CounterPunch, Wochenendausgabe 7. - 9. September 2012

Ein erfundener Mord

Von Ricardo Alarcón de Quesada

Am 24. Februar 1996 fand vor dem Malecón in Havanna ein beklagenswertes Ereignis statt. Zwei Kleinflugzeuge einer Terroristengruppe in Miami wurden, als sie kubanisches Hoheitsgebiet verletzten, von den Luftabwehrstreitkräften abgeschossen. Dutzende ähnlicher Verletzungen hatten in diesem Jahr bereits stattgefunden, und die Regierung hatte öffentlich davor gewarnt, sie würde keine Wiederholungen solcher Aktionen mehr dulden.
Dieses Ereignis verstärkte die Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und Kuba erheblich und wurde zum Gegenstand intensiver Debatten innerhalb der "International Civil Organization (ICAO)" [Internationalen Zivilfluggesellschaft, Anm. d. Ü.] und dem UN-Sicherheitsrat. Am 7. Mai 1999 - über drei Jahre und zwei Monate nach dem Ereignis - benutzte die Regierung der Vereinigten Staaten in unverantwortlicher und wetterwendischer Weise diesen Vorfall und verwandelte ihn in den Anklagepunkt 3, "Verschwörung, Mord zu begehen", und zwar nur gegen Gerardo Hernández Nordelo. Das Verfahren gegen die Fünf konzentrierte sich hauptsächlich auf diese Anklage.
Dieser Anklage widmete das Gericht die meisten ihrer Verhandlungen, Experten und Zeugen. Verwandte der Männer, die am 24. Februar ihr Leben verloren hatten, waren im Gerichtssaal anwesend, hielten öffentliche Demonstrationen ab und gaben genau zu der Zeit Pressekonferenzen und dort auch vor den Mitgliedern der Jury. Diese Angelegenheit stand im Fokus der Medienkampagne. Tausende von Artikeln und Kommentaren wurden darüber für Presse, Radio und Fernsehen verfasst.
Merkwürdigerweise richteten die Medien ihre Aufmerksamkeit auf Anklagepunkt 3, schon bevor er existierte. Es kann zweifelsfrei festgehalten werden, dass die Anklage das Ergebnis einer Verschwörung zwischen der Regierung und den für das Ereignis verantwortlichen terroristischen Gruppen war. In dieser Verschwörung spielten die von der Regierung gekauften "Journalisten" eine entscheidende Rolle.
Im September 1998, als das FBI die Fünf verhaftete, formulierte der US-Staatsanwalt seine Beschuldigungen gegen die Angeklagten. Punkt 3 gab es nicht, die Zwischenfälle in der Luftfahrt, der Abschuss der Flugzeuge oder Ähnliches fanden keine Erwähnung. Die Anklage gegen Gerardo wurde nach über sieben Monaten hinzugefügt, als nämlich er und seine Kameraden in Isolationshaft, isoliert von der Welt bei ihrem ersten Besuch im "Loch" waren, der 17 Monate andauerte.
Eine Analyse der Presseberichte von Miami zwischen September 1998 und Mai 1999 beweist die vorherige Feststellung. Wir können viele Erklärungen von Führern der Terrorgruppen, die von "Journalisten" weit verbreitet und noch ausgemalt wurden, finden, in denen die Regierung gebeten wird, diese Anschuldigung hinzuzufügen. Unter anderem können wir die umfangreiche Information über die Treffen zwischen den Staatsanwälten und den Terroristen nachlesen, aus der das "Second Superceding Indictment" [die zweite übergeordnete Rechtsklage, Anm. d. Ü.] hervorging, um den ersten Platz einzunehmen und den Anklagepunkt 3 mit darin einzuschließen.
Das Lesen beider Dokumente der US-Staatsanwaltschaft würde jeden anständigen Journalisten überraschen und dazu anregen nachzufragen. Laut dieser Dokumente war es dem FBI spätestens seit 1994, also zwei Jahre vor dem Zwischenfall von 1996 gelungen herauszubekommen, wer Gerardo Hernández Nordelo wirklich war und was er in den Vereinigten Staaten tat. Sie konnten seine Kommunikation mit Havanna entziffern, sie wussten, was er tat und welche Instruktionen er erhielt. Trotzdem unternahmen sie nichts gegen Gerardo und seine Kameraden, weil sie wussten, dass seine Arbeit weder den USA noch dem [US]-amerikanischen Volk Schaden zufügte.
Sie wussten auch, dass Gerardo nichts mit den Ereignissen von 1996 zu tun hatte. In jenen Tagen gab es nicht nur in Miami, sondern auch in Washington einen großen Aufruhr. Bill Clinton, der damalige Präsident, schrieb, ihm sei sogar vorgeschlagen worden, Kuba militärisch anzugreifen. Die aggressiveren Gruppen in Südflorida schwadronierten Tag und Nacht und forderten Krieg. Die Komplizenschaft dieser Gruppen mit dem lokalen FBI ist wohlbekannt. Kann irgendwer glauben, dass sie nichts gegen den "Schuldigen" am Abschuss der Flugzeuge unternommen hätten? Dass sie nichts gegen ihn unternehmen würden, wenn sie ihn nur unter Bewachung des FBI in Miami hätten?
Und Kuba? Keine der Kommunikationen zwischen Havanna und Gerardo, die sich im Besitz des FBI befinden und beim Verfahren präsentiert wurden, weist darauf hin, dass auch nur die geringste Befürchtung über seine Sicherheit oder die Notwendigkeit, ihn vor Risiken zu bewahren, bestand, wenn er irgendeine Beteiligung an dem Zwischenfall gehabt hätte. Gerardo setzte seine Arbeit in Miami fast drei Jahre lang fort. Er kam im Urlaub nach Kuba, und niemand dachte, er solle hier bleiben, um sein Leben zu schützen.
Als er im September 1998 verhaftet wurde, wurde für nichts, was mit den Ereignissen von 1996 zusammenhing angeklagt, ganz einfach, weil das FBI spätestens seit 1994 wusste, was Gerardo tat und darum auch wusste, dass er nichts mit jenem unglückseligen Zwischenfall zu tun hatte. Trotzdem kamen sie 1999 mit der unglaublichen Verleumdung, ihn wegen Mordes ersten Grades zu beschuldigen - mit vorsätzlicher Arglist - und sie - das FBI, d.h. die Regierung - tat es, um die Wünsche der terroristischen Mafia und ihrer unterwürfigen Kumpel in den Medien, die außerdem auf der Gehaltsliste der Regierung standen, zu befriedigen.
Die Anklage war so schwach, dass die US-Staatsanwaltschaft später begriff, dass sie sie nicht beweisen konnte, und bat, sie zurückzuziehen. Das hätte in anderen Fällen zu Meldungen auf der Titelseite geführt, aber nicht im Fall der Fünf. Ricardo Alarcón ist Präsident der kubanischen Nationalversammlung

Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db)

(Quelle: CounterPunch, vom 6. September 2012)

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