Leonard Weinglass: "Die Gesellschaft ist repressiver geworden."

Duncan Campbell, 9. Januar 2008

The Guardian

Leonard Weinglass ist seit 40 Jahren Strafverteidiger in einigen der spektakulärsten Verfahren Amerikas wie dem der "Chicago Eight", der Entführer von Patty Hearst und dem Fall eines Mannes, der half, Präsident Nixon zu stürzen. Er sagt gegenüber Duncan Campbell, warum der laufende Fall der Cuban Five zeige, dass die Politik das U.S.-Justizsystem entgleisen lässt.

Mittwoch, 9. Januar 2008

In diesem Monat werden eine Reihe von Plakatwänden in U.S.-Städten auftauchen, die die Passanten auf fünf Gefangene aufmerksam machen, die in U.S.-Gefängnissen Lebenslänglich verbüßen. Während die Cuban Five, wie sie genannt werden, in ihrem Heimatland und in Teilen Lateinamerikas als Helden gelten, sind sie in dem Land, wo sie gefangenen gehalten werden, praktisch unbekannt. Sie sind bald wieder vor Gericht, und Leonard Weinglass, ihr Anwalt, glaubt, der Fall sollte so berühmt sein wie jedes andere politische Verfahren der letzten vier Jahrzehnte in den USA.
Weinglass sollte es wissen. Tatsache ist: wenn man die amerikanische Politik der letzten vier Jahrzehnte verstehen will, könnte man nichts Besseres tun, als die Fallsammlung dieses ruhig sprechenden in New York ansässigen Anwalts zu studieren, dessen Aufgabe es ist, sie freizubekommen. Von den Chicago Eight bis Jane Fonda, von Angela Davis zu den Entführern von Patty Hearst, von Daniel Ellsberg zu Amy Carter, Weinglass vertritt die Angeklagten vieler der spektakulärsten lebensechten Gerichtsdramen.
Er ist in London, um britische Parlamentarier zu treffen und deren Aufmerksamkeit für die Cuban Five zu wecken, für eine Geschichte, die unter dem Radarschirm der USA hergeschwebt ist. Die fünf jungen Männer, die Anti-Castro-Gruppen, die Sabotageakte gegen Kuba planten, in Miami infiltriert hatten, wurden 2001 wegen Spionageanklagen verurteilt. Weinglass glaubt, dass sie Opfer eines Justizirrtums sind und dass der Gerichtssaal ein Gradmesser für die politische Gesundheit eines Landes ist.
Es war der Prozess der Chicago Eight, die Verhaftung der Anti-Vietnamkriegs-Protestler infolge des Aufruhrs um das Abkommen der Demokraten von 1968, was Weinglass als Erstes ins juristische Rampenlicht trieb. Zu den Angeklagten gehörten Abbie "Stiehl dies Buch" Hoffmann, Tom Hayden, ein politischer Aktivist, der später Kongressabgeordneter der Demokraten werden sollte, und Bobby Seale, der gefesselt und mit zugeklebtem Mund vor Gericht erschien. Das Verfahren ist Gegenstand eines bald erscheinenden Steven-Spielberg-Films. Einige Jahre später fand Weinglass sich in der Verteidigung Daniel Ellsbergs wieder, eines Mannes, der 1971 die Pentagon-Papiere über die verborgene Geschichte des Vietnamkriegs durchsickern ließ, was zum Sturz von Präsident Nixon genutzt wurde. Er ist mit vielen seiner alten Klienten in Verbindung geblieben.
"Im vergangenen Sommer sprachen Dan Ellsberg, Tom Hayden und ich vor einer Gemeinde östlich von Vancouver, die von einer Gruppe von Russen gegründet worden war, deren Reise dorthin einst Tolstoi während der Zarenzeit bezahlt hatte, weil sie ihre Waffen abgelegt und in einem Freudenfeuer verbrannt hatten," sagt Weinglass. "Während des Vietnamkriegs nahmen sie Kriegsverweigerer bei sich auf, und sie helfen auch noch denen, die jetzt kommen [Soldaten, die sich weigern, im Irak zu kämpfen]."

