Eine Geschichte, die erzählt werden muss

von Ricardo Alarcón de Quesada

2. August 2013

Der Verlag "Fernwood Publishing" in Kanada hat gerade "What Lies Across the Water - The Real Story of the Cuban Five" [Was jenseits des Wassers liegt - die wahre Geschichte der Cuban Five] veröffentlicht. Es handelt sich hier um das bisher ausführlichste Buch über einen Gegenstand, zu dem die Amerikaner wenig Zugang hatten: den Fall von Gerardo, Ramón, Antonio, Fernando und René, den für ihren Einsatz gegen den Terrorismus in den Vereinigten Staaten inhaftierten kubanischen Patrioten.
Diese Geschichte war vor fünfzehn Jahren begraben worden. Der Autor Stephen Kimber bemühte sich vergeblich, sein Buch in den Vereinigten Staaten zu veröffentlichen. "Es stellte sich heraus, wie schwer dieses Buch für nordamerikanische ’Mainstream’-Verleger zu verkaufen ist. Wir hörten natürlich alle möglichen Erklärungen, aber der Schlüssel dafür schien in dem Glauben zu liegen, dass es in Amerika kein Publikum für ein Buch gebe, das ein sympathisches Porträt von einer Bande ’kubanischer Spione’ präsentiere. Ich hoffe dieses Buch setzt sie ins Unrecht."
Dieses Buch ist das Ergebnis einer gründlichen Recherche. Der Autor las dazu über Zwanzigtausend Seiten von Gerichtsprotokollen (U.S. vs. Gerardo Hernández et al.) und Tausende von Gerichtsdokumenten über den längsten Fall der amerikanischen Geschichte. Außerdem las er Bücher und Zeitungen über Kuba und seine langjährige Konfrontation mit den Vereinigten Staaten, und er interviewte viele Personen auf beiden Seiten der Straße von Florida, die sowohl die eine oder andere Seite bevorzugten.
Dies ist kein Buch über einen komplizierten und endlosen Rechtsstreit, es behandelt vielmehr dessen wesentliche Aspekte. Noch ist es eine Biographie der Fünf, aber seine Seiten zeigen, für was sie stehen, als dem Leser nahe menschliche Wesen. Das Buch geht weit darüber hinaus und hilft, den Konflikt zwischen den beiden Ländern zu verstehen.
Es ist kein langatmiges, schwer zu lesendes Werk, ganz im Gegenteil. Seine leichte und klare Sprache ermöglicht es dem Leser, durch die Episoden des Konfliktes zu gehen und eine von der ersten Seite an fesselnde Geschichte in wenigen Stunden zu Ende zu lesen. Es ist das Werk eines Meisterjournalisten, eines großen Schriftstellers und vor allem eines ehrlichen Intellektuellen, der sich nur dem verpflichtet fühlt, was er selbst verifizieren konnte.
Schon in seinem ersten Abschnitt teilt er uns mit: "Dies ist kein Buch, wie ich es vorhatte zu schreiben. Das Buch hatte ein Roman, eine Liebesgeschichte werden sollen, die teilweise in Kuba spielt." Und natürlich sollte es auch kein Roman über die Fünf werden, denn "ich hatte nur vages über sie gehört". In seinem Prolog erzählt uns Kimber, wie es dazu kam, dass er sein ursprüngliches Projekt aufgab, um uns stattdessen ein Sachbuch zu präsentieren, das ein Beispiel für rigorose, unvoreingenommene und objektive Wahrheit darstellt.
Mit den Worten des Autors: "Die Geschichte der Cuban Five ist eigentlich nicht die Geschichte der Fünf. Oder zumindest ist es nicht nur ihre Geschichte. Und es ist keine einfache lineare Erzählung. Es ist eine von sich überstürzender Anhäufung von Ereignissen und Irritationen, von Duldung und Konsequenz, eine ineinanderfließende und auseinanderlaufende Erzählung, die von einem Ensemble von Darstellern handelt, das aus ganz verschiedenen Charakteren auf beiden Seiten der Straße von Florida ausgesucht und zusammengestellt worden war.
Vielleicht war es diese Treibsand-Komplexität alles dessen, was mich letztlich davon überzeugte, dass diese Geschichte erzählt werden müsse und zwar von jemandem, der noch nicht wüsste, welche Version welcher Geschichte wahr sein könnte."
Hierin liegt die eigentliche Bedeutung dieses Buches. Es ist die Frucht einer von jemandem ausgeführten Recherche, der bei deren Beginn weder Verteidiger noch Sympathisant der Sache der Fünf war. Wie viele der Tausenden von Kanadiern, die Kuba besuchen, stieß er wahrscheinlich mehr als einmal auf eines der in Naivität oder plumper Sprache verfassten Propaganda-Poster, oder er hörte jemanden mit Bewunderung über die "Fünf Helden" sprechen.
