Counterpunch, Wochenendausgabe, 18.-20. Mai 2012

Schmutzige Angelegenheiten

Gerechtigkeit, Ungerechtigkeit und der Fall der Cuban Five

Von Saul Landau

Ich sitze auf einem grauen Plastikstuhl, mir gegenüber ein winziger grauer Plastiktisch und noch ein leerer grauer Plastikstuhl, und ich warte im Besucherraum des Hochsicherheitsgefängnisses in Victorville, Kalifornien, auf Gerardo Hernández. Nebenan ein ähnliches Sitzensemble, ein schwarzer Mann mittleren Alters spricht mit einer Frau, vermutlich seiner Ehefrau, andere schwarze Männer reden mit ihren Gattinnen. Zwei Kinder kommen aus dem "Kinderzimmer" gestürmt, um sich bei ihren Vätern eine Liebkosung abzuholen.
Vier Wachhabende beobachten Besucher und Insassen schwatzend. Es muss gerade keine Schmuggelware und keine "ausartende Berührung" beanstandet werden.
Gerardo kommt heraus und meldet sich bei den Wachen zum Rapport. Wir umarmen uns. Gerardo spricht über Ideen, wie man die "National Security Agency"(NSA) [Nationale Sicherheitsbehörde] zwingen könnte, ihre Kartenaufzeichnungen vom Abschuss der beiden Flugzeuge von "Brothers to the Rescue" durch kubanische MIGs am 24. Februar 1996 herauszugeben. Die Regierung klagte Gerardo wegen Verschwörung, Mord begehen zu wollen, an, weil er angeblich - die Regierung bot keine Beweise - die Fluginformation an kubanische Behörden in dem Wissen weitergeleitet habe, dass sie die Flugzeuge abschießen würden (wie sollte ein in Miami stationierter Agent die Entscheidungen auf höchster Ebene in Havanna kennen?).
Die Kubaner bestehen darauf, dass die MIGs ihre Raketen auf die eindringenden Flugzeuge im kubanischen Luftraum abgeschossen hätten. Die US-Behörden beharren darauf, dass es im internationalen Luftraum stattgefunden habe. Wenn die NSA-Karte Kubas Behauptung bestätigte, dann hätte Gerardo, der den kubanischen Behörden angeblich Datum und Zeit der fatalen Flüge geliefert habe, kein Verbrechen begangen. Die Staatsanwälte boten keinen Beweis dafür an, dass Gerardo diese Information geliefert habe. Hollywood würde den Staatsanwalt in der Szene im Gerichtssaal von Miami sagen lassen: "Ich muss euch überhaupt keinen stinkenden Beweis zeigen."
Tatsächlich wies aber Gerardos Verteidiger daraufhin, dass Basulto, der Chef der "Brothers to the Rescue" das Flugdatum schon zuvor selber angekündigt hatte, und dass etliche US-Beamte seinen Plan kannten. Die FAA [Federal Aviation Adminstration (US-amerikanische Luftaufsichtsbehörde), Anm. d. Ü.] hatte die kubanischen Behörden sogar vor den bevorstehenden Flügen gewarnt. Fakten aber spielen keine Rolle, wenn eine Jury und eine Richterin wissen, dass ein "falsches" Urteil mit dem Abfackeln ihres Hauses enden könnte.
Die NSA lehnte gegenüber den Verteidigern deren Vorladungen unter Strafandrohung mit zwei tödlichen Worten ab: "Nationale Sicherheit", die weder in der Verfassung noch in der Bibel zu finden sind, die aufgezeichneten Karten während der ursprünglichen Gerichtsverhandlung und den Berufungsverhandlungen danach auszuliefern. Diese beiden Worte schufen ihre Begründung (Entschuldigung) dafür, die Dokumente nicht auszuliefern. Was könnte die NSA zwingen nachzugeben? Wir hatten keine Antwort, doch die Frage wird weiter schwelen.
Mich beunruhigten noch andere Fragen. Was hatte das FBI dazu bewegt, ihn und seine kubanischen Mitagenten zu verhaften? Schließlich hatten die kubanischen Agenten das Büro hinsichtlich terroristischer Aktivitäten mit fetten Happen wie die Ortsangabe eines mit Sprengstoff beladenen Schiffes auf dem Miami River gefüttert. Das FBI requirierte das Schiff, bevor es Richtung Kuba in See stechen - oder in Miami explodieren konnte.
"Hector Pesquera," antwortete Gerardo. Er wurde zum Sonderbeauftragten im Büro von Miami ernannt und lenkte seine Aufmerksamkeit sofort weg von den Terroristen und hin zu den Antiterroristen. Nachdem die Jury im Prozess von Miami die Schuldsprüche gegen die Cuban Five verhängt hatte, brüstete Pesquera sich stolz im Radiosender von Miami damit, dass er "derjenige war, der den Fokus seiner Agenten vom Ausspionieren der Spione auf die Erhebung der Anklagen gegen sie lenkte." (Siehe, Stephen Kimber, "What Lies Across the Water: The Real Story of the Cuban Five", ein E-Buch bei Amazon.)
