CounterPunch, 24. März 2010

Müssen wieder die Menschenrechte herhalten?

Verhöhnung Havannas

Von Saul Landau

Das US-Außenministerium hat, gefolgt von der EU, wieder die Sache des Menschenrechts erhoben, um Kuba damit zu schlagen. 1959 erklärte Fidel Castro seine Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten, wahrscheinlich ohne zu realisieren, dass die Strafe dafür 51 Jahre und mehr andauern könnte. Auch wenn es um US-nationale Interessen geht, handelt Washington gereizt, wenn nicht regelrecht kindisch.
Nach der letzten Sitzung mit Kubas Diplomaten in Sachen kubanischer Einwanderungsquoten, Drogenhandel und anderer beiderseitiger Interessen - Bush hatte 2002 alle Gespräche abgebrochen - schickte die US-Interessenvertretung ihre Fahrzeuge aus, um die "Dissidenten" zu einer Party abzuholen. Die kubanische Regierung reagierte darauf mit kaum verhohlenem Ärger. Denn die US-Diplomaten versetzten dem Fortschritt bei der Verhandlung gemeinsamer grundsätzlicher Sorgen Kuba danach wieder einen Stich: Sie feierten mit Leuten, die ihre nicht enden wollende Opposition gegenüber Kubas Regierung offen kundtun und dafür US-Vergütung und -Privilegien erhalten.
Zum Beispiel versorgt die Interessenvertretung Dissidenten mit einer Vielfalt an "nötigem Bedarf" wie Mobiltelefonen und Laptops, von denen dann die "Dissidenten" behaupten, dass sie von der kubanischen Staatsicherheit konfisziert worden seien. "Wir haben Fotos, auf denen sie diese Gegenstände verkaufen", sagte mir ein kubanischer Beamter. "Wenn der ‚Dissident' den Verlust meldet, versorgt ihn die Interessenvertretung, d.h. der US-Steuerzahler, was wenige wissen, mit einem neuen."
Hat das Außenministerium über mögliche Konsequenzen des kleinen Scherzes der Interessenvertretung nachgedacht? Angenommen Raúl Castro handelte, gemäß seinem Image in den Staaten, nämlich dem eines üblen Kerls, dann würde er angesichts Kubas beträchtlichem Anteil an Arbeitslosen in der Bevölkerung verkünden, dass diejenigen, die sich andernorts Arbeit suchen wollten, dies ohne Konsequenzen tun könnten. Jetzt stellen sie sich die Wellen von Flößern vor, die in Südflorida bei dessen hoher Arbeitslosenrate landeten!
Kubanische Sicherheitsbeamte könnten eine Gruppe der Lieblings-"Dissidenten" der Interessenvertretung verhaften und anklagen. Die Zeugen bei der folgenden Gerichtsverhandlung kämen aus der Staatssicherheit. Der Interessenvertretung wären sie jedoch als andere bevorzugte "Dissidenten" bekannt. (Dann könnte ein wütender Senator fragen: "Geben sie etwa das Geld unserer Steuerzahler Beamten der kubanischen Staatssicherheit?") 2003 verhaftete Kuba 75 "Dissidenten", zwölf Zeugen sagten gegen die Angeklagten aus, dass sie Geld, Waren und Dienstleistungen von US-Diplomaten erhalten hätten und das alles als verkleidete "Dissidenten" und verdeckte Maulwürfe.
Das Erinnerungsvermögen scheint auszusetzen, wenn es darum geht, Kuba zu bestrafen. 2006 ließ sich ein früherer Beamter der Interessenvertretung beredsam über Kubas Menschenrechtsverletzungen aus, so, als ob der US-Leumund makellos wäre. Unter Eisenhower und Kennedy, als Washington anfing, seine "demokratischen" Prinzipien an die große Glocke zu hängen, konnten Millionen von schwarzen Amerikanern nicht wählen, "Ketten-Gangs" florierten in den Staatsgefängnissen, und es fand regelmäßig Lynch-Justiz statt.
Fidel Castro weigere sich, höhnte der Kennedy-Haufen selbstgerecht, Wahlen abzuhalten. Einige Zyniker dachten, JFK und sein Schwarzhändler-Vater hätten die Wahlurnen von Illinois, da, wo er Nixon nur knapp geschlagen hatte, aufgefüllt. Kubas Wahlsystem mag Fehler haben, aber sein Oberster Gerichtshof erklärte die Nachzählung von Wahlstimmen nie als irrelevant für die Demokratie. (Siehe Gore gegen Bush.)*
Während Washington seine "zum Grundsatz erhobene" Kritik an Havanna über Jahrzehnte ständig herunterleierte, finanzierte es gleichzeitig Tausende von Terror- und Mordanschlägen gegen Kuba und seine Anführer. Haben Morde die Menschenrechte nicht verletzt?
2010 fährt Washington fort, Havanna zu verhöhnen - zurzeit wegen seines Versagens, einen "politischen Gefangenen", Orlando Zapata Tamayo, zu retten, der während eines Hungerstreiks starb. Der wegen Körperverletzung inhaftierte Zapata beschloss im Gefängnis, zur Dissidenz zu konvertieren. Videos zeigen kubanische Beamte im Krankenhaus. Keiner fragte nach seiner Krankenversicherung. Das Video zeigt, dass er medizinische Versorgung auf höchstem Niveau erhält. Ein derzeitiger "Dissident" Guillermo Farinas trat seinen Hungerstreik danach zu Hause an, solange bis Kuba alle seine politischen Gefangenen entlassen haben werde. Als er in Ohnmacht fiel, beeilten sich die kubanischen Behörden, ihn ins Krankenhaus zu bringen.
Gefangenenmissbrauch sollte als Menschenrechtsskandal erklärt werden. Eine chinesische Darstellung zu US-Menschenrechten zitiert "einen auf der 10. Versammlung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen von 2009 vorgelegten Bericht von dessen Sonderberichterstatter zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte und grundsätzlicher Freiheiten, um dem Terrorismus entgegenzutreten". Der Bericht zeigte, dass "die Vereinigten Staaten ein umfangreiches Maßnahmenpaket, einschließlich Abschiebung, langfristiger geheimer Festnahmen und Verstöße gegen die Konvention der Vereinten Nationen gegen Folter, betreibe." (China daily, March 17, 2010)
Der chinesische Bericht erklärt unter Berufung auf eine Studie der Abteilung Agrarwirtschaft, dass zurzeit 16,7 Millionen "US-Kinder oder ein Viertel aller Kinder in den USA, 2008 nicht genug zu essen hatten." (USA Today, November 17, 2009) Ein amerikanischer Ernährungsreport fügte hinzu, dass "mehr als 3,5 Millionen Kinder unter fünf Jahren unter Hunger und Mangelernährung leiden." (www.feedingamerica.org, May 7, 2009).
Washingtons eigentliches Problem ist der kubanische Ungehorsam in dessen Politik und nicht die Menschenrechte. Tatsächlich genießen Kubaner substanzielle Rechte, die amerikanische Bürger nicht genießen: Nahrung, Wohnung, medizinische Versorgung und Bildung. Kuba bleibt verfahrensrechtlich hinsichtlich Presse und politischer Parteien zurück.**
Doch wenn die religiöse Politik in Saudi Arabien, die unseres Ölpartners, Frauen züchtigt, die Haut zeigen, dann sagt das State Department nur "Wie langweilig." Auch spielt Kubas Kommunismus keine Rolle - siehe Vietnam und China, die Haupthandelspartner der USA.
Ronald Reagan privatisierte die Kuba-Politik, indem er sie dem rechten Flügel, einer Minderheit in Miami überließ, der keine Verbesserung möchte. Jeder Schritt nach vorne, wie es die Einwanderungsgespräche im Februar waren, erzeugt, dank der Macht der antikubanischen Lobby, einen Schritt rückwärts: Ein Hungerstreiker stirbt, und ein anderer taucht auf, um die Schlagzeilen zu erobern.

