Terror gegen Kuba
Erzählungen kubanischer Autoren über 40 Jahre blutige Attaken gegen das Castro-Regime
Von Peter B. Schumann, Am Mikrophon: Karin Beindorff Seit dem gewaltsamen Sturz des mit den USA eng verbundenen Regimes des Diktators Fulgencio Batista am 1. Januar 1959 durch Fidel Castros Guerilla herrscht zwischen den beiden ungleichen Ländern ein verdeckter Krieg. In der zweigeteilten Welt des Kalten Krieges verbündete sich Kuba mit der UdSSR, und nach deren Zusammenbruch verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage auf der Karibikinsel zusehends. Den USA kam das sehr gelegen, der wirtschaftliche und politische Druck auf die kommunistische Führung unter Fidel Castro stieg, der seinerseits die politische Unterdrückung der eigenen Bevölkerung verschärfte. Auch alte Weggefährten Castros wurden nun zu scharfen Kritikern. Die Speerspitze des US-amerikanischen Kleinkrieges gegen das kommunistische Kuba waren und sind fanatisch-antikommunistische Exilkubaner, die sich meistens im Bundesstaat Florida angesiedelt haben: Seit mehr als vier Jahrzehnten haben extrem rechtsgerichtete Exil-Kubaner von Miami aus Anschläge gegen Kuba ausgeführt. Diese Angriffe haben viele Menschenleben gekostet, Tausende verletzt und verstümmelt und Sachschäden in Höhe von vielen Millionen US-Dollar verursacht. Schreibt der US-amerikanische Bürgerrechtsanwalt Leonard Weinglass in seinem Nachwort zu "Narben in der Erinnerung". Weinglass schildert darin den Fall der sog. Cuban 5, von fünf Kubanern, die in Florida solche Terrorangriffe recherchieren wollten und stattdessen selbst verhaftet und zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden, während die exilkubanischen Attentäter nicht nur frei ausgingen, sondern ihre Anschläge offensichtlich von der Regierung in Washington geduldet und gefördert wurde. Das Buch stellt Erzählungen kubanischer Autoren über vier Jahrzehnte "Terrorismus gegen Kuba" zusammen. Peter B. Schumann hat es für uns gelesen. Ein seltsames politisches Dokument ist diese Anthologie von "Erzählungen über vier Jahrzehnte Terrorismus gegen Kuba". 18 meist wenig bekannte kubanische Schriftsteller beschäftigen sich darin mit einigen der blutigsten Attacken, die von militanten Gruppierungen ultrarechter Exilorganisationen in Miami unternommen wurden. Sie begannen schon früh mit ihren Versuchen, die Revolution durch Sabotage zu destabilisieren. Im März 1960 flog das französische Schiff "La Coubre" im Hafen von Havanna in die Luft, als eine Ladung Munition gelöscht wurde. Im Oktober 1976 explodierte eine Linienmaschine der "Cubana" kurz nach dem Start in Barbados. 1981 brach gleichzeitig an mehreren, weit von einander entfernten Orten das oft tödlich verlaufende Dengue-Fieber aus. 1997 wurden mehrere Sprengstoffanschläge gegen touristische Einrichtungen in Havanna verübt. Hinzu kamen zahllose Brandstiftungen, Zerstörungen von Fischerbooten, Beschießungen vom Meer aus. Insgesamt haben diese terroristischen Akte 3.478 Kubaner das Leben gekostet und bei 2.099 zu Verstümmelungen geführt - wie Roberto Fernández Retamar in seinem Vorwort festhält. Deshalb wollen diese Erzählungen darauf aufmerksam machen, wie sehr Kuba gezwungen ist, sich gegen den Terrorismus zu verteidigen, den es nicht nur an einem einsamen und bitteren Septembertag erlitten hat, sondern ununterbrochen seit bereits mehr als 40 Jahren. Doch das ist nicht der eigentliche Anlass des Bandes. Der Verlag wirbt mit einem US-amerikanischen Justizskandal um das Interesse für diese "Narben in der Erinnerung". Sein Ausgangspunkt ist eine "Heldentat", die Retamar, ein namhafter Schriftsteller und Spitzenfunktionär, im Vorwort so formuliert: Ein einzigartiges Beispiel für das Wahrnehmen unserer Verteidigungsaufgaben boten die fünf kubanischen Patrioten, die in den USA gefangen gehalten werden. Sie sind zu unglaublich hohen Strafen verurteilt worden, weil ihnen vorgeworfen wird, im US-Bundesstaat Florida ansässige Gruppen infiltriert zu haben, die von dort aus terroristische Akte gegen Kuba mit Billigung der US-Behörden planten. Das Schicksal der Fünf ist ein Beispiel US-amerikanischer Willkür-Justiz. Während jedoch die Medien ausführlich über die Foltermethoden von US-Militärs in irakischen Gefängnissen oder im Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba