René González: "Ich ging nicht in die USA, um Menschen zu bekämpfen."

Interview von Enrique Ojito Linares und Arelys García Acosta

Nachdem er am 8. Dezember 1990 seinen wahrscheinlich riskantesten Flug hinter sich gebracht hatte, unterwanderte René González Sehwerert, der Erste von den Fünfen, der ins Heimatland zurück kehren konnte, die in Florida ansässigen Terrororganisationen wie "Hermanos al Rescate, Movimiento Democracia, Partido Nacional Democrátrico" und "Fundación Nacional Cubano-Americana". In einem Exklusiv-Interview mit der "Escambray"-Zeitung und "Radio Sancti Spiritus" erinnert sich der kubanische antiterroristische Kämpfer an sein Leben als Agent der kubanischen Staatssicherheit, ohne dabei sein persönliches Leben als Mensch außer Acht zu lassen.

"Wenn Sie sagen, dass es heute Abend ginge, werde ich herausfinden, wie ich nach Havanna komme," sagte ich bei meiner Telefonanfrage um ein Interview mit René González Sehwerert, ohne dabei meine Beklemmung verbergen zu können. "Rufen sie uns innerhalb der nächsten 10 Tage an," antwortete er selbst höchstpersönlich. In Anbetracht seiner momentanen Rechtslage, erschien das wohl angemessen.
Das Interview wurde dann im Hauptsitz des Kubanischen Instituts für Völkerfreundschaft (ICAP) anberaumt, wo er auch erklärte, dass es der Alptraum seiner Gefangenschaft gewesen sei, ohne seine Kameraden, Gerardo Hernández, Ramón Labañino, Antonio Guerrero und Fernando González, nach Kuba zurückzukehren.
Nachdem er am 7. Oktober 2011 ein fünfzehnjähriges Strafurteil verbüßt hatte, war von René verlangt worden, seine Strafe mit drei weiteren Jahren überwachter Freilassung zu vollenden. Dieser Beschluss wurde jedoch von Richterin Joan Lenard am vergangenen 3. Mai abgeändert, indem sie seinen dauerhaften Aufenthalt in Kuba akzeptierte, wenn er seine US-Staatsbürgerschaft aufgebe. Am 9. Mai erhielt González dann das Zertifikat über seine Widerrufung der US-Staatsbürgerschaft.

Es ist ein bewölkter Nachmittag. In den großen Saal des ICAP dringt der Lärm von der Straße, als René González dort in Begleitung seiner Ehefrau Olga Salanueva eintrifft. Sie blickt ihn aufmerksam an und beobachtet seine Augen und seine Hände, die er ein ums andere Mal überkreuzt, während er sich an die wenigen Jahre erinnert, die er in Chicago verbrachte, wo er am 13. August 1956 geboren worden war.
"Es sind nur Bruchstücke von Erinnerungen," sagt er. Die Familie habe in der Nähe des Michigan Sees gewohnt. Er erinnere sich an einen hölzernen Brückenpfeiler und daran, dass die Reise nach Kuba an Bord der Guadalupe stattgefunden habe.
Das geschah nach der Söldnerinvasion in die Schweinebucht.
"Ja, meine Eltern waren Mitglieder des Komitees, "Pro justo trato a Cuba" [Für die gerechte Behandlung Kubas], daher demonstrierten sie gegen die Invasion. Auf diese Weise wurden sie mit Vergeltungsschlägen konfrontiert und sogar Opfer von Aggressionen des rechten Flügels innerhalb der Bevölkerung. Danach beschlossen sie, nach Kuba zu kommen. Wir kamen hier im Oktober 1961 an."
René González, bei der Staatssicherheit besser als der "Biber" bekannt, kehrte laut "Los últimos soldados de la guerra fria (The last soldiers of the cold war) [Die letzten Soldaten des Kalten Krieges] von dem Brasilianer Fernando Morais am 8. Dezember 1990 in die USA zurück, nachdem er in San Nicolas de Bari, der jetzigen westlichen kubanischen Provinz Mayabeque, ein Flugzeug entführt hatte.

