Los Angeles Times, 5. September 2005

Der Fall der kubanischen Spione stürzt die USA in ein Dilemma

Die Regierung muss entscheiden, ob sich der Aufwand lohnt, die fünf Männer, deren Verurteilung für ungültig erklärt wurde, erneut anzuklagen.

Von Carol J. Williams, angestellte Journalistin der Times

MIAMI - In Kuba kennt man sie als die "Fünf Helden" und ihre Gesichter, ihre Namen und die Details ihres siebenjährigen Justizdramas kennt jedes Schulkind und jeder Zuckerschneider auf der ganzen kommunistischen Insel.
Die Cuban Five, wie man sie in den USA nennt, waren vor vier Jahren hier in Miami wegen Spionage für Präsident Fidel Castro verurteilt und mit Gefängnisstrafen von 15 Jahren bis lebenslänglich in Hochsicherheits-Gefängnissen belegt worden. Die Reaktion der Kubaner ist vergleichbar mit der kollektiven Wut, mit der sie 2000 die Rückkehr des schiffbrüchigen Elián González forderten.
Seit ein Bundesberufungsgericht die Verurteilungen des Quintetts wegen Spionage, mit der Begründung, ihr Gerichtsort sei mit Anti-Castro-Vorurteilen verseucht, für ungültig erklärt hat, muss die US-Regierung entscheiden, ob sie ein neues Verfahren fordert.
Der Fall ist eine der umstrittensten Fragen zwischen Washington und Havanna seit die fünf 1998 verhaftet wurden. Die Männer gaben zu, kubanische Agenten zu sein, behaupteten aber immer, sie hätten nur Informationen über radikale und zeitweilig gewalttätige Exilgruppen gesammelt, um Castro und ihre kubanische Heimat zu schützen.
US-Staatsanwälte, die behaupten, die fünf würden Desinformationen verbreiten, wären eine Bedrohung für Exilanten und hätten versucht, Militärgeheimnisse zu stehlen, da einer der Männer als Arbeiter auf einer Militärbasis in Key West tätig gewesen war, setzten 2001 ihre Verurteilung durch.
Das Bundesgericht von Miami befand den angeblichen Chef des Ringes Gerardo Hernández außerdem des Mordkomplotts schuldig, basierend auf der Behauptung, er habe Havana mit Informationen beliefert, was zum Tod von vier Exilkubanern geführt habe, die 1996 in internationalem Luftraum von kubanischen MIGs abgeschossen worden waren.
Laut Meinung von sachkundigen Bürgern, darunter sogar die schärfsten Kritiker Castros hier, könnten die fünf, wenn nicht neu gegen sie verhandelt wird, stattdessen nach Havanna ausgewiesen oder gegen US-Flüchtlinge ausgetauscht werden, die seit langem in Kuba Zuflucht gefunden haben, sagen ihre Anwälte und Außenpolitkanalysten.
"Gegen die Aufhebung der Urteile von Hernández, Antonio Guerrero, Fernando González, Ramón Labañino und René González durch den 11th Circuit Court of Appeals kann auch vor eben diesem Gericht Berufung eingelegt werden," sagte Alicia Valle, Sprecherin des US-Anwaltsbüros in Miami. Sie lehnte es ab, zu verraten, wie die Staatsanwaltschaft vorgehen werde.
Letzte Woche hatten Nobelpreisträger und Intellektuelle, darunter auch Desmond Tuto und Noam Chomsky, einen Brief an die US-Regierung geschickt, in dem die Freilassung der fünf Männer gefordert wird.
Castro nutze seinen 79. Geburtstag, um die Familie von Hernández zu besuchen, der zufälligerweise seine Frau aus seiner Haft in einem US-Gefängnis anrief, als sich Castro in seiner [Hernández'] Wohnung befand.
