Eine Gipfelwoche in Wien

Von Klaus Eichner, 22. Mai 2006

Die österreichische EU-Präsidentschaft war Anlass, am 11. und 12. Mai 2006 das IV. Gipfeltreffen der EU mit Regierungsvertretern Lateinamerikas und der Karibik (EU-LAK) abzuhalten. Dieser "offizielle" Gipfel endete mit einem mageren Ergebnis und einer substanzlosen Abschlusserklärung. Aber immerhin wurde im Abschlussdokument eine vorsichtig-diplomatische Distanz zum "Anti-Terror-Krieg" der US-Administration und zum "Helms-Burton-Gesetz" zur totalen Blockade Kubas formuliert.

Dagegen trafen sich Vertreter der Solidaritätsbewegung mit Lateinamerika in Europa mit Repräsentanten Kubas, Venezuelas und Boliviens sowie vielen alternativen sozialen Bewegungen in Lateinamerika zu einem Gegengipfel - Enlazando Alternativas 2 (Verbindet die Alternativen) - mit dem Schwerpunkt "Soziale Alternativen im Zeitalter einer neuen Beziehung zwischen Europa und Lateinamerika".
Es galt, den wachsenden Beitrag der Regierungen der EU-Staaten für die zunehmende Unterdrückung und Ausbeutung der Völker Lateinamerikas und der Karibik zu thematisieren und Aktivitäten gegen diese Mechanismen zu initiieren bzw. entsprechende Erfahrungen zu vermitteln.
Mehrfach hervorgehoben wurde die Willfährigkeit, ja Hörigkeit, der EU-Länder zu der Politik des US-Imperialismus gegenüber Lateinamerika, die insbesondere durch das unterwürfige Agieren einiger osteuropäischer Mitgliedsländer der NATO (Tschechien, Polen) in den letzten Jahren verstärkt wurde. Gegenwärtig gibt es eine erdrückende Mehrheit für die US-Gefolgschaft in der EU, auch mit Stimmen aus den Linksparteien.
Im Rahmen des Alternativgipfels fand ein Tribunal über die Menschenrechtsverletzungen von Seiten der transnationalen europäischen Konzerne statt. In Anlehnung an das Russell-Tribunal und das Ständige Tribunal der Völker war dieses Tribunal konzipiert als Diskussion zur Sammlung von Beweisen, noch ohne das notwendige Procedere eines klassischen Tribunals.

Aleida Guevara auf der Panamerikanischen Kuba-Konferenz am 9.05.06

 

Ein besonderer Schwerpunkt war die Solidarität mit Kuba und darin eingeschlossen mit den fünf in den USA inhaftierten kubanischen Patrioten (Cuban5).
Dazu veranstaltete am Vortag des Alternativgipfels die Österreichisch-Kubanische Gesellschaft (ÖKG) eine Paneuropäische Konferenz der Kubasolidarität. Daran nahmen neben offiziellen Vertretern der kubanischen Führung u.a. auch Aleida Guevara (Tochter von Che Guevara) und Irma González, eine Tochter des in den USA inhaftierten René González teil. Besonders das Auftreten von Irma war sehr beeindruckend und widerspiegelte die komplizierte Lage der Familien der fünf Inhaftierten, aber auch ihre ungebrochene Solidarität zwischen den Angehörigen.
Insgesamt wurde während des Alternativgipfels immer wieder deutlich, dass Kuba ein Land ist, in dem z.B. Bildung, Gesundheit, Kultur keine Waren sind, sondern verbürgte und gelebte Menschenrechte, und es nicht zuletzt aus diesen Gründen heuchlerisch ist, Kuba wegen angeblicher Verletzung von Menschenrechten anzuprangern.
Die Blockade der USA hat bisher einen Schaden von rund 80 Milliarden US-Dollar angerichtet. Aber trotzdem leistet Kuba umfassende internationalistische Hilfe in befreundeten lateinamerikanischen Staaten mit über 40.000 Ärzten und medizinischem Personal, mit Helfern für die Alphabetisierungskampagnen. Kuba hat über 20.000 Kinder aus der Tschernobyl-Region betreut und medizinisch versorgt.
Auf der Paneuropäischen Konferenz haben wir (Oliver Stoll) eine kurze Bilanz der Tätigkeit des Komitees Basta Ya in Deutschland vorgestellt und viele neue Kontakte geknüpft bzw. bestehende gefestigt.
Am nächsten Tag veranstaltete die ÖKG gemeinsam mit "Christen und Christinnen für die Friedensbewegung", "Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialdemokratie" und dem "Österreichischen Friedensrat" ein Rundtisch-Gespräch speziell zum Thema der fünf kubanischen Patrioten. Daran nahmen wiederum Aleida Guevara und Irma Gonzales sowie Camilo Rojo teil. Camilo ist der Sohn eines der Passagiere, die bei dem Attentat auf das kubanische Zivilflugzeug vor Barbados ermordet wurden. Er vertritt einen Zusammenschluss von Familienangehörigen der Opfer des Mordanschlages von 1976 (sh.a. www.familesforjustice.cu).