Was Weinglass verblüfft, ist, dass sein aktueller Fall kaum Aufmerksamkeit von den amerikanischen Massenmedien erhalten hat. "Es gibt sehr wenig Berichterstattung außer in der linken oder der lateinamerikanischen Presse. Ich war vor sechs Monaten bei Wolf Blitzer in CNN, und ich erhielt danach viele Anrufe von Leuten, die geschockt waren, davon zum ersten Mal zu hören. Es ist unerklärlich. Hier gibt es einen Fall, mit dem zur Zeit seiner Verhandlung längsten Verfahren in den USA, mit einem U.S.-Admiral, dem Berater des Präsidenten, kubanischen Generälen, die alle in einem Strafverfahren aussagen, das die 40-jährige Geschichte der U.S.-Beziehungen zu Kuba wiedergibt, und es erhält keine Presse."

Er zieht Parallelen zwischen dem kubanischen Fall und dem von Ellsberg. "In Dans Fall musste das Gerichtsverfahren die 40-jährige Geschichte zwischen den USA und Vietnam untersuchen, daher sind beide Fälle Produkte außenpolitischer Fehler und Antworten auf diese Fehler, was in Gerichtsverfahren selten ist. Die meisten Fälle sind zweidimensional - was geschah, wer tat es? Mit diesen Fällen ging man in eine dritte Dimension - warum? Das gibt der Sache eine politische Substanz."

Der Prozess war dem Fall des schiffbrüchigen Jungen Elian Gonzalez, der schließlich zu seinem Vater in Kuba zurückkehrte, auf dem Fuße gefolgt. "Ungefähr drei Monate, bevor der Fall aufgenommen wurde, hatte es 100.000 Menschen gegeben, die auf der Straße gegen Elians Rückkehr protestierten. Es gibt viel Angst und Einschüchterung in Miami. Einige von denen, die in die Jury berufen worden waren, sagten, sie könnten unparteiisch sein, aber sie hätten Angst um ihre Familien, wenn sie ein Urteil bewirkten, das für die kubanische Exilgemeinde unannehmbar sei. Ein Banker sagte, er habe den Eindruck, seine Arbeit zu verlieren. Über Kuba befragt, sagte der Vorsitzende der Jury, es sei eine ‚kommunistische Diktatur, und ich werde mich freuen, wenn sie aufgehoben wird'."

