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Gerardo Hernández:
Was wir an jedem 26. Juli feiern
Von Yosbel Viltres und Yuliat Danay Acosta, in Cubadebate vom 26. Juli 2015
Eine CubaNews-Übersetzung, herausgegeben von Walter Lippmann
Der Frieden ist für Gerardo lebenswichtig
Jeder, der des Tageslichts und des Kontakts mit seinen Lieben beraubt war, weil er sein Leben zur Verteidigung anderer eingesetzt hatte, ist auf ganz besondere Weise in der Lage, den Wert einer sicheren und friedlichen Umgebung zu schätzen. An diesem Sonntag wird Gerardo eine zweite Gelegenheit dazu erhalten, etwas zu erfahren, als ob es das erste Mal wäre.
Nach über 16 Jahren der Gefangenschaft wird er zusammen mit seinen Lieben den Tag des Beginns eines triumphalen Endes der Kubanischen Revolution feiern können: den 26. Juli.
Doch diese Erinnerungen werden wie in einem Fotoalbum in chronologischer Reihenfolge weiter festgehalten.
Gerardo nahm die Gelegenheit wahr, im Namen der Cuban Five mit Cubadebate über seine Beweggründe zur Verteidigung seiner Ideen und darüber zu sprechen, wie die Fünf auf ihre jeweilige persönliche symbolische Art die historischen Daten der Kubanischen Revolution in der Ferne feierten, und darüber, wie diejenigen, die in den Vereinigten Staaten leben, bei solchen Gelegenheiten den gegen Kuba gerichteten manipulierten Medienberichten ausgesetzt sind.
"Zu der regulären Haftstrafe erhielten wir gewisse zusätzliche Strafen, und eine von denen war, dass wir, wenn wir bei jeder sich bietenden Gelegenheit gerne Fernsehen wollten, unter der selben Propaganda zu leiden hatten, die jeder in den Vereinigten Staaten erleidet.
Zum Beispiel am 20. Mai, da brachte Univison innerhalb einer seiner Sendungen Kuba seine Gratulation zu dessen Unabhängigkeitstag dar!
Und einige der Gefangenen hörten das dann, drehten sich nach mir um und sagten: ’Hey Cuba, Gratulation!’ Und ich sollte dann zu ihnen sagen: ’Gratuliert mir nicht, heute feiere ich noch nicht!’
’Aber warum nicht?’
Und dann musste ich erklären: ’Der erste Januar ist der Tag, an dem ihr mir gratulieren solltet!’
Dies waren erstklassige Gelegenheiten, bei denen sie mir in gutem Glauben gratulierten, Ihnen eine Geschichtslektion zu erteilen.
Es passierte immer wieder: ’Gratulation Cuba! Glückwunsch!’
Am 26. Juli erwähnte die überwiegende Mehrheit der Fernsehkanäle das Datum natürlich nicht, obwohl manchmal auf einem der englischen Kanäle etwas erschien, insbesondere, wenn es in Kuba eine sehr große Demonstration gegeben hatte.
Sie pflegten auf das Datum Bezug zu nehmen und ein Bisschen, in sehr groben Zügen, dazu zu erklären.
Und ich legte dann immer meine kleine kubanische Flagge an, die ich immer noch habe, weil ich sie mir [später] wiederholen konnte. Doch oft trug ich sie wegen unserer wichtigen nationalen Termine und Feiern auch so. Jedes Mal, wenn ich sie trug, sollten es die Leute bemerken und zu mir sagen: ’Hey Cuba, du hast dich heute ja herausgeputzt!’
’Nein,’ erklärte ich dann, ’[es ist weil] heute ein wichtiger Tag ist.’
Und so war es, ob am 1. Januar, an Fidels Geburtstag, am 26. Juli... eben an unseren signifikanten Tagen... Auf diese Weise haben wir ihrer gedacht, denn es gab keine andere Möglichkeit dazu.
Dennoch dienten diese Tage bestimmt dazu, viele Leute bei dieser Art von Fragen aufzuklären, denn wie sie es sahen, ’Gratulation für Cuba an seinem Unabhängigkeitstag,’ musste jeder denken, dass es für Kuba der 20. Mai sei, weil sie nach der Desinformation keine Kenntnis vom politischen Hintergrund hatten.
Über lange Zeit galt das auch für den 26. Juli, bis die Leute, die eine lange Zeit mit einem verbracht hatten, in der die Jahre verstrichen waren, es mittlerweile wussten.
Und gut, das Gleiche gilt für die Sache der Fünf.
