Veröffentlicht am Mittwoch, 16. Dezember 2015
Aktualisiert am Donnerstag, 17. Dezember 2015
Nachdem die Autorin ausführlich auf Gerardo Hernández’ Vorgeschichte eingegangen ist, schreibt sie wie folgt:
"Man kann ihn sich als Präsidenten vorstellen, so beliebt wie er ist," sagt Ariel Terrero, der Direktor des Internationalen Journalismus-Instituts José Martí in Havanna. Ein Jahr nach seiner Rückkehr halten die Leute Herrn Hernández immer noch auf der Straße an, um ihn überall, wohin er auch geht, um Selfies zu bitten. "Aber dann sagen die Leute auch, er hat schon so viel gegeben, es sollte ihm jetzt ein ruhiges Leben gestattet werden," fügte Herr Terrero hinzu.
Als Herr Hernández vor einem Jahr hier ankam - ein Moment, der live im nationalen Fernsehen übertragen wurde - flog ihm seine Ehefrau Adriana Pérez, der nie ein Visum gewährt worden war, um ihn im Gefängnis zu besuchen, in die Arme. Viele Kubaner waren geschockt zu sehen, dass sie schwanger war - tatsächlich im neunten Monat schwanger. Ihrer beider Tochter wurde drei Wochen nach seiner Rückkehr geboren.
[Es folgt die Beschreibung, der künstlichen Befruchtung als Bestandteil der geheimen diplomatischen Verhandlungen zwischen Kuba und den USA.]
Als Präsident Barack Obama den Wandel in den Beziehungen zu Kuba verkündete, dankte er Kanada für die Unterstützung der geheimen Gespräche, die die Entspannung vermittelten. Es gibt noch einen weiteren Kanadier hinter den Kulissen der Cuban-Five-Geschichte: den altgedienten Halifax-Journalisten Stephen Kimber, der 2013 "What Lies Across the Water: The Real Story of the Cuban Five" veröffentlichte.
In einem Urlaub 2004 auf Kuba bemerkte Herr Kimber die "Free the Five"-Propaganda-Poster, sein Interesse wuchs schließlich zu einer Obsession heran, die ihn Zehntausende Seiten von Dokumenten lesen ließ, um rekonstruieren zu können, wie die Männer im Gefängnis landeten. Sein Bericht - insbesondere über die Voreingenommenheit in den Gerichtsverfahren für die Fünf - war schockierend.
Und während es zwar kein Bestseller war, so zirkulierte es doch in einflussreichen Kreisen Washingtons, worin diejenigen, die nach Möglichkeiten der Entspannung mit Kuba suchten, eine Basis fanden, auf der man das Justizministerium überzeugen könnte, die Verfahren zu revidieren.
Die Freilassung der Fünf war eine unverzichtbare Bedingung für Kuba und Voraussetzung für jede Verhandlung mit den Vereinigten Staaten, sagte Herr Kimber aus Halifax in einem Telefoninterview.
Das Buch wird nun verfilmt, die kubanisch-kanadische Koproduktion wird angeführt von Barrie Dunn, dem Produzenten von Trailer Park Boys-Filmen.
Herr Hernández kehrte in ein anderes Kuba zurück, als das er verlassen hatte - (es war noch) eines, in dem die Wirtschaft mit der Auflösung der Sowjetunion zusammenbrach und die Zukunft tatsächlich düster zu sein schien. Heute hat ein Prozess von Wirtschaftsreformen sich an jeder Ecke kleine Geschäfte eröffnen lassen, der Internet-Zugang ist noch begrenzt, doch er verbreitet sich mit den schnell fallenden Preisen.
"Als ich das Land verließ, hatten Leute zwar Geld, konnten damit aber nichts anfangen - jetzt ist es umgekehrt," lautete Herr Hernández Beobachtung in seinem feinen Englisch, in dem noch kleine Hinweise auf den Gefängnisjargon mitschwingen. "Einige Leute machen etwas Geld - zu meiner Zeit konnte man das nicht sehen."
Damit geht jetzt eine neue Ungleichheit einher, und Herrn Hernández’ Analyse geht auf die großen Fragen, die das Regime heute beschäftigt, ein.
