Brief von Josie Michel-Brüning an den Bundestagsabgeordneten Professor Dr. Egon Jüttner zur 175. Sitzung des Bundestages am 26. April 2012

An: Professor Dr. Egon Jüttner
Betreff: "Miami Five" bzw. Cuban Five" in der 175. Sitzung des Bundestages am 26. April

Sehr geehrter Herr Professor Jüttner,

Als Bürgerin dieses Landes, die im christlichen Glauben erzogen wurde, unser Grundgesetz sowie die Gesetze des Volkerrechts, die alle nach der leidvollen Erfahrung des II. Weltkriegs geschaffen wurden, für dankenswerte Errungenschaften hält, möchte ich meine neuerliche Enttäuschung über die Behandlung der Sache der "Miami Five" bzw. "Cuban Five" in der 175. Sitzung des Bundestages am 26. April zum Ausdruck bringen.
Mein Eindruck, dass es die Sicht auf Inhalte und Sachverhalte einschränkt, sobald die Interessen einer Partei im Vordergrund stehen, hat sich wieder einmal bestätigt.
An der Begründung Ihrer Ablehnung des Antrags von "Die Linke", sehr geehrter Herr Dr. Jüttner, argumentierten Sie denn auch im Sinne Ihrer Fraktion, wie es schien, ohne sich wirklich über den Fall informiert zu haben.
Ich frage mich, womit Sie Ihre Ablehnung begründet hätten, wenn Sie folgendes gewusst oder hätten überhaupt in Betracht ziehen wollen:
Kuba hat 1999 eine Klage bei der UNO eingereicht, die 2001 dem UN-Ausschuss für Spionageabwehr vorlag, mit der es 3.478 Tote und 2.099 Schwerverletzte mit bleibenden Beeinträchtigungen aufgrund von Terroranschlägen belegen konnte, die von paramilitärischen exilkubanischen Organisationen ausgeführt worden waren, abgesehen von den wirtschaftlichen Schäden, die sie verursacht hatten.
Immerhin erwähnten Sie in ihrer Rede zumindest eine der Gruppen, die "Alpha 66", deren Aktivitäten Sie nicht "gutheißen" konnten.
Da die verdeckte unbewaffnete Ermittlungsarbeit der fünf Kubaner der Verhinderung dieser Terroranschläge und der Rettung von Menschenleben galt und nicht der Spionage von US-Militärgeheimnissen, hätten sie selbst nach dem US-Gesetz, der "Defense of Necessity" zur Verhütung eines noch größeren Schadens, erfolgreich auf Straffreiheit plädieren können - wären sie nicht ihrem System gegenüber loyale Kubaner gewesen.
Sie erwähnten stattdessen die "Propaganda" des kubanischen Regimes, ohne jedoch zu berücksichtigen, wie mächtig im Vergleich zu der eines Dritteweltlandes, das zudem unter einer Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade leidet, die US-amerikanische Propagandamaschinerie ist, die aktuell unter der Leitung der Vorsitzenden im US-Kongress für Ausländische Angelegenheiten Ileana Ros-Lehtinen geführt wird, einer für ihren blindwütigen Hass auf das "Castro-Regime" bekannten Exilkubanerin.

Hätten Sie dagegen die Gerichtsakten der Fünf gelesen, dann wüssten Sie, dass bei keinem von Ihnen Militärgeheimnisse gefunden werden konnten, das hohe Militärs zu ihren Gunsten ausgesagt hatten.
Der einzige der Fünf, Antonio Guerrero, der auf dem Marinestützpunkt "Boca Chica" gearbeitet hatte, war dort aufgrund der Arbeitsvermittlung eines entsprechenden Büros in Miami und arbeitete in einem Metallladen. Auch das konnte vor Gericht bestätigt werden.
Dieser Marinestützpunkt ist offen für Publikum, das von einer Aussichtsplattform den dortigen Flugverkehr beobachten kann.
Lassen Sie mich aus einer Rede von Stephen Kimber über sein in Kürze erscheinendes Buch "What Lies Across the Water: The Real Story of the Cuban Five" [Was jenseits des Wassers liegt. Die wahre Geschichte der Cuban Five] vom 18. April 2012 im Zentrum für Internationale Politik in Washington D.C., zitieren:
"Guerreros Funktion war die eines Kanarienvogels im Kohlebergbau, die eines Frühwarnsystems hinsichtlich einer möglichen US-Invasion Kubas.
Die USA haben Satelliten, um ihre Feinde im Auge behalten zu können - eine Variante der Spionage, die wir für legitim halten. Die Kubaner können sich keine Satelliten leisten. Sie haben stattdessen menschliche Beobachter, wie Tony Guerrero.
Sein Job war es, auf das Kommen und Gehen der Militärmaschinen auf der Boca Chica Marinestation zu achten. Gab es dort eine plötzliche Anhäufung von Flugzeugen auf den Startbahnen? Wenn ja, welcher Art? Eine ungewöhnlich hohe Anzahl von hohen Besuchern?
Die Kubaner hatten legitime Gründe, eine Invasion zu fürchten - und nicht nur weil es das ist, wofür die einflussreiche Exilführerschaft an jedem Abend betete. Die Kubaner wussten, was bereits in Haiti und in Panama geschehen war."
Für Gerardo Hernández, den einzigen der Fünf, der immer noch in einem Hochsicherheitsgefängnis unter Schwerverbrechern einsitzt und dort zwei Mal lebenslänglich, plus Jahre, verbüßen soll, gilt ebenfalls die Unschuldsvermutung.
Denn selbst die Staatanwaltschaft konnte keine Beweise dafür vorlegen, dass er mit dem Abschuss der beiden Flugzeuge von "Brothers to the Rescue" in Verbindung gestanden hatte. Darüber hinaus ist es bis heute strittig, dass der Abschuss der Flugzeuge über "internationalem Gewässer" stattgefunden habe, nur die US-Satellitenaufnahmen von dem Ereignis könnten Aufschluss darüber geben, die aber die USA bis heute verweigern offenzulegen.

