Canadian Dimension, 1. Juni 2012

Fünf Jahrzehnte des Aberwitzes - und noch kein Ende

Von Saul Landau

1991 verschwand die Sowjetunion. Washington wechselte von seiner Anti-Kuba-Rhetorik aus dem Kalten Krieg auf die Menschenrechte. Doch eins ist geblieben: eine wirtschaftliche US-Kolonie, die 1959 ausbrach und sich immer noch weigert zu kapitulieren.
Die jetzt 53-jährige "Bestraft Kuba" - Politik ist ergraut und wurde schon in den 1980ern regelrecht aberwitzig, als Reagan die Tagespolitik gegenüber Kuba den Cubano-Amerikanern des rechten Flügels in Miami übertrug -ausgenommen natürlich bei wiederkehrenden Krisen. Unter dieser offensichtlichen Idiotie liegt aber eine noch verderblichere Absurdität.
Im Mai, beispielsweise, wies das State Department die Visumsanträge von elf kubanischen Gelehrten, unter ihnen auch Befürworter verbesserter Beziehungen zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten, zurück. Zwanzig andere Kubaner erhielten dagegen ihr Visum für den Besuch des Treffens der Vereinigung Lateinamerikanischer Studien in San Francisco.
Gleichzeitig erhielt Mariela Castro, Direktorin von Kubas Sexualerziehungsinstitut und auch Raúl Castros Tochter ihr Visum - sehr zum Entzücken der Gemeinde der Schwulen, Lesben, Bisexuellen und der Transsexuellen von San Francisco und New York, die sie dann besuchte. Sie bewundern ihre heroische Arbeit für die Rechte der "LBGT" [Lesbian, Bisexuel, Gay and Transgendered].
Diese seltsam gemischte Botschaft erzeugte Gerüchte, dass die Verweigerung von Visa einen Handel zwischen kubanisch-amerikanischen Parteisoldaten unter den US-Senatoren und einem frustrierten mittelmäßigen Beamten vom State Department stattgefunden habe: Marco Rubio (Republikaner aus Florida) und Bob Menendez (Demokrat aus New Jersey) hätten die Ernennung von Roberta Jacobson zur Ministerialdirektorin für Inneramerikanische Angelegenheiten blockiert. Die Verweigerung einiger Visa und die Verschärfung der Kuba-Reise-Bestimmungen besänftigten die beiden kubanisch-amerikanischen "Solons" (ein Bisschen) [Solon, war im alten Griechenland u.a durch strenge Gesetzgebung berühmt, Anm. d. Ü.]. Hoffen die Strategen im Weißen Haus, dass Marielas Besuch die Unterstützung von Schwulen stärkt (Geld und Stimmen) für Obama?
Inzwischen haben die Gegenspieler, Washington - Havanna, auch nicht die geringfügigste Agenda für "verbesserte Beziehungen" entwickelt. Tatsächlich hat der Staat Kubas Einwanderungsvorschläge zurück gewiesen oder dazu Stillschweigen bewahrt - jedoch nur für zwei Jahre. Während das Weiße Haus die Wiederwahl des Präsidenten verfolgt, hat es keine Zeit für Kuba.
Im Mai fand die US-Kuba-Politik ihren Weg in CNN's "The Situation Room". Wolf Blitzer interviewte Alan Gross (US-Gefangener in Kuba) und Josefina Vidal (Leiterin für Nordamerikanische Angelegenheiten im kubanischen Außenministerium). In der selben Woche versicherte die Pressesprecherin vom State Department, Victoria Nuland, gegenüber der Presse und auch Hillary Clinton bestand darauf, dass Alan unschuldig sei, trotz der Aussage seiner Ehefrau Judy Gross: "Wir wissen jetzt, dass [Alan] kubanisches Recht brach."
Hillary ignorierte ebenfalls Desmond Butler's Bericht in Associated Press über Gross' Missetaten: Gross spielte seinen Rollenpart in einer von der US-Regierung geförderten "Regimewechsel"-Politik. Gross wurde von "Development Alternatives Incorporated" bezahlt und von USAID engagiert.
