Der Fall der Cuban Five: Amerikanisches Recht als politische Waffe

Michael Collins, 20. Oktober, 2009

Bericht des "Americas Program" des Zentrums für internationale Politik (CIP)

19. Oktober 2009

Die Entscheidung zur Reduzierung der lebenslänglichen Strafe von Antonio Guerrero am Dienstag, dem 13. Oktober, auf 22 Jahre Gefängnisstrafe seitens eines Gerichts in Miami ist das letzte Kapitel in dem andauernden Rechtsstreit zur Befreiung einer Gruppe von Männern, die als die Cuban Five bekannt sind. Weitgehend anonym in den Vereinigten Staaten, aber gefeiert in ihrem Heimatland Kuba symbolisiert ihre Verurteilung das angespannte Verhältnis zwischen den beiden Ländern. Die Neubemessung der Strafe resultiert aus einer im vergangenen Jahr vom U.S.-Appellationsgericht des Elften Bezirks getroffenen Entscheidung, die erklärte, dass das Gericht in Miami, vor dem die ursprüngliche Verhandlung stattfand, sich geirrt haben könnte, als es die Strafurteile über drei der fünf Männer verhängte. Die Anhörung findet zu einer Zeit statt, da viele Kubaner und Amerikaner große Hoffnungen in eine Verbesserung der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Nationen hegen.

