Aufruf der Nationalen Juristenvereinigung Cubas und der Cubanischen Gesellschaften für Strafrechtswissenschaften und für Zivil- und Familienrecht
An die Frauen und Männer des Rechts:
Wie allgemein bekannt ist, sitzen zur Zeit fünf Helden der Republik Cuba in verschiedenen Hochsicherheits-Bundesgefängnissen in den Vereinigten Staaten ein, wo sie Freiheitsstrafen verbüßen, die sich zwischen 15 Jahren und zweimal Lebenslänglich bewegen, und zwar wegen angeblicher Delikte gegen die Vereinigten Staaten, die in einem hoch politisierten Prozeß, dessen Opfer sie vor dem Bundesgericht in Miami geworden sind, niemals bewiesen wurden. Was wir jetzt aber der internationalen juristischen Gemeinschaft und der öffentlichen Meinung mitteilen möchten, ist etwas anderes, nämlich die Willkürlichkeit, unter der die Familien von zwei der fünf genannten Gefangenen zur Zeit zu leiden haben, denen man das elementare Recht verweigert hat, ihre Ehemänner bzw. ihren Vater zu besuchen. Frau Olga Salanueva, Ehefrau des Gefangenen René Gonzalez, hat unbeschreibliche Schikanen und Verletzungen der elementarsten Menschenrechte erduldet. Vor allem hat man verhindert, daß sie ihren Ehemann besuchen konnte, als dieser 1998 festgenommen wurde. Nach vielen Bemühungen des Rechtsanwalts Philip Horowitz gelang es, ein Treffen zwischen Vater und Tochter zu arrangieren, das unter den deprimierenden Bedingungen stattfand, daß René, während der wenigen Minuten, die er mit seiner Tochter verbringen konnte, mit Handschellen an einen Stuhl gefesselt blieb; die Tochter war damals erst vier Monate alt. Es war das erste Mal, daß dieses Mädchen seinen Vater in den acht Monaten seit der Festnahme sehen durfte. Es war das einzige Mal, daß er sie während der 17 Monate sehen durfte, die er in der Special House Unit in Einzelhaft war. Wenn all das vorstehend Geschilderte noch gering war, so kam es dann noch schlimmer: das Büro des Staatsanwalts des Bezirks Süd-Florida schlug René im August 2000, drei Monate vor Prozeßbeginn gegen ihn, ein Schuldeingeständnis in den Anklagepunkten vor, damit im Gegenzug - beschämenderweise - seine Ehefrau nicht ausgewiesen würde. Als der Angeklagte diesen herabsetzende und unwürdigen "Vergleich" ablehnte, verhaftete die Einwanderungsbehörde Olga Salanueva am 16. August 2000. Sie wurde von FBI-Agenten wie eine Gefangene abgeführt, um ein Treffen mit ihrem Ehemann im Bundeszentralgefängnis in Miami zu arrangieren, wo man dem Angeklagten eine letzte Möglichkeit gab, den Vorschlag der Regierung zu überdenken. Als dieser erneut - würdevoll und mutig - abgelehnt wurde, leitete die Einwanderungsbehörde ein Abschiebungsverfahren gegen Olga Salanueva ein. Dieses Verfahren gipfelte in ihrer endgültigen Abschiebung nach Cuba Ende Oktober 2000. Als Konsequenz dieser Ausweisung sah sich die Mutter der minderjährigen Ivette González gezwungen, mit ihrer Tochter nach Cuba zurückzukehren, mit der weiteren Folge, daß der persönliche Kontakt des Mädchens mit dem Vater nicht mehr möglich war, weil seine Mutter in der Folgezeit nicht mehr in die Vereinigten Staaten einreisen durfte. Es bleibt festzustellen, daß sowohl René Gonzalez als auch seine Tochter Ivette nordamerikanische Staatsbürger sind, was allerdings nicht zur Folge hatte, daß beider elementare Rechte respektiert würden. Seitdem hat man bei verschiedenen Gelegenheiten Olga Salanueva das Visum für einen Besuch ihres Ehemannes im Gefängnis verweigert. Frau Adriana Pérez O’Connor hingegen, Ehefrau von Gerardo Hernández Nordelo, erhielt zwar ein Visum zum Besuch ihres