Mit großer Bestürzung und tiefem Schmerz erfuhren wir am 24. März, dass Leonard Weinglass, Antonio Guerreros Anwalt und wichtiges Mitglied des gesamten Verteidigerteams der "Cuban Five", seiner schweren Krankheit, die uns seit Wochen beunruhigte, nun doch im Alter von 78 Jahren verstorben sei.
Wir durften ihn, sein Engagement für zivile Rechte, seine Kompetenz als Jurist, sein entschiedenes Eintreten für die gerechte Sache, die er jeweils sachlich und unaufdringlich vortrug, erst durch den Fall der "Cuban Five" näher kennen lernen.
Als wir hörten, dass er die Verteidigung von Antonio Guerrero übernommen habe und dem Verteidigerteam der "Cuban Five" beigetreten sei - Antonios erster Pflichtverteidiger im Prozess von 2001 hatte das Team wegen Krankheit verlassen - lernten wir erst nach und nach, wer er eigentlich war.
Denn Leonard Weinglass hatte schon im Verteidigerteam von Angela Davis und von Mumia Abu Jamal mitgewirkt und andere berühmte politisch-brisante Fälle wie den ´"Whistleblower" Daniel Ellsberg der "Pentagon Papers" während des Vietnamkrieges und die "Chicago 7" ("Chicago 8"), Wehrdienstverweigerer im Vietnamkrieg, entschieden und erfolgreich verteidigt, darüber hinaus später auch das studentische Demonstrationsrecht von Amie Carter, der Tochter des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter.
Wir sind uns bewusst, dass wir nicht in der Lage sind, seine außerordentlichen Verdienste zu würdigen. - Dennoch haben wir das dringende Bedürfnis, ihm auf unsere Weise zu danken und von ihm Abschied zu nehmen.
Daher beziehen wir uns in erster Linie auf seine auf dieser Website festgehaltenen Verdienste um die Fünf.
Vor der Gründungsfeier unseres Komitees am 14. Dezember 2002 profitierten unsere Vorbereitungen bereits davon, dass er sich öffentlich für den Fall eingesetzt hatte, indem er beispielsweise am 19. Oktober 2002 in Pasadena seine Fachkollegen von der "National Lawyers Guild" über den Fall informiert und am 26. Oktober auf einer Demonstration in Washington gegen den drohenden Irak-Krieg eine Rede zugunsten der Cuban Five gehalten hatte, (s.: "Fünf Helden - Gefangene des Imperiums", in "Mit Würde und Stolz", S. 77).
Denn es war ihm aufgrund seiner langjährigen Erfahrung mit dem US-Justizsystem klar, dass insbesondere dieser "politisch-motivierte" Fall nicht nur ohne die Hilfe der Öffentlichkeit in den USA, sondern auch der internationalen Öffentlichkeit zu gewinnen sei.
Die "Pasadena-Rede" war dann für uns eine der ersten wertvollen Hilfen auf der Suche nach juristischem Beistand in unserem Kampf, den Fall auch in Deutschland bekannt zu machen.
Deren Kopie einer Übersetzung ins Deutsche bewirkte, dass sich der Kölner Strafverteidiger Heinrich Comes für eine Rede zugunsten der Fünf auf unserer Gründungsfeier in Köln bereit fand., s.: unter "Informationen", in der Rubrik "Vorgeschichte").
Anfang 2003 lag seine bis heute gültige "ANALYSE ZUR GERICHTSVERHANDLUNG IM ÜBERBLICK" vor, mit der das gesamte Verteidigerteam unter anderem den von ihm angeregten "Change of Venue" [Gerichtsortswechsel wegen Befangenheit der Jury in Miami] beim Bezirksgericht in Miami begründete. Wie wir es in der Folgezeit immer wieder bitter erleben mussten, unternahm die Staatsanwaltschaft alles, um den geplanten Anhörungstermin in Miami hinauszuzögern. Ja, die Fünf wurden sogar für den gesamten Monat März im Schatten des beginnenden Irak-Krieges in ihren jeweiligen Hochsicherheitsgefängnissen ins "Loch" gesteckt und einer verschärften Isolationshaft ohne Außenkontakte ausgesetzt. Das hatte zur Folge, dass sie sich mit ihren Anwälten hinsichtlich des für den 7. April 2003 anberaumten Abgabetermins des Berufungsantrags nicht austauschen konnten. Natürlich setzte sich nicht nur die kubanische Regierung, sondern auch das Verteidigerteam - allen voran Leonard Weinglass - sofort bei dem damaligen Justizminister John Ashcroft für die Freilassung der Fünf ein, Amnesty International und die Solidaritätskomitees in aller Welt wurden alarmiert, und sie alle unterstützten diese Bemühungen mit ihren Briefen an den US-Justizminister, die Staatsanwältin Caroline Heck-Miller und das US-Bundesgefängnisbüro, während Weinglass nicht nur seinen Mandanten, Antonio Guerrero, sondern auch Gerardo Hernández während dieser Isolationshaft in ihren jeweiligen weit auseinander liegenden Gefängnissen besuchte.