Der Fall der Cuban Five ist untrennbar mit der verfahrenen Situation zwischen Havanna und Washington verbunden. In den frühen 1990ern sandte die kubanische Regierung eine Gruppe von Männern, bekannt als das Wespennetzwerk, in die Vereinigten Staaten, um die Anti-Castro-Organisationen zu infiltrieren, die mit offensichtlicher Straffreiheit von Miami aus seit den 1960ern operierten. Nachdem diese Anti-Castro-Organisationen Sprengstoffattentate auf kubanische Hotels und 1976 den Abschuss eines kubanischen Zivilflugzeuges nahe Barbados organisiert hatten, entschied sich die kubanische Regierung für verdeckte Ermittlungen, weil sie glaubte, dass die Vereinigten Staaten nicht daran interessiert seien mitzuhelfen, weitere Anschläge zu verhüten.
Eine der Zielgruppen des Wespennetzwerkes waren die "Brothers to the Rescue (BTTR)". Die Gruppe bestand aus Exilkubanern, deren ursprüngliches Ziel es war, kubanische Auswanderer auf Flößen zu retten. Aber ihr Schwerpunkt änderte sich, nachdem die neue U.S.-Einwanderungspolitik verordnete, dass gerettete Flößer eher nach Kuba zurück geschickt würden, als dass sie von den Vereinigten Staaten aufgenommen würden. Die Gruppe begann, Flugzeuge zu chartern, um Anti-Castro-Flugblätter über Kuba abzuwerfen, wobei sie wiederholt illegal in den kubanischen Luftraum eindrang. Kubanische Behörden beklagten sich mehrfach bei den U.S.-Luftfahrtbehörden, dies scheiterte aber darin, diesen Flügen ein Ende zu setzen. Am 24. Februar 1996 wurden zwei BTTR-Flugzeuge von der kubanischen Luftabwehr abgeschossen. Dabei fanden vier Piloten an Bord den Tod. Die Toten provozierten Empörung in den Vereinigten Staaten, und diese führte über das Helms-Burton-Gesetz unmittelbar zur Verschärfung des U.S.-Embargos gegen Kuba.
Die darauf folgende Razzia führte 1998 auch zur Verhaftung von Gerardo Hernández, Antonio Guerrero, Ramón Labañino, Fernando González und René González. Im Juni 2001, nach einer siebenmonatigen Gerichtsverhandlung des Falles in Miami, wurden die Männer einer Reihe von mit Spionage verbundenen Verbrechen für schuldig befunden. Gerardo Hernández wurde auch wegen angeblicher Weitergabe von Fluginformation an die kubanische Regierung, was zu dem Anschlag auf die beiden BTTR-Flugzeuge geführt habe, der Verschwörung zum Mord verurteilt. Die Männer erhielten eine gestaffelte Reihe von Strafen, ausgehend von 15 Jahren für René González bis zu zwei Mal aufeinanderfolgende lebenslängliche Strafen für Gerardo Hernández.
Der ursprüngliche Fall war nicht unumstritten. Angefangen damit, dass die Verteidigungsanwälte lautstark gegen die Entscheidung protestierten, die Verhandlung in Miami zu führen. Die Anwälte argumentierten, dass es unmöglich sei, eine vorurteilslose Verhandlung mit einer unparteiischen Jury in einer Stadt mit der höchsten Konzentration von kubanischen Exilanten zu führen. Die Verhandlung wurde nicht nur vor dem Hintergrund der Toten der BTTR geführt, der die kubanische Exilgemeinde aufgebracht hatte, sondern er begann auch kaum acht Monate, nachdem das FBI Elián González seinen Verwandten in Miami entzogen hatte, womit eine aufgeheizte internationale Sorgerechtsdebatte endete.
Trotz dieses Hintergrundes lehnte die Richterin Joan Lenard den Antrag auf Verlegung des Verhandlungsortes ab, und das Verfahren fand in Miami statt. Später erklärte die U.N.-Arbeitsgruppe für Willkürliche Inhaftierungen, dass "die Verhandlung nicht in dem erforderlichen Klima der Unparteilichkeit stattgefunden habe." Tatsächlich hob das Bundesappellationsgericht in Atlanta die Ureile im August 2005 auf und forderte aufgrund vorurteilsträchtiger Propaganda vor der Verhandlung und der überwiegenden Feindseligkeit gegenüber der kubanischen Regierung in der Region von Miami ein neues Verfahren, denn dies alles habe es den fünf Männern unmöglich gemacht, an diesem Ort ein faires Verfahren zu erhalten. Dennoch erhob die U.S.-Regierung erfolgreich Einspruch gegen die Entscheidung und die Verurteilungen bleiben in Kraft.