Der Autor stellt eine Frage, die den Schlüssel zum Verständnis des Problems enthält: Warum entschied sich das FBI dazu, sie zu verhaften und vor ein öffentliches Gericht zu stellen? Warum, wenn es sie doch über Jahre schon überwacht hatte und alles, was sie getan hatten und gerade taten, wusste? Durch diese Handlungsweise, in Abweichung von seiner normalen Praxis, verlor das FBI eine wichtige und sichere Informationsquelle. Es konnte sie nicht wegen irgendetwas Ernsthaftem beschuldigen, und darum waren die beiden Hauptanklagen gegen sie nicht wegen signifikanter Verbrechen. Die Anklagen waren auf "Verschwörung", wofür sie keine konkreten Beweise produzieren mussten, die es nie gegeben hat.
Die einzige Erklärung ist politischer Natur. Im Sommer 1998 wurden die ersten Schritte unternommen in Richtung einer Art Zusammenarbeit der beiden Länder, um die aus Miami stammenden Terroranschläge gegen Kuba zu unterbinden. Eine Delegation hochrangiger FBI-Beamter, die auf Anordnung von Präsident Clinton geschickt wurde, erhielt in Kuba umfangreiche Informationen und versprach zu handeln. Als die Nachricht von den Kontakten Miami erreichte, verhaftete Mr. Pesquera, der enge Verbindungen zu den Terroristen unterhielt, die Fünf mit Methoden, die seine Motivation und den politischen Charakter der Operation klar erkennen ließen. "Wenn die Spionageanklagen gegen die Kubaner dünn erschienen - und das taten sie damals - warum hat dann das FBI entschieden, so einen Aufstand um diesen Teil des Falles zu veranstalten?" "Wir haben das öffentlich gemacht," erklärte Hector Pesquera in einer Botschaft, die in den nächsten Tagen mehrfach von spanischsprachigen Radiosendern ausgestrahlt wurde, "um Informationen aus der Öffentlichkeit zu erhalten." Was?
Vorsätzlich oder nicht, die Nachricht von der Verhaftung und den Beschuldigungen gegen die Kubaner diente zur Anheizung hysterischer Reaktionen in der immer am Rande einer Katastrophe stehenden Exilgemeinde von Miami. Der Kommentator von WQBA-1140 AM [einem Radiosender in Miami] - und nicht zu vergessen, die Sprecherin der CANF - Ninoska Pérez Castellón gaben die Nummer der Telefonzentrale des FBI bekannt und forderten die Leute auf, das Büro [FBI] anzurufen (und den Sender) und von "verdächtigen Personen" zu berichten. Es stellte sich heraus, dass es viele davon gab. Ein Anrufer sagte er könne "in Frieden sterben, wenn die Polizei all’ die verhaftet, die in die Organisation von Reisen nach Kuba verwickelt sind, und die, die für bessere Beziehungen zu Kuba eintreten." "Lasst sie alles durchsuchen," erklärte ein anderer Anrufer, "weil es hier viele, viele Spione gibt."
Exilantengruppen wie die "Cuban American National Foundation" sprangen auf die Nachrichten von den Verhaftungen auf mit Äußerungen wie: "Was wir jetzt sehen, bedroht die vitalen Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten," um für noch härtere Maßnahmen gegen Kuba zu werben. Am Tag nach Pesqueras Pressekonferenz feuerten der CANF-Vorsitzende Alberto Hernández und sein Vize Jorge Mas Santos einen Brief an Senator Bob Graham ab, einem unterstützenden Mitglied des Geheimdienstkomitees des Senats, um ihn aufzufordern, eine öffentliche Anhörung in Miami über kubanische Spionage abzuhalten.
Während all’ das geschah, dort in Miami, trainierten dort vor der Nase von Mr. Pesquera die Terroristen, die den brutalen Anschlag vom 11. September 2001 ausführen sollten.
Das von den lokalen Medien in Miami erzeugte hasserfüllte Klima, das 2005 von einem Richtergremium des Berufungsgerichts als "perfekter Aufruhr, erzeugt, als die Welle der allgegenwärtigen kommunalen Gefühle und extensiven Publizität, sowohl vor als auch während des Verfahrens, mit untauglichen staatsanwaltschaftlichen Empfehlungen zusammentraf" bezeichnet wurde, führte zu einer einstimmigen Entscheidung des Magistrats, das Verfahren zu annullieren. Erst viel später, nämlich 2006, wurde bekannt, dass diejenigen, die den "Aufruhr" losgetreten hatten, großzügige und verdeckte Zahlungen von der US-Regierung erhielten.
Kimbers Buch erscheint zu einem Zeitpunkt, zu dem der Fall einen kritischen Augenblick erreicht hat, in dem man darauf wartet, dass das Gericht über die parallellaufenden Berufungen (Habeas Corpus) urteilt, deren Hauptanliegen die Verschwörung der Regierung ist, die die Finanzierung und Organisation der Medienkampagne, die das Klima in Miami vergiftete und die von niemand anderem als dem FBI initiiert wurde, betrieb. Lasst uns hoffen, dass die Richterin das Buch ließt, bevor sie ihre Entscheidung trifft.

Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db) [Aus der Übersetzung von CubaNews. Editiert von Walter Lippmann.]

(Quelle: freethefive.org vom 2. August 2013)

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