Wir nutzten unseren Fall immer als Beispiel, wenn wir mit den anderen Gefangenen sprachen.
Außerdem war es Tatsache, dass die Medien das vor-revolutionäre Kuba als ein irdisches Paradies darstellten.
Ich bot ihnen dazu immer diese Anekdote an:
Vor meiner Gefängnisstrafe, als ich noch auf der Straße war, hörte ich in Miami Radio, um Radio Martí im Auge zu behalten.
Eines Tages rief dort eine Frau an und sagte: ’Oh Martha, die Kommunisten mit ihren Beschwerden...! Es ist alles Lüge, Martha! Denn ich erinnere mich, Martha, dass wir eine Yacht hatten und in Miramar lebten, und wir gingen dann hinunter auf die Yacht, um an diesen wunderbaren kubanischen Nachmittagen zu segeln.
Und alles über gefangengenommene und gefolterte Menschen, alles Lüge, Martha!
Wenn du jemanden in der Regierung kanntest, hätten sie dich ’rausgeholt.’
Und ich sollte dann zu mir selber sagen: ’Was diese Frau behauptet, ist unglaublich!’
Wenn die anderen Gefangenen Vertrauen zu dir gefasst hatten, fragten sie: ’War es so [nach der Revolution]? - Wurden Leute vor Erschießungskommandos gestellt?’
Und wir mussten diese Dinge erklären, die [nach der Revolution] in den Polizeistationen gefunden wurden, die voll mit allen Arten von Folterinstrumenten waren, wie solche, mit denen Augäpfel entfernt wurden.
Niemand könnte sich solche Dinge vorstellen, noch weniger ein Kubaner!
Mit dem Verstand eines jungen Mannes, ist es nicht leicht zu fassen, man braucht Zeit, um es zu verarbeiten.
Und diese Bohemia-Magazine mit diesen Bildern von jungen Leuten, die ermordet, gefoltert und mit einer Rohrbombe in ihrer Brust in einen Teich geworfen wurden, und sie sagten, sie seien Terroristen gewesen, so etwas hat mich geprägt!
Wenn du in die USA gekommen bist, wo sie dir die Bilder von denen zeigen, die [nach der Revolution] auf den Erschießungsplätzen erschossen wurden, von denen, die von Castro, von Che exekutiert wurden, zeigen sie dir immer ein ganz berühmtes Bild von Blanco Rico, der, wie ich glaube, Chef der Polizei war.
Als er erschossen wurde, trug dieser Kerl, wie ich mich erinnere, einen weißen Anzug, und Bohemia sagte, dass seine letzten Worte folgende gewesen seien: ’Okay, so weit seid ihr Jungen gekommen... macht nur weiter mit dieser Revolution...!’
Und der Kerl war ein skrupelloser Mörder!
So zeigen sie [in den USA] den Clip seiner Exekution, wie er in die Grube fällt, und sie zeigen Bilder der von Castros Erschießungskommandos Exekutierten, doch sie erzählen dir nie, wer dieser Mann wirklich war.
Wenn sie solche Dokumentationen zeigten, pflegte ich den jungen Gefangenen zu sagen: ’Ja, aber was sie nicht sagen, ist, wer er tatsächlich war. Und ich sollte ihnen dann von den Foltergeräten erzählen, die in den Polizeistationen gefunden worden waren.
Nachdem wir von Kuba das Buch, ’Desde la soledad y la esperanza’ [Zwischen Einsamkeit und Hoffnung], mit den Werken verschiedener Künstler erhalten hatten, fanden wir darin ein Kapitel, das diese Fotos aus den Bohemia-Magazinen enthielt, auf denen dieselben Instrumente zur Entfernung von Fingernägeln oder Augen gezeigt wurden, und ich sagte dazu: ’Seht her, das ist das Kuba, von dem ihr glauben möchtet, es sei ein Paradies gewesen!
Ich denke, das ist etwas, worauf wir bestehen müssen, denn auch gerade jetzt, wenn ich beispielsweise mit meinen Neffen rede, sind diese mit diesen Fotos nicht vertraut.
Wir müssen das immer wieder betonen, sodass die Menschen wissen, was hier wirklich passiert ist. Obwohl jetzt Autos aus den 1950ern, Architektur aus den 1950ern und Mode aus den 1950ern modern sind, spricht niemand über die anderen Dinge, die hier in den 1950ern passierten.
Wir müssen die jungen Leute immer wieder daran erinnern, weil, wenn wir das nicht tun, dann werden diejenigen, die diese Jahre als Kubas goldenes Zeitalter beschreiben, die Schlacht gewonnen haben, und wir werden arm dran sein.
