Antiterroristas 31. August 2005

Bushs Alternativen

Ricardo Alarcón de Quesada

Im Augenblick gibt es zwei eng miteinander verbundene Ereignisse, beide hängen mit Terroraktivitäten innerhalb der USA zusammen und beide finden in den Medien wenig Beachtung. Da sie nur wenig davon auf dem Bildschirm und den Titelseiten der Zeitungen gesehen haben, dürften viele [US]-Amerikaner noch nicht begriffen haben, dass diese beiden Ereignisse wichtig für ihr eigenes Leben und ihre eigene Sicherheit sind.
Aber sie sind es. Die Art und Weise, wie die Bush-Administration diese Ereignisse handhabt, sollte zumindest aus einem Grund einen Skandal auslösen: sie untergräbt die [US]-amerikanischen Interessen im "Krieg gegen den Terror".

Ein alter Freund ist ein Freund für's Leben

Über drei Monate sind vergangen, seit Venezuela formell die Auslieferung von Luis Posada Carriles beantragt hat, einem Bürger Venezuelas, der 1985 aus einem Gefängnis des Landes entkommen ist, während gegen ihn wegen der Planung der Zerstörung eines Zivilflugzeuges, wobei alle 73 Personen an Bord getötet wurden, verhandelt wurde.
Als im März zum ersten Mal aufgedeckt wurde, dass Posada in Miami gelandet war, behaupteten die US-Behörden, sie wüssten von nichts. Sie haben das immer wieder behauptet, ungeachtet gegenteiliger Erklärungen von Posadas Kumpel und Anwälten, bis Posada selbst im Fernsehen erschien und Interviews gab, live, auf einer Konferenz in Miami, über die ausgiebig berichtet wurde. Da endlich wurde er höflich in eine besondere Einrichtung begleitet, nach El Paso, Texas. Sofort beantragte Venezuela, in Einklang mit dem seit 1922 bestehenden bilateralen Abkommen, seine Auslieferung.
Die USA erbaten weitere Informationen und erhielten sie. Aber die USA haben noch nicht gesagt, ob sie ihren Vertragsverpflichtungen nachkommen werden.
Im Gegenteil, Mr. Posada wurde in ein ziemlich einmaliges "Einwanderungsverfahren" verwickelt. Bis jetzt behandelt ihn die Administration, als wäre er nur ein Besucher, dessen Papiere noch weiter geprüft werden müssten, und nicht wie einen berüchtigten Terroristen, mit einer Geschichte, die in [US]-amerikanischen Archiven und sogar in den Medien gut dokumentiert ist. Nicht ein vermutlicher Terrorist, ein bekennender. Und jemand, der als Justizflüchtling seit zwei Jahrzehnten von Interpol gesucht wird.
Bush mag gedacht haben, er könne durch Ablenkung der öffentlichen Aufmerksamkeit die tatsächliche Angelegenheit loswerden, die Leute würden vergessen, und der alte Freund könnte erneut der Gerechtigkeit entkommen. Er liegt, hoffentlich, falsch. Er kann es nicht noch einmal tun, weil in der heutigen Welt niemandem erlaubt wird, Terroristen zu beherbergen.
Wenn irgend ein anderes Land das zu tun beabsichtigte, würde es fürchterliche Konsequenzen erleiden, einschließlich Zwangsmaßnahmen, sogar die Anwendung militärischer Gewalt durch die internationale Gemeinschaft, dank exakt der Bemühungen von Bush. Es sind in Stein gemeißelte Worte in der Resolution 1373 des UN-Sicherheitsrates, auf Antrag der USA und am 28. September 2001 einstimmig angenommen. Eine Resolution unter Kapitel VII der UN-Charta, d.h. sie ist, unter Androhung von Sanktionen bei nicht Beachtung, für jeden zwingend.
Es mag sich lohnen, daran zu erinnern, dass durch die Resolution 1373 alle Staaten aufgerufen sind, unter anderem, "geeignete Maßnahmen zu ergreifen ... vor der Gewährung einer Aufenthaltsgenehmigung, um sicher zu stellen, dass der Asylsuchende weder Terrorakte geplant, gefördert noch unterstützt hatte" und "sicher zu stellen ... dass politisch motivierte Vorbehalte nicht dazu herangezogen werden, einen Antrag auf Auslieferung eines vermutlichen Terroristen abzulehnen".
Posada ist weit mehr als ein vermutlicher Terrorist.
Und der venezolanische Auslieferungsantrag wird außerdem von sehr wichtigen, ebenfalls zwingenden, internationalen rechtlichen Instrumenten gestützt, die von ausschlaggebender Bedeutung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus waren und sind. Insbesondere durch die Konvention für die Verhinderung von terroristischen Bombenanschlägen und die Konvention von Montreal zur Verhinderung gesetzwidriger Aktionen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt. Beide Konventionen wurden von den USA unterzeichnet und ratifiziert, und sind glasklar und kompromisslos: jeder, der beschuldigt wird, Aktionen gegen die Zivilluftfahrt begangen zu haben, muss auch angeklagt werden.
Wenn die Auslieferung aus irgend einem Grund nicht gewährt wird, muss der Staat, in dem ein solches Individuum gefunden wird "ohne Ausnahme und für was auch immer, den Fall, mit dem Ziel der Anklage, an seine dafür zuständigen Behörden übergeben. Diese Behörden sollen ihre Entscheidung auf die gleiche Weise treffen wie bei einer normalen Straftat ernsten Charakters unter dem Gesetz des Staates". (Konvention von Montreal Artikel 7)
Es gibt keine andere legale Alternative: liefert Posada Carriles an Venezuela aus oder klagt ihn an und stellt ihn vor Gericht, so als hätte er seine Verbrechen in den USA begangen. Bush hat sich bisher für keins von beiden entschieden.
Bushs Entscheidung ist, Posada zu beschützen, den Terroristen, den er seit März beherbergt. Er ist sicherlich zuversichtlich, dass er nicht vom Sicherheitsrat verurteilt wird, in dem er ein Vetorecht besitzt. Aber die Welt wird ihm nicht verzeihen, dass er die rechtlichen Grundlagen der Bemühungen, den internationalen Terrorismus zu eliminieren, zerstört.

