Rebelión, April 2017 Der Fall von Ana Belén Montes
Relikt des Kalten KriegesVon Carla Palacios Klinger
Seit 2015 berichten wir in "Unsere Welt" regelmässig über das Schicksal und den Kampf der Puertoricanischen Gewissensgefangenen Ana Belén Montes, die seit nahezu 16 Jahren unter strengsten Sicherheitsbedingungen im texanischen Fort Worth inhaftiert ist. Nachfolgend dokumentieren wir ein (von uns stark gekürztes) Interview, das Carla Corina Palacios Klinger für die spanischsprachige Internetzeitung rebelión.org mit Anas Cousine Miriam Montes Mock geführt hat. Die Übersetzung besorgte Martin Schwander.
Eines der wichtigsten Merkmale des Kalten Krieges ist seine Tendenz, eher Dritten zu schaden als den eigentlichen Protagonisten. Ein anschauliches Beispiel dafür ist der Fall der Puertoricanischen Gewissensgefangenen Ana Belén Montes. Rebelión: Welche Rolle spielt Ana Belén in Ihrem Leben, als Familie, als Frau und als Mensch im Allgemeinen?
Miriam Montes Mock: Ana Belen und ich haben uns in Puerto Rico bereits als Kinder kennengelernt. Ihre Eltern und Geschwistern haben ihre weitläufige Familie auf der Insel Sommer für Sommer besucht. Später, als Teenager, reiste Ana alleine oder zusammen mit ihrer Schwester Lucy nach Puerto Rico und wohnte dabei abwechslungsweise im Hause einer ihrer Tanten und also auch bei uns. Ana und ich empfanden immer eine gewisse Affinität zueinander und hatten uns sehr gern. Sei es, weil wir uns äusserlich glichen, sei es, weil wir beide die ältesten Töchter unserer Eltern waren oder sei es, weil wir viele Charaktereigenschaften teilten. (…) Rebelión: Wie lief der Prozess gegen Ana Belén Montes ab? Miriam Montes Mock: Ana Belén wurde am 21. September 2001 in ihrem Büro verhaftet. In einer Vereinbarung mit der Staatsanwaltschaft bekannte sie sich der Verschwörung zur Spionage für Kuba schuldig. Am 16. Oktober 2002 wurde sie zu 25 Jahren Gefängnis mit anschliessender fünfjähriger Bewährungszeit verurteilt. Vor Gericht erläuterte sie die Gründe, welche sie bewogen hatten, Kuba vor der aggressiven Politik der US-Regierung zu schützen. "Ich habe mich meiner Überzeugung mehr verpflichtet gefühlt als dem Gesetz", erklärte sie. "Die Politik unserer Regierung gegenüber Kuba ist grausam und unfair, zutiefst unfreundlich… Deswegen habe ich mich moralisch in der Pflicht gesehen, der Insel zu helfen, sich gegen unser Bestreben zu verteidigen, ihr unsere Werte und unser politisches System aufzuzwingen." Sie sitzt nun seit fast 16 Jahren im Bundesgefängniskrankenhaus Carswell in Texas, unter strikten Sicherheitsbedingungen, die ihre Kommunikation mit der Aussenwelt stark einschränken. Rebelión: Dass Ana Belén Kuba während Jahren mit Informationen versorgte, hat dazu geführt, dass unzählige Personen sich von ihr abgewendet haben, darunter ihre Brüder, die beim FBI arbeiten. Für andere wiederum macht sie diese Informationstätigkeit zur Heldin. Wie schätzen Sie die Folgen ein, die die übermittelten Informationen für die kubanische und US-amerikanische Seite hatten? Miriam Montes Mock: Viele Menschen urteilen ohne genaue Kenntnisse. Tatsächlich wissen wir nicht, welche Informationen übermittelt wurden. Aber ich denke, dass die Aktionen von Ana Belén einen Akt der Solidarität darstellen, um der Politik der illegalen Einmischung und der Aggression von Seiten der USA Einhalt zu gebieten, und dass sie die unmoralische Handlungsweise blosstellen, die im Widerspruch zu den Prinzipien der guten Nachbarschaft stehen, von denen sich die USA angeblich leiten lassen. Ihre Tätigkeit, wie sie von Ana Belén am 16. Oktober vor Gericht selbst geschildert wurde, ist als Einladung zu verstehen, die Sicht auf die Paradigmen der Herrschaft zu schärfen, welche die Beziehungen zwischen den USA und Kuba während Jahren geprägt haben, und als Aufforderung, zwischen den beiden Völkern Beziehungen von Respekt und Freundschaft zu entwickeln. Rebelión: Welcher Teil ihrer Biographie denken Sie hat bei Ana Belén diesen Gerechtigkeitssinn entwickelt, der sie dazu geführt hat, ihr Leben zu riskieren, um "dem Gewissen mehr zu gehorchen als dem Gesetz"? Miriam Montes Mock: Schon in der Jugend habe ich bei Ana diese Fähigkeit verspürt, sich mit andern zu solidarisieren. Sie war eine herausragende Studentin, las viel über politische Themen und bewies eine analytische Haltung, wenn sie darüber diskutierte. Sie unternahm Reisen nach Europa, nach Lateinamerika und in die Karibik und ich denke, diese Reisen gaben ihr Gelegenheit, viel zu lernen. Ich kann nicht genau sagen, was sie am meisten beeinflusst hat bezüglich dieses Gerechtigkeitssinnes, vermutlich war es eine Mischung aus all dem. Rebelión: Was war die schmerzlichste oder schwierigste Zeit für Sie als Angehörige von Ana in den bisherigen 15 Jahren ihrer Gefangenschaft? Miriam Montes Mock: Für mich war es am schwierigsten, als ich die Nachricht von ihrer Krebserkrankung erhielt. Ich kann das Trauma nachempfinden, das so etwas bei jeder betroffenen Frau auslöst. Und dann erst noch im Kerker! Ohne die Unterstützung von Angehörigen, ohne die Möglichkeit von alternativen Behandlungen, von speziellen Diäten, ohne Selbsthilfegruppe und insbesondere ohne eine Atmosphäre der Zuneigung, der Liebe. Es ist schrecklich, unmenschlich. Jeder Mensch würde hier Mitleid empfinden und eine Entlassung aus dem Gefängnis aus humanitären Gründen fordern. Rebelión: Was empfehlen Sie angesichts der Lage von Ana Belén Montes der Öffentlichkeit?
Miriam Montes Mock: Ana Belén verdient es, aus dem Gefängnis entlassen zu werden. Ihre Wegsperrung und das Schweigen, zu dem sie gezwungen wurde, sind grausam und unmenschlich. Ana Beléns Strafe ist ein Relikt des Kalten Krieges. Nach meiner Auffassung hat sie gehandelt, um Aktionen und politische Machenschaften der USA aufzuhalten, die gegen internationales Gesetz und die Sitten verstossen. Die Beziehungen zwischen den USA und Kuba haben sich geändert, ich denke, die ganze Welt war Zeuge der Aussagen des damaligen Präsidenten Obama vom 17. Dezember 2014. Heute ist offensichtlicher denn je, dass es keine Rechtfertigung dafür gibt, Ana weiterhin im Gefängnis zu behalten. Ihre Freilassung würde von der ganzen Welt als Geste des guten Willens verstanden und den Entscheid respektieren, die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern wieder zu beleben.
(Quelle Text: rebelión.org.
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