F: Bevor Sie gingen, hinterließen Sie Olga etwas Geld und den in ein Magazin eingelegten lyrischen Text eines Liedes von Pablito Milanes. War das eine kodierte Nachricht?

A: Es ist eine schwierige Sache, seine Familie zu verlassen, ohne dass sie weiß, was man vorhat. Während all’ dieser Jahre hatte ich schon die schwersten Aufgaben in Kuba bewältigt, dazu gehörte, sowohl in San Nicolas de Bari ein Flugzeug zu entführen als auch gleichzeitig der Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei Kubas den Rücken zu kehren. Es gibt Dinge, die gehören nicht zur Aufgabenstellung, die aber menschliche Anforderungen stellen, an denen Gefühle beteiligt sind, seine Familie zurück zu lassen, ist eine davon. Es ist sehr schwer. Ich hinterließ Olga das Geld, das ich gespart hatte und das Lied in einem Bohemia-Magazin.

F: Wie oft haben Sie den Plan, ein Flugzeug zu entführen, das Sie nach Boca Chica brächte und wo Sie dann fast ohne Treibstoff ankamen, hinterfragt?

A: Es war mir nicht möglich, irgend etwas zu hinterfragen. Ich musste nur den richtigen Moment abwarten und die Gelegenheit ergreifen. Und das tat ich, sogar als ich wusste, dass der Treibstoff kaum bis dort reichen würde. Wahrscheinlich war es der gefährlichste und riskanteste Flug, den ich je unternommen hatte.

F: Bei Ihrer Ankunft in Miami gaben Sie eine so genannte Erklärung über Radio Martí ab, die besagte, dass Sie, als Sie die Florida Keys sahen, sich wie Christopher Kolumbus gefühlt hätten. Wie haben Sie es geschafft, den Verräter zu spielen und die Öffentlichkeit davon zu überzeugen?

A: Ich stellte mir diese Frage seit dem entscheidenden Moment, da ich mit dieser Mission betraut wurde. Ich glaube nicht, dass irgend jemand darauf trainiert werden kann. Abgesehen davon war ich das genaue Gegenteil und nie eine scheinheilige Person. Daher liegt der Schlüssel dafür, die Rolle zu spielen, im Pflichtbewusstsein, in der Befriedigung, jemanden in die Irre zu führen, der meinem Volk Leid zufügen will.
Ich erinnere mich an meine erste Begegnung mit Felix Rodríguez, der Katze, es war am selben Tag als die Gruppe "Hermanos al Rescate" gegründet wurde. Ich war vom Leiter der Gruppe, namens CUPA (Cuban Pilots Association), zu einer Pressekonferenz auf dem Flughafen von Miami eingeladen worden, bei der die Gruppe bekannt gemacht werden sollte.
Sobald ich in der Flughafenhalle angekommen war, wurde ich Felix Rodríguez vorgestellt. Ich höre noch jemanden sagen: "Das ist der Mann, der Ché tötete." Ich weiß nicht, was ich wirklich empfand. Ich schüttelte ihm die Hand und sagte: "Sie sind also derjenige welcher!" Ich staunte über mich selbst, wie konnte ich das sagen? Als ich den Ort verließ, wusste ich, dass ich für die Aufgabe bereit war.

F: Vom Dasein eines Geheimagenten, könnte man annehmen, dass Sie als solcher ein komfortables Leben gehabt hätten. Wie konnten Sie in den ersten Monaten in wirtschaftlicher Hinsicht überleben?

A: Ich hatte die Hilfe vieler Verwandter, die dort waren. Ich hatte kein Geld, aber ich hatte eine Bleibe. Ich wurde von meiner Großmutter aufgenommen. Ich begann, sobald ich dort war, zu arbeiten, doch in der Absicht, näher an die Leute der Luftfahrt heranzukommen.
Einige Zeit später, gelang es mir, mich in die Gruppe, "Hermanos al Rescate" einzugliedern. Ich musste viel Zeit mit der Erlangung von Fluglizenzen zubringen, was sehr kostspielig ist. Daher hatte ich etliche verschiedene Jobs. Ich führte ein bescheidenes Leben und immer mit dem Hauptziel vor Augen, Pilot sein zu können.

