Die Unschuld GerardosVon Ricardo Alarcón
Bei dem Treffen der Untersuchungskommission des Falles der Cuban Five in London wurden die Einzelheiten der Situation von Gerardo Hernández Nordelo und die berüchtigte, nur gegen ihn erhobene Anklage (Punkt 3, "Verschwörung, Mord begehen zu wollen") in aller Gründlichkeit überprüft. Sie bildet die Basis seines Strafurteils, wonach er zwei Mal im Gefängnis sterben muss. Er ist fälschlicherweise angeklagt, an dem Abschuss der beiden Flugzeuge der terroristischen Gruppe, die sich selbst "Brothers to the Rescue" [Brüder zur Rettung] nennt, beteiligt zu sein.
Vom Rechtsstandpunkt aus gesehen hätte die fragliche Tat, für die er vor einem Gericht der Vereinigten Staaten stand, über internationalem Gewässer, also außerhalb des Gebiets der kubanischen Rechtssprechung, geschehen müssen. Ansonsten wäre kein Gericht der Vereinigten Staaten berechtigt gewesen, sie aufzugreifen. Daher wurde der genaue Ort des Zwischenfalls vor Gericht in Miami ausführlich diskutiert, wobei die Diskussionen wiederholt wurden, die zuvor im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und in der "International Civil Aviation Organization (ICAO)" [Internationale Zivile Luftfahrtorganisation] stattgefunden hatten. In diesen Diskussionen ging es um die weiterhin bestehenden Widersprüche zwischen den kubanischen Radaraufnahmen und denen der Vereinigten Staaten. Es gibt sicherlich eine Menge über die US-Daten zu schreiben, zum Beispiel über die monatelange Verzögerung von deren Aushändigung, die zwangsweise eine Verzögerung der Arbeit der ICAO bewirkte und über die verdächtige Zerstörung einiger dieser Aufnahmen, was alles in dem ICAO-Report festgehalten ist. Um zu versuchen, die Diskrepanz zwischen den unterschiedlichen Radaraufnahmen aufzulösen, bat die ICAO die Vereinigten Staaten, ihr die Satellitenaufnahmen zu übergeben, ein Ersuchen, das seit 1996 abgelehnt wird. Washington verwehrte es auch dem Gericht von Miami, sie anzusehen. Nun hat es mittlerweile über lange Zeit den wiederholten Anfragen des "Center for Constitutional Law and Human Rights" [Zentrum für Verfassungsrecht und Menschenrechte] in Kalifornien widerstanden und hat vor Gericht dieses Staates für seine Bemühung, die Aufnahmen nicht zur Einsicht freigeben zu müssen, gestritten. Bald besteht seine hartnäckige Zensur 20 Jahre. Nur die Vereinigten Staaten sind in der Lage gewesen, das, was ihre Satelliten gefilmt hatten, zu untersuchen, aber niemandem anderen wird erlaubt, es zu sehen. Nicht dem UN-Sicherheitsrat, nicht der ICAO noch den Gerichten der Vereinigten Staaten. Warum? Es gibt darauf nur eine Antwort: Washington weiß, dass sich der Zwischenfall innerhalb kubanischen Gewässers, ganz in der Nähe der Küste vor Havanna ereignete, und daher nie in seine Rechtssprechung fiel. Da die Satellitenaufnahmen ein unwiderlegbarer Beweis für die Yankee-Lüge sind, wird niemand außer den Behörden der Vereinigten Staaten sie je zu sehen bekommen. Aber es geht nicht darum, ob die Satellitenaufnahmen Gerardo entlasten. Sie waren nicht notwendig, denn die Staatsanwaltschaft musste, um ihn verurteilen zu können, beweisen, dass er persönlich an dem Zwischenfall beteiligt war, was aber total absurd und unmöglich aufrechtzuerhalten ist, unabhängig davon, wo der Abschuss der eindringenden Flugzeuge stattfand. Dieses Problem bestand und besteht immer noch für Washington. Es ist ein Problem, weil die Aufnahmen beweisen, dass die Vereinigten Staaten, ihre Behörden und ihre Gerichte kein wie auch immer geartetes Recht hatten, einen Vorfall gerichtlich zu untersuchen, der außerhalb ihrer territorialen Rechtssprechung stattfand. Es sollte hervorgehoben werden, dass laut den US-Radaraufnahmen, die Flugzeuge während der ganzen Zeit gemeinschaftlich in eine südliche Richtung und zumindest eines von ihnen, laut der U.S.