orientierung.
Aspekte der erreichten Ziele sind in dem 1995 herausgekommenen Dokumentarfilm "Gay Cuba" von der US-amerikanischen Filmemacherin, Sonja de Vries, zu sehen, der in Zusammenarbeit mit kubanischen Homosexuellen entstand.
Nichts von alledem wäre ohne den "Korrektur"-Prozess möglich gewesen, der 1986 unter der Leitung von Fidel Castro und der kommunistischen Partei begann. Sein Ziel war "nicht nur die begangenen Irrtümer der letzten 10 Jahre zu korrigieren" erklärte Fidel Castro, "oder Irrtümer, die im Verlauf der Revolutionsgeschichte begangen wurden. Korrektur bedeutet, einen Weg zur Auflösung von Irrtümern, die hunderte von Jahren alt sind."
Die Korrektur begann mit der Benennung von strategischen Fehlern in der Wirtschaftsplanung, verursacht durch das Nacheifern sowjetischer Methoden. Dieses politische Projekt spornte zum Hinterfragen, Debattieren und Diskutieren an, über eine lange Kette von Streitfragen, die eine fiebrige Atmosphäre geschaffen hatten, in der die Ursachen des Fiebers tabu oder außerhalb des Gesetzes waren. Heute, nachdem mehr als eine Dekade nach dem Zusammenbruch der UdSSR vergangen ist, gibt das politische Umfeld, das durch den Korrekturprozess entstand, Kraft zu umfangreicheren Debatten und Diskussionen, als zu irgendeiner Zeit in den Jahrzehnten.
"Bevor es Nacht wird" ignoriert all’ diese Dinge. Das Wissen um die Geschichte von Versuch und Irrtum der Revolution führte auf das jetzige Niveau von sozialer Gerechtigkeit - und zu den Quellen seines Fehlstarts - Dieses Wissen um das, was bisher erkämpft wurde, von einer Gesellschaft, die sich dem Sozialismus verpflichtet fühlt, das ist der verteidigungswürdige Kern. So ein objektiver, geschichtlicher Zugang zur kubanischen Revolution ist die wirkungsvollste Antwort auf "Bevor es Nacht wird", der jetzt in einem Kino in Eurer Nähe gespielt wird.
Zur Person des Autors, Jon Hillson:
Übersetzung des letzten Absatzes zu seinem bereits o.g. Essays,
"The Sexual Politics of Reinaldo Arenas: Fact, Fiction and the Real Record of the Cuban Revolution" (d.h.: Die Sexualpolitik von Reinaldo Arenas: Tatsache, Dichtung und der geschichtlich nachgewiesene Bericht über die kubanischen Revolution):
Jon Hillson ist ein politisch aktives Mitglied der "Los Angeles union" und hat sich
seit 1969 an der Verteidigung der kubanischen Revolution beteiligt, in dem er die Reisen
für zahlreiche Abordnungen zur Insel organisierte und das Land selber siebenmal besuchte.
Er hat umfangreich über die kubanische Revolution und die Solidarität mit ihr
geschrieben. Dazu gehört ein Artikel von 1998 auf der Titelseite der größten
spanischsprachigen US-Tageszeitung "La Opinión" zum Thema, Kubas Kampf gegen Aids
und seine Arbeit in der Sexualerziehung. In den letzten zehn Jahren sind mehr als zwei Dutzend
seiner Gedichte landesweit in verschiedenen Zeitungen erschienen. Eine frühere Ausgabe
dieses Essays wurde auf Englisch von SeeingRed.com. veröffentlicht.
Zur Person der Übersetzerin.
Josie (Johanna) Michel-Brüning, geb. ter Voert, Kuba-Sympathisantin seit 1966, seit 1980 verheiratet mit Dirk Brüning, auch Kubasympathisant seit ewigen Zeiten. -
Unsere erste Kubareise konnten wir uns 1995 leisten. Seitdem sind wir fünfmal in Kuba
gewesen. Seit 1997 sind wir Mitglieder von Cuba-Si.
