Ricardo Alarcón: Die Wahrheit in Geiselhaft

"Denn nichts ist verborgen, was nicht offenbar,
nichts geheim, was nicht bekannt würde." (NT, Lukas: 12, 2)

Am 20. Juli 2011 hielt Ricardo Alarcón die folgende Rede an der Kubanischen Universität für Information und Wissenschaften (UCI).

Um vom juristischen Standpunkt aus zu beginnen: Der Fall der Cuban Five geht seinem Ende zu. Wir beschäftigen uns jetzt mit einem außergewöhnlichen Verfahren, das Habeas Corpus genannt wird, das als nur einmalige Gelegenheit zur Verfügung steht, wenn eine verurteilte Person ihre Berufungsverfahren vollständig erschöpft hat. Hierbei müssen wir in Betracht ziehen, dass die Chancen unserer Compañeros auf Freilassung auf diesem Wege historisch gesehen außerordentlich gering sind.
Wir unternehmen diesen Schritt dennoch, nämlich aus zwei Gründen. Erstens ist es eine Sache des Prinzips: Wir müssen diesen Kampf an allen uns möglichen Fronten führen, weil diese fünf unschuldigen Männer eine grausame und unfaire Gefangenschaft erdulden. Zweitens, weil es nur über den Weg gerichtlicher Entscheidungen möglich war, wenn auch nur teilweise und in begrenztem Maße, die eiserne Faust der Zensur aufzubrechen, mit der die Massenmedien diesen Fall zurückhalten.
Ich hätte meine Rede auch mit der Aussage beginnen können, dass die aktuelle Lage der Fünf der von vor dreizehn Jahren entspricht. Es gibt keine Neuigkeiten über sie. Sie erleiden eine doppelte Gefangenschaft: die ihrer Kerkermeister und die der Journalisten.
Zuerst müssen wir fragen: Warum dieses Medienschweigen? Ist Kuba, seine Revolution, seine Probleme von so wenig oder keinem Medieninteresse? Wie Sie wohl wissen, ist das Gegenteil der Fall. Unser Land erhielt und erhält noch immer größere Aufmerksamkeit als andere Länder dieses Kontinents. Sie analysieren uns Tag und Nacht unter mächtigen Scheinwerfern und Vergrößerungsgläsern, wobei sie die unterschiedlichsten Aspekte unserer Realität ständig verdrehen.
Also, warum sagen sie kaum je etwas über diesen Fall? Wenn die Fünf ein Verbrechen begangen hätten, wenn es nur einer von ihnen getan oder nur versucht hätte, etwas gegen das amerikanische Volk zu unternehmen, hätte noch irgend jemand den leisesten Zweifel daran, dass sie ein ständiger Gesprächsgegenstand innerhalb der antikubanischen Propaganda wären?
Die Wahrheit ist, dass die Fünf ganz und gar unschuldig sind, ja, buchstäblich ohne Übertreibung Helden sind, die ihr Leben für das unsere opferten in unübertroffenem Altruismus. Dies ist keine rhetorische Phrase.
Diese Wahrheit wird in behördlichen US-Regierungsdokumenten und denen seiner Gerichte belegt. Ihre Mission zu versuchen, Terroranschlagspläne gegen Kuba aufzudecken, wird in zahlreichen offiziellen Dokumenten deutlich ausgesprochen, angefangen von der ursprünglich gegen sie erhobenen Anklage, über die verschiedenen Anträge der Staatsanwaltschaft zu Beginn des Verfahrens, während dessen Fortgang bis zu den bei seinem Abschluss verhängten Strafurteilen. Dass das Ziel der US-Regierung war, die Terroristen zu schützen, wurde in diesen Dokumenten ebenfalls zugegeben und auch in den wiederholten Erklärungen der Staatsanwaltschaft, alles das ist in den Gerichtsakten festgehalten.