-eigenen Version, in kubanisches Territorium eingedrungen war. Tatsächlich wären sie, wenn man von der Theorie der Vereinigten Staaten über den Ort der Flugzeuge ausginge, in der Nachbarschaft der kubanischen Hauptstadt und dem zentralsten und dicht bevölkertesten Gebiet gewesen. In wenigen Minuten hätten sie es überfliegen können und wären in der Lage gewesen, die ganze Insel bis zur Südküste zu überqueren. Das fand nicht in der Nähe des Luftraums der Vereinigten Staaten statt, sondern weiter unterhalb des 24. Breitengrades, der die Lufthoheit beider Länder von einander abgrenzt. Es war dort, innerhalb des Gebietes unter kubanischer Kontrolle, wo der Flug nach Süden Richtung Havanna ausscherte und die vom Luftfahrtkontrollzentrum unseres Landes ausgegebenen Hinweise und Warnungen ignoriert wurden. Jedenfalls hatte Gerardo mit dieser Handlung absolut nichts zu tun, unabhängig davon, wo sie geschah. Und die Vereinigten Staaten wussten dies sehr genau. Laut der Anklage vom September 1998 hatte das FBI Gerardo identifiziert und kannte die Mission, die er ausführte. Seit 1994 überblickten sie seine Kommunikation mit Kuba - zwei Jahre vor diesem Zwischenfall, der die Situation zwischen beiden Ländern schmerzlich beeinträchtigte. Der Mob der Batista-Terroristen verlangte damals in den Straßen von Miami nach Krieg. Während dessen wurde im Weißen Haus laut den Memoiren des damaligen Präsidenten Clinton eine mögliche Bombardierung Kubas diskutiert. Er bevorzugte das "Helms-Burton"-Gesetz in Verbindung mit Kriegsandrohungen. Kann irgendjemand glauben, dass sie nicht gegen Gerardo vorgegangen wären, wenn er daran beteiligt gewesen wäre? Sie unternahmen nichts, gerade weil ihnen seine Unschuld daran klar war. Das ist auch der Grund, warum sie ihn deswegen nicht anklagten, als sie ihn gemeinsam mit seinen Kameraden im September 1998 verhafteten. In der ursprünglichen Anklage stand kein Wort über den Zwischenfall am 24. Februar 1996, noch wird darin etwas von dem Flugzeugabschuss oder den damit verbundenen Problemen erwähnt. Sie taten es nicht, weil das FBI im Besitz der Nachrichten zwischen Gerardo und Havanna war, sie gelesen hatte und wusste, dass er unschuldig war. Anklagepunkt 3 ("Verschwörung, Mord begehen zu wollen") wurde nur gegen Gerardo erhoben. Das geschah mehr als sieben Monate nach der Verhaftung der Cuban Five, als diese sich in Isolationshaft befanden - in dem infamen "Loch" - isoliert von aller Welt und wo es unmöglich war, sich zu verteidigen. Zu guter Letzt präsentierte die Staatsanwaltschaft eine zweite Ergänzungsanklage, die - wie die Presse von Miami schrieb - offen zwischen dem FBI, der Staatsanwaltschaft und den Leitern der terroristischen Gruppen ausgehandelt worden sei. Es war eine willkürliche, auf den Kopf gestellte Beschuldigung mit der einzigen Absicht, die Kriminellen zufrieden zu stellen, den Hass gegen Gerardo und seine Kameraden zu schüren und von vorne herein die schlimmste, illegalste und irrationalste Strafe zu garantieren. Punkt 3 war der Fokus der ungesetzlichen und vulgären Kampagne, die von der US-Regierung gefördert wurde. Wie ein Tsunami von Lügen fiel sie über eine wehrlose, von Terror paralysierte Gemeinde her. Es erschienen fünf Artikel pro Tag in den Zeitungen, endlose Kommentare Tag und Nacht im lokalen Fernsehen, und schuf so einen, wie das Richtergremium vom 11. Bezirksberufungsgericht es charakterisierte, "perfekten Sturm" von Hass, Vorurteil und Feindseligkeit. Ein großer Teil des Verfahrens drehte sich um Punkt 3. Innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals agitierten Personen mit Verbindungen zu den "Brothers to the Rescue" und gaben schrille Kommentare ab, die die lokalen Medien noch ausmalten. Sie und die von den USA bezahlten "Journalisten" verfolgten und bedrängten die Mitglieder der Jury, die sich darüber bei der Richterin beschwerten. Sie ihrerseits beschwerte sich mehrmals bei der Regierung, natürlich vergeblich. Im Gerichtssaal wurde trotzalledem die unbegründete Lüge der Staatsanwaltschaft widerlegt. Die Ankläger, die so effektiv Hass und Vorurteile gegen ihn förderten, waren unfähig auch nur einen einzigen Beweis zu erbringen, der Gerardo mit den Ereignissen vom 24. Februar in Verbindung brachte. Nicht einen einzigen. So überwältigend und offensichtlich war ihre