"Das beste was sie tun könnten, wäre es, euch freizulassen," sagte Castro, laut anwesender kubanischer Reporter, dem Gefangen. Außerdem wies Castro darauf hin, dass ein Wiederaufnahmeverfahren für die USA peinlich werden könnte, weil es der Verteidigung erlaubte, Beweise für die [US]-amerikanische Unterstützung des Terrorismus gegen Kuba vorzulegen, und spielte dabei auf den Fall von Luis Posada Carriles an, einem radikalen anti-Castro-Exilanten, der beschuldigt wird, ein kubanisches Flugzeug in die Luft gejagt zu haben.
Die US-Einwanderungsbehörden hatten Posada im Mai verhaftet und klagen ihn an, zwei Monate vorher illegal das Land betreten zu haben. Er bleibt in einer Einrichtung in El Paso in Haft, wo er ein Gerichtsurteil erwartet, ob er an Venezuela ausgeliefert wird, wo ihn ein Gerichtsverfahren wegen der Sprengung des Flugzeuges erwartet, die angeblich in Caracas geplant worden war.
Castro nennt die Monate der Unentschlossenheit über die Auslieferung einen Beweis für die Scheinheiligkeit Washingtons in seinem globalen Krieg gegen den Terrorismus. Der 77-jährige Posada war in Panama in Zusammenhang mit einem Attentatsversuch gegen Castro 2000 von einem Geschworenengericht verurteilt worden, wurde aber vor einem Jahr von der scheidenden Präsidentin Mireya Moscoso befreit, in einer Aktion, von der Castro behauptet, sie sei vom Weißen Haus inszeniert worden.
Einige Kubakenner sagen voraus, dass die USA die Entscheidung des Berufungsgerichtes wahrscheinlich nicht dazu nutzen werden, die Beziehungen zu Havanna zu verbessern. Seit Washington vor zwei Jahren die halbjährigen Migrations-Verhandlungen mit Kuba ausgesetzt hat, gibt es kein Forum mehr für offizielle Kontakte oder Dialoge zwischen den beiden Ländern.
Die Pressesprecherin des FBI, Judy Orihuela, sagte, die Behörde unterhalte weder eine formale Liste mit in Kuba vermuteten Flüchtlingen noch habe sie irgendwelche Auslieferungsanträge gestellt.
Der Zivilrechtsanwalt Leonard Weinglass, der Guerrero, einen der zu lebenslänglich verurteilten, vertritt sagte, das Justizministerium habe eine dreißigtägige Verlängerung der normalerweise 21 Tage andauernden Bedenkzeit erbeten, in der eine neuerliche Erörterung der Entscheidung vom Gericht erbeten werden kann.
Darauf hinweisend, dass keine geheimen Dokumente in dem Fall gegen die Fünf wegen Nichregistrierung als Agenten vorkamen, sagte Weinglass, er sei überzeugt davon, dass die Staatsanwälte "heimlich eingesehen" hätten, wie schwach ihre Sache dasteht und dass die Urteile an einem neutraleren Ort anders ausgefallen wären.
"Es hat noch nie eine 93-Seiten umfassende Entscheidung über die Wahl des falschen Gerichtsortes gegeben," sagte Weinglass zum Berufungsurteil. "Jeder Jurist würde sagen, dass man dieses Urteil nicht revidieren kann."
Kubabeobachter des Rates für Hemisphärische Angelegenheiten behaupten, die Bush-Administration sei darauf aus, den status quo der totalen Abkopplung zu erhalten, in der Hoffnung Castro zu untergraben, der seit fast einem halben Jahrhundert an der Macht ist.
Larry Birns, Direktor einer Washingtoner Denkfabrik, sagte, er habe sich nach der Entscheidung des Berufungsgerichtes vom 9. August mit drei kubanischen Diplomaten getroffen und "dabei kam das Thema über eine politische Abmachung oder der gemeinsamen Entlassung von Leuten auf. Sie sind extrem dazu geneigt, über eine Lösung dieses Problems zu verhandeln."