F: Sie schlossen sich den "Hermanos al Rescate" 1991 an. Sie flogen mit Basulto über Havanna und warfen Pamphlete ab. Wie konnten Sie in der selben Flugzeugkabine mit diesem Terroristen ruhig bleiben?

A: Ich ging nicht in die Vereinigten Staaten, um Menschen zu bekämpfen. Ich ging dorthin um Aktivitäten gegen Kuba zu bekämpfen. Ich ging dorthin, um das Land vor solchen Aktivitäten zu warnen. Unter solchen Umständen kann man der persönlichen Befindlichkeit nicht allzu viel Aufmerksamkeit schenken, weil man davon absehen muss.

F: Sie transportierten Journalisten von Fernsehsendern wie "Univisión", die Kampagnen gegen Kuba führten.

A: Zu Beginn waren die "Hermanos al Rescate" wahrscheinlich eine der best-organisiertesten Gruppen für Operationen in psychologischer Kriegsführung. Sie nutzten die Situation der Bootsflüchtlinge (Balseros) aus, was eine zwar komplizierte, aber leicht manipulierbare Angelegenheit war. Die Organisation wurde von Basulto, einem der Veteranen der Schweinebucht-Invasion, gegründet. Sie waren in den 1960ern von der CIA ausgebildet worden.
Zur damaligen Zeit wurde in Miami eine Art Euphorie rund um Kubas reale und irreale Probleme geschaffen. In einem solchen Kontext, waren die "Hermanos al Rescate" ein sehr effektives Werkzeug. Etliches trug dazu bei, ihnen eine sehr starke Operation der psychologischen Kriegsführung zu ermöglichen.
Solange die so genannte Spezialperiode in Kuba nur noch schlimmer wurde, wuchs ihre Hoffnung auf den Zusammenbruch des Systems auf der Insel. Was im August ’94 rund um den Malecón geschah, gab ihnen den Impuls. Innerhalb dieser Arbeit begannen sie, gewalttätige Aktionen zu organisieren.
Nachdem die Vereinigten Staaten und Kuba 1994 und 1995 die Einwanderungsabkommen unterschrieben hatten, brach das Geschäft der "Hermanos al Rescate" zusammen, denn diejenigen, die es noch wagten, aufs Meer zu gehen, wurden von der Küstenwache aufgegriffen und auf die Insel zurück gebracht. Von da an begannen die Provokationen größer zu werden, und sie versuchten einen Konflikt zwischen Kuba und den USA zu schaffen.

F: Welche konkrete Aufgabe hatten Sie?

A: Ich schloss mich verschiedenen Organisationen an. "Hermanos al Rescate" war die erste von ihnen. Es war meine Pflicht, Kuba über alles informiert zu halten, was in Bezug auf die Flöße getan wurde. Später war Basulto an dem Erwerb eines russischen Kampfflugzeuges (Mig 23) beteiligt, um es für gewalttätige Aktionen zu nutzen. Er wollte auch ein tschechisches Militärübungsflugzeug kaufen.
Ich stand außerdem mit der "Partido Unido Nacional Democrático (PUND) in Verbindung, die 1992 und 1993 für das Eindringen über die Nordküste der Insel verantwortlich war, hauptsächlich auf dem Gebiet von Varadero und Cayo Coco. Jemand wurde von einem PUND-Kommando auf den Caibarien getötet. Ich war an der Unterwanderung dieser organisierten Aktivitäten beteiligt. Das "Comando de Liberación Unido" stand ebenfalls mit diesen Aktivitäten in Verbindung.
Ich musste auch Einsatzorte ausfindig machen. Einmal musste ich gewisse Mittel, die der "FNCA" (Fundación Nacional Cubano-Americano), einer paramilitärischen Gruppe gehörten, ausfindig machen. In den 1990ern wusste ich, dank einer Indiskretion von jemandem, wo sich Posada Carriles aufhielt. So sahen meine Aktivitäten aus.