"Die meisten Kubaner, mich eingeschlossen, wissen wohin sie gehen wollen: in Richtung der gerechtesten Gesellschaft, die möglich ist. Man kann einen gewissen Grad an Ungleichheit in einer Gesellschaft nicht vermeiden, aber wir müssen ein System herausfinden, indem den Menschen am unteren Rand mehr geholfen wird als anderen. Wir müssen ein System herausfinden, das Wohlstand erzeugt, und unser Wirtschaftssystem arbeitet nicht so gut, wie wir es gerne hätten. Teilweise ist das auf die US-Blockade zurückzuführen, aber nicht nur."
Und er fügte hinzu: "Eine gute Sache ist, dass wir unsere Probleme kennen, und wir diskutieren sie offen - vor einigen Jahren haben wir nicht diskutiert."
Herr Hernández ist ein bezaubernder Vater, scharf darauf, Bilder von der kleinen Gema zu zeigen, und er scheint eine bemerkenswert unbeschwerte Seele zu besitzen - vielleicht überraschend, wie Herr Kimber ausführt, wenn man seine extremen Erfahrungen in Isolationshaft und die Auslieferung in die böswillige Umgebung des Gefängnisses, in der andere Insassen ermordet wurden, bedenkt.
Er läst keine Bitterkeit erkennen. "Ich glaube, wenn ich Hass in mir trüge, hätten sie gewonnen," sagte er. Und er weint nicht den Jahren nach, die ihm im Zusammenleben mit Adriana gestohlen wurden. "Heute ist ein weiterer Tag, den ich meinen beiden lebenslangen Strafen gestohlen habe," sagte er mit einem Grinsen.
Und wie wird er diese Tage nutzen? "Sei nützlich, ich bin ein Soldat," sagte er. Er spricht locker über die Fehler in der kubanischen Revolution, aber es ist offensichtlich, dass er ihr intensiv loyal gegenübersteht. Er würde alles tun, was die Regierung von ihm verlange, sagte er, um dann eilig zu betonen, dass er keine offizielle Position anstrebe. "Eine größere Rolle in Kuba zu spielen, ist komplizierter, also hoffe ich, dass sie nicht größer ist," sagte er. "Es gibt viele Leute, die besser darauf vorbereitet sind, die Probleme zu bewältigen, denen wir gegenüber stehen."
Herr Kimber, der ausführlich mit Herrn Hernández korrespondierte, als letzterer noch im Gefängnis war, und danach mit ihm in Kuba zusammentraf (wo das Buch kürzlich in Spanisch erschien), sagte, die Fünf seien alle geschickt und sprachgewandt und ein politischer Gewinn, den die Regierung kaum verschwenden wird. "Ob sie politische Ambitionen haben oder auch nicht, die Regierung hat Pläne mit ihnen," sagte er. "Gerardo insbesondere ist so gut wie jeder andere Politiker, den ich je gesehen habe. ... Er ist unglaublich gewandt, zugänglich und auch pragmatisch - wenn man einen Handel abschließen will, ist er die richtige Person dafür."
Herr Hernández hat ein feines Gespür für die Dringlichkeit, die Interessen Kubas zu sichern. Die Generation, die die Revolution gebracht hat "tritt durch die Naturgesetze ab," wie er es vorsichtig formuliert, und junge Leute, die in der Nach-Sowjet-Ära geboren wurden, kennen nur harte Umstände.
"Manche Leute geben der Geschichte nicht das Gewicht, das ihr gebührt: Der Imperialismus ist nicht verschwunden, weil wir diplomatische Beziehungen haben," sagte er. "Viele mächtige Interessen betrachten dieses Tauwetter als Gelegenheit, das zu erreichen, was sie zuvor nicht konnten," bezüglich der Unterwanderung der Castros, Raúl und sein älterer Bruder Fidel - jetzt durch einen Ansturm internationalen Kapitals statt durch Sanktionen.
"Aber die Menschen sind nicht naiv," sagte Herr Hernández, bevor er sich einem Pulk von Gratulanten zuwandte, die in dem Büro, in dem er sich mit The Globe traf, Fotos machen und ihm die Hand geben wollten. "Und die Mehrheit der Menschen wollen nicht das aufgeben, was uns die Revolution gebracht hat, und zurück in das Kuba von 1959."
Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db)
(Quelle:
The Globe and Mail
vom 17. Dezember 2015)