Unter den US-Flüchtlingen, die seit langer Zeit in Kuba sind, befindet sich der Bankier Robert Vesco, die verurteilte Polizistenmörderin und Black-Power Mitglied Joanne Chesimard [Assata Shakur Anm. d. Ü.] und einer der zehn vom FBI meistgesuchten Männer, Victor Gerena, gesucht in Zusammenhang mit einem 7 Millionen US$ Raubüberfall mit Geiselnahme 1983 in Connecticut. Man glaubt, dass mindestens 70 verdächtige Kriminelle in Kuba Zuflucht gesucht haben.
Aber Birns bezweifelt, dass sich irgend eine solche Lösung abzeichnet.
"Diese Sache ist so durchsetzt von Ideologie und Innenpolitik, dass selbst dann, wenn sich ein zwingender rationaler Weg für eine Lösung ergäbe, die Vereinigten Staaten nicht bereit wären, irgendetwas zu tun, was Kuba als etwas anderes darstellen würde, als eine Nation von Ungeheuern," sagte der Direktor der linkslastigen Denkfabrik.
Der langjährige Castro-Kritiker Joe García und frühere Leiter der Cuban-American National Foundation [Kubanisch-Amerikanische Nationalstiftung] glaubt, dass die US-Regierung eine neue Verurteilung betreiben wird, obwohl die Cuban Five keine Bedrohung für die Sicherheit der USA darstellten und nur von begrenzter symbolischer Bedeutung seien, weil die meisten US-Amerikaner außerhalb Miamis mit seinen vielen kubanischen Exilanten überhaupt nichts von ihnen wüssten.
"Es ist in dieser Phase unmöglich, sie auch nur zu deportieren," sagte Garcia, der heute Berater der Demokratischen Partei ist. "Die Rückkehr dieser Leute wäre ein Sieg für Fidel."
Die Bush-Administration könne auch versuchen, die Cuban Five gegen das Versprechen Castros auszutauschen, Dutzende von Dissidenten und Journalisten aus den Gefängnissen in Kuba zu entlassen, sagte García. Aber eine solche Aktion würde auf die kubanische Opposition zurückfallen, weil sie so in Zusammenhang mit der US-Regierung gebracht würde, fügte er hinzu, und damit Castros Behauptung, seine einheimischen Kritiker seien bezahlte Lakaien Washingtons, bestätigen.
Darüber hinaus wäre Castro nicht bereit einen prominenten US-Flüchtling aufzugeben, sagte García. Vesco sitzt in Kuba wegen Konspiration im Gefängnis und weiß zuviel über Aktionen der kubanischen Regierung, als dass man ihm trauen könnte, sagte García, und es wäre politisch schwierig Chesimard oder andere Black-Power-Radikale, die in den Vereinigten Staaten wegen Mordes gesucht werden, auszuliefern.
"Joanne Chesimard ist ein Symbol in Kuba. Sie auszuliefern wäre ein Betrug an der Linken, und Fidel ist der letzte Linke. Es ist schwer für ihn, Symbole aufzugeben," sagte García.
Damian Fernandez, Direktor des Instituts für Kubanische Forschung an der Internationalen Universität von Florida, sieht wenig Hoffnung, dass Havanna oder Washington ihre gegensätzlichen Positionen über die Cuban Five ändern könnten.
"Ich glaube, weder die Vereinigten Staaten noch die kubanische Regierung will den status quo ändern. Sie mögen es so, wie es ist," sagte er. "Für Castro sind die Fünf ein "cause celebre" [berühmter Rechtsstreit]. Für die Vereinigten Staaten sind sie eine Zurückweisung von Castros Kuba."
Das National Committee to Free the Cuban Five [Nationales Komitee zur Befreiung der Cuban Five] protestiert dagegen, die Männer als politische Handelsware zu benutzen. Die private Unterstützergruppe hat sich für ihre bedingungslose Freilassung eingesetzt.
"Wir glauben, die Cuban Five haben schon genug gelitten," sagte die New Yorker Sprecherin der Gruppe, Teresa Gutierrez. "Sie zum Austausch von Gefangenen zu benutzen, halten wir überhaupt nicht für fair. Das sind Äpfel und Birnen."

Deutsch: ¡Basta Ya!

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