Wir haben das Land mehrfach mit offenen Sinnen bereist, haben nicht nur seine landschaftliche
Schönheit, sein subtropisches Klima, seine gastfreundlichen Menschen wahrgenommen, die
trotz ihrer vergleichsweise materiellen Armut mehr Lebensfreude, vor allem aber mehr Würde
und Selbstbewusstsein ausstrahlen, als die meisten Europäer, sondern auch seine Geschichte
und ihr seit 1992 bestehendes Wahlsystem studiert (s. Arnold August, Democracy in Cuba and the
1997-98 Elections, Editorial José Martí) Wir haben mit Leuten von der kubanischen Gewerkschaft
und von der Verteidigung der Revolution gesprochen, haben die von Cuba Si unterstützten
Projekte, wie z.B. Milchfarmen besucht, darüber hinaus Fabriken, Schulen,
Krankenhäuser, Einrichtungen für Behinderte, die
Agrarwissenschaftliche-Universität in Bayamo und in Bayamo auch mit Veteranen der
Revolution gesprochen. Wir sind seit 1998 mit einem Mitarbeiter von Radio Havana,
Professor Arnaldo Corro befreundet, der schon in der Schweinebucht mitkämpfte und mit seiner Frau Olga.
Wir haben in Deutschland viele Bekannte, Freunde und Verwandte, die unserem Kuba-Engagement mehr oder weniger wohlwollend-skeptisch gegenüberstehen, aufgrund der wohl mehr als weniger gezielten Desinformation in unseren Medien. Aus diesem Kreis erhielten wir neulich ein Geschenk, das Buch "Bevor es Nacht wird" von Reinaldo Arenas.
Wir erhielten es von einer Person, die selber Lesbierin ist und auf seinen brisanten Inhalt natürlich zu Recht empfindlich reagiert.
Nun fühle ich mich dazu herausgefordert, zu den schweren Vorwürfen seines Autors an das "Castro-Regime" auch selber Stellung zu beziehen, nicht nur persönlich der Geberin gegenüber, sondern auch öffentlich.
Ich kann Jon Hillsons Artikel zu Buch und Film nur unterstützen. Der Film kommt, wie ich hörte, im Herbst in unsere Kinos.
Ergänzung des Kommentars Jon Hillsons aus Sicht der Übersetzerin:
Nach eigener Lektüre des Buches und meiner Erfahrung mit Kuba möchte ich folgendes ergänzen:
Der Autor schildert seine sicher nicht untypische Kindheit während des Batista-Regimes überaus plastisch und anschaulich. Danach konnte er sie nur mit Glück, dank seiner robusten Konstitution und dank einer wachsamen und fürsorglichen Großmutter überleben. Er wuchs heran auf dem Bauernhof seines Großvaters, 40 km von Holguin entfernt, an den Ausläufern der Sierra Maestra. Die Großeltern teilten ihre bäuerliche Armut mit vielen hungrigen Mäulern. Dazu gehörten er und seine Mutter und zahlreiche ebenfalls mit ihren Kindern sitzengelassene Tanten. Er erlebte "Machismo" pur, Gewalt an Mensch und Tier von Anfang an. Er und seine gleichaltrige Cousine aßen häufig Erde, nicht nur aus Experimentierlust, sondern aus Hunger. Mit Erde pflegte auch die Hebamme der Bergregion die Säuglinge von ihren Müttern zu entbinden. Das führte nicht selten zu Infektionen, woran die Kinder starben. Einmal habe er einen toten Foetus im Wald gefunden. Er flüchtete oft in den Wald und vor allem ins Reich der Phantasie. Er und die Landsleute seiner Region hatten kaum eine Chance, je in ihrem Leben an das nur 40 km entfernte Meer zu gelangen, von dem er damals nur träumen konnte. Seine Großmutter, obwohl selber Analphabetin, sorgte dafür, dass er sechs Jahre lang die ebenfalls ziemlich weit entfernt liegende Zwergschule besuchen und auch einmal das Meer sehen konnte. Sein Großvater las allen aus der Zeitung vor. Und allen war das Batista-Regime gründlich verhasst. Schließlich musste der Großvater ihrer aller Existenzgrundlage verkaufen.