F: Warum kooperierten Sie mit dem Federal Bureau of Investigations (FBI) bei der Aufdeckung von Drogenhandel?

A: Ich deckte zwei Drogenoperationen auf. Erstens, weil jedermann Kubas Einstellung zu Drogen kennt. Aber dort spielt der Drogenhandel eine Doppelrolle, und das Geld, das damit gemacht wird, wird zur Finanzierung von "PUND" und dem "Comando de Liberación Unido" gebraucht. Sie von der Geldquelle abzuschneiden, war wie die Eliminierung der Operationen gegen Kuba.
Es ist schwer zu beurteilen, wie viele Operationen nicht ausgeführt wurden. Ich erinnere mich daran, dass einmal Tony (der Fette) ins Gefängnis kam. Er war derjenige, der "PUND" finanziert hatte.

F: Was Ihren Geheimdienst-Job betrifft, wie konnten Sie damit umgehen, beobachtet zu werden?

A: Es gibt gewisse Geheimdienst-Verhaltensregeln, die man annehmen muss, wie immer wachsam zu sein. Es muss eine Balance zwischen Wachsamkeit und Achtsamkeit auf sich selbst gefunden werden, anderenfalls kann es einen schwer beeinträchtigen.

F: Inmitten alles dessen waren Sie entschlossen, sich mit Olga und Irmita wieder zu vereinigen. Was taten Sie alles dafür? Es wird erzählt, dass Sie sogar bis zum Capitol gingen.

A: Es wurde etliches in Erwägung gezogen. Ileana Ros-Lehtinen hatte nicht die Befugnis, Olguita dorthin zu holen. Es gehörte zu dem ganzen Plan. Offensichtlich war es immer meine Priorität, mich mit ihnen wieder zu vereinen. Wir waren sechs Jahre lang getrennt, aber sie konnten schließlich im Dezember 1996 kommen.

F: Sie kamen in einen Anzug gekleidet und sogar mit Blumen in der Hand in den Flughafen von Miami, um sie abzuholen.

A: Das Wiedersehen hatte zwei entgegengesetzte Seiten. Unglücklicherweise musste ich dazu mit einem Typen hingehen, der nicht gerade ... war (Ramón Saul Sánchez, Leiter der Movimiento Democracia). Unser Wiedersehen war, als ob Olguita und ich noch einmal geheiratet hätten. Wir waren seit 1983 verheiratet. Also, nach einer Trennung von sechs Jahren war es wunderbar und gleichzeitig schwierig wegen der Eingewöhnung, durch die Irmita musste. Aber unsere Gefühle waren stärker und halfen uns, damit fertig zu werden.

F: Aus dieser Liebe entstand Ivette. Wie sehr freute sich Gerardo Hernández, der selbst keine Kinder hat, über die Geburt von Ivette?

A: Gerardo war immer einfühlsam gegenüber allem, was mit Familie zusammenhing. Vor Ivettes Geburt begleitete er Irmitas Heranwachsen. Er war immer hilfsbereit zu Olguita. Wir waren tatsächlich eine Familie. Unter diesen Umständen ist das die einzige Familie, die man hat, die einzigen Leute, denen man alles erzählen kann. Gerardo übernahm diese Rolle auf sehr humane Weise, mit einer unermesslichen Fähigkeit zur Liebe, er war tatsächlich glücklich über Ivette.

F: Wie ging Ihre Verhaftung am 12. September 1998 vonstatten?

A: Das Wort Festnahme ist in den Vereinigten Staaten von Amerika ein Euphemismus für Überfall. Sie dringen mit Gewalt in dein Haus ein, um dich zu paralysieren; das ist der erste Schritt, um dich weichzuklopfen. Sie (die FBI-Beamten) begannen damit, unsere Tür einzuschlagen. In anderen Fällen benutzen sie einen Rammbock. Wir wohnten in sehr engen Räumlichkeiten mit einer Eisentür, sodass es unmöglich für sie war, sie einzuschlagen. Als ich öffnete, drangen sie mit Schusswaffen ein, warfen mich zu Boden während sie mich bedrohten und legten mir sofort Handschellen an. Als Olguita aus dem Schlafzimmer kam, warfen sie sie gegen die Wand. Danach zogen sie mich auf die Füße, fragten mich, ob ich René González sei und ob ich zu Hermanos al Rescate gehöre. Sie schleppten mich an jenem Sonnabend aus dem Haus und brachten mich ins Gefängnis.

