The Militant, Vol. 80/No. 6, 6. Februar 2016

"In Kuba ist ein Gefangener ein Mitmensch"

Cuban Five: Das ist ein Unterschied zu U.S.-Gefängnissen, wo das System dazu organisiert ist, dich zu entmenschlichen.

"Es sind die Armen, die mit der Brutalität des US-Justizsystems’ konfrontiert sind." Die fünf Kubaner sprechen über ihr Leben innerhalb der US-Arbeiterklasse, nämlich in einem neuen Buch von Pathfinder. In dessen Mittelpunkt steht ein Interview von Mary-Alice Waters und Roger Calero mit den Cuban Five in Havanna. Jeder von ihnen war, nachdem das FBI sie wegen ihrer Aktivitäten zur Verteidigung der Kubanischen Revolution aufgegriffen hatte, von 14 bis zu 16 Jahren in den USA inhaftiert. Der folgende Ausschnitt verfolgt eine Diskussion darüber, wie kapitalistische Machthaber die Verbreitung von Drogen und Banden in US-Gefängnissen damit begünstigen. Mit Erlaubnis von Pathfinder Press nachgedruckt.

MARY-ALICE WATERS: Wir haben hier in Kuba Erfahrungen gemacht, die das Gegenteil von dem darstellen, was wir beschrieben haben. Wir haben beispielsweise eine Freundin in Matanzas, eine Universitätsprofessorin getroffen, die auch im Gefängnis unterrichtet und stolz darauf ist. Sie erzählte uns, auch einige von Pathfinder herausgegebene Bücher in ihrem Unterricht eingesetzt zu haben und darüber, welches Interesse sie hervorgerufen hätten. Wir lasen über Silvio Rodríguez und andere Musiker, die auch Konzerte im Gefängnis gegeben haben...
Wir wissen, dass Kuba weit davon entfernt ist, vollkommen zu sein. Aber soziale Beziehungen - die Art, wie sich die Menschen zueinander verhalten - sind das Gegenteil von dem, was du in den USA erlebst. Und das trifft auch auf das Gefängnissystem zu. In Kuba wurde die Revolution von Arbeitern und Bauern ausgeführt, die das auf Klassenausbeutung, Vergeltung und Strafe, sozialer Isolation, Strafentzug von medizinischer Versorgung, Verweigerung von Kultur und Ausbildung ausgerichtete Wirtschafts- und Gesellschaftssystem beseitigten. Das ist der Grund, warum die US-Regierung so entschlossen ist, das kubanische Volk zu bestrafen und dessen Beispiel zu zerstören.

GERARDO HERNÁNDEZ: Wir waren in den Vereinigten Staaten mit vielen kubanischen Gefangenen zusammen, die auch schon in Kuba inhaftiert gewesen waren... Sie pflegten oft zu sagen: "Ja, materielle Bedingungen sind - insbesondere in den neueren - "viel besser als sie in Kuba waren."
Offensichtlich kann man die Lebensbedingungen im reichsten Land der Welt nicht mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten in Kuba vergleichen. Doch die meisten von ihnen anerkannten, dass sich das Gefängnispersonal hier in Kuba wirklich anstrengt, die Insassen zu rehabilitieren und ihnen dabei zu helfen. In den Vereinigten Staaten ist der Gefängnisberater jemand, der seine Arbeitsstunden darauf verwendet und sein Bestes dafür gibt, dich möglichst nie zu sehen zu bekommen. ...
Der menschliche Anteil ist wesentlich. Ich nenne oft das Beispiel eines meiner jungen Nachbarn. Als er auf der High-School war, war er in etwas verwickelt, was in Kuba sehr selten passiert - was in den USA als "bullying" [Mobbing] bekannt ist. Er ging auf dem Land zur Schule und hatte ein Stipendium, und er wurde bedrängt und verfolgt. Eines Tages nahm er ein Messer, raufte mit einem anderen Jungen und stach ihm in die falsche Stelle, und er tötete ihn.
Dieser Junge wurde zu sieben Jahren verurteilt. Während dieser Zeit machte er den High-School-Abschluss und ging auf die Universität. ... Er nahm täglich am Unterricht teil, und der Bus brachte ihn zurück ins Gefängnis. ...
Neulich hatte ich hier in Kuba ein Gespräch mit einer sehr angesehenen jungen Künstlerin, mit Mabel Poblet. Sie zeigte mir einige Muster ihrer Arbeit. Eines davon stach für mich heraus - eine Installation von Hunderten roter Plastikblumen. "Schau auf diese Blumen," sagte sie. "Sie wurden von einer Frau gemacht, die eine Gefangene im Gefängnis in Holguin ist.
Wir besuchten dort das Frauengefängnis und trafen die Insassin Betsy Torres, die Blumen herstellte," sagte Mabel. "Ich hatte eine Installation mit Blumen im Kopf, also bat ich sie, einige für mich zu machen, nämlich, die, die du hier siehst. Als sie wegen guter Führung entlassen worden war, lud ich sie zur Eröffnung meiner Ausstellung ein."
Diese Art von Austausch ist das Gegenteil von der Entmenschlichung, die im U.S.-Gefängnissystem stattfindet. ...

FERNANDO GONZÁLEZ: Schau dir das an, was das "Bureau of Prisons" [Gefängnisbehörde] zu seinem Programm erklärt. Es besagt, das "Bureau of Prisons" ermutige soziale Kontakte nach außerhalb. Doch in der Praxis ist es das Gegenteil. Sie errichten für alles Hindernisse, einschließlich für die Besuche.
Es reicht nicht, dass der Gefangene 1500 Meilen oder mehr von seiner Familie entfernt ist. Es reicht nicht, dass viele Familien sich nicht das Flugticket leisten können und ein Wochenende in einem Motel, um dich zu besuchen. Dazu kommen noch die Anträge und die anderen befremdlichen Prozeduren, die die Familien und Freunde durchlaufen müssen, um in das Gefängnis zu kommen, nicht zu erwähnen die spärliche, ungemütliche Ausstattung des Besuchszimmers...