Der Junge, Reinaldo, arbeitete daraufhin in Holguin in einer Marmeladenfabrik. Mit 15 Jahren floh er zu den Guerilleros ins Gebirge und zwar, laut eigener Aussage, um der Strafe des Fabrikherren wegen seiner unvorschriftsmäßigen Arbeitshaltung zu entfliehen. Die behalten ihn nur deshalb bei sich, weil sie ihn nicht den peinlichen Verhören der Batistas aussetzen wollen.
Nun beschreibt er die Revolution aus dem begrenzten Sichtkreis eines Fünfzehnjährigen, der für die eigentlichen "Helden" Holz sammeln darf. Er lässt einen Bergbauern sagen, er sei von den Guerilleros wie von den Batista-Soldaten, überfallen und ausgeraubt worden. Aber nicht nur aus Che Guevaras’ "Kubanisches Tagebuch", sondern auch aus anderen Zeitzeugenberichten geht hervor, dass sie den Bauern die für sie nötige Verpflegung abkauften, dass Che Sprechstunden für die überwiegend unterernährte Bevölkerung abhielt, dass die im Kampf verwundeten Batistasoldaten medizinisch versorgt wurden. Die meisten von ihnen liefen danach zu ihnen über. Er verschweigt die zahlreichen Kämpfe, die es gab, angefangen von dem Sturm auf die Monkada 1953, als er erst 10 Jahre alt war, die von Che und seinen Männern herbeigeführte Zugentgleisung mit dem Batista-Truppennachschub in Santa Clara, bei der es glücklicherweise weder Tote noch Verwundete gab, abgesehen von Ches gebrochenem Arm (s. sein Monument in Santa Clara, das den Arm in der Schlinge trägt), bis hin zur Schlacht auf der Straße nach Bayamo, im Herbst 1958.
Und an dieser Stelle möchte ich das Treffen meiner Reisegruppe im Jahr 2000 mit den Veteranen der Schlacht auf der Straße von Guisé erwähnen. In Bayamo, im Patio des restaurierten Geburtshauses ihres Nationalhelden, Cespedes, erzählten uns die Männer und Frauen zu nächtlicher Stunde die bewegende Geschichte ihres Freiheitskampfes. Ich habe den Ausdruck ihrer Gesichter nicht vergessen. Ich habe nicht vergessen, wie ihr heute über sechzigjährige Sprecher sein damaliges Entsetzen schilderte, über das viele Blut, das geflossen war, wieviel junge Menschen sterben mussten. Doch zwei der anwesenden Frauen waren noch heute stolz, in der Sierra Maestra "dabei gewesen" zu sein, eine von ihnen hatte zur "freiwilligen Leibwache" Fidel Castros gehört. Und keiner der Anwesenden schien der Ansicht, das alles sei vergeblich gewesen.
Der Autor dagegen behauptet, die Guerilleros seien "ohne Schramme" aus ihren Bergen nach Havanna eingezogen. - Das ist zumindest eine unzulässige Verallgemeinerung des Erscheinungsbildes der einziehenden Revolutionäre.
Er erwähnt die Verstaatlichung des Bodens, sagt aber nicht, dass nur die über 405 ha großen Ländereien verstaatlicht wurden. Er unterschlägt die Besiegung des Analphabetentums, die Verbesserung des Gesundheitswesens, den Rückgang der Säuglingssterblichkeit, die schon zu seinen Lebzeiten und auch noch während der "Spezialperiode" danach, trotz aller Entbehrungen, europäischen Standarts entsprach und bis heute entspricht, wie auch die allgemeine Lebenserwartung seiner Landsleute.