F: Wie würden Sie den ersten Tag im Gefängnis beschreiben?

A: Die ersten Tage waren schrecklich. Nebenbei, in unserem Fall ging man anders vor als üblich, wo man in einen Festnahmetrakt geführt wird, Kleidung bekommt, und einem erklärt wird, wie das Gefängnis funktioniert, und bekommt ein Telefongespräch angeboten. Wir wurden einer besonderen Behandlung unterzogen, beim Militär sagt man dazu "golpe y estupur" [Schlag und Benommenheit], d.h. man wird mit Gewalt festgenommen und dann zum FBI gebracht, um zu sehen, ob man sich für schuldig oder nicht erklärt, oder ob man kooperieren will. Danach stecken sie dich in das "Loch", sodass man beginnt darüber nachzudenken, was wohl noch kommen mag. Das sind Tage, an denen man keinen Schlaf findet, sie gaben uns nicht einmal ein Laken. Zu dem Zeitpunkt ist deine Zukunft entschieden. Wenn du dich entscheidest, nicht zu kneifen, tust du es später auch nicht. Zu dem Zeitpunkt beschlossen wir, uns nicht aus dem Tritt bringen zu lassen.
Es waren schwierige Tage bis Montag. Es ist alles gut eingerichtet: man lässt dich Sonnabend und Sonntag allein mit deinen Gedanken; ohne sich zu rasieren, ohne sich die Zähne zu putzen; am Montag verkleiden sie dich wie einen Clown und bringen dich vor Gericht. Sie gehen mit dir über den Flur, und du siehst all’ diese Leute, voller Hass mit Blick auf deine Ketten, bärtig, mit leichenhaftem Anblick, und dann ist da auch noch die ständige Sorge um deine Familie in deinem Kopf.
Ich war froh, als ich aus dem Fahrstuhl kam, und sie mich in einen vollbesetzten Raum brachten, und ich sah nach meiner Familie. Plötzlich hörte ich jemanden "Daddy!!!" rufen, und ich konnte Irmita erkennen, die den Daumen hochhielt. Von diesem Augenblick an atmete ich wieder und sagte mir: "Diese Luft muss reichen, bis das hier zuende ist." Und sie reicht immer noch.

F: Was hielt dich davon ab, Verrat zu begehen, wie es andere Mitglieder des kubanischen Netzwerks taten?

A: Ich halte mich an die grundsätzlichste Sache überhaupt: die menschliche Würde; ich glaube an den Wert der menschlichen Würde. Der Prozess zeigte, dass es einige Leute gibt, die nicht daran glauben. Wir tun es alle kund, aber unter solchen Umständen erfährt man, wer sich wirklich daran hält. Wir Fünf glauben an menschliche Werte. Wenn diese existieren, weiß ich nicht, warum sich eine Person der Gewalt hingeben muss.
Es macht keinen Sinn nachzugeben, wenn man eingesperrt oder grausamer Behandlung ausgesetzt wird. Ich war von der Sache, für die ich kämpfte, überzeugt. Ich war mir sehrwohl bewusst, wozu meine Mission gut war, wusste ich doch, dass ich menschliches Leben verteidigte, und dass ich dafür unfair behandelt wurde.
Man fügt das alles zusammen und auch ihr Verhalten [das der FBI-Beamten]. Du siehst, wie sie den Richter belügen, Zeugen erpressen, das Gericht austricksen und sich über amtliche Anordnungen lustig machen, und dann fragt man sich: wie weit können sie sich erniedrigen? Und dann begreifst du, dass du ihnen nicht nachgeben kannst.