Saul Landau ist Mitglied des Instituts für Politische Studien und erhielt Chiles "Bernardo O'Higgins"-Preis für Menschenrechte. CounterPunch veröffentlichte sein Buch, A BUSH AND BOTOX WORLD .

*Einspruch der Übersetzerin: Saul Landau sollte sich, wie es z.B. der kanadische Autor Arnold August getan hat, der Mühe unterziehen, die kubanischen Wahlen zu beobachten und das kubanische Wahlsystem studieren, s.: Arnold August, "Democracy in Cuba and the 1997-98 Elections",ISBN 0-9685084-0-5 , sein neues Werk über die Wahlen von 2008 und über den Fall der Cuban Five soll im Herbst 2010 erscheinen, dann würde Landau wahrnehmen, dass die partizipative Demokratie Kubas wesentlich demokratischer ist als die von Lobbyisten gesponserte in den USA.
Nicht zufällig hatte auch Ricardo Alarcón in dem am 27. Februar von der BBC geführten Interview die Reporter und Kameraleute gebeten, die aktuell laufenden Regionalwahlen in Kuba zu beobachten und zu filmen. (s.: Nachrichten vom 5. März 2010)

**Auch für diesen demokratischen Balanceakt, einerseits die Freiheit seiner Bürger zu gewährleisten und andererseits die sozialen Errungenschaften der Revolution zu schützen, hat Kuba triftige Gründe, da es ständig auf der Hut vor den subversiven, von US-Steuerzahlern gesponserten Kräften sowie vor Terroranschlägen, die bereits 1999 3.478 Leben und 2.099 lebenslange Beeinträchtigungen innerhalb seiner Bevölkerung verursachten, sein muss.

Josie Michel-Brüning

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