ND vom 03.06.03
Kuba
"Wir leben nicht in friedlichen Zeiten"
Der Vizepräsident des kubanischen Parlaments, Jaime Crombet, ist derzeit auf Deutschland-Besuch. Am Wochenende nahm er an der Festveranstaltung zum zehnjährigen Bestehen des "Netzwerks Cuba" teil. ND: Sie haben am Wochenende auf der Bundesversammlung der Kuba-Solidarität in Berlin gesprochen. Welche Bedeutung hat die europäische Kuba-Solidarität aus Ihrer Sicht? Crombet: Priorität hat für uns derzeit der Kampf für die Freilassung der fünf kubanischen Gefangenen in den USA, der so genannten Miami Five. Nicht nur weil sie in Isolationshaft gefangen gehalten werden und man ihnen die elementaren Menschenrechte verweigert, sondern vor allem, weil sie gegen den Terrorismus aus den USA gearbeitet haben. Darüber hinaus ist die Solidarität mit Kuba aber zu einer prinzipiellen politischen Frage geworden, die zumindest in Lateinamerika immer häufiger für politischen Zündstoff sorgt. Die Menschen wissen, dass Kuba – mit all seinen Fehlern – für eine andere Welt und ein anderes Gesellschaftsmodell steht. Insofern ist der Einsatz für Kuba auch ein symbolischer Kampf gegen den Neoliberalismus insgesamt. Außerdem hoffen wir als Kubaner auch ein Beispiel von Solidarität geben zu können. Zur Zeit sind 4000 Ärzte in 18 der ärmsten Länder der Welt tätig, 14000 ausländische Studenten werden – unentgeltlich – in Kuba vor allem in Medizin ausgebildet. Der US-amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wollte jüngst eine Invasion in Kuba nicht mehr ausschließen. Präsident Fidel Castro sprach am 1.Mai deutlich wie nie zuvor von einer Kriegsgefahr durch die Bush-Regierung. Wie ernst nimmt Kuba die Androhungen? Sehr ernst. Es ist klar, dass die Bush-Regierung, die durch Wahlbetrug an die Macht kam, dies nur geschafft hat, weil sie von sehr einflussreichen Lobbys unterstützt wurde. Das große reaktionäre Potenzial in Miami will jetzt ausbezahlt werden. Dies sehen wir auch an der Ernennung vieler erklärter Feinde der kubanischen Revolution wie beispielsweise des Rechtsextremen Otto Reich zum Staatssekretär für Lateinamerika. Auch James Cason als Leiter der Interessenvertretung in Havanna arbeitet offen daran, die kubanische Revolution zu zerstören. Sie versuchen, sowohl durch interne Subversion mit Hilfe von aus den USA bezahlten Nichtregierungsorganisationen als auch durch direkte Provokation den Vorwand für eine Intervention zu schaffen. Bei der Entführungswelle in unserem Land im März dieses Jahres hatte man zwei Flugzeugentführer gegen Kaution in Miami wieder freigelassen. Gleichzeitig teilte das USA-Außenministerium unserer Interessenvertretung mit, die nächste Entführung würde als Bedrohung der nationalen Sicherheit gewertet werden. Deutliche Botschaften also. Darauf müssen wir sehr entschieden reagieren. Was bedeutet das? Es muss klar sein, dass es Kuba überhaupt nur noch gibt, weil die Kubaner eine enorme Widerstandskraft haben. Ohne sie hätten wir 44 Jahre der Aggression aus dem Norden, eine militärischen Invasion (Schweinebucht 1962) und etwa 15 andere großkalibrige Manöver, denen 3000 Menschen zum Opfer fielen, sowie eine völkerrechtswidrige Blockade nicht überstehen können. Natürlich werden auch Vorbereitungen im Militärischen getroffen. Doch die eigentliche Kraft Kubas besteht nicht in den Waffen, sondern in der Unterstützung durch die Bevölkerung. Die US-amerikanischen Hightech-Waffen könnten viel zerstören. Sie werden aber einen sehr hohen Preis dafür zahlen. Welche politischen Diskussionen haben Sie als Vizepräsident des Parlaments zu den jüngsten Ereignissen geführt? Ihre Kollegen in der EU haben beispielsweise in einer gesonderten Sitzung über die Dissidentenverhaftung im März beraten. Das weiß ich und denke, dass viele von ihnen dabei eine rein ideologische Position vertraten und sich ähnlich wie beim Irak-Krieg keine andere Meinung als die der USA erlaubt haben. Trotzdem stehen wir mit vielen Parlamentariern im Dialog. In einigen Ländern wie Spanien beispielsweise haben wir aufgrund der reaktionären Positionen der Zentralregierung unter Aznar mehr Kontakt zu den Regionalregierungen. Im kubanischen Parlament wird es demnächst auch eine Debatte zu der neuen Bedrohung geben. Dort wurde in der Vergangenheit übrigens über die Abschaffung der Todesstrafe diskutiert und es gab viele, unter ihnen auch Fidel Castro, die dafür waren. Am Ende jedoch kam man zu der Einschätzung, dass Kuba angesichts der angespannten Lage und der äußerlichen Bedrohung sich diese Strafe als letztes Mittel für Extremfälle bewahren muss. Leider leben wir nicht in gänzlich friedlichen Zeiten. Fragen: Rainer Schultz
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