Wir stehen vor dem großen Problem, dass das Imperium es geschafft hat, diese Information von der Bevölkerung fernzuhalten. Dieser Erfolg ist bemerkenswert. Sie waren in der Lage, ungestraft die Wahrheit zu entführen. Ich spreche hier nicht von geheimen Schriften oder vertraulichen Dokumenten. Ich spreche von Dokumenten, die für jeden zur Verfügung standen und stehen, nämlich dem der auf die amtliche Website des Bundesbezirksgerichts von Südflorida geht und dort den Fall, "United States vs. Gerardo Hernandez et al." nachschlägt. Aber das tun nur einige Spezialisten oder besonders interessierte Einzelpersonen.
Die Allgemeinheit informiert sich über das Geschehen bei Gericht über die wie auch immer gearteten Versionen, die die so genannten Nachrichten-Medien ihnen servieren mögen. Und über dieses Verfahren, das längste in der Geschichte der Bundesgerichte eines Landes, das u.a. exklusiv den Gerichten gewidmete Fernsehsender hat, wurde außerhalb der Stadt Miami nichts gesagt. ...
Wie ich schon sagte, gerade jetzt befassen wir uns mit der Habeas-Corpus-Petition. Der schwierigste Fall ist der von Gerardo, auf den ich später zurück kommen werde.
Es gibt jedoch bei all' ihren Berufungsverfahren ein gemeinsames Element hinsichtlich des Verhaltens der Presse. Während es im Rest der Welt völlig ignoriert wurde, erhielt das Verfahren in Miami eine überwältigende und kreischende Presse von den lokalen Medien, die ein Klima des Hasses gegen die Angeklagten förderten. Es gab sogar Drohungen und Provokationen gegenüber den Juroren, Anwälten und Zeugen. Selbst die Richterin beklagte sich wiederholt und bat die Regierung, diese Umstände abzustellen, die eindeutig gegen die Prozessordnung verstießen. Das war einer der Faktoren hinter der einstimmigen Entscheidung des Richter-Gremiums des Berufungsgerichtes von 2005 für die Verwerfung der ganzen Farce und dafür, ein neues Verfahren anzuordnen, eine gerechte Entscheidung, die später unter dem Druck der Bush-Administration zurück genommen wurde.
Im folgenden Jahr, 2006, kam heraus, dass diese "Journalisten" aus Miami tatsächlich von der Regierung für diesen schmierigen Job bezahlt wurden. Seit nunmehr fünf Jahren fordern private [US-] amerikanische Gruppen, dass die Behörden alles, was sie über das Ausmaß dieser Millionen-Dollar-Operation zurückhalten und das mehr als ausreichend wäre, das gesamte Gerichtsverfahren gegen unsere Kameraden für null und nichtig zu erklären, herausgeben - wieviel wurde gezahlt, an wen und wofür.
Gegen Gerado gab es eine zusätzliche Anklage, eine infame Verleumdung, für die er verurteilt wurde, zwei Mal im Gefängnis zu sterben: Sie beschuldigten ihn der "Verschwörung, Mord ersten Grades begehen zu wollen".
Allerdings habe ich hier ein Dokument, das vom US-Anwaltsbüro auf den 30. Mai 2001 datiert wurde. Hier wird behauptet, dass die Anklage nicht bewiesen werden könne, und darum baten sie in letzter Minute, diese zurückzuziehen. Trotzdem wurde Gerardo für ein nicht existierendes Verbrechen, das nicht bewiesen werden konnte und für das er darüber hinaus gar nicht mehr angeklagt wurde, für schuldig befunden.
Aber was tut es zur Sache, dass dieses Dokument existiert, wenn niemand darüber spricht?
Gerardo wurde fälschlich dafür beschuldigt, an etwas teilgenommen zu haben, mit dem er überhaupt nichts zu tun hatte: dem Abschuss über kubanischen Gewässern im Februar 1996 von zwei Flugzeugen einer terroristischen Gruppe, die systematisch kubanisches Territorium verletzte und jede dieser Verletzungen vorher ankündigte und schamlos in den Medien Miamis damit angab. Abgesehen davon, dass dieses Dokument zweifellos die Unhaltbarkeit der Anschuldigung beweist, gibt es noch einen anderen Fakt, der die Verstöße der [US-] amerikanischen Behörden illustiert.