Ich frage ich mich, ob Vertreter Ihrer Partei glauben, es könnte den Wahlerfolg einer sich christlich nennenden Partei in Gefahr bringen, wenn sie sich auf das Völkerrecht beriefen, wie Artikel 10, Abs. 1 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPZPR), den auch die USA ratifiziert haben sowie auf die Unschuldsvermutung bei Mangel an Beweisen, die auch im Grundgesetz verankert ist.
Auch die an den fünf Kubanern im Laufe ihres langen Instanzenwegs begangenen Menschenrechtsverletzungen wie die der wiederholten Isolationshaft und der Verweigerung des Besuchsrechts für die Ehefrauen von Gerardo Hernández und René González dürften Ihnen bekannt sein.
Aus der Debatte ging jedoch für mich hervor, dass die Grünen und Die Linke, im Gegensatz zu unseren "maßgeblichen Parteien", ihre Hausaufgaben in dieser Angelegenheit gemacht hatten. Denn Sie zitierten u.a. das Untersuchungsergebnis UN-Arbeitsgruppe zu Willkürlichen Inhaftierungen", das in Ihrer Fraktion anscheinend vernachlässigbar ist.

Mit Dank im Voraus für Ihre Aufmerksamkeit
und freundlichen Grüßen
Josie Michel-Brüning, Dipl. Päd. system. Familientherapeutin i.R.

Antwort des Bundestagsabgeordneten Professor Dr. Egon Jüttner vom 8. Mai 2012

Sehr geehrte Frau Michel-Brüning,

für Ihre E-Mail vom 28. April 2012 danke ich Ihnen. Ich halte es für wichtig, daß die Bürgerinnen und Bürger ein wachsames Auge auf die Einhaltung der Menschenrechte haben. Hiervon darf kein Land ausgenommen werden, schließlich sehen wir die Menschenrechte ja als universal gültig an. Ich möchte nicht ausschließen, daß es bei der Vielzahl von Oppositionsgruppen gegen das Terrorregime der Castro-Brüder auf Kuba Gruppen und Gruppierungen gibt, die zu Gewalt und undemokratischen Mitteln zu greifen bereit sind, um dem Leid der kubanischen Bevölkerung ein Ende zu setzen. Wie aus meiner Rede im Deutschen Bundestag hervorgeht, lehne ich jede Form des bewaffneten Kampfes seitens der kubanischen Opposition ab. Der dringend erforderliche Regimewechsel auf Kuba darf nicht durch Gewalt erfolgen. Dies würde zumindest vorübergehend zu einer Verschlechterung der Lebenssituation auf der Karibikinsel führen, deren Bevölkerung schon genug unter der kommunistischen Herrschaft zu leiden hat.

Sehr geehrte Frau Michel-Brüning, wie Sie glaube auch ich an die Universalität der Menschenrechte. Ich kann nur hoffen, daß die Menschenrechte, und zwar in uneingeschränkter Form, auch bald für alle Kubaner gelten und daß dieser Zustand auf friedlichem Wege erreicht wird.

Mit freundlichen Grüßen

Nochmalige Antwort von Josie Michel Brüning, 8. Mai 2012

Sehr geehrter Abgeordneter Professor Dr. Jüttner,

ganz herzlichen Dank für Ihre freundliche Antwort, mit der Sie zum Ausdruck bringen, mein Hauptanliegen, dass die "Einhaltung der Menschenrechte universal gültig" sein sollten, verstanden haben.
Und ich hoffe sehr, dass Sie und die Mitglieder Ihrer Partei sich bei nächster Gelegenheit, in diesem Sinne auch für die fünf zu Unrecht seit über 13 Jahre und 9 Monaten in den USA inhaftierten Kubaner einsetzen.

Falls es Ihnen Ihre kostbare Zeit erlauben sollte, bitte ich Sie, auch noch meine Stellungnahme zu dem von Ihnen als "dringend" angesehenen "Regimewechsel" in Kuba zur Kenntnis zu nehmen.

Tatsächlich würde es der kubanischen Bevölkerung sehr helfen, wenn die seit 1960 andauernde US-Handels-, Wirtschafts- und Finanzblockade aufgehoben würde, wenn seine Regierung nicht immer unter Habachtstellung vor Terroranschlägen, Subversionsversuchen oder gar vor der von den Exilkubanern immer wieder gewünschten US-Invasion stünde.