F: Sie waren in Pennsylvania, South Carolina und Florida eingesperrt. Wie haben Sie es angestellt, dass Sie in einer solch feindseligen Umgebung respektiert wurden?

A: Im Fall des US-Gefängnissystems verschafft es dir eine Menge Respekt, vor Gericht zu gehen, fast keiner geht vor Gericht. Die Leute haben Angst vor einem Prozess; das System ist so organisiert, das alle, die es tun, letztlich verlieren. Juristen reden es dir aus und fordern dich auf, mit der Staatsanwaltschaft zu kooperieren, und mit Kooperation meinen sie, dass du jemanden betrügst. Wenn du dich dem Verfahren stellst, erhebst du dich gegen die Regierung.
Die Leute respektieren dich dafür sehr; nebenbei, sie nehmen an, dass du sie nicht auslieferst. Deine Einstellung ist auch ein Schlüssel; wenn du die Menschen gut behandelst, zahlen sie das im Allgemeinen zurück. Du musst Beziehungen zu Personen mit positivem und konstruktivem Charakter aufnehmen, und Spiele, Schulden und Verbindungen zu Banden vermeiden.
Briefe sind auch ziemlich hilfreich. Die Leute sehen, dass man viele Briefe aus verschiedenen Ländern bekommt, und bitten um die Briefmarken. Die kubanische Herausgabe von den Briefmarken war großartig, sie sagten: "Guck mal, der Kerl ist auf einer Briefmarke." Selbst Wächter baten mich heimlich, sie zu signieren.

F: Hatten Sie irgendeinen besonderen Zellengenossen?

A: Ich hatte eine Menge Zellengenossen. Ich erinnere mich an einen Rapper, der mit mir zusammen in Marianna, Florida, saß, der sich so mit dem Fall befasste, dass er eines Tages, nachdem er ein T-Shirt bekommen hatte, darauf neben Rody (Rodolfo Rodríguez) das Symbol der Fünf malte. Er sang sogar einen Rap auf uns, und es gab einen ziemlichen Aufstand dort.
Rody ist ein einzigartiges Exemplar: ein Kubaner, seit seiner Kindheit mit einer langen kriminellen Vergangenheit, die sogar Gewaltverbrechen enthält. Als er allerdings mich traf, begann er seine Meinung über Kuba, die Revolution und Fidel zu ändern. Am Ende war er mehr Kommunist als ich.
Es gab auch einen weißen Höchstsicherheitsgefangenen mit einer gewaltbereiten Vergangenheit, einer dysfunktionalen Kindheit, der sogar bei den Skinheads landete und Banken überfiel. Er änderte seine Meinung, als er froh war während des Prozesses mein Zellgenosse zu sein; er näherte sich mir an und wurde politisiert. Also, ich kann sagen, dass die meisten Insassen sich gegenseitig respektierten.

F: Olga wurde zum Zentrum der Familie, war gleichzeitig Vater und Mutter. Nichtsdestotrotz verloren Sie nicht die Kontrolle über das Haus.

A: Ich muss ehrlich sein, Olguita hatte die Kontrolle über das Haus. Ich mag es nicht, Leute aus der Ferne zu dirigieren. Ich traute Olguita. Meine Rolle war es, es dort gut zu machen, wo ich war. Es war immer wichtig, sie wissen zu lassen, dass ich okay bin, so wie es für mich wichtig war zu wissen, dass es ihnen gut geht. Olguita wusste, was sie zu tun hatte, und sie machte es großartig, z.B. wenn sie die Mädchen beriet. Sie hatten immer eine offene Beziehung zu mir. Ich bin kein mürrischer Vater, ich bin ein guter Freund.

F: Was machte René, um die Depressionen zu vertreiben, die alle Menschen befallen, besonders wenn sie einsperrt sind?