Mannes im Gefängnis. Aber als sie am 25. Juli. 2002 um 10.30 Uhr (Ortszeit von Havanna) auf dem internationalen Flughafen von Houston, Texas, ankam, um nach Los Angeles, Kalifornien, weiterzureisen, wurde sie willkürlicherweise, grundlos vom FBI festgenommen, isoliert, registriert, erfaßt, photographiert und verhört, so als wäre sie eine gewöhnliche Delinquentin. Dabei enthielt man ihr die Möglichkeit vor, sich mit dem cubanischen Konsul in Verbindung zu setzen und ihm von dieser willkürlichen Verhaftung zu berichten, und das alles unbeschadet der Tatsache, daß sie von einem diplomatischen Beamten der cubanischen Interessenvertretung in Washington begleitet wurde. Dieser cubanische diplomatische Beamte wurde unter Drohungen gezwungen sich zurückzuziehen; er wurde von fünf bewaffneten Männer des INS trotz seiner Weigerung, Frau Pérez O’Connor im Stich zu lassen, von ihr getrennt. Diese wahrhaftig nicht normale und willkürliche Situation endete erst elf Stunden später, als man Frau Pérez O’Connor zur Rückreise mit einem Flug nach Mexico zwang. Diese Maßnahmen, die man nüchtern und sachlich als wirklich und wahrhaftig brutal klassifizieren kann, können tatsächlich nur den einzigen Zweck gehabt haben, beiden Gefangenen zusätzliches Leiden zuzufügen, und das während der heiklen Momente, als man die Berufung vor dem Gericht des Elften Bezirk von Atlanta gegen die ergangenen Urteile vorbereitete. Aber unabhängig von diesen Überlegungen möchten die Vereinigung der Juristen Cubas und die cubanischen Gesellschaften für Strafrechtswissenschaften und für Zivil- und Familienrecht im folgenden darlegen, daß diese Methoden flagrante Verletzungen der verfassungsmäßigen Normen der Vereinigten Staaten selbst sowie der Prinzipien und Instrumente der Vereinten Nationen und schutzwürdiger Menschenrechte darstellen. Vor allem das VIII. Amendment zur nordamerikanischen Verfassung, das 1791 angenommen wurde und das ein Teil der Bill of Rights ist, erklärt, daß "grausame und unübliche Strafen" verboten sind. Einige internationale juristische Instrumente haben inzwischen Licht auf die Reichweite geworfen, die in unserer heutigen Zivilisation und unserer westlichen Welt einige juristische Konzepte und Kategorien erworben haben, wie die, die sich auf Strafen beziehen, die zutreffenderweise als grausam und unüblich zu qualifizieren sind. In diesem Sinne wird die Natur der grausamen Strafe im Licht der internationalen Normen über den Schutz der Personen vor Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlungen oder Strafen klar. In der (UN-)Erklärung über den Schutz aller Personen vor Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlungen oder Strafe, von der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 9. Dezember 1975 mit der Resolution 3452 (XXX) angenommen, wird in deren erstem Artikel statuiert, daß als Folter betrachtet und in der Folge als grausame Strafe qualifiziert werden muß: "jede Handlung ..., durch die einer Person von einem Träger staatlicher Gewalt oder auf dessen Veranlassung hin vorsätzlich starke körperliche oder geistig-seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden ....." Es ist unzweifelhaft, daß es eine brutale physische, moralische und seelische Folter für eine Person darstellt, des Kontakts mit seiner Ehefrau und seinen Kindern beraubt zu sein, ohne Hoffnung zu haben, diesen innerhalb von 15 Jahren Freiheitsentzugs oder während des ganzen Lebens im Falle der lebenslänglichen Strafen erhalten zu können. Trotzdem scheint es so, daß die nordamerikanischen Behörden das