Die Art der Anklagen und die Länge der Strafen sind auch ein Grund zur Besorgnis. Während die Staatsanwaltschaft dazu neigte, sich auf Spionage als den Kern der Sache zu konzentrieren, klammerten sie sich auch an viele kleinere Anklagen wie den "Besitz falscher Ausweispapiere" und "Falschangaben bei der Beantragung von Reisepässen", um höhere Strafen zu erzielen. Zum Vergleich sei der Fall eines früheren in Miami abgehaltenen Spionageverfahrens genannt, an dem Mariano Faget beteiligt war, einer der höchsten Beamten des Einwanderungs- und Einbürgerungsdienstes, der wegen Aufdeckung geheimer Regierungsinformation gegenüber der kubanischen Regierung verurteilt worden war. Der in Kuba geborene Amerikaner erhielt eine Gefängnisstrafe von 5 Jahren. Im Fall der Cuban Five betrug die kürzeste der verhängten Strafen 15 Jahre.
Einer der Männer, Gerardo Hernández, war nicht nur der Spionage angeklagt, sondern auch der Verschwörung zum Mord. Diese Verurteilung ist genau so umstritten, denn es gibt eine große Debatte darum, ob der Abschuss der BTTR-Flugzeuge über kubanischem Luftraum oder über internationalem Gewässer stattgefunden habe.
So beklagenswert die Toten sein mögen, nach internationalem Gesetz haben Nationen das Recht, ein unbefugt in den souveränen Luftraum eindringendes Flugzeug abzuschießen. Die U.S.-Regierung behauptete, dass der Anschlag über internationalem Gewässer stattfand und daher illegal sei, wogegen die Kubaner diesen Umstand bestreiten. Eine unabhängige Ermittlung der Internationalen Zivilluftfahrtsorganisation kam zu dem Schluss, dass, obwohl die beiden Flugzeuge innerhalb des internationalen Luftraums an dessen Grenze abgeschossen worden seien, seien sie doch "innerhalb der MUD-8 und MUD-9 Gefahrenzone innerhalb des FIR (Flight Information Region) [Fluginformationsraum, Anm. d. Ü.] von Havanna geflogen."
Wayne Smith, der frühere Leiter der US-Interessenvertretung in Havanna und Direktor des Kuba-Projekts des Zentrums für Internationale Politik, fasst die juristische Ungenauigkeit des Urteils zusammen, indem er kommentiert: "um Hernández Mordverschwörung nachzuweisen, d.h., eine ‚ungesetzliche Tötung', muss die Regierung beweisen, und zwar ohne jeden begründeten Zweifel, dass die Verschwörer den Abschuss über internationalen Gewässern und nicht über Kuba beabsichtigt hatten."
Darum ist es undenkbar, dass die Staatsanwaltschaft beweisen könnte, dass Hernández ohne jeden begründeten Zweifel der Mordverschwörung schuldig sei. Die Fragwürdigkeit der Anklage wird noch unterstrichen von der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft während des Verfahrens versucht hatte, die Mordanklage fallen zu lassen, was aber von der Richterin zurückgewiesen wurde. Jason Frazzano, der an der Seite von Anwalt Leonard Weinglass an dem Fall arbeitete, behauptet: "Die ursprüngliche Richterin (Lenard) ... wies die Versuche der Staatsanwaltschaft, die Mordanklage fallen zu lassen, zurück. Das ist extrem ungewöhnlich für einen Richter, den Versuch der Staatsanwaltschaft, eine Anklage fallen zu lassen, zurückzuweisen."
Die Fragwürdigkeit der Verurteilungen der Cuban Five zeigt sich auch, wenn man die ursprüngliche Behauptung der Staatsanwaltschaft prüft, die Männer stellten eine Gefahr für die nationale Sicherheit der USA dar. Die Auffassung, die Männer seien ein großes Risiko für die Vereinigten Staaten, beherrschte die Staatsanwaltschaft und spielte zweifellos eine Rolle bei der Verhängung harscher Strafen. Nichtsdestotrotz haben Beweise, die in diesem Jahr ans Tageslicht kamen, gezeigt, dass die Männer niemals eine Sicherheitsbedrohung waren. US-Assistenzanwältin Caroline Heck Miller gab zu, dass über die fünf Männer keine Abschätzungen des Schadens an der nationalen Sicherheit existierten. Die Tatsache, dass es keine Schadensabschätzung gibt, bedeutet, dass die Cuban Five niemals für eine Gefahr für die nationale Sicherheit gehalten wurden, und darum kann die Regierung die langen Gefängnisstrafen nicht rechtfertigen.
Der Fall genießt auch weiterhin verbreitete Aufmerksamkeit wegen der damit verbundenen Menschenrechtsfragen. Laut UN wurde den Männern während der ersten beiden Tage nach ihrer Verhaftung der Kontakt mit einem Anwalt verweigert, und dann wurden sie 17 Monate lang in Isolationshaft gehalten bis ihr Verfahren begann. Zusätzlich hat Amnesty International die US-Regierung beschuldigt, "entgegen menschlicher Behandlung" gehandelt zu haben, angesichts seiner konstanten Verweigerung begrenzter Visa für zwei der Ehefrauen der Cuban Five, sodass diese ihre Ehemänner nicht besuchen konnten.