A: Das betrifft mich nicht. Ich prägte einen Spruch, über den die Leute lachten; wenn ich morgens gefragt wurde: "Wie geht es dir?" sagte ich: "Ich bin immer ok". Also kamen die Leute auf mich zu und sagten: "Ich weiß, du bist ok." Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, man muss die miesen Gefühle bekämpfen. Es gibt Tage, an denen die Beklemmung stärker ist, und das musst du wissen und sie ein wenig herunterfahren.
Ich widmete mich physischen Übungen, las und studierte. Für mich war es wichtig, nicht an die Zeit zu denken. Ich sagte mir, die Zeit würde mich nicht töten, und es funktionierte: ich wurde nie depressiv.

F: Wann haben sie am meisten an ihre Eltern gedacht?

A: Man denkt jeden Tag an seine Familie. Ich hatte eine kleine Wandgestaltung mit Familienbildern. Ich erinnere mich z.B. an den Tag der Anklageverlesung. Als ich vor der Richterin stand und sie mit Blicken durchbohrte, um einige Fakten klar zu machen, packte ich meinen Gürtel von hinten und hob ihn an, so als wollte ich sagen: "Also, ich gehe jetzt." Da kam mir plötzlich mein Alter Herr in den Sinn. Es war eine seiner Gesten, die ich übernommen hatte. (...) In dem Alter denkt man nicht: Mama und Papa tun das. Ich bin schon erwachsen, aber was sie dich gelehrt haben, was sie dir auf den Weg gegeben haben, ist jeden Tag, jede Stunde bei dir und hilft dir zu überleben.

F: Konnten Sie in der Nacht vom 6. auf den 7. Oktober 2011 schlafen, als Sie aus dem Gefängnis von Marianna entlassen wurden?

A: Ja, konnte ich. Im Gefängnis kannst du nicht zulassen, dass sie dir den Schlaf rauben. In dieser Nacht ärgerten sie mich ein wenig, sie brachten mich ins "Loch", nicht weil ich etwas falsch gemacht hatte, sondern weil wir bereits arrangiert hatten, dass ich früher herauskomme, um Presse zu vermeiden. Sie wussten, dass es einige Sicherheitsbedenken gab. Sie holten mich in der Dämmerung aus meiner Zelle und führten mich ins "Loch". Ich konnte den Leuten nicht Auf Wiedersehen sagen. Mein Plan war, früh aufzustehen, mich zu rasieren, schön anzuziehen, egal, ich schlief.

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"René zurück in der Heimat", hieß am 30. März 2012 eine der wichtigsten Überschriften in Kuba. Er war auf der Insel zu einem privaten Familienbesuch: sein Bruder Roberto, Mitglied des Verteidigerteams der Fünf, war schwer erkrankt. "Mein Bruder fürs Leben", sagte René in einem Brief vom Februar, der mit den bewegenden Worten endete: "Atme Bruder, atme!!"
Die überwachte Freiheit verlangte die Rückkehr nach Florida. "Zurückgehen zu müssen, war hart; ich musste mich erneut zusammenreißen", sollte René später sagen.
Als ob es nicht schon genug gewesen wäre, verlor er am 1. April seinen Vater. Das Leid brachte den Sohn wieder nach Kuba, wo er seinen Verzicht auf die US-amerikanische Staatsbürgerschaft erklärte.
Der Zeitplan eines Helden diktiert dem Reporter Grenzen, dessen Augen diskret Renés Hand folgen, die den warmen Arm seiner Ehefrau sucht.
"Übrigens, wann gehen Sie mit Olga ins Kino? An jenem Tag, als Sie das Flugzeug entführten, hatten Sie ihr das für den Abend versprochen."
"Das ist wahr, wir haben heute darüber gesprochen, aber ich werde es nicht der Presse erzählen (lächelt wissend). Wenn doch ..."
Der Abend in Havanna ist voller Wolken und Blitze. Als ich meinen Recorder abstelle, fällt schwerer Regen auf Vedado. "Es wird ihm heute schwer fallen, sie zu irgendeinem Film zu überreden", sagte ich zu mir, als ich auf der Straße war.

Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db)

(Quelle: Realcuba's Blog vom 18. Juni 2013, verkürzte englische Fassung.

Die vollständige spanische Fassung finden Sie bei unseren Freunden von freethefive.org)

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