Um rechtliche Maßnahmen zu dem Zwischenfall ergreifen zu können, hätten die Vereinigten Staaten beweisen müssen, dass er außerhalb des kubanischen Luftraums geschah. Kubanisches Radar verzeichnete den Zwischenfall innerhalb unseres Territoriums in unmittelbarer Nähe der Stadt Havanna. Das US-Radar lieferte verwirrende und widersprüchliche Daten. Eine Untersuchungskommission der Internationalen Zivilen Luftfahrtorganisation (ICAO) ersuchte um Bilder, die von US-Satelliten aufgenommen worden waren, aber Washington weigerte sich, sie herauszugeben. Während des Verfahrens in Miami wiederholte die Verteidigung diese Anfrage, und die Regierung lehnte abermals ab. Gerardo fordert jetzt wieder diese Information für seine Habeas-Corpus-Berufung, und Washington weigert sich wieder zu erlauben, dass sich irgend jemand diese Bilder ansieht. Dieses Versteckspiel dauert jetzt schon über 15 Jahre, was ganz klar die Arglist der Anklagen der US-Regierung beweist. Aber Washington hat es geschafft, von niemandem dafür angeklagt zu werden, was ihm erlaubt, weiterhin viele zu täuschen.
Information ist der Schlüssel für die Befreiung von Gerardo Hernández Nordelo, Ramón Labañino Salazar, Antonio Guerrero Rodríguez, Fernando González Llort und René González Sehweret. Um diese Schlacht zu gewinnen, müssen wir viele Menschen mobilisieren und mit einer wirklich breit angelegten und effektiven Solidaritätsbewegung aufmarschieren.
Trotz jeder minimalen objektiven Annäherung an das Problem müssen wir erkennen, dass wir noch weit von diesem Ziel entfernt sind.
Es ist bewiesen, dass die gigantischen Medienkonzerne, absolutes Schweigen über diesen Fall verordnet haben, besonders rigoros in den Vereinigten Staaten selbst, in denen die breite Mehrheit der Bevölkerung absolut nichts über den Fall weiß. Der komplette Mangel an Berichten über das Thema zeigt nicht die professionelle Inkompetenz auf Seiten der Journalisten, sondern die Befolgung präziser Anweisungen, eine politische Entscheidung auf der höchsten Ebene Washingtons, das Thema zu verschweigen.
Zu hoffen, diese Zensoren könnten ihre Einstellung ändern, ist eine sinnlose Illusion und wäre Selbstbetrug. Sie immer wieder anzuklagen ist richtig aber nicht genug, weil unsere wiederholten Anklagen kaum irgend einen Effekt hatten.
Aber es gibt viel mehr, was wir tun können und müssen.
Zu allererst müssen wir objektiv die derzeitigen Zustände berüchsichtigen - die wir bei ihrem richtigen Namen nennen sollten: Die globale Medien-Tyrannei.
Wir sprechen nicht nur über das, was führende Zeitungen sagen oder berichten, oder die großen Fernsehanstalten und Presseagenturen in aller Welt. Alle von ihnen, vereint in enormen Monopolen, kontrollieren und manipulieren Informationen, und ihr Einfluss dehnt sich sogar auf vermeintliche Alternativen zu dieser globalen Diktatur aus, einschließlich der Medien, die sich selbs als revolutionär definieren.
Es gibt viele Menschen in der Welt mit sehr begrenzten Ressourcen, die sich bemühen, die Stimme zu erheben und gehört zu werden, und die gelegentlich die Wand der Desinformation und des Schwindels durchbrachen. Unsere Ressourcen sind viel größer, die der kubanischen Universitäten, Professoren und Studenten.
Lasst es uns wie die Kinder von "La Colmenita" [der kleine Bienenstock - ein kubanisches Märchen] machen und fragen: "Können wir noch mehr tun?".

Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db)

(Quelle: freethefive.org) vom 20. Juli 2011

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