Kuba begegnet den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, Teil IVEin Interview mit Ricardo Alarcón, dem Präsidenten des Kubanischen ParlamentsVon Salim Lamrani "Huffington Post", 16. April 2012
Ricardo Alarcón de Quesada, seit 1992 Präsident des kubanischen Parlaments und Mitglied des Politbüros der Kubanischen Kommunistischen Partei, ist nach Präsident Raúl Castro und dem Ersten Vize-Präsidenten Antonio Machado Ventura der Dritte in der Rangordnung der kubanischen Regierung. Als Professor der Philosophie mit diplomatischer Laufbahn verbrachte Alarcón 12 Jahre als kubanischer Botschafter bei den Vereinten Nationen. Nach all' dieser Zeit wurde er zum Sprecher für die Regierung in Havanna.
In diesem langen Interview, das fast zwei Stunden dauerte, wich Alarcón keiner einzigen Frage aus. Er kommentiert die Rolle Fidel Castros nach dessen Rückzug aus dem politischen Leben und erklärt die gegenwärtige Lage Raúl Castros im Zentrum der Macht. Er spricht auch über die Reform der kubanischen Wirtschaft und ihr soziales Modell sowie die Herausforderungen, denen sich die kubanische Nation stellen muss. Alarcón erörtert dann die Frage der Auswanderung und der kubanischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten unter der Obama-Administration. Er greift ebenfalls die heikle Frage der Menschenrechte und der politischen Gefangenen auf und zögert nicht, über Alan Gross, den in Kuba inhaftierten amerikanischen Subunternehmer, zu sprechen sowie über den Fall der in den Vereinigten Staaten inhaftierten kubanischen Agenten. Dann wendet sich Alarcón der bedeutsamen Frage der Ölvorkommen im Golf von Mexiko zu und den möglichen Konsequenzen von deren Ausbeutung. Das Interview endet mit einer Erörterung der Beziehung Kubas zur katholischen Kirche und dem Vatikan, dem unmittelbar bevorstehenden Besuch von Papst Benedikt XVI., den kubanischen Beziehungen zur Europäischen Union und dem neuen Lateinamerika und schließlich der Zukunft Kubas nach Fidel und Raúl Castro. Der Fall der Cuban Five Saul Landau: Jetzt lassen Sie uns über die Cuban Five reden. Vier von ihnen werden noch in Haft gehalten und der Fünfte ist auf Bewährung draußen. Sie sind seit 1998 wegen "Verschwörung, Spionage begehen zu wollen" inhaftiert und wurden zu schweren Gefängnisstrafen verurteilt - von 15 Jahren bis zu lebenslänglich. Was sind ihre zukünftigen Aussichten?
Ricardo Alarcón de Quesada: Im Fall von René González, der auf Bewährung draußen ist, wird sein Anwalt versuchen, die Richterin davon zu überzeugen, dass er die verbleibenden drei Jahre seines Strafurteils in Kuba verbringen darf. Auf die gleiche Weise versuchen wir, die Gewährung eines Familienbesuchs zu erreichen. Seine Ehefrau hat ihn seit über einem Jahrzehnt nicht mehr gesehen, weil Washington ihre jeweiligen Visums-Anträge regelmäßig abgelehnt hat. [Das Interview wurde offensichtlich vor Renés Besuch in Kuba geführt, Anm. d. Ü.] SL: Aus welchem Grund werden die Fälle getrennt von einander erwogen? RAQ: Tatsächlich ist dieses außerordentliche Habeas-Corpus-Verfahren nur dann möglich, wenn ein Prozess beendet ist, was im Fall von Gerardo Hernández und René González möglich wurde, als der Supreme Court die Überprüfung ihrer Fälle ablehnte. Für Antonio, Ramón und Fernando endete der Prozess, als das Gericht, im Lauf ihres Berufungsprozesses neue Strafurteile verhängte. Diese Urteile wurden zu verschiedenen Zeiten ausgesprochen und das wiederum ist der Grund für die getrennten Verfahren. SL: Der Ausgang dieser Fälle erscheint jedoch eher politisch als juristisch zu sein. RAQ: Das ist sicher wahr, und es hebt die Notwendigkeit hervor, Präsident Obama davon zu überzeugen, sie zu befreien. Meiner Meinung nach hat er die moralische Pflicht, das zu tun, und es ist etwas, dass er einfach mit einer Verfügung des Präsidenten tun kann, was die Verfassung der Vereinigten Staaten erlaubt. So eine Entscheidung kann er jederzeit treffen, unabhängig von der Entwicklung des Prozesses. SL: Aus welchen Gründen sollte Obama eine solche Entscheidung treffen?
