Die Strafverfolgung von Bradley Manning ist unheilbar vom Fehlverhalten der Regierung infiziert

Einzige Option: die Einstellung des Verfahrens

Von Kevin Zeese, 22. März 2012

In der vergangenen Woche verbrachte ich zwei Tage im Gericht. Ich war dort wegen der Anhörung eines Antrags auf Vorverhandlung des Kriegsgerichts über Bradley Manning, den wegen der Weitergabe von Dokumenten an Wikileaks angeklagten Gefreiten. Diese Anhörung machte ausuferndes unethisches und illegales Verhalten des Verteidigungsministeriums und des Außenministeriums deutlich. Manning erlitt das Schicksal, das die Königin über Alice im Wunderland verhängte: "Zuerst Strafe - dann Urteil." Zum Zeitpunkt, da seine Kriegsgerichtsverhandlung tatsächlich abgehalten werden soll, wird er über zwei Jahre in Haft, eines davon in Isolationshaft, verbracht haben. Doch das ist nur eine der Ungerechtigkeiten, denen Manning offensichtlich ausgesetzt ist.
Tatsächlich hatte der UN-Sonderberichterstatter in Sachen Folter, Juan Mendez, kurz bevor die Vorverhandlungsanträge gehört wurden, eine 14-monatige Ermittlung abgeschlossen und einen ausführlichen Report über Folter und andere missbräuchliche Bestrafung veröffentlicht. Er schrieb: "Der Sonderberichterstatter kommt zu dem Schluss, dass die Auferlegung schwerer Haftstrafen für jemanden, der irgend eines Verbrechens noch nicht für schuldig befunden wurde, ist eine Verletzung seines Rechts auf physische und psychologische Unversehrtheit sowie seines Rechtes auf Unschuldsvermutung."
Des weiteren folgerte Mendez, dass das US-Militär sich zumindest einer grausamen und inhumanen Behandlung schuldig gemacht habe, als es Manning über einen Zeitraum von 11 Monaten jeweils 23 Stunden am Tag allein eingesperrt habe, unter Bedingungen, die ebenfalls als Folter zu bezeichnen seien.
Die Anhörung der Anträge enthielt einige zwielichtige Momente. Die Strafverteidiger vermissten Gerichtsanordnungen und Gerichtsentscheide sowie Anträge und Dokumente, die von der Verteidigung bis zum 11. März eingereicht worden waren, denn, sobald in der seltsamen Welt des "land of the free" das Wort "Wikileaks" in einer E-Mail auftauchte, wurde das Dokument blockiert. Die Regierung fand schließlich heraus, dass sie Eingaben vermisste, nun untersuchen die Staatsanwälte täglich ab 10 Uhr morgens ihre Spam Box, um nachzusehen, was die Zensoren verborgen haben. Anders als andere bundesstaatliche Angestellte im Land der per Verfassung geschützten freien Rede, lesen sie jetzt das Wort "Wikileaks", mit welchen Auswirkungen!?
Wie nach einer Lektion der Königin aus Alice im Wunderland haben zwei der Militäroberkommandanten von Amerika schon Mannings Schuld verkündet. Vor fast einem Jahr sprach der Oberbefehlshaber, Präsident Obama, Manning schuldig, indem er sagte: "Er hat das Gesetz gebrochen." Erst vor Kurzem wiederholte der Vorsitzende des Heeresverbandes, General Martin Dempsey, den Schuldbefund noch vor dem Verfahren, indem er sagte: "Er hat tatsächlich das Gesetz gebrochen."
Dempseys Stellungnahme wurde in Stars and Stripes, der offiziellen Zeitung des Verteidigungsministeriums, veröffentlicht. Es sieht so aus, als ob das Militär alles täte, um jeden in der Jury wissen zu lassen, dass seine Karriere zu Ende ist, wenn Manning nicht für schuldig befunden wird.
Das verstößt offen gegen Artikel 37 des einheitlichen Gesetzes der Militär-Justiz, das "Ungesetzliche Beeinflussung des Gerichtsverfahrens" verbietet. Dies ist ein hochumstrittenes Feld, denn die Kommandostruktur des Militärs gibt hochrangigeren Beamten sehr viel Macht über Untergebene. 2004 erließ das Appellationsgericht der Vereinigten Staaten für die bewaffneten Streitkräfte ein einstimmiges Urteil, das die Macht des Kriegsrichters bestätigte, Anklagen und vorurteilsträchtige Anklagepunkte angesichts einer unrechtmäßigen Befehlsbeeinflussung abzulehnen, s.: United States v. Gore, 60 M.J. 178 (2004).