GERARDO HERNÁNDEZ: "Der wichtigste Unterschied, was ich am meisten vermisse," erzählten uns einige der Insassen in den USA, "ist, dass ich in Kuba das Recht auf eheliche Besuche hatte, oder einen Passierschein bekam, um meine Familie zu besuchen." Aber nicht in den Vereinigten Staaten.
In allen außer vier der fünfzig Staaten sind in Bundessgefängnissen so elementare Dinge wie eheliche Besuche nicht erlaubt. Wäre das der Fall, würde es viele Spannungen abbauen. Es würde die Leute menschlicher machen. Es wäre ein Anreiz für gutes Verhalten...

RAMÓN LABAÑINO: Sie kümmern sich nicht darum, ob genug Geld im Budget ist für einen neuen Handballplatz. Das war ein großes Problem für mich, da - zusätzlich zum Lesen, Studium und Schachspiel - Sport eine Möglichkeit war, mit der ich es all’ die Jahre im Gefängnis aushalten konnte. Ich machte Gymnastik, Gewichtheben und spielte viel Handball. Aber die Gefängnisbeamten wollten den Boden des Handballplatzes nicht mit einer Art Gummiverbindung streichen, die die Knie entlastet.
Darum habe ich mir tatsächlich das Knie verletzt. Aber die medizinische Versorgung in US-Gefängnissen ist fürchterlich; dafür will man auch kein Geld ausgeben. Ich ging zum Arzt und der sagte mir: "Nehmen Sie zwei Aspirin. Legen Sie Eis aufs Knie, legen Sie die Füße hoch und morgen geht es Ihnen besser." Sie kümmern sich nur dann richtig um dich, wenn du kurz vor dem Tod stehst...
Es gibt auch Geld im Budget, um dafür Nahrungsmittel für die Cafeteria zu kaufen, aber das wird nie vollkommen ausgeschöpft. Ich weiß das, weil ich einige Male in der Cafeteria gearbeitet habe.
Eigentlich habe ich ungern in der Cafeteria gearbeitet, weil eine Menge Leute diese Jobs dazu nutzten, Nahrungsmittel zu stehlen. Aber wir stehlen nicht. Das ist nicht unsere Philosophie, das entspricht nicht den sozialen Werten, die wir in Kuba gelernt haben. Mit dem, was ich aß, hatte ich genug. Ehrlich, ich bin nicht gut im Stehlen.
Hier in Kuba ist das anders. Unsere Beamten haben keine Ressourcen, aber sie sind darauf ausgebildet, dir wirklich zu helfen. Ich wage zu sagen, dass die Ethik hier weit über den Rahmen des Gefängnissystems hinaus geht hin zu einer umfassenderer Gesellschaft.
In Kuba ist ein Gefangener ein weiteres menschliches Wesen. Er ist jemand, der einen Fehler gemacht und darum im Gefängnis ist. Es ist nicht wie in den USA, wo die Gefängnisinsassen ein Feind sind - so wie die uniformierten Beamten die Leute als Feind betrachten. Warum? Weil sie zu einem gewissen Grad verstehen, es könnte irgendwann zu einer sozialen Revolution in den Vereinigten Staaten kommen. Und ihr Job ist es, diese Revolution zu verhindern, um die soziale Schicht zu schützen, die an der Macht ist.
Das ist ziemlich elementar. Du brauchst nicht einmal den Marxismus-Leninismus, um das zu verstehen. Aber wenn man es nicht versteht, wird man niemals begreifen, warum die Dinge in den Vereinigten Staaten so geschehen, wie sie es tun. Warum die Polizei so vorgeht, wie sie es letztes Jahr in Ferguson, Missouri, tat. Warum es keine Lösung innerhalb dieses Systems gibt...

FERNANDO GONZÁLEZ: In Miami sahen wir Frauen, die schwanger waren, als sie verhaftet wurden. Wenn die Zeit der Geburt kam, wurden sie ins Krankenhaus gebracht...

RAMÓN LABAÑINO: ... in Ketten.

FERNANDO GONZÁLEZ: Ja; in Ketten. Sie kamen im Krankenhaus nieder, und zwei Tage später wurden sie wieder in die Zelle gebracht, ohne ihr Baby.

Kürzlich besuchte ich ein Frauengefängnis hier in Kuba... In den Vereinigten Staaten erkennt man ein Gefängnis schon meilenweit vorher. Man sieht die Mauern, Zäune, Stacheldraht, Wachtürme, Scheinwerfer, Überwachungsfahrzeuge. Aber in Guantánamo fragte ich, als wir näher kamen: "Wo ist das Gefängnis?" Es gab ein Mauer, über die man leicht hätte springen können. Selbst wenn man so fett ist wie ich, ich hätte darüber springen können!
Innen sind einige Räume wie kleine Apartments. Wenn eine Frau schwanger ist - oder schwanger wird, weil sie eheliche Besuche empfangen kann - kann sie in einem dieser Räume bleiben, bis das Kind ein Jahr alt ist. Es ist ein kleiner Raum mit Küche, in der sie kochen kann. Das Gefängnis stellt Nahrung für das Baby und andere Bedarfsgüter zur Verfügung. Es gibt auch ein Nähzimmer.

Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db)

(Quelle: The Militant vom 6. Februar 2016

Zurück