Leiden der zwei Gefangenen, die sie des Kontakts mit ihren nächsten Angehörigen beraubt haben, nicht in dieser Weise sehen. Aber das internationale Recht läßt insoweit keinen Zweifel zu, weil Art. 2 der Erklärung über den Schutz aller Personen vor Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder herabsetzender Behandlung oder Strafe nachdrücklich bestimmt:: "Jede Folterung oder jedwede andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe ist eine Verstoß gegen die Menschenwürde und als Verleugnung der Charta der Vereinten Nationen sowie als Verletzung der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verkündeten Menschenrechte und Grundfreiheiten zu verurteilen." Und im Ergebnis bestimmt Absatz 1 des Art. 23 des Internationalen Paktes über bürgerliche und zivile Rechte, der durch die Vereinigten Staaten ratifiziert worden ist, klar und eindeutig "Die Familie ist das natürliche und grundlegende Element der Gesellschaft und hat das Recht auf Schutz durch die Gesellschaft und den Staat." Dieses kategorische und allgemeine Gebot war Gegenstand bedeutsamer Auslegungen und Erläuterungen durch das Menschenrechtskomitee insbesondere in seiner siebten Sitzungsperiode im Jahre 1986. Ganz besonders wurde in dessen Allgemeinem Kommentar Nr. 15, der wichtige Erläuterungen über: "Die Stellung der Ausländer unter der Geltung des Paktes", enthält, in Ziffer 1 betont, daß die in dem Pakt statuierten Rechte "alle Individuen auf ihrem Staatsgebiet (dem des Unterzeichnerstaates) und Subjekte ihrer Gerichtsbarkeit" erfaßt.. Es ist selbstverständlich, daß diese Rechte allen Personen zustehen, unabhängig von Kriterien der Gegenseitigkeit, der Nationalität oder Fehlens derselben beim Betroffenen.. Hier indessen liegt der Fall so, daß in der Situation, die wir hier ansprechen, René Gonzalez und seine Tochter, die direkt durch die dargestellten willkürlichen Maßnahmen betroffen sind, beide nordamerikanische Staatsbürger sind. Falls jemand dahingehend argumentiert, daß die Erteilung von Visa oder Einreiseerlaubnissen in ein Land dessen souveränes Recht ist und daß über selbige keine Beschränkungen verhängt werden könnten, ist es nötig, daran zu erinnern, daß in den Erläuterungen des Menschenrechtskomitees, die wir gerade analysierten, in deren Absatz 5 anerkannt wird, daß jeder Staat tatsächlich selbstverantwortlich entscheidet, wer in sein Staatsgebiet einreisen kann, daß aber im Folgenden auch mit absoluter Klarheit festgestellt wird, daß einem Ausländer der Schutz des Abkommens zusteht, wenn Fragen in Rede stehen oder "zu Tage treten", die sich auf: "Nicht-Diskriminierung, unmenschliche Behandlung und Achtung des Familienlebens" beziehen. Sofern das Vorherige noch nicht ausreichen sollte: das Komitee stellte in der Allgemeinen Erläuterung 21 der 44. Sitzungsperiode 1992 in besonderer Weise für die Fälle von Personen unter Freiheitsentzug fest, daß diese Personen: "... nicht nur von jeglicher gegen die Bestimmung des Art. 7 verstoßenden Behandlung ausgenommen sein sollen, sondern daß man sie auch nicht einer Strafe oder irgendeiner Einschränkung unterziehen darf, die nicht aus besagtem Freiheitsentzug resultiert; man hat die Achtung der Würde besagter Personen unter denselben Bedingungen zu garantieren, wie sie Personen in Freiheit garantiert werden." In Ziffer 4 derselben Erläuterung heißt es mit gleicher Klarheit: "Die Behandlung aller Personen, die ihrer Freiheit beraubt sind, mit Menschlichkeit und Achtung ihrer Würde ist ein grundlegendes und universell gültiges Gebot", um mit der Bekräftigung