berichtet haben, ist dieser Fall bisher über die Organisationen der Solidarität mit Kuba hinaus nicht bekannt geworden. Der New Yorker Bürgerrechtsanwalt Leonard Weinglass schildert nun in einem Nachwort, wie die sog. Cuban Five mit ihrer Aktion Kuba schützen wollten. Sie reisten in die USA ein, allerdings nicht mit Waffen oder Bomben, sondern mit Mut und Intelligenz ausgestattet, um die Extremisten-Gruppen zu infiltrieren und die kubanischen Behörden vor deren hinterhältigen Plänen und bevorstehenden Aktivitäten zu warnen. Das Material, das sie zusammentrugen, wurde Teil eines ausführlichen Berichts, den die kubanische Regierung FBI-Beamten überreichte. Als entsprechende Schritte ausblieben, wurden Kopien der vierbändigen Informationen der 'New York Times' zugeleitet. Doch nichts davon veröffentlichte sie. Im Gegenteil: Die Fünf wurden verhaftet und im September 1998 zunächst wegen Spionage und später sogar wegen "Verschwörung zum Mord" angeklagt. Die Behörden beschränkten außerdem die Möglichkeiten der Rechtsanwälte "aus Sicherheitsgründen" derart, dass eine ordentliche Verteidigung nicht möglich war. Obwohl der Prozess sieben Monate dauerte, mehr als 70 Zeugen vernommen und Tausende von Dokumenten vorgelegt wurden, sprach das Gericht die Fünf in allen 26 Anklagepunkten schuldig. Drei von ihnen erhielten lebenslänglich, die anderen beiden 19 und 15 Jahre Haft. Im Anschluss an die Verurteilung wurden sie auf fünf verschiedene Gefängnisse verteilt, die so weit wie möglich voneinander entfernt lagen. Als ihr Fall im März 2003 vor die nächst höhere Berufungsinstanz gehen sollte, wurden alle Fünf gleichzeitig in Isolationszellen gesteckt, die sonst nur für gewalttätige Gefangene vorgesehen sind. Nach Angaben der Gefängnisverwaltung geschah das "auf Weisung aus Washington". Erst nach internationalen Protesten, u.a. von Mitgliedern des Kongresses der USA, erhielten die Fünf ihren regulären Gefangenenstatus zurück. Ein weiterer gravierender Fall von Rechtsbeugung durch Justiz und Regierung der USA. Nur: Warum wird dieser Skandal und eigentliche Anlass der Anthologie nicht ausführlicher als auf 3 ½ Seiten dokumentiert? Es gibt Erzählungen, die 30 Seiten benötigen, um einen einzigen dramatischen Terrorakt zu beschreiben. Warum hat sich keiner der vielen Autoren des Bandes dieses unglaublichen Justizskandals angenommen? Die meisten Erzählungen wurden ganz offensichtlich speziell für dieses Buch geschrieben und das Werk erst Anfang 2003 abgeschlossen, als die Fakten längst bekannt waren. Und dann kann ich - bei allem Interesse an diesem Band und seinen nicht selten bewegenden Texten - eine Parallele nicht übersehen, die sich bei der Lektüre des Nachworts einstellt: Der Prozess gegen "die fünf kubanischen Patrioten" - wie Retamar diese "Cuban 5" nennt - erinnert mich sehr an die Verfahren gegen die 75 Dissidenten, die im März 2003 in Kuba stattfanden. Die Anklage warf vielen von ihnen Spionage für die USA und eine Fülle weiterer angeblicher Delikte vor, damit sie zu drastischen Strafen von 20 bis 27 Jahren Haft verurteilt werden konnten. Zwar waren sie Kritiker des Regimes, gegen die ein Exempel statuiert werden sollte, aber auch ihre Verteidigung war eine Farce, denn das Urteil stand von vornherein fest. Diese Häftlinge wurden ebenfalls auf mehrere Gefängnisse der Insel verteilt, und zwar möglichst weit entfernt von ihren Angehörigen. Und viele von ihnen - wie der inzwischen frei gelassene Poet Raúl Rivero - wurden monatelang in Isolationshaft gehalten. Auch das ist eine "Narbe in der Erinnerung", die den Terror der USA gegen Kuba und ihre Willkürjustiz nicht verkleinert, die jedoch niemand vergessen sollte, der diesen Band liest. Peter B. Schumann besprach "Narben in der Erinnerung", von Miguel Mejides, Juan Carlos Rodriguez, Marta Rojas u.a. aus dem Atlantik Verlag, übersetzt von Almuth Intemann und Harald Piotrowski. Es hat 218 Seiten und kostet 18 Euro. Nachzutragen ist, dass am 9. August ein Berufungsgericht in Atlanta die Urteile gegen die Cuban 5 aufgehoben und dabei festgestellt hat, dass die Verhandlung unfair war. Nun soll in Miami der Prozess neu aufgerollt werden. Die Proteste scheinen also Wirkung gezeigt zu haben.
Miguel Mejides, Juan Carlos Rodriguez, Marta Rojas u.a.: Narben in der Erinnerung |