RAQ: Einfach, weil diese Männer unschuldig sind. Ich möchte Sie daran erinnern, dass sie in den Vereinigten Staaten waren, um Terroranschläge auf Kuba zu verhüten. Sie waren nicht dort, um Regierungsagenturen zu infiltrieren, was die Anklage wegen Spionage gerechtfertigt hätte, sondern vielmehr, um kleine gewalttätige rechtsradikale Gruppen der kubanischen Exilanten zu infiltrieren, die in terroristische Anschläge auf Kuba verwickelt waren. SL: Erklären Sie das bitte. RAQ: Die Staatsanwältin hat René González' Recht, seine Bewährungszeit in Kuba abzuleisten, kategorisch abgelehnt. Die Richterin akzeptierte die Forderung der Staatsanwältin und entschied, dass René, zumindest vorläufig, seine Bewährungszeit in den Vereinigten Staaten ableisten muss. In ihrer schriftlichen Erklärung zitiert die Richterin an drei verschiedenen Stellen die "zusätzlichen besonderen Auflagen", die ihm bei seiner Verurteilung 2001 auferlegt wurden, und an die er sich halten muss. SL: Worin bestehen diese "zusätzlichen besonderen Auflagen"?
RAQ. Diese eigenartigen "zusätzlichen besonderen Auflagen" seiner Bewährung verbieten ihm, "sich mit Personen oder Gruppen wie Terroristen, Mitgliedern von gewaltbereiten Organisationen oder organisierten Verbrechern zu treffen oder Plätze zu besuchen, von denen bekannt ist, dass diese Personen sich dort befinden oder sie häufig aufsuchen ..." Dies ist ein textgenaues Zitat, das im Transkript der Strafverkündung vor der ehrenwerten Joan A. Lenard mit Datum vom 12. Dezember 2001 auf den Seiten 45 und 46 gefunden werden kann. SL: Das ist alles ziemlich überraschend und die Auflagen sind verwirrend.
RAQ: Sie können diese Erklärung im Transkript des Verfahrens und den kürzlichen Erklärungen der Staatsanwältin und der Richterin finden, nachdem René González beantragt hatte, seine Bewährung in Kuba abzuleisten. Es ist offensichtlich, der Grund für diese Auflage ist es, diese drei Kategorien verabscheuungswürdiger Personen zu beschützen. Wenn Sie eine bessere Erklärung haben, würde ich sie gerne hören. SL. Das klingt alles etwas surreal.
RAQ: Es ist immer noch die Wahrheit, auch wenn es ungewöhnlich ist. Sie werden finden, ich sage es noch einmal, dass diese Erklärung während des Verfahrens gebraucht wurde. Die Staatsanwältin hat immer darauf bestanden. Die Richterin verkündete die Strafen, die Strafen im Memorandum, aber es war die Regierung, welche die Strafen vorschlug und, unnötig zu sagen, die Regierung schlug für jeden Anklagepunkt die Höchststrafe vor. Die Staatsanwaltschaft machte schwere Fehler, was dazu führte, dass das Berufungsgericht neue Strafmaße für Antonio Guerrero, Fernando González und Ramón Labañino forderte. SL: Was glauben Sie, beweist das?
RAQ: Das beweist ganz klar die Unschuld der Fünf, weil das, was sie in den Vereinigten Staaten taten, kein Verbrechen ist. Einen Terrorakt zu beenden ist kein Verbrechen. Gegen Gewalt, Verbrechen und Terrorismus zu kämpfen ist nirgendwo ein Verbrechen. Unglücklicherweise ist diese Angelegenheit wegen der Diktatur der Medien so weit fortgeschritten. Wenn über diese Affäre in den Medien so berichtet worden wäre, wie es sein sollte, hätte sie unter der [US-] amerikanischen Öffentlichkeit eine solche Empörung ausgelöst, dass die Position der Regierung unhaltbar gewesen wäre. Was hätte die [US-] amerikanische öffentliche Meinung gesagt, wenn ihr klar geworden wäre, dass die Regierung Terroristen beschützt und diejenigen, die gegen Terrorismus kämpfen, einsperrt? Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db) (Quelle: freethefive.org vom 16. April 2012)
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