Granma International, 12. Januar 2008

"Ich sah ihn in seiner ganzen Würde"

Deisy Francis Mexidor, 14. Januar 2008

"Was ich tun wollte? Ich wollte ihn bei der Hand nehmen und mit ihm ‚rausrennen. Er ist kein Mensch, der an diesen schrecklichen Ort gehört," erzählte Graciela Ramirez Cruz, die Koordinatorin des Internationalen Komitees zur Befreiung der fünf Kubaner, der Granma.
Ramirez war noch sichtlich bewegt von ihrem jüngsten Erlebnis beim Besuch von Gerardo Hernández, einem der seit dem 12. September 1998 in den USA wegen des Versuchs, Terroranschläge auf ihr Land zu verhindern, gefangen gehaltenen Kubanern.

Was sagtest du als erstes, als du ihn sahst?

Ich war nicht fähig, mehr als seinen Namen zu sagen und ihn zu umarmen, das einzige Mal, das einem erlaubt wird, wenn man im Gefängnis ankommt.

Wie war seine Reaktion?

Mein Besuch ließ sich nicht früher realisieren und war eine Sache, die schon lange anstand. Gleichzeitig empfand ich große Trauer, weil ich fand, dass Adriana [Gerardos Ehefrau] an meiner Stelle sein sollte - über 8 Jahre lang hat man ihr grausamerweise die Erlaubnis verweigert, ihn zu sehen - Trauer, weil Männer wie er nicht im Gefängnis sein sollten, weder für neun Jahre noch für eine Sekunde.
Gerardo umarmte mich wie eine Schwester, die er lange Zeit nicht gesehen hat, von der er aber wusste, dass sie ihn schließlich besuchen käme. Er stand in seiner khaki-farbenen Uniform vor mir in voller Würde, groß und fest wie eine Palme.
"Endlich bist du da!" sagte er mit der kubanischen Anmut, die ihn charakterisiert und die man ihm nicht nehmen kann.

Kannst du den Ort, wo Gerardo ist, beschreiben?

U.S.-Gefängnisse sind für ihre Kälte, ihr ausgeklügeltes Sicherheitssystem und die überall vorherrschende graue Farbe bekannt. Victorville macht darin keine Ausnahme.
In der Nähe des Gefängnisses ist eine kleine Stadt, die von einer Sicherheitssperre umgeben ist. Da standen leere eingezäunte Holzhäuser. Ich fragte, warum da niemand sei. Sie erklärten mir, dass sie vor den giftigen Substanzen geflohen seien und dass die Stadt evakuiert worden sei. Die Substanz sei gefährlich und man habe die Befürchtung, dass sie sich bei der Zerstörung der Häuser noch ausbreite. Diese leeren Häuser geben der Umgebung wirklich etwas Geisterhaftes.
Wenn man die Strafanstalt erreichen will, muss man auf einer staubigen Straße mitten durch eine Art Wüste fahren, doch das Gefängnis ist von Bergen umgeben.
Man kann aus gewisser Entfernung etliche hohe Türme mit teleskopischen Ausgucken sehen, die einem ankündigen, dass man sich dem Tor nähert. Dann sieht man den befestigten Gebäudekomplex, der aus verschiedenen Einheiten besteht, eine Art befestigte, ganz und gar graue Zement- und Stahlmasse, umgeben von dicken Drähten. Es gibt keine Fenster, was einen noch stärkeren Eindruck von Eingeschlossenheit vermittelt.

Hast du ihm irgend etwas übergeben? Haben sie dich Bleistift und Papier mitnehmen lassen?

Nein. Die Regeln in der U.S.-Strafanstalt sind sehr streng. Sie lassen dich nichts zu dem Gefangenen mitnehmen. Ich musste meine persönliche Handtasche am Tor lassen.
Nach der Routineuntersuchung, bei der Du sogar die Schuhe ausziehen musst, nahm uns der Beamte in einen anderen Bereich mit - ich spreche in der Mehrzahl, weil mich Alicia Jrapko und Bill Hackwell begleiteten, die während dieser langen Jahre für die Cuban Five sehr wichtig sind.
Dort stellten wir uns auf, und sie kennzeichneten einen nach dem anderen mit einer Identitätsnummer auf dem Unterarm, die dann im Vorbeigehen von einer Laserlampe erfasst wurde.

Und der Raum, wo die Besuche stattfinden?

Die Gefangenen dürfen keine Besuche in irgend einer Art von Privatsphäre haben, noch weniger draußen. Alles findet in einem großen abgeschlossenen Raum mit künstlicher Beleuchtung statt, wo man das Gefühl für die Zeit verliert.
Der Raum hat kleine Tische und Plastikstühle, ebenfalls grau. Natürlich wird man ständig von etlichen Beamten beobachtet, die dich maßregeln oder sogar den Besuch abbrechen können, wenn du den Gefangenen berührst. Andere Regeln verbieten z. B. ehelichen Kontakt oder Intimität mit ihren Ehefrauen.

Worüber habt ihr gesprochen?

Es ist unglaublich, wie viel er darüber weiß, was in Kuba und in der Welt passiert. Er hat sich nicht einmal beklagt, obwohl er weiß, wie schwierig seine Situation ist. Er sagte nur, "Alles ist normal" und bat, über Briefe sprechen zu dürfen, die aufgehalten werden und über Adriana.
Er fragte mich auch nach einem Jungen in Las Tunas, mit dem er eine besondere Korrespondenz pflegt. Er bat mich, Maria Orchidea, einer Frau aus Cienfuegos, für deren vollständige Abschrift jeder Sendung von "Una luz en la oscuridad" (Ein Licht in der Dunkelheit) in Radio Rebelde zu danken.
Er ist begierig darauf, das Buch "Desde la Soledad y la Esperanza" [Aus der Einsamkeit und der Hoffnung] zu lesen, das neulich vom Captain-San-Luis-Verlag herausgegeben wurde. Er bat mich mehrfach, all den Leuten seine Dankbarkeit zu übermitteln, die helfen, die Wahrheit zu verbreiten und arbeiten, sodass ihnen die Gerechtigkeit eher früher als später erlaubt, wieder in ihr Land zurückzukehren.

Welche Arbeit verrichtet er im Gefängnis?

Er sagte mir, dass dort Teile für die Waffenindustrie fertiggestellt würden, aber er habe darum gebeten, einer anderen Arbeit zugeteilt zu werden, einer, die weniger zum Krieg beiträgt, und er sei dann für die Mülleinsammlung im Gefängnis eingeteilt worden.

Was hat dich an Gerardo überrascht?

Alles hat mich überrascht: angefangen von der Aufmerksamkeit, die er jeder Geschichte schenkt, wie er vom Spanischen ins Englische umschaltete, während er mit uns sprach, über die Fundiertheit seiner Analyse der internationalen Szene, welche Mühe er sich gibt, dass jeder Brief mit etwas Besonderem an seinen Bestimmungsort geht, seine andauernde Sorge für seine Landsleute und die enorme Warmherzigkeit, die inmitten solcher Abgeschiedenheit von ihm ausgeht.
Gerardo hat ja auch diese besondere Fähigkeit für den rechten Witz im rechten Moment, die er am Schluss einsetzte, um uns den Knoten im Hals zu lösen, als wir gingen.
Als wir gingen, stemmt er seine Hände in die Hüften und sagte: "Danke für alles, was ihr für die Fünf und unser Volk tut ... Sagt ihnen, mir geht es gut und gebt ihnen eine große und kräftige Umarmung von mir."

Deutsch: ˇBasta Ya!

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