Niederlage, dass die Regierung etwas höchst ungewöhnliches tat. Am Ende der Diskussion, als die Richterin dabei war, der Jury Instruktionen für die Urteilsfindung zu erteilen, erhob die Staatsanwaltschaft überraschend Einwände gegen den Text, den die Richterin vorbereitet hatte und der die Anklage Wort für Wort wiedergab. Die Staatsanwaltschaft schlug vor, ihn radikal zu verändern. Die Richterin akzeptierte den Antrag aus gutem Grund nicht und stellte fest, dass sie sieben Monate damit verbracht hätten, die Anklage der Staatsanwaltschaft zu diskutieren, und das es jetzt zu spät sei, sie zu modifizieren. Am selben Tag beeilte sich die Staatsanwaltschaft, etwas noch Ungewöhnlicheres zu unternehmen. In einer Aktion, die sie selbst als "beispiellos" bezeichnete, legte die Staatsanwaltschaft beim Berufungsgericht mit einer "emergency writ of prohibition" [in etwa: eilige Unterlassungsverfügung] Berufung ein, mit der Absicht die Entscheidung des Verfahrens umzustoßen und das Verfahren zu vertagen. In dem seltsamen Dokument behauptet die Staatsanwaltschaft "im Licht der in diesem Verfahren vorgelegten Beweise, stellt dies (die Instruktionen der Richterin) in diesem Verfahren ein unüberwindbares Hindernis für die Vereinigten Staaten dar und wird wahrscheinlich dazu führen, dass die Anklage in diesem Punkt scheitert". Es sollte betont werden, dass laut universeller Prinzipien des Gesetzes, eine Person unschuldig ist bis das Gegenteil bewiesen wird, und es ist die Pflicht der Anklage, die nötigen Beweise vorzulegen, um die Schuld des Angeklagten zu beweisen. Die Staatsanwaltschaft stand sicher vor einem "unüberwindbaren Hindernis" aus dem einfachen Grund, dass sie keinerlei Beweise gegen Gerardo hatte, weil es keine gab oder geben könnte. Sie hatten keine Beweise gegen ihn und noch schlimmer, sie wussten - da sie all’ seine Kommuniqués an Havanna seit mehreren Jahren besaßen, einschließlich der Jahre vor dem Zwischenfall mit den Flugzeugen - , dass er mit dieser Tat in keinerlei Zusammenhang stand. Mit anderen Worten, als die Staatsanwaltschaft ihre zweite Ergänzungsanklage einreichte, war ihr vollkommen bewusst, dass sie einen unschuldigen Mann anklagt und konsequenterweise die Justiz in unverzeihlicher Weise und in großem Stil pervertierte. Punkt 3 war eine grobe Verletzung der Verfassung und des Gesetzes und auch der legalen und professionellen Pflicht der Staatsanwaltschaft. Sie arbeitete Hand in Hand mit dem FBI von Miami als Agenten und Komplizen einer terroristischen Mafia, die sie eigentlich bekämpfen sollte. In Wirklichkeit war sie ihr in skandalöser Unterwürfigkeit zu Diensten. Das Berufungsgericht akzeptierte die späte Petition der Staatsanwaltschaft nicht, und von da an begann eine Entwicklung, die überraschend wäre, wenn wir es nicht mit einem Fall zu tun hätten, der von Anfang an eine enorme Verhöhnung der Gerechtigkeit war und immer noch ist. Sehr schnell, ohne irgendeinen Zweifel, ohne irgendeine Frage zu stellen, erklärte die Jury in wenigen Stunden die Cuban Five für schuldig in allen Anklagepunkten, die gegen sie erhoben wurden, einschließlich Punkt 3. Es spielte keine Rolle für sie, dass die Staatsanwaltschaft bezüglich Punkt 3 ihren Fehler zugegeben hatte und darauf bestand, diesen zurückzuziehen. Nach dem Ende es Verfahrens in der ersten Juniwoche 2001 gab die Richterin bekannt, sie werde die Strafmaße Mitte September bekannt geben. Der abscheuliche Terroranschlag vom 11. des Monats und Jahres hat sie anscheinend bewogen, ihre Meinung zu ändern. Weder sie noch die Regierung fühlten sich wohl dabei, Anti-Terror-Helden zu bestrafen, während George W. Bush freudig und mit großer Fanfare seinen "Krieg gegen den Terror" auf dem ganzen Planeten lancierte. Sie warteten drei Monate. Schließlich am 14. Dezember wurde Gerardo zu zweimal lebenslänglich plus 15 Jahren Haft verurteilt. Jeder im Gerichtssaal wusste, dass man einen Unschuldigen bestrafte. Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db) (Quelle: freethefive.org vom 19. Mai 2014)
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