Weinglass arbeitete den Prozess für Angela Davis, die schwarze Radikale, aus, als sie 1972 wegen Mordes vor Gericht stand. Im Gegensatz zu den Kubanern wurde sie freigesprochen. "Angelas Fall betraf eine schwarze Frau, Mitglied der kommunistischen Partei, wegen Mordes an einem Richter in einer ländlichen Gemeinde in Kalifornien vor Gericht und vor einer durchgängig weißen Jury. Sie wurde von einem ausgezeichneten afro-amerikanischen Anwalt verteidigt, und seine Entscheidung, dass ihr Anwaltsteam aus lauter Farbigen bestehen sollte, war zu Recht so getroffen, aber ich verfasste den Schriftsatz für die Verhandlung. Die Frage war: Könnte sie freigesprochen werden, ohne auszusagen?
Sie befürchteten, dass, wenn sie aussagte, die Staatsanwaltschaft eine Menge über ihre politischen Verbindungen erfahren würde, die sie nicht veröffentlichen wollte. Daher musste sie das Risiko einer lebenslänglichen Strafe eingehen, um ihre politischen Verbindungen für sich zu behalten. Sie siegte hauptsächlich deshalb, glaube ich, weil die ganze Welt zusah.
Im Fall der Cuban Five gab es vor dem Gerichtsgebäude Demonstrationen mit Leuten, die Schlingen baumeln ließen und die Erhängung der Fünf forderten. Leitartikel der Lokalpresse kommentierten, dies sei der erste Schritt, Fidel Castro zu erwischen, und sie drangen darauf, Castro zu verklagen, ähnlich dem Angriff auf Noriega, diesmal aber auf Kuba. Die Umgebung war im Fall der Cuban Five feindseliger. Angela wurde, glaube ich, durch das Netzwerk aus internationaler und heimischer Unterstützung gerettet, was die Fünf nicht hatten."
Also, was hat sich während der Jahrzehnte geändert, seit Fälle wie die Chicago Eight, Ellsberg und Davis alle erledigt sind?
"Die Gesellschaft ist viel repressiver geworden und das System spiegelt es wider. Die UN-Generalversammlung erwog ein Verbot von lebenslänglichen Strafen für Jugendliche - Menschen unter 18 - und das Abstimmungsergebnis lautete auf 185 für das Verbot, bei nur einer Gegenstimme, der von den USA. Das kommt daher, dass wir 2.300 Jugendliche mit lebenslänglichen Strafen haben, dazu gehören einige für 13-jährige. Das löst in den USA keine Diskussion aus. In den Sechzigern bedeutete lebenslänglich, dass man nach 24 Jahren ein Recht auf Strafaussetzung hatte und dass man nach 34 Jahren entlassen würde. Unter der Clinton-Administration hoben sie die Strafaussetzung auf. Wenn man lebenslänglich erhält, ist man im Gefängnis, bis man stirbt.
Als ich die Berufung der Chicago Eight vertrat, gab mir das Gericht zwei Tage für meine Argumentation, als wir den Fall der Fünf vertraten, erhielten alle Fünf insgesamt 15 Minuten. Daher hatte ich drei Minuten für mein Plädoyer gegen die lebenslängliche Strafe meines Klienten. Das ist der richterlichen Funktionsfähigkeit geschuldet, was aber natürlich die Rechte der Angeklagten beschneidet. So arbeitet das System schneller und repressiver, und es gibt in keiner Partei eine Anlaufstelle, dies anzusprechen. Wir haben jetzt die angesehenen liberalen Professoren wie Alan Dershowitz aus Harvard, der die Gerichte dazu aufruft, Haftbefehle wegen Folter auszustellen und einen Justizminister, der sich weigert, "water-boarding" [Ins Wasser Eintauchen, Anm. d. Ü.] als Folter anzuerkennen. Es kann nicht einmal eine richtige Debatte über eine so grundsätzliche Sache wie Folter in den USA geführt werden."