Mannings Anwalt, David Coombs, machte bei der Anhörung den ungesetzlichen Befehlseinfluss nach Artikel 32 geltend, als er um die Zeugenaussage von Präsident Obama und anderen hohen Regierungsbeamten ersuchte, indem er schrieb: "Die Relevanz dieser Zeugen sollte offensichtlich sein. Jeder dieser Zeugen hat Aussagen gemacht, die dem widersprechen, was OCA [Original Classification Authority] Zeugen hinsichtlich eines mutmaßlichen durch unzulässige Bekanntmachung entstandenen Schadens vorschreibt. Außerdem ist jeder dieser Zeugen zur Befragung in Sachen ungesetzlicher Befehlsbeeinflussung und ungesetzlicher Bestrafung vor einer Verhandlung im Verstoß gegen Artikel 13 und 37 des UCMJ von Bedeutung.
Es ist unklar, wie Richterin Col. Denise Lind die Belastung durch Befehlsbeeinflussung im Fall Manning minimieren wird. Sie kann den Geschworenen sagen, dass sie die Aussagen des Oberbefehlshabers und des Vorsitzenden der Heeresleitung ignorieren sollen, dass Manning "das Gesetz gebrochen hat", aber wird das die Sache nicht nur noch schlimmer machen?
Doch damit ist das von der Regierung angerichtete und eine faire Verhandlung unmöglich machende Durcheinander noch nicht zu Ende. Coombs drängte die Regierung sehr darauf, eine Ermittlung abzulehnen. Die Regierung sagte, es gebe in Verbindung mit dem Verfahren 3 Millionen Dokumentenseiten. Coombs habe nur einen winzigen Teil davon erhalten. Die Argumentation vor Gericht handelte von der Enthüllung des zu dem Anschlag des Apache-Helicopters gehörenden Materials, das als "Collateral Murder Video" [Kollateralmord-Video] bekannt ist, den Schadensgutachten von fünf Bundesagenturen darüber, wie die Dokumente die nationale Sicherheit beeinträchtigten, forensische Abbildungen, die zeigen könnten, welche Software installiert oder herunter geladen wurde und ein Video des Militärgefängnisses, Quantico Marine Brig, in dem Manning in Isolationshaft gehalten wurde.
Die Schadensgutachten sind sowohl für die zugrundeliegenden Anklagen als auch für das Strafurteil besonders wichtig. Hinsichtlich der Anklagen lautet die schwerste gegen Manning auf Beihilfe für den Feind, den die Regierung vor Gericht als die Al Qaida von der arabischen Halbinsel zu erkennen gab. Das Schadensgutachten würde sicher beschreiben, ob und wie Al Quaida durch die freigegebenen Dokumente geholfen wurde.
Seit Oktober 2010 bittet Coombs um die Schadensgutachten. Außen- und Verteidigungsministerium behaupten, die Gutachten noch nicht vervollständigt zu haben (Werden sie das je? Und wenn, noch vor der Verhandlung gegen Manning?). Der Geheimdienst des Verteidigungsministeriums und die Zentrale Geheimdienstagentur [CIA] haben ihre Gutachten vervollständigt, sie sind aber als geheim klassifiziert. Das Bundesbüro für Ermittlungen [FBI] hat sein Gutachten zwar abgeschlossen, aber nicht zur Verfügung gestellt. Coombs wies darauf hin, dass Durchgesickertes und Erklärungen von Spitzenbeamten wie Außenministerin Clinton und dem früheren Minister Gates anzeigten, dass es durch die Veröffentlichung keinen signifikanten Schaden gegeben habe.
Die Regierung sagt, dass, wenn sie angewiesen würden, die Materialien zu erstellen, müssten sie diese zur Überpüfung an die "Original Classification Authority" geben und dass diese bis zum Abschluss bis zu 60 Tage dauern könne. Coombs war überrascht, dass das noch nicht geschehen war. Und die Regierung behauptete, dass jegliche Dokumente, die zur Freigabe angefordert würden, auf ihre Relevanz überprüft würden, sie sagte, es könne sein, dass ein Abschnitt aus einem 100-seitigen Dokument relevant sein könne, während der Rest redigiert werde. Es wird offenbar, dass die Schlacht um die Ermittlungen weitergeht, da die Staatsanwaltschaft zu beabsichtigen scheint, die Information vor der Verteidigung zu verbergen. Als ich als Anwalt praktizierte und wenn dann die Regierung ihre Akten öffnete und alles offen legte, bemerkte ich, dass es nicht viele Hinweise zugunsten meiner Partei gab, aber wenn die Regierung ihre Dokumente verbarg, dann bedeutete das fast immer - sie hatten etwas, dass sie in ihrer Sache zum Verlierer machen könnte.