Die vorangegangene Administration von George W. Bush befindet sich selbst im Zentrum einer Kontroverse nachdem bekannt wurde, dass sie Journalisten des Miami Herald dafür bezahlt hat, unvorteilhafte Artikel über die kubanische Regierung zu schreiben. "Partnership for Civil Justice Fund", ein gemeinnütziger Juristenverband, verklagt derzeit die US-Regierung auf Herausgabe von Informationen über deren Verträge mit Journalisten aus Miami. Es wird vermutet, dass viele der Journalisten, die über den Fall der Cuban Five berichteten, auf der Gehaltsliste des Weißen Hauses standen. Das scheint frühere Behauptungen zu stützen, die Medien hätten den Ausgang des Verfahrens beeinflusst.
Unglücklicherweise scheint die Obama-Administration da weiter zu machen, wo Bush und Co. aufgehört haben. Während des Sommers, als der US-Supreme Court den Fall der Cuban Five wegen der Berufung erörterte, bat Obamas Oberstaatsanwältin Elena Kagan den Supreme Court, sich nicht mit dem Fall zu befassen. In ihrem Antrag behauptet sie im Zusammenhang mit den Abschüssen der BTTR-Flugzeuge: "Keines der Flugzeuge war in kubanischen Luftraum eingedrungen". Diese Versicherung wurde trotz eindeutiger Beweise des Gegenteils der Internationalen Organisation für Zivile Luftfahrt in deren unabhängiger Untersuchung abgegeben. Daraufhin fügte sich der Supreme Court dem Wunsch der Regierung. Im Oktober wurde die US-Regierung auch bezichtigt, sich der Anordnung eines Richters zu widersetzen, geheimgehaltenes Material von entscheidender Bedeutung für den Fall, offenzulegen.
Für eine Regierung, die versprochen hat, ihre Haltung gegenüber Kuba zu ändern, ist die Entscheidung der Obama-Administration, die Berufung vor dem Supreme Court zu blockieren, zutiefst entmutigend. Vielleicht hat die neue Regierung nicht begriffen, welche Bedeutung der Fall für kubanische Bürger und für die gesamten Beziehungen zwischen den USA und Kuba besitzt. Wenn Obama den Unterschied zwischen seiner und der Politik der Bush-Administration klar machen will, wäre eine Überprüfung des Falles der Cuban Five ein guter Anfang. Die Männer mögen nicht unschuldig bezüglich der Anfangsanklagen der Spionage sein, hatten sie doch während des Verfahrens zugegeben Anti-Castro-Organisationen infiltriert zu haben, mit der Absicht, ihr Land vor weiteren Angriffen zu bewahren.
Nichtsdestotrotz sind die weiteren Anklagen völlig unberechtigt und die harschen Strafen unverhältnismäßig. Wäre der Fall nicht politisiert worden, wären die Beschuldigten schon lange freie Männer. Neue Strafmaße festzusetzen ist einfach nicht genug angesichts der Tatsache, dass den Männern von Anfang an das Recht auf ein faires Verfahren verweigert wurde und dass es die selbe Richterin, Joan Lenard, ist, die den Verhandlungen über das neue Strafmaß am selben Ort in Miami vorsitzt. Substantiell ist auch das Argument, dass die Cuban Five es nie nötig gehabt hätten Anti-Castro-Organisationen zu infiltrieren, wenn Washington geeignete Schritte gegen die Terrorgruppen in Miami eingeleitet hätte.
Die Ironie in Washingtons "Krieg gegen den Terror" besteht für die kubanische Regierung, die in der Behandlung von Terroristen durch die US-Regierung eine Doppelmoral sieht, immer noch: die Vereinigten Staaten haben konsequent Kubas Anträge ignoriert, Luis Posada und Orlando Bosch auszuliefern, die verdächtigt werden, tödliche Anschläge gegen kubanische Bürger durchgeführt zu haben.
Wenn die Obama-Administration wirklich einen Fortschritt in ihrer Kubapolitik sucht, dann muss sie sich für ein Wiederaufnahmeverfahren für die Cuban Five entsprechend der Empfehlung des Berufungsgerichts von Atlanta von 2005 einsetzen. Eine solche Geste würde viel für eine Verbesserung der Beziehungen mit Kuba ausmachen und könnte beiden Ländern bei der mühseligen Aufgabe helfen, fünfzig Jahre abgebrochener Diplomatie wieder herzustellen.

Michael Collins (michael.mc.collins@gmail.com) ist Forschungsassistent beim "Americas Program" des Zentrums für Internationale Politik (www.americaspolicy.org).

Der Artikel wurde ursprünglich auf der Website von NACLA publiziert.

Deutsch: ˇBasta Ya! (jmb, db)

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