Warum dieser Klimawandel? "Ich denke, er ist eine Reaktion auf die Sechziger, die die meisten Leute für eine überwiegend freizügige Ära halten, auf die ein starker Anstieg von Kriminalität folgte, auf die wiederum eine rachsüchtige Reaktion folgte, die wir noch durchlaufen. In den Sechzigern gab es 700.000 Menschen im Gefängnis und 600 in der Todeszelle. Jetzt sind zwei Millionen in Haft und 3.200 in der Todeszelle." Er glaubt auch, dass Urteile die Stimmung des Volkes spiegeln. "Die Chicago Eight waren in Sachen Krieg und Rassismus im Recht. Dan Ellsberg war im Recht bezüglich des Vietnamkriegs. Angela war eindeutig unschuldig und stand auf der Höhe des Befreiungskampfes der Schwarzen in den USA vor Gericht."
Einer von Weinglassens bekanntesten Fällen war der von Emily und Bill Harris wegen der Entführung von Patty Hearst 1974. Sie wurden verurteilt, aber Weinglass glaubt, dass sie ein faires Verfahren erhielten. "Es war eine sensationelle Entführung. Es war die größte Lösegeldsumme, die je gezahlt wurde, und ihr Vater sollte etliche Millionen Dollar für Nahrungsmittel für Arme aufbringen." Bemerkenswerterweise waren die Harrises nach einem Jahrzehnt frei. Wie kam das? "Lassen Sie mich nur sagen, dass sie vom Einfluss der Hearst-Familie profitierten, die nicht wollten, dass ihre Tochter vor Gericht aussagte."
Weinglassens Wikipedia-Biografie wurde anscheinend von einem verleumderischen Rechtsradikalen geschrieben. Sie unterstellt fälschlicherweise, dass er Ratgeber für die Hanoi-Regierung war. "Ich denke, es ist aberwitzig," sagt er. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgend jemand glaubt, es sei eine ehrliche Quelle." Er vertrat zwar Jane Fonda, nachdem sie nach Hanoi gegangen war und die U.S.-Piloten, die die Stadt bombardierten, über Funk dazu aufforderte, die Konsequenzen ihres Handelns zu überdenken. Es gab eine Aufforderung, sie wegen Hochverrats anzuklagen und die Hauskommission für Unamerikanische Umtriebe lud sie unter Strafandrohung vor. "Ich setzte mich mit einer Gruppe von Anwälten zusammen, die der Ansicht waren, man sollte ein Gerichtsverfahren beantragen, um das abzuschmettern, aber nachdem wir mit Jane gesprochen hatten, entschieden wir uns für eine ganz andere Taktik: Sie sollte sich öffentlich bei der Kommission für die Zwangsvorladung bedanken und sagen, dass sie gewillt sei auszusagen. Die Strategie war richtig. Die Kommission traf sich und zog die Zwangsvorladung zurück. Sie hatten Angst, Jane vor sich zu haben. Sie klagten sie nie an."
Eine weitere Klientin war Amy Carter, die Tochter des früheren Präsidenten, die 1987 gemeinsam mit 15 anderen wegen Besetzung eines Universitätsgebäudes verhaftet wurden, das von der CIA während des Kriegs der Contras gegen die Sandinisten in Nicaragua für Rekrutierung genutzt wurde. Die Studenten wurden wegen Hausfriedensbruchs angeklagt. "Wir nutzten die Verteidigung der Rechtfertigung durch Notwendigkeit, die besagt, ‚Ja, ich beging eine kriminelle Handlung, aber es sollte entschuldigt werden, weil ich es tat, um ein größeres Unrecht zu verhindern.' Eine konservative Jury in Massachusetts sprach sie frei, was ein wunderbarer Sieg war."
Weinglass ist zurzeit mit dem Fall von Kurt Stand und seiner Ehefrau, Theresa Squillacote, beschäftigt, die vor einem Jahrzehnt wegen versuchter Spionage (für die frühere DDR) und für die Erlangung von nationalen Verteidigungsinformationen "die zur Schädigung der Vereinigten Staaten genutzt werden sollten", inhaftiert wurden. Das FBI hatte jeden Raum in der Wohnung der Stands verwanzt und nutzte das, was sie gehört hatte, dazu, einen Psychologen darüber zu informieren, der einen Undercover-Agenten dann darauf trainieren sollte, in die Familie einzudringen. "Es ist eine ziemlich interessante Geschichte", sagt Weinglass. "Die meisten Amerikaner würden nicht glauben, dass das FBI Schlafzimmergespräche aufnimmt und sie dann zu Psychologen bringt, um einen Undercover-Agenten darin auszubilden, wie man eine Familie hintergeht."
Jeder Fall, sagt er habe sein "Herzeleid und seine Genugtuung". In seinem jetzigen Alter von 74 sieht er keinen Grund aufzuhören. "Der typische Anruf, den ich erhalte, beginnt mit: ‚Sie sind der fünfzigste Anwalt, den wir anrufen.' Dann fange ich an, mich zu interessieren."

Die Geschichte der Cuban Five

Drei der Cuban Five verbüßen lebenslängliche Strafen, die anderen 19 und 15 Jahre, nachdem sie von einem US-Bundesgericht in Miami am 8. Juni 2001 verurteilt wurden. Es sind Gerardo Hernández, Ramón Labañino, Antonio Guerrero, Fernando González und René González. Alle wurden wegen Spionage angeklagt. Ihre Verteidigung bestand darin, dass sie die in Miami ansässigen Anti-Castro-Gruppen infiltriert und beobachtet hätten, um Terroranschläge auf Kuba zu verhüten. Diese Organisationen überhäuften die Insel über die Jahre mit verschiedenen Anschlägen, von denen die Fünf behaupteten, dass mehr als 3.000 Menschen daran gestorben seien.
[Gerardo Hernández verbüßt zweimal lebenslänglich + 15 Jahren. Und, man kann es nicht oft genug sagen:
Kuba beklagte 1999 vor der UNO 3.478 Tote und 2.099 mit lebenslang beeinträchtigenden Verletzungen aufgrund der o.g. Anschläge, Anm. d. Ü.]

Deutsch: ˇBasta Ya!

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