René González kennenzulernen - "für mich eine Erfahrung fürs Leben"
Mitgefangener Roddy Rodríguez erinnert sich an die Freundschaft mit einem der von der US-Regierung eingesperrten "Cuban Five"
(Auszug aus einem Sonderbeitrag von "The Militant", - Vol. 77/no. 20, für die Ausgabe vom 27. Mai 2013)
Rodolfo "Roddy" Rodríguez war gleichzeitig mit René González im Gefängnis, dem "Federal Correctional Institute" von Marianna, Florida, USA.
EDMUNDO GARCÍA: Auf die heutige Sendung haben wir alle schon eine Woche lang gewartet. Mein Gast ist Rodolfo Rodríguez. Er ist 55 Jahre alt und jeder nennt ihn nur Roddy. RODOLFO RODRÍGUEZ: Das stimmt. Meine Odyssee in die Vereinigten Staaten begann 1980.
GARCIA: Roddy war im selben Gefängnis wie einer der kubanischen antiterroristischen Kämpfer und Helden der Republik Kuba, René González. Während etlicher Jahre zwischen 2004 bis zu Renés Entlassung 2011, lernte Roddy René kennen, und das hinterließ einen tiefen Eindruck in seinem Leben.
RODRÍGUEZ: Ich kam 2002 im Gefängnis von Marianna an. 2004 hatte dann ein Hurrikan den Ort zerstört, und die Nationalgarde hatte uns von dort weg gebracht. Nach zwei Monaten gehörte ich zu der ersten Gruppe, die dahin zurück kamen. Die nächste Gruppe kam aus einem anderen Gefängnis, und zu der gehörte René. GARCÍA: Hatten andere Gefangene den gleichen Respekt vor ihm? RODRÍGUEZ: Ich denke alle. Ich werde diesen jungen schwarzen Kerl nie vergessen, seinen Zellengenossen, der einen politischen Rap über die USA komponierte, und er sang ihn im Hof allen vor, wo wir zu besonderen Anlässen wie zum 4. Juli oder zu Heiligabend Veranstaltungen abhielten. Ich kann dir nicht mehr genau sagen, welche politischen Ideen er vertrat, aber ich denke, dass er vielleicht von seiner Beziehung zu René dazu angeregt worden war, die Sache der Fünf zu verstehen. Viele Leute wussten nicht, was um die Fünf herum passiert war, und wenn sie davon erfuhren, waren sie überrascht. Wir hatten sogar ein T-Shirt mit dem Symbol der Fünf und dem Stern der kubanischen Flagge. GARCÍA: Was machten sie in jenen Jahren an einem der üblichen Tage?
RODRÍGUEZ: René lief viel, wie ich schon sagte. Und wenn er nicht rannte, dann las er. Man konnte aus der Post, die er bekam, die Solidarität ablesen, die er aus aller Welt erhielt. Es gab einen Moment, auf den wir jeden Tag warteten, wenn wir die Tonnen von Briefen, die ankamen, sehen konnten, und alle an eine Adresse - an Renés - aus Australien, Russland, China, von überall her. Einige Mitgefangene sagten dann zu ihm: "Hör ' mal, heb mir die Briefmarken auf." Tatsächlich habe ich auch selber eine Menge davon. GARCÍA: Waren einige der Kubaner in Marianna auch feindselig gegenüber René?
RODRÍGUEZ: Man könnte sagen, sie waren nicht so feindselig gegenüber René wie zu sich selbst, weil sie in seiner Anwesenheit Dinge sagten, die verletzend sein konnten oder schockierend. Zum Beispiel sagte irgendwer, ich erinnere nicht wer, eines Tages: "Meine Mutter ist in Havanna zu einer Katarakt-Operation gegangen und musste ihr eigenes Handtuch und ihre eigenen Betttücher mitbringen." GARCIA: Was machte René in solchen Diskussionen?