Eine Schau der Dankbarkeit

Als er im Frühjahr 2001 zum ersten Mal nach der Wahl von 2000 Miami besuchte, auf einer öffentlichen Versammlung mit Orlando Bosch, der ebenfalls wegen der Sprengung des Zivilflugzeuges beschuldigt wird, und anderen gut bekannten Terroristen, war Mr.Bush sichtlich gerührt und machte ein feierliches Versprechen. Er würde ihnen niemals vergessen, was sie in diesem denkwürdigen November für ihn getan haben. Er wird ihnen ewig dankbar sein.
Die Schau der Dankbarkeit sollte das Verfahren gegen fünf junge Kubaner werden, die beschuldigt wurden, diese Terrorgruppen infiltriert zu haben, mit der Absicht Kuba über deren Pläne zu informieren.
Angefangen bei der Anklage über die Anträge vor dem Verfahren, die Präsentation im Gerichtssaal bis hin zur Urteilsverkündung wurde von der Regierung, in detaillierter Formulierung, anerkannt, dass ihr einziges Verbrechen darin bestand, sich dem Terrorismus auf dem Boden der USA entgegen gestellt zu haben.
Gerardo Hernández, Ramón Labañino, Antonio Guerrero, Fernando González und René González wurden auf die unverhältnismäßigste Weise verurteilt: zusammen vier Mal lebenslänglich plus 75 Jahre Gefängnis. Und das war noch nicht genug.
Jeder [US]-Amerikaner sollte die Möglichkeit haben, in den Niederschriften der Urteilsverkündungen im Gericht von Miami im Dezember 2001 zu lesen, was die Staatsanwälte forderten, und zu lesen, was die Richterin ihnen gab.
Dort in Miami, genau drei Monate nach 9/11, beharrte die US-Regierung auf einer neuen Rechtstheorie, die sie wahrscheinlich für eine Wende in der Geschichte des Gesetzes hielt: "Unfähigmachung".
Angesichts der härtesten Strafen war es für die Regierung extrem wichtig, dass das Gericht außerdem sehr spezielle Beschränkungen auferlegt, die es den Angeklagten unmöglich machen, wenn sie wieder frei sind - wenn sie denn jemals wieder frei sind - dasselbe noch mal zu tun, was sie vor Gericht gebracht hat. Sie sollten "unfähig gemacht" werden.
Das Gericht stimmte vollkommen zu. Es steht in den Niederschriften: "Die von anderen begangenen Terrorakte können das falsche und illegale Vorgehen des Angeklagten und der anderen Beschuldigten nicht entschuldigen" (Urteilsbegründung vom 14. Dezember 2001, Seite 43). Auf dieser Basis erließ die Richtern eine weitere Sanktion, die in Kraft tritt, wenn der Angeklagte seine gesamte Strafe abgesessen hat, auch wenn er zu lebenslänglich verurteilt wurde: "Als weitere besondere Bedingung für eine überwachte Entlassung ist es dem Angeklagten verboten, sich mit Personen in Verbindung zu setzen oder bestimmte Orte aufzusuchen, von denen bekannt ist, dass sich dort Personen oder Gruppen, wie Terroristen, Mitglieder von Organisationen befinden oder häufig aufhalten, die Gewaltakte befürworten und für organisierte Verbrechen stehen." (ld. Seiten 45-46)
Die Angeklagten haben natürlich Berufung beim nächst höheren Gericht eingelegt. Es wurde eine lange und unglaublich gefährliche Reise.
Am 27. Mai entschied die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftungen, dass die Freiheitsentziehung der Fünf seit September 1998 willkürlich und illegal war. Als Antwort an die UN sagten die USA, es habe ein Gerichtsurteil gegeben, eines vom Bezirksgericht Miami.
Jetzt hat das Berufungsgericht von Miami das Verfahren für null und nichtig erklärt. Trotzdem bleiben die Fünf eingesperrt in Hochsicherheits-Bundesgefängnissen, die für verurteilte Kriminelle vorgesehen sind.
Die US-Regierung hat noch nicht entschieden, ob sie gegen diese ungewöhnliche Entscheidung Einspruch einlegt. Stattdessen hat sie um einen weiteren Monat Bedenkzeit gebeten, um zu erörtern, ob sie es tut oder nicht.
Die Fünf sind immer noch im Gefängnis, ohne wegen irgend etwas verurteilt zu sein. Sie sind sicher vollkommen "unfähig gemacht" worden, den Männern des Präsidenten etwas zu tun.
Mr. Bush hat sich seinen Freunden gegenüber dankbar gezeigt.
Nach dem Beschluss der UNO und dem Urteil des Berufungsgerichtes muss er nun entscheiden.
Auf der einen Seite gibt es US- und internationales Recht. Auf der anderen seine guten alten Freunde. Es ist wieder einmal seine Entscheidung.

(Deutsch: ¡Basta Ya!)

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