Wie Clinton und Nuland, so spiegelte auch Blitzer diese Ignoranz oder Ablehnung von Butler's Wiedergabe der "Reiseberichte" von Gross 2009 aus Kuba wider. Butler beschreibt aus dem von Gross selbstgeschriebenen Bericht an seine Firma, wie Alan illegales Material schmuggelte und ein undurchdringliches Kommunikationsnetzwerk in Kuba aufbaute.
Blitzer kam auch auf das Thema der Cuban Five. In den 1990ern schickte Kuba Geheimagenten nach Miami, um Exilgruppen zu infiltrieren, die Anschläge gegen kubanische Tourismuszentren vorbereiteten. Kuba übermittelte dem FBI, was die Agenten über geheime Sprengstoff- und Waffenlager in der Gegend herausgefunden hatten. 1998, nachdem man die Informationen der Agenten genutzt hatte, um die Sprengstofflager in Miami zu beschlagnahmen, verhaftete das FBI die kubanischen Agenten - seine eigenen Informanten. 2001 erklärte sie eine eingeschüchterte Jury schwerer Verbrechen schuldig, und eine Richterin verurteilte sie zu drakonischen Strafen.
Könnte Präsident Obama sie entlassen - nach den Wahlen natürlich - im Austausch mit Alan Gross? "Auf keinen Fall," sagt das Außenministerium. Gross sei unschuldig. Die Fünf seien wegen schwerer Verbrechen verurteilt worden. Diese Art engstirniger Verlogenheit hat ein beschämendes Niveau erreicht. Gross hat zugegeben, kubanische Gesetze verletzt zu haben, und AP bestätigt seine Schuld.
Dann geschah ein anderes merkwürdiges Ereignis. Carlos García-Pérez, der Direktor des von der US-Regierung finanzierten "Cuban Broadcasting Office" (Radio und TV Martí), nannte den Erzbischof von Havanna einen Lackaien, der mit einem repressiven Regime zusammenwirke." (William Booth, Washington Post, 5. Mai 2012).
Glaubt Präsident Obama, der Kardinal, der den Dialog bevorzugt, sei nur ein Bote des kubanischen Präsidenten Raúl Castro? Oder kommt dieser Aberwitz aus tieferen albernen Gründen?
Vor zweiundfünfzig Jahren, während meiner ersten Reise nach Kuba, sah ich soziale Veränderungen, die Armen strahlten Freude aus, diejenigen, die ihren Wohlstand, ihre Privilegien, ihren Status und ihr Prestige verloren, Wut. Ich wurde auch Zeuge von Gewalt, als von der CIA unterstützte Exilanten aus Miami die Insel bombardierten.
Seit mehr als fünfzig Jahren boykottieren die USA Kuba. Die CIA unterstützte im April 1961 eine Invasion der Exilanten in der Schweinebucht und sponserte Tausende von bewaffneten Angriffen auf die Insel - Terrorismus.
Nach über einem halben Jahrhundert hat Kuba inzwischen über eine Million Kubaner nach Florida exportiert, und die haben diesen Staat verändert - und das Schicksal der USA. 2000 halfen sie George W. Bush, Präsident zu werden. Die Aktionen von Kubas Konterrevolution haben das Schicksal der USA verändert - nicht das Kubas.
Obwohl Kubas ungestüme Jahre der Revolution vorbei sind, ist Lateinamerika ihm auf der Straße der Unabhängigkeit gefolgt.
Im März charakterisierten Ignoranz und Arroganz die Rolle von Präsident Obama auf dem "Gipfel der Amerikanischen Staaten" in Cartagena. Washington hat es einmal mehr abgelehnt, Kuba an der Diskussion über die Zukunft der Hemisphäre teilnehmen zu lassen. Selbst die US-Marionettenregierung von Honduras stimmte gemeinsam mit 30 anderen Staaten dafür, Kuba bei künftigen Treffen einzuschließen. Nur Kanada blieb auf der Linie der USA. Dreiundfünfzig Jahre angesammelte Galle.
Obamas Antwort an die Kritiker hier und in Kuba? "Sie wissen, dass wir es besser machen können."

Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db)

(Quelle: Canadian Dimension vom 1. Juni 2012)

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