Wie er die beiden dort vorfand, in welch erbärmlichem Zustand, das machte er danach so weit wie möglich bekannt, z.B.: im Interview mit Bernie Dwyer von Radio Havanna vom 23. Januar 2004 und auch bei seinem Auftritt in Berlin im April 2004, wie auf dieser Website in der Rubrik "Juristen" nachzulesen.
Gerardo hatte es in seinem jetzigen Nachruf schon erwähnt, Leonard Weinglass machte von Anfang an deutlich, dass ein langer Instanzenweg bevorstehe und wir alle einen langen Atem brauchen würden.
Dies wurde für uns 2004 in Berlin besonders deutlich, als er in einer gesonderten Veranstaltung, vor allem für Komiteemitglieder, in der kubanischen Botschaft sprach.
Damals hatte gerade erst im März zuvor die Anhörung des Berufungsantrags für den "Change of Venue" in Miami stattgefunden, an der auch Rechtsanwalt Eberhard Schultz teilgenommen hatte (s. sein Bericht unter "Juristen"). Wir fragten Weinglass, was passieren würde, wenn diese Berufung erfolglos bliebe, und er zählte die möglichen danach kommenden Instanzen auf, bis zu dem jetzt laufenden "Habeas Corpus" - Verfahren, der letzten Möglichkeit die Freilassung der Fünf auf dem Rechtswege zu erreichen.
Auf unsere Frage, was wir denn im fernen Deutschland für die Fünf erreichen könnten, antwortete er: "Viel". Und er nannte den Fall Mumia Abu Jamals, den in Philadelphia, dem Ort des eigentlichen Geschehens, kaum einer kenne, gäbe es aber nicht die langjährige Solidaritätsarbeit in Europa, wäre er längst hingerichtet worden.
Obwohl Weinglass seine jeweiligen Zuhörer in den verschiedenen Veranstaltungen für Juristen und Nichtjuristen sicher beeindrucken konnte, es mit ihm eine Pressekonferenz gegeben hatte, auf der sogar ein Fernsehteam von "3SAT" zugegen war, hielten sich die meisten dort anwesenden Medienvertreter mit entsprechender Berichterstattung zurück, allen voran das 3SAT-Team. Außer "junge Welt" berichtete immerhin "Die Berliner Zeitung" über seinen Auftritt.
Tatsächlich war die erste Berufungsinstanz zunächst erfolgreich, denn das Drei-Richter-Gremium vom Bezirksberufungsgericht in Atlanta entschied am 9. August 2005, die Urteile der Fünf zu annullieren und eine neue Verhandlung an einem neutralen Ort anzuberaumen.
Wir wissen jedoch, wie unser aller Hoffnungen danach enttäuscht wurden.
Dennoch gab Leonard Weinglass nicht auf.
Nun aber müssen wir sein Interview "Leonard Weinglass zur aktuellen Rechtslage der Cuban Five" Von Bernie Dwyer, Radio Havana Cuba, 17. September 2010, als sein letztes Vermächtnis betrachten (1), in dem er uns wieder einmal in dem für uns so verwirrenden US-Rechtssystem den Weg für die letzten juristisch-möglichen Schritte zur Rehabilitierung aller Fünf weist.
Die Fünf haben ihn noch sehr viel näher kennen und lieben gelernt als wir, wie aus ihren Nachrufen für ihn hervorgeht.
Wir hoffen sehr, dass Gerardo mit seiner Zuversicht in das verbliebene Verteidigerteam Recht behält.
So gering unser Vertrauen mittlerweile auch in die Rechtsstaatlichkeit der USA geworden ist, Leonard Weinglass hat uns durch seine Integrität und sein persönliches Engagement - buchstäblich bis zum Tod - gezeigt, dass es auch noch die rechtschaffene Seite dieses Systems gibt.
Wir hoffen, dass sein Beispiel nicht nur in die Geschichte eingeht, sondern in uns allen fortwirkt.
In tiefer Anteilnahme mit seinen engsten Hinterbliebenen und in Solidarität mit Gerardo, Antonio, Ramón, Fernando und René sowie mit deren Familien und allen um ihn trauernden Kubanern, einschließlich der Solidaritätskomitees in aller Welt,
verneigen wir uns hiermit beim Abschied von unserem verehrten
Leonard Weinglass.
1) s. auch in Brüning & Brüning, "Der Fall der Cuban Five - eine schwer vermittelbare Geschichte", S. 262;
Jülich, 25. März 2011
Josie Michel-Brüning
und Dirk Brüning