Er unterschlägt Fidel Castros Kampfgenossen, dass der "Maximo Lider" zunächst Premierminister unter dem konservativen Präsidenten Osvaldo Dorticos war und sein Kabinett noch 17 weitere Minister umfasste, dass es am Anfang in den Zuständigkeitsbereich von Che Guevarra fiel, die "Batista Schergen" abzuurteilen und zu exekutieren. 1) Es sollen 945 gewesen sein. Demgegenüber standen 20.000 ermordete und zu Tode gefolterte Batistaopfer. Er unterschlägt die ersten Wahlen 1976.
Er reflektiert auch später, als 46-jähriger, keinen Augenblick lang, wie es scheint, die vorherige Geschichte der damals selber jungen Guerilleros, etwa die Geschichte Che Guevarras, der vom Mahatma-Ghandi-Verehrer 2) über seine Erfahrungen in Guatemala, als Arbenz Guzmán mit demokratisch-friedlichen Mitteln eine Bodenreform zugunsten der hungernden Indios einführen wollte, die das CIA blutig verhinderte, - genau wie es später in Chile mit dem demokratisch gewählten Allende geschah, wie in El Salvador, Nicaragua und in vielen anderen lateinamerikanischen Ländern - zum Kämpfer mit der Waffe wurde.
In einem sozialen Klima, in dem der Besitz weniger US-Amerikaner mehr gilt, als die Menschenleben vieler Latinos, werden selbst geistliche Würdenträger zu Oppositionellen, wie der Bishof von El Salvador, der in seiner Kirche erschossen wurde, wie Dom Helder Camarra in Brasilien, der sagte: "Wenn Du den Armen gibst, nennen sie Dich einen Heiligen. Wenn Du fragst, ‘Warum sind sie arm?’ nennen sie Dich einen Kommunisten?", genau wie der Priester, Camillo Torres, in El Salvador, der sagte: "Jesus hätte auch zur Waffe gegriffen!"
Hätte Arenas aber diesen Kontext in seiner Autobiographie benannt, hätte sein Buch in den USA nicht veröffentlicht werden können, denke ich.
Der Autor ignoriert oder verschweigt nicht nur die Ereignisse in der Schweinebucht, sondern auch die tatsächliche weitere ständige Bedrohung durch CIA-Agenten, ihre Mordanschläge, nicht nur auf Fidel Castro, sondern auch auf junge Männer, halbe Kinder, die zur Alphabetisierung im Escambray-Gebirge unterwegs waren (wovon ich z.B. zum ersten Mal 1999 auf einer Reise durch diese Gegend von unserem damaligen Reiseleiter, Jorge Alphonso, erfuhr), der Versuch, das Land mit Hilfe der Katholischen Kirche über die "Peter-Pan-Aktion" ausbluten zu lassen, Einschleppen des Denguefiebers etc. Er tut so, als sei das ein Produkt der Propaganda-Maschinerie Fidel Castros.
Nachdem er eindrucksvoll die Armut seiner Kindheit beschrieben hat, Zustände, die natürlich die jungen Revolutionäre landesweit genau so antrafen, nachdem Batista bei seiner Flucht die gesamte Devisendeckung des Landes mitgehen ließ, den Fluch der Monokultur mit Zuckerrohr als dem Hauptdevisenbringer aus der Kolonialzeit zurücklassend, mussten die Revolutionäre den Wettlauf mit der Zeit antreten. Das Land brauchte zunächst nicht nur weiterhin Abnehmer für seine Zuckerernte, sondern auch Lehrer für die nötige Agrarreform, militärischen Schutz vor dem gefährlichen Nachbarn etc. - und der Retter in der Not war nun ‘mal die Sowjetunion, die nicht nur ihre positiven Errungenschaften in das Land brachte, sondern auch deren Nachteile. Der Autor tut aber so, als sei er der reinen Willkür Fidel Castros zum Opfer gefallen.