Tatsächlich überredete Pesquera die Justizbeamten, ihre Aufmerksamkeit weg von den Terroristen im Exil von Südflorida hin auf die kubanischen Geheimdienstagenten zu richten, die die Terrorgruppe unerwandert hatten. Der Fall "wäre nie vor Gericht gekommen, wenn er nicht persönlich bei FBI-Direktor Louis Freeh interveniert hätte." (Kimber, S. 286)
Ann Bardach bestätigte die Schlüsselrolle Pesqueras bei der Kehrtwende des FBI, statt gegen Terroristen jetzt gegen Antiterroristen zu ermitteln. Bardach und Larry Rohter schrieben im Juli 1998 zwei Artikel für die New York Times, wonach der berüchtigte cubano-amerikanische Terrorist Luís Posada Carriles seine Rolle als Drahtzieher einer Reihe von Bombenanschlägen in Havanna, um den Tourismus zu schwächen, zugegeben hatte. Einer dieser Anschläge tötete einen jungen Italiener, dessen Vater gegen die Vereinigten Staaten wegen Unterstützung des Terrorismus' klagt.
Bardach erzählte mir von ihrem Erstaunen, als Pesquera ihr auf eine Frage nach Posada sagte: "eine Menge Leute hier halten Posada für einen Freiheitskämpfer." Pesquera, der mit ultrarechten Exilanten befreundet ist, stellte die Ermittlungen gegen Posada ein und schredderte dessen Akte. Tatsächlich bereiteten sich 14 der 19 Teilnehmer von 9/11 zu der Zeit, als das FBI den Fokus auf die Zerschlagung des kubanischen Agentennetzes richtete, unbehelligt vom FBI auf den Anschlag vor. Pesquera entging anscheinend einer Untersuchung seiner offensichtlichen Versäumnisse. (Trabajadores, 22. Mai 2005)
Gerardo und ich wechselten das Thema auf Alan Gross' Interview mit Wolf Blitzer von CNN. Gross, der wegen seiner Aktivitäten zur Untergrabung der Regierung in Kuba verurteilt wurde, was AP-Reporter Desmond Butler dokumentierte, jammerte über sein Gefängnisleben, das Essen, die Gitter vor seinem Fenster und er sei lediglich in der Lage, Besuche von US-Senatoren, Mitgliedern des Kongresses, Ausländischen Präsidenten, religiösen Gruppen und für einen Tag von seiner Frau zu empfangen. Er beklagte, die Bedingungen im Militärkrankenhaus in Havanna seien regelrecht wie in einem Gefängnis.
Noch schlimmer, er ignoriert den Bericht von Desmond Butler und die verheerende op ed (1) des früheren Beamten des Nationalen Sicherheitsrates Fulton Armstrong im Miami Herald (25. Dezember 2011) und erklärte sich für unschuldig, indem er behauptete, er habe nur der jüdischen Gemeinde helfen wollen, einen besseren Internetzugang zu bekommen. Dafür schmuggelte er Geräte ein (von Butler dokumentiert) und bekam fast 600.000 $ von einer Firma im Auftrag von USAID. Und Blitzer, der den Journalistenpreis als bester Stenograph bekommen sollte, fragte ihn nach keiner der Tatsachen, die Butler und Armstrong benannt hatten.
Wir umarmten uns zum Abschied. Gerardo erhob triumphierend die Faust, bevor er in die Zelle zurückging. Ich ging durch den trockenen Wüstenwind zum Auto auf der 1,5 km entfernten Straße in 64 km Entfernung vom Flughafen Ontario in Kalifornien und konnte über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit nachdenken, wieder einmal.

(1) Wikipedia: Zudem gibt es die besonders in den USA seit Ende der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts gepflegte Institution des Opposite Editorial (kurz: Op-Ed). Dieses beinhaltet Kommentare von Kolumnisten, die oft bewusst von der Redaktionslinie abweichen. Ursprünglich kommt der Ausdruck daher, dass im Zeitungsdruck diese Meinungsartikel den Herausgeber-Editorials gegenübergestellt waren.

Saul Landaus "WILL THE REAL TERRORIST PLEASE STAND UP" [Möge der wahre Terrorist bitte aufstehen] und sein "FIDEL" werden vom Cinema Libre Studio vertrieben. Er ist Mitarbeiter am Institut für Politische Studien.

Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db)

(Quelle: CounterPunch vom 18. - 20. Mai 2012)

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