fortzufahren, daß dieses Gebot ohne irgendeine Art von Unterschieden bezüglich: "Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder anderer Meinung, nationaler oder gesellschaftlicher Herkunft, Eigentum, Geburt oder anderer Bedingungen", anzuwenden ist. Der Grundsatzkatalog für den Schutz aller irgendeiner Form von Haft oder Strafgefangenschaft unterworfenen Personen stellt in seinem Art. 19 klar : "Jede verhaftete Person oder Person im Gefängnis soll das Recht haben, Besuch zu empfangen und Kontakt, vor allem mit Familienmitgliedern zu unterhalten." In ebendiesem Sinne bestimmen die zitierten Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen in Regel 37, daß: "man den Gefangenen erlauben soll, unter der notwendigen Überwachung, mit ihren Verwandten und nahestehenden Freunden in regelmäßigen Zeiträumen in Verbindung zu bleiben, und zwar sowohl durch Korrespondenz wie auch durch Besuche." Die Kommunikation der minderjährigen Tochter von René Gonzalez mit ihrem Vater zu ver- und behindern, verletzt sowohl die Erklärung als auch die Konvention über die Rechte des Kindes. Sowohl nach der erwähnten, durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen mit ihrer Resolution 1386 (XIV) vom 20.November 1959 angenommenen Erklärung, als auch nach der Konvention – besonderes nach letzterer- , steht nach dem Wortlaut des Absatzes 3 des Art. 9 fest, daß in keinem Fall der regelmäßige Kontakt des Kindes mit seinen Eltern behindert werden darf, wogegen im Fall der Tochter des Angeklagten René González gröblich verstoßen wurde. Auf diese Weise, mit dieser willkürlichen, grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung verletzen die nordamerikanischen Behörden flagrant und brutal den VIII. Verfassungszusatz, verletzen die UN-Konvention gegen Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, die UN-Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen, und indem sie das tun, verletzen sie zugleich die Ziele der Charta der Vereinten Nationen und die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte proklamierten Menschenrechte. Nach allem rufen die Nationale Vereinigung der Juristen Cubas und die Cubanischen Gesellschaften für Strafrechtswissenschaften und für Zivil- und Familienrecht die internationale Gemeinschaft auf, insbesondere die juristische Gemeinschaft in aller Welt und in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, ihre Stimmen zu erheben und eine breite Mobilisierung herbeizuführen, um die verletzten Rechte der Ehefrau und der Tochter von René Gonzalez sowie der Ehefrau von Gerardo Hernández wiederherzustellen. Diese Beschwerde, die das Wesen der Menschenwürde und die teuersten Ideale der Gerechtigkeit und die wesentlichsten Werte in den Grundlagen der Menschenrechte betrifft, überschreitet den Rahmen der einen oder anderen politischen Überlegungen, des einen oder anderen Glaubensbekenntnisses oder der einen oder anderen Ideologie und fordert, daß man die Gerechtigkeit wiederherstellt und die willkürliche und schmerzliche Situation beendet, wie wir sie aufgezeigt haben. Die Politisierung, der Groll, der Haß und andere niedrigen Gefühle, die den Prozeß gegen die fünf cubanischen Patrioten getrübt haben, richten sich jetzt mit voller Wut gegen ihre Ehefrauen und die Tochter von zweien von ihnen. Wir beschwören die internationale Gemeinschaft, dazu beizutragen, daß diese Situation nicht länger fortdauert.. Havanna, den 10. Juni .2003
Nationale Vorstände der Nationalen Juristenvereinigung Cubas
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