RODRÍGUEZ: Er hat gelacht. Aber dann gab er einen Kommentar ab, den ich sehr gut fand - und ich benutze ihn in Unterhaltungen selbst. "Schau," sagte er, "das Problem ist, deine Diskussion basiert auf Dingen, die du gehört hast und nicht gesehen. Sieh dir die Realität an, sieh auf den gesamten Prozess, verfolge ihn bis zum Schluss." GARCÍA: Erzähl uns ein wenig, was du und René in der Freizeit taten. RODRÍGUEZ: Es gab keine Freizeit. Es ärgerte René, wenn jemand sagte: "Ich schlage meine Zeit tot." Er schlug niemals die Zeit tot. Er saß auf einem Stuhl mit den Füßen auf dem Bett - ich weiß nicht, wie er so lesen konnte - und er verschlang Bücher. Ich dachte, ich sei ein Leser. Aber wenn ich sah, wie er las... und ich rede auch von schwierigen Büchern. GARCÍA: Hast du Renés Familie kennengelernt?
RODRÍGUEZ: Ja, es war ein Segen, seine Familie zu treffen. Ich traf Irma, Renés Mutter. Die Prinzipien dieser Frau sind unglaublich. Sie inspiriert alle, die sie treffen.
GARCÍA: Lass mich unseren Zuhörern erklären: Roddy und René ist unter den Bewährungsauflagen, denen beide unterliegen, als ehemalige Gefangene nicht erlaubt, miteinander zu korrespondieren. Aber es ist kein Problem für Roddy, hier mit mir und den Zuhörern zu sprechen. RODRÍGUEZ: Ja, und es war unglaublich, ihn mit seinen Töchtern Irmita und Ivette zu beobachten. Aber du hast etwas berührt, was eine Schlüsselrolle bei dem spielte, was ich als meine mentale Metamorphose bezeichne. Es war nicht nur wegen der Familie. Es war auch zu erfahren, wie ganz Kuba Renés Sache unterstützte, die Sache der Fünf. Das hat tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. GARCÍA: Wie behandelten die Wärter René?
RORÍGUEZ: Ich glaube, jeder respektierte ihn. Außer einem Beamten, den wir "Nervensäge" [pain in the butt - eigentlich: Schmerz im Hintern - Anm. d. Ü.] nannten, aber er war zu fast jedem so. GARCÍA: Was hat dir René gesagt, was er tun will, wenn er zurück in Kuba ist? RODRÍGUEZ: Gut, eins, worauf wir uns geeinigt haben ist, dass er und ich den Pico Turquino (Kubas höchsten Berg) besteigen wollen. Gemeinsam mit Olguita und meiner Frau Sandra. Sandra war noch nicht wieder in Kuba, sie reiste aus, als sie fünf war und ging bisher nicht zurück. Aber wir machen Pläne, und sie hat einen kubanischen Pass. GARCÍA: Du bist auch nie nach Kuba zurückgekehrt, Roddy. RODRÍGUEZ: Unglücklicherweise nicht. Aber schließlich werde ich, und wenn ich da bin, werde ich es nicht wieder verlassen. GARCÍA: Erschien René jemals traurig oder deprimiert? RODRÍGUEZ: Nein, niemals. Ärgerlich, ja - bei seltenen Gelegenheiten, weil er sich nicht leicht verrückt macht. Es gibt eine totale Brüderlichkeit zwischen ihnen [den Cuban Five]. Es gibt eine Redensart "tun ist die beste Form von sagen", und die Fünf leben getreu nach dem, was sie verfechten. GARCÍA: Waren andere Nichtkubaner interessiert an der Angelegenheit, in die René verwickelt war?
RODRÍGUEZ: Einige. Viele setzten sich zu ihm, und er sprach mit ihnen. GARCÍA: Zu einem bestimmten Zeitpunkt, bevor René auf Bewährung entlassen wurde, wurdest du in ein anderes Gefängnis verlegt. RODRÍGUEZ: Das stimmt. Der Abschied war ein großer Augenblick. Ich habe viele Brüder in der Kirche - heute bin ich evangelischer Lehrer und werde bald zum Seelsorger ernannt - und ich liebe sie sehr, und es gibt unter ihnen viele, von den ich gelernt habe. Aber für mich war eine der größten Erfahrungen meines Lebens, René kennenzulernen. Ich habe das meiner Familie, meiner Frau, meinen Eltern erzählt, die übrigens nicht mehr so denken wie einst. Sie haben begonnen, die Realität zu verstehen, weil die Wahrheit zu groß ist, um sie zu verbergen. GARCÍA: René hört dieser Sendung zu. Hast du eine Botschaft für ihn? RODRÍGUEZ: Ich möchte, dass er weiß, dass ich immer noch derselbe bin. Er ist in meinen Gebeten. Und ich danke ihm dafür, dass er mein Freund ist. Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db)
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