Horst Schäfer (Autor), Ali Kohlbacher (ÖKG), Sandra (Plattform gegen Isolationshaft), Klaus Eichner (GBM, Basta Ya), Oliver Stoll (FG-BRD-Cuba, Basta Ya)

 

Der nächste Tag war für unsere kleine Delegation ein besonderer Höhepunkt. Wir gestalteten in der Stadthalle Wien als Vertreter des Netzwerk Cuba - Informationsbüro und des Komitees Basta Ya ein dreistündiges Seminar zum Thema "Guter Terrorismus - schlechter Terrorismus - Wie deckt die EU den USA-Terror gegen Lateinamerika?"
Auf unser Podium hatten wir außerdem noch Sandra von der Plattform gegen Isolationshaft eingeladen.
Das Seminar wurde von uns mit dem Film "Mission gegen den Terror" eingeleitet. Dann diskutierten Horst Schäfer und Klaus Eichner unter der Moderation von Oliver Stoll das vorgesehene Thema. Ausgehend von historischen Erfahrungen der von den USA provozierten und geleiteten Staatsstreiche in Guatemala 1954 und Chile 1973 wurden aktuelle Erkenntnisse der Organisation des Terrors durch die USA und die Unterstützung durch die EU dargelegt. Horst Schäfer berichtete über seine Teilnahme an der Kuba-Konferenz der IGFM eine Woche zuvor und Klaus Eichner ergänzte dies mit konkreten Angaben über die geheimdienstlichen Hintergründe der Bildung und des Wirkens dieser angeblichen "Menschenrechtsorganisation". Horst Schäfer untersuchte die Finanzierungsquellen von "Menschenrechts-NGOs" (in Anlehnung an den früheren DDR-Bestseller "Spur der Steine" begab sich Horst Schäfer hier auf die "Spur der Scheine") und Klaus Eichner ergänzte das mit strukturellen und personellen Verflechtungen dieser NGOs mit den Geheimdiensten.
Leider konnten aus Zeitgründen nicht alle vorbereiteten Argumente ausgetauscht werden, aber die Reaktion der Zuhörer sagte uns, dass unser Seminar erfolgreich war.

Am Sonnabend war der absolute Höhepunkt des Alternativgipfels. Am Vormittag empfing der kubanische Außenminister Felipe Pérez Roque Vertreter der europäischen Solidaritätsbewegung und würdigte in bewegenden Worten unsere aktive Solidarität. Er sprach den Dank für unsere Bemühungen um die Freilassung der Cuban5 auf und rief uns dazu auf, die Anstrengungen weiter zu verstärken, bis zu ihrer endgültigen Freilassung.
Kubas Außenminister am 13.05.06 bei seinem Bericht über Kubas Ergebnisse auf dem offiziellen Gipfel

 

Dann fuhren wir gemeinsam in den Donaupark und legten an den Stelen von José Martí, Simon Bolívar und Salvador Allende jeweils Kränze nieder, verbunden mit kurzen Ansprachen. An der Stele von Salvador Allende nahm an dem Meeting eine größere Gruppe chilenischer Emigranten aus Wien teil.

Am Nachmittag stürzten wir uns dann in den Trubel der Abschlusskundgebung in der Stadthalle Wien mit fast 1.500 Teilnehmern.
Hier sprachen der Vizepräsident Kubas, Carlos Lage und die Präsidenten Evo Morales und Hugo Chávez vor einem begeisterten Publikum. Auf dem Podium waren aber auch Repräsentanten verschiedener sozialer Bewegungen in Lateinamerika und Europa anwesend, u.a. Vertreter der Bewegungen der Landlosen und Kleinbauern, indigener Bewegungen und von ATTAC. Insbesondere Hugo Chávez schaffte es immer wieder, sie in seiner langen Rede in Gespräche einzubeziehen und gab ihnen somit Raum für eine kompetente Darstellung ihrer Ziele und Aufgaben.
Wir werden noch Zeit und Kraft brauchen, um alle inhaltlichen Erkenntnisse des Alternativgipfels, viele neue Denkanstöße zu verarbeiten und Anregungen für weitere Aktivitäten aufzunehmen. Aber diese Woche hat uns auch viel emotionale Kraft für unsere Solidaritätsarbeit gegeben.

Fotos: Oliver Stoll

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