Zum Beispiel bin ich sicher, dass an dem Ort, an dem ich zur Hochschule ging, in der früheren Polizeistation Nr. 14, viele junge Leute heute dort studieren, die keine Ahnung davon haben, was dort früher geschah, davon, wie viele Kinder in dem Keller gefoltert wurden, in dem es jetzt Werkunterricht gibt.
Wir müssen das immer wieder betonen, sonst ist es nur eine weitere Schule, nur ein anderes Gebäude, aber jeder Ort hat seine Geschichte.
Wie oft gehen wir an einer Gedenktafel vorbei, ohne ihr die geringste Aufmerksamkeit zu schenken, wenn genau an dieser Straßenecke ein Student erschossen worden sein könnte, gehen die Leute vorbei, als sei nichts geschehen.
Das geschieht, weil wir in einem friedlichen Land geboren wurden; einem Land, in dem solche Verbrechen nicht vorkommen, und wir betrachten es als völlig normal, was einst geschah.
Wir Fünf haben 16 Jahre mit jungen Mexikanern, Salvadorianern, Honduranern, jungen Amerikanern verbracht und deren Geschichten gehört. Mein letzter Zellengenosse war ein junger Mann, 24 Jahre alt, der zwei Mal lebenslänglich verbüßte, und der sagte zu mir: ’Cuba, was passierte, ist, dass ich in dieser Umgebung aufgewachsen bin - mein Vater musste bei den Banden mitmachen, um meine Familie zu unterstützen, und so wuchs ich auf und sah das.
Eines Tages kamen einige Kleinlaster, deren Insassen meinen Vater suchten, aber der fand ein Versteck.
Sie nahmen meinen Onkel mit, der am nächsten Morgen getötet wurde, und das hat meine Familie für immer entzweit, weil meine Großmutter meinem Vater niemals verziehen hat und sagte, es sei seine Schuld, dass mein Onkel umgebracht wurde.
’Aber so ist das nun mal,’ sagte er mir, ’in dieser Stadt gehst du mit deiner Freundin aus, und du musst dabei sehr vorsichtig sein, weil, wenn du an den falschen Ort gerätst, könnte jemand zu dir sagen: "Ich mag das Mädchen," und dann wird sie dir entrissen, und du siehst sie nie wieder.’
Ich erinnere mich, dass ich das erste Mal, als er mir diese Geschichte erzählte, ihn ganz naiv fragte: ’Aber konntest du nicht zur Polizei gehen und diese Leute anzeigen?’
Und nachdem er aufgehört hatte, über meine Frage zu lachen, antwortete er: ’Die Polizei arbeitet für sie.’
Das ist ein Fall aus einem lateinamerikanischen Land, aber in den Vereinigten Staaten ist das nicht anders.
Ich war in dem Höchstsicherheitsgefängnis, das am nächsten bei Los Angeles liegt.
Die Crème de la Crème der Banden von Los Angeles endet dort, und diese Leute werden deine Zellgenossen, und du hörst ihre Geschichten ... Sie erzählen von der Bande der 37. Straße, ’la ganga de la 37’ von der 41., von Los Locos von woher auch immer ... wenn du in das Territorium einer dieser Banden eindringst und nicht von dort bist, wirst du erschossen.
Sie sind seit ihrer Geburt in dieser Umgebung.
Sie sagten zu mir: ’Sieh mal Cuba,’ wenn ich manchmal mit ihnen sprach und mich fragte, was einen 24jährigen Jungen mit zwei Mal lebenslänglich in ein Höchstsicherheitsgefängnis bringt.
Sie sagten: ’Sieh mal, das Problem ist, wenn du zur Grundschule gehst, hast du zwei Möglichkeiten, entweder du bist in einer Bande, oder du wirst von den Banden misshandelt, und also ist es besser Bandenmitglied zu sein als misshandelt zu werden.
Und wenn du in diese Welt eintrittst, kommt irgendwann einer und drückt dir eine Waffe in die Hand und sagt dir, dass du jemanden, der gerade da ist, erschießen müsstest, und du musst das tun, sonst erschießen sie dich.’
Wenn wir von den Errungenschaften der Revolution sprechen, sind Kubas Gesundheits- und Ausbildungssystem international anerkannt, aber es wird kaum die Ruhe in unserem täglichen Leben erwähnt, die Sicherheit, die wir hier genießen, die Tatsache, dass ein Kind bis in die Dämmerung an der Straßenecke nahe seinem Haus spielen kann und ihm nichts geschehen wird. Und dass jeder Tourist in die schlimmste denkbare Wohngegend gehen kann, und das Schlimmste, was ihm passieren kann, das Allerschlimmste, ist, dass ihm die goldene Halskette entrissen wird, oder dass ein Messer auf ihn gerichtet ist, während er ausgeraubt wird.