Reinaldo Arenas scheint bis zu seiner Verhaftung 1975 - die Anklage lautete: Verführung Minderjähriger - die gewonne Freiheit der Revolution nach eigener unreflektierter Darstellung überwiegend genossen zu haben, ohne jedoch irgendeine Verantwortung übernehmen zu wollen. Ohne die Revolution hätte er es jedoch nie zu einem namhaften Autor gebracht.
Die Schilderung seines bis zu seiner ersten Verhaftung, gerade wegen der offiziellen Kriminalisierung von Homosesualität einen "jungen Wilden" wohl besonders dazu auffordernden, überwiegend ausschweifenden Lebenswandels in Havanna lässt vermuten, dass der "Polizeistaat Fidel Castros" zunächst sehr viel Hoffnung in seinen heranreifenden Poeten gesetzt hatte und lange Nachsicht walten ließ.
Allerdings teile ich das Entsetzen des Autors über die Behandlung, die ihm dann widerfuhr, wenn es denn stimmt, was er beschreibt: nach schon vorherigem Klima der gegenseitigen Bespitzelung, die Hetzjagd auf ihn als angeblichen Mörder und CIA-Agenten, monatelange Haft im El Morro unter Mördern und menschenunwürdigen Bedingungen, bis es endlich zu seiner Verhandlung kam.
Eine der über ihn verhängten "Rehabilitierungsmaßnahmen" fand ich jedoch nicht ungerechtfertigt, als man ihn nämlich dazu zwang, beim Bau einer Schule mitzuhelfen und ihm damit eine Gelegenheit gab, seine vorherige Verantwortungslosigkeit gegenüber Jugendlichen, die der Autor ja nicht entkräften kann, noch für wirklich erforderlich hält, wieder gut zu machen. - Wenn aber Leser wie ich hoffen, dass der Autor zumindest im Nachhinein Verständnis aufbringt für die verzweifelten Bemühungen des Systems, seinen Mitgliedern mehr Bildung und Mitverantwortung zu ermöglichen, haben sie sich getäuscht. Nicht ohne Schadenfreude registriert er noch nach Jahren, wie schlampig der ebenfalls "delinquente" Maurer arbeitete, dem er zugeteilt war, sodass zu erwarten war, dass das Schulgebäude bald wieder zusammenfiel.
Doch ich hörte, dass Wolfgang Thierse noch zu DDR-Zeiten in der Diskussion mit Linken aus dem Westen gesagt haben soll: "Es ist viel lustiger für den Sozialismus zu kämpfen, als in ihm zu leben!"
Wenn nicht die posthumen Herausgeber seiner Autobiographie es waren, die sein Manuskript entsprechend "redigierten", war Arenas, meiner Meinung nach, ein hassverblendeter Autor, den seine eigene Geschichte und sein erschütterndes Ende vielleicht freispricht.
Arenas wirft in seinem Buch tatsächlich seinem noch renommierteren
Schriftstellerkollegen aus Kolumbien, Gabriel García Márquez, seine "opportunistische
Haltung" gegenüber Fidel Castro vor, den aber scheint eine freiwillige
Männerfreundschaft mit Fidel zu verbinden. Denn im Unterschied zu Arenas scheint er sich
wirklich "freigeschrieben" zu haben.
1) vgl.: Jean A. Dumur, Kuba, Das Buch der Reisen, Edition Rencontre, 1962, Aus dem Französischen übersetzt von Heinrich Steyer, S. 213;
2) vgl.: Frederik Hermann, "Solidarität ist die Zärtlichkeit der
Völker", Die Lebensgeschichte des Ernesto Che Guevara, Beltz & Gelberg-Verlag 1999,
Zitate aus Ches Reisetagebuch s. S. 78 ff.;