(Noch 2003 skandierten die rechtsradikalen Exilkubaner auf der Calle Ocho in Miami: "Iraq now, Cuba next!")
Es geht ihnen offensichtlich nicht um das Wohl oder die "Freiheit" der kubanischen Bevölkerung.

Bereits 1996 schrieb Noam Chomsky, Kuba sei das Land, auf das die meisten Terroranschläge verübt würden.
1999 hatte der ehemalige Mitarbeiter des State Department William Blum
eine kurzgefasste Liste der U.S.-Interventionen in aller Welt seit 1945 bis zur Gegenwart veröffentlicht. In dem darin enthaltenen Abschnitt über Kuba heißt es u.a. (zu Deutsch):
"Das Traurigste an dieser Geschichte ist, dass die Welt nie erfahren wird, welche Gesellschaft Kuba hätte hervorbringen können, wenn es sich selbst überlassen worden wäre, wenn es nicht dauernd unter Beschuss und unter der Bedrohung durch eine Invasion gestanden hätte, wenn es ihm erlaubt gewesen wäre, sich zu entspannen und in seinen Kontrollmechanismen nachzulassen.
Der Idealismus, die Vision, das Talent, der Internationalismus, das alles war da. Aber wir werden es nie erfahren. Und das war ja auch der Sinn der Sache.
(Vgl.: http://www.thirdworldtraveler.com/Blum/US_Interventions_WBlumZ.html )

Ich bin keine Politikerin, sondern Pädagogin mit Zusatzausbildung in systemischer Beratung und Familientherapie sowie hypnotherapeutischer Ausbildung für Kinder und Jugendliche.

Das, was ich bereits im ersten Semester gelernt habe, ist folgender Lehrsatz: "Strafe ist kein Verhaltensmodell!"

Am Beispiel Kubas bewahrheitet sich, dass eine Sanktionspolitik die Verhältnisse - in welche auch immer gewünschte Richtung - nicht bessert.

Wie am Verhalten der Päpste jüngerer Geschichte zu sehen ist, scheint die Katholische Kirche das verstanden zu haben und klüger als unsere maßgeblichen "Parteipolitiker" im Bundestag zu sein.

Abgesehen davon, erlauben Sie mir bitte, sehr geehrter Herr Professor Jüttner,
zu sagen, dass mein Mann und ich nach dem Studium der kubanischen Geschichte, wissenschaftlich neutraler Quellen (1) und mehrfachem Anschauungsunterricht vor Ort, den Eindruck gewonnen haben, dass die kubanische Bevölkerung mehrheitlich hinter ihrer nach dem partizipativen Wahlrecht gewählten Regierung steht, denn sie braucht nur nach Haiti zu blicken, um sich vorstellen zu können, was mit ihr geschieht, wenn sie den Widerstand gegen die Vereinnahmung durch unverbesserliche Revanchisten aufgibt.

1) Siehe Arnold August, kanadischer Politikwissenschaftler, in "Democracy in Cuba and the 1997-98 Elections, 1999;
oder
Übergang zur Oligarchie
Plan zur Rekolonisation Kubas
Von Tom Crumpacker, Counter Punch, 14. Juli 2006, darin 2. Die kubanische Verfassung;
Der Terrorist und die Operation 40 der CIA
von Tom Crumpacker, Counter Punch 2. - 4. Juli 2005
Der leider 206 verstorbene Tom Crumpacker war Jurist, der mit der "Miami Coalition to End the US-Embargo of Cuba" zusammenarbeitete.

Um auf die fünf Kubaner zurückzukommen, bitte ich Sie herzlich, sich bei Gelegenheit folgendes anzusehen:
Chronologie der Ereignisse im Fall der Cuban Five [Kurzform, PDF] (Stand: 5. Dezember 2011)
Englisch [PDF], Spanisch [PDF]
Ausführliche Chronologie der Ereignisse im Fall der Cuban Five [PDF] (Stand: 7. Mai 2012)
Das Bestreben der internationalen Solidarität um Freilassung der "Cuban Five":

Wir bitten den US-Justizminister Eric Holder, darauf hinzuwirken, dass die Richterin in Miami der neuen Beweisaufnahme vor Gericht gemäß der US-Verfassung zustimmt.
Wir bitten den Präsidenten Barack Obama andernfalls im Namen u.a. von 11 Nobelpreisträgern, Juristenverbänden und Parlamentariern aus aller Welt sowie auch von Amnesty International, von seinem verfassungsgemäßen Recht Gebrauch zu machen und die Fünf, die ihr Leben riskierten, um Menschenleben zu retten, zu begnadigen.
Wir alle bitten Sie als unsere Vertreter im Bundestag, sich dem anzuschließen.
Mit nochmaligem Dank für Ihre bisherige Aufmerksamkeit
in der Hoffnung auf Ihre weitere Wahrnehmung des Falles
der "Cuban Five"

Mit freundlichen Grüßen
Josie Michel-Brüning

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