Das ist das Allerschlimmste.
Aber in jedem dieser anderen Länder könnte ein Amokläufer jemanden bei hellem Tageslicht erschießen. Das ist schon so oft vorgekommen!
Im Gefängnis lebten wir in einem Mikrokosmos. Man ging in den Esssaal, und die Afroamerikaner saßen auf der einen Seite und die Lateinamerikaner auf der anderen, aber aufgepasst!
Setz dich nicht versehentlich an einen Tisch, der nicht für dich bestimmt ist, andernfalls handelst du dir Ärger ein.
Genauso ging es auf dem Gefängnishof zu, und das ist eine Widerspiegelung der Gesellschaft: die Schwarzen in einer Nachbarschaft, die Weißen in der anderen ...
Trotz all’ unserer Probleme haben wir das enorme Privileg, in einer Gesellschaft zu leben, die nicht unter diesen Übeln leidet, und es hoffentlich auch nie wird.
Wir müssen alles dafür tun, dass uns das erhalten bleibt.
Aber wir müssen auch die jungen Leute unterrichten, damit sie dieses Privileg, das wir genießen, verstehen. Weil sie damit geboren wurden und die Mehrheit nichts anderes kennt, halten sie es für selbstverständlich.
Sie glauben, das wäre überall so, und wissen es nicht zu schätzen, und aus diesem Grund müssen wir uns für ihre andauernde Unterrichtung einsetzen.
In diesem Sinne war für uns das Gefängnis ebenfalls eine bemerkenswerte Schule, weil wir, wie ich schon sagte, darinnen in einem Mikrokosmos lebten, und wir erfuhren von den Problemen an vielen Orten in aller Welt, die leider in vielen Ländern alltäglich sind.
Wir sind Opfer der Massenmedien und der großen Propagandamaschinerie des Imperiums, das sie benutzt, um alles hochzuspielen, was ihm in den Kram passt: Unsinn, Banalitäten ... Es ist ein andauerndes 24stündiges Bombardement, und leider gibt es Menschen, die glauben, dass das alles wahr sei, dass Kapitalismus ein Haus mit zwei Autos und einem Swimming Pool sei.
Haiti ist nicht Kapitalismus, und Mittelamerika ist nicht Kapitalismus, und die armen Wohngegenden in den Vereinigten Staaten sind nicht Kapitalismus.
Kapitalismus ist das, was ihren Interessen dient!
Die ideologische Schlacht ist die wahre Schlacht, in die wir mit den jungen Leuten ziehen müssen.
Wir müssen uns für diese Schlacht einsetzen. Wenn wir es auf anderen Gebieten geschafft haben, warum sollten wir es dann nicht auch auf der ideologischen Ebene schaffen, etwas so extrem Wichtigem, ganz besonders jetzt. Weil wir uns auf der positiven Seite einem gewaltigen Zustrom von Touristen gegenüber sehen, aber der negative Aspekt ist, dass wir auch von Leuten überrannt werden, die Propaganda über die großartigen Dinge dort (in den USA) verbreiten, oder zumindest das, was sie wollen, dass die Leute glauben, dass es dort existiert.
Dies ist der Jahrestag, den wir Kubaner mit unserem siegreichen Kampf verbinden, der seinen Höhepunkt mit dem gewaltigen Triumph 1959 erreichte.
Wir durchleben die Erfahrung bei Treffen mit unseren Landsleuten, wo auch immer wir sind, wenn wir durch die Straßen gehen, wenn wir unsere Schulen besuchen, und sie sagen zu uns: ’Vielen Dank für das, was ihr für Kuba getan habt.’ Aber wir sind uns auch der Tatsache bewusst, dass auch wir dankbar sein müssen.
Ich glaube, dass es hinter diesem Sieg viele anonyme Helden gibt, die sich nicht gescheut haben, stundenlang zu arbeiten:
die so hart gearbeitet haben am Morgen, am Nachmittag, am Abend, mitten in der Nacht oder sogar viele schlaflose
Nächte, damit die Fünf hier sein könnten, um diesen Tag gemeinsam mit ihrem Volk zu genießen und
diese Augenblicke des Glücks zu erfahren."
Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db)
(Quelle:
Cubadebate
vom 26. Juli 2015).
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