Nachdem eine Stunde lang über den Aufdeckungsantrag diskutiert wurde, in dem er wiederholt die Staatsanwälte dafür kritisierte, dass sie ihre Verantwortung nach den Enthüllungsvorschriften nicht verstünden, steigerte Coombs seine Argumentation wegen Versagens der Regierung hinsichtlich des Ermittlungsmaterials auf einen Antrag auf Klageabweisung. Er verfocht, dass er nicht wisse, worauf man sich beziehen könne, indem er es mit einem Kuchen verglich, bei dem man erst nach 45 Minuten Backzeit bemerke, dass die Eier vergessen wurden.
Coombs ersuchte auch um eine "Bill of Particulars" [Gerichtsliste für nähere Angaben, Anm.d.Ü.] und über genauere Fakten, welche die Regierung beabsichtige zu beweisen. Coombs wollte insbesondere wissen, ob die Staatsanwaltschaft mutmaße, dass Manning sich in das SIPRnet gehacked oder ein Passwort gestohlen oder nur den Zugang genutzt habe, der ihm zur Verfügung stand. Richterin Lind unterbrach sich selbst, indem sie eine Art Alice-im-Wunderland-Frage stellte: "Muss die Regierung beweisen, wie er es tat?" Coombs beantwortete die Frage damit, dass dies die Art von Genauigkeitsanspruch es sei, wozu die "Bill of Particulars" geschaffen worden sei und erklärte: "Ich möchte kein Verfahren aus dem Hinterhalt."
Es ist nicht nur die Verteidigung, der keine Information gegeben wird, vielmehr werden auch die Medien und die Öffentlichkeit im Dunkeln gehalten. Die Regierung versteckt sogar Gerichtseingaben vor den Medien. Das "Reporters Committee for Freedom of the Press" hatte einen von 46 Mediaoutlets unterschriebenen Brief geschickt, in dem es das Militär dringend darum bat, den Medien zum Verfahren zumindest einen Zugang vom gleichen Umfang zu gewähren wie für die Verfahren in Guantanamo Bay. Erstaunlicherweise stellen diese Gerichtsverhandlungen über Terroristen den Medien mehr Information zur Verfügung als das Verfahren gegen den Gefreiten Bradley Manning.
Nach Missbrauch der Vorverhandlungen seitens der Staatsanwälte, die ihren Ermittlungspflichten nicht nachkommen und den Befehlshabern, die Manning schuldig sprechen, sieht es so aus, als ob die Regierung versuche, die Botschaft auszusenden - schlag nur Alarm wegen Kriegsverbrechen, und wir werden dich einsperren und foltern, dich in einem korrupten Gerichtsverfahren strafverfolgen und dich lebenslang wegsperren. Es ist beinahe eine " wir können tun, was wir wollen" -Botschaft an die Truppen, dass sie, wenn sie die Wahrheit bekannt werden lassen, schwer bestraft werden und zwar unabhängig von der Rechtsprechung.
Der Fall erinnert wieder an die Strafverfolgung von Daniel Ellsberg wegen Offenlegung der Pentagon-Papiere, dem bis zu 115-jährige Inhaftierung drohte. Während des Verfahrens stellte sich heraus, dass das Weiße Haus in Ellbergs psychiatrische Praxis eingebrochen war, und der Richter ordnete an, diese Dokumente der Verteidigung zur Einsicht zu geben. John Ehrlichmann [vom FBI] traf den Richter während der Verhandlung zweimal und bot ihm den Direktorposten des FBI an. Das FBI zeichnete auch zahlreiche Gespräche zu Ellsberg auf und legte diese Ermittlungen nicht offen. Nach einem viermonatigen Verfahren, als der Fall gerade vor die Geschworenen gehen sollte, lehnte der Richter, nachdem die Regierung behauptet hatte, sie habe die Tonbandaufnahmen der Abhörung von Ellsberg verloren, alle Anklagen ab. Richter Byrne lehnte das Verfahren ab und urteilte: "Die Gesamtheit der Umstände ... beleidigen den Sinn der Rechtsprechung. Die bizarren Vorkommnisse haben die Strafverfolgung dieses Falles unheilbar infiziert."
Das bizarre und unfaire Verhalten der Regierung in der Strafsache gegen Bradley Manning beleidigen einen Sinn für Rechtsprechung ebenso, und es hat die Möglichkeit eines fairen Verfahrens und eines gerechten Ergebnisses unheilbar infiziert. Abgesehen von einer Ablehnung der Anklage ist kaum erkennbar, wie der Gerechtigkeit Genüge getan werden könnte.
Kevin Zeese ist geschäftsführender Direktor von "Voters for Peace

Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb)

(Quelle: Dissident Voice vom 22. März 2012)

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