Brief von Alice Walker, 12.September 2007

Alice Walker, * 1944, ist eine U.S.-amerikanische Autorin und Bürgerrechtsaktivistin. 1983 erhielt sie den Pulitzer-Preis für ihren von der Kritik gefeierten Roman "Die Farbe Lila". Sie schrieb das Vorwort zu "El dulce abismo" ["The sweet Abyss" bzw. "Die süße Kluft", Anm. d. Ü.], ein Buch über die Korrespondenz zwischen den fünf Kubanern und ihren Ehefrauen und Kindern.

An die Kinder (insbesondere) und Familien der Cuban Five

Liebe Freunde,

ich bin erleichtert, aus den Medien meines Landes, den Vereinigten Staaten, und aus Britannien zu erfahren, dass sie nach fast einem Jahrzehnt Interesse an der unrechtmäßigen Gefangenhaltung Eurer Lieben zeigen. Ich stelle mir Euch Kinder nun schon viel größer vor, als Ihr wart, als Eure Väter Euch verließen. Ich bete darum, dass Ihr Euch immer noch mit ihnen verbunden fühlt - durch Briefe, Telefonate, vielleicht mittlerweile durch Besuche? Es ist schmerzlich festzustellen, welche Freuden der Verbundenheit zwischen Euch und Euren Vätern gestohlen wurden. Und wie groß ihre Liebe zu Euch doch geblieben ist. Denn sie wollten, dass Ihr in einem sichereren Land aufwachst, an einem Ort, wo Ihr spielen und wachsen, zur Schule und zur Arbeit gehen könntet, ohne um Euer Leben fürchten zu müssen. Ich bewundere Eure Väter sehr.
Nach meiner Erfahrung war alles, was mit der Erlangung von Gerechtigkeit zu tun hatte, sehr mühsam, sehr schwierig und ein langer Kampf. Tatsächlich anscheinend endlos. Das ist leider die Erfahrung von Vielen auf der Welt. Dennoch halten wir an unserer Hoffnung auf Gerechtigkeit, an unserem Glauben, unserer Hingabe an sie fest, als an ein hohes Ideal, das der besten Menschen, die bis zur Selbstaufgabe danach suchen. Wie es Eure Väter getan haben.
Als ich im Süden Nordamerikas Mitte des vorigen Jahrhunderts aufwuchs, wenn da ein schwarzer Mensch von einem weißen angegriffen wurde, war für die farbige Person, die sich wehrte, die Todesstrafe vorgesehen. Das führte zu einer Gemeinschaft von Menschen, die unter vielen Krankheiten, die in Verbindung mit Demütigung und unterdrückter Wut auftreten, litten: Bluthochdruck, Essstörungen, Diabetes, Herzleiden, Depressionen, Schlaganfälle und so weiter. Es führte aber paradoxerweise auch zur Hervorbringung von erstaunlich vielfältiger Kunst, insbesondere Musik, mit der wir dann die Welt großzügig überschütteten. Ich biete Euch diese Erinnerung (wir änderten das Drehbuch über das Nichtzurückschlagen!) nicht an, um Euch traurig zu stimmen, sondern um Euch daran zu erinnern, dass es das Leid nicht ohne seine Begleitgeschenke gibt. Und ich meine, Euch darauf hinweisen zu müssen, um sicher zu sein, dass Ihr den Schmerz und die Trauer, die Ihr über das empfindet, was mit Euren Eltern geschehen ist, mit anderen teilt. Teilt es mit anderen. Lehnt es nicht ab, darüber zu sprechen. Ihr seid nicht allein auf dieser Welt. Obwohl einige Eurer Freunde, so wie ich, meilenweit entfernt von Euch sind, wir sind uns nahe in unserem Bewusstsein. Wir erkennen, dass wir in den Wirren desselben Alptraums gefangen sind. Dass die Erde in diesen Tagen an eine Wahnsinnsvision gefesselt ist, weil einige aus dem Gleichgewicht geratene Menschen darauf bestehen, das es so sei. Unsere Vision unterscheidet sich davon, und sie ist es wert, daran festzuhalten: dass Menschen ein Recht auf Selbstverteidigung haben. Dass Menschen ein Recht auf Gerechtigkeit und Frieden haben. Dass Folter, ob sie sich in siebzehnmonatiger Isolationshaft äußert oder darin, dass sie unsere Kinder von uns fern hält, etwas ist, über das der entwickelte Mensch längst hinausgewachsen ist.
Wir bestehen auf einer besseren Welt! Wir wissen, dass eine bessere Welt möglich ist. Wir haben es gesehen.
Das ist die Welt, die Eure Väter kennen, wenn ihnen auch die Sonne der Freiheit vorenthalten wird. Das Beharren auf ihrem Stand der Erkenntnis und das Ertragen solcher Entbehrung, insbesondere der, Euch nicht sehen und nicht mit Euch zusammen sein zu können, ist ihr Geschenk an uns. Und noch viel mehr an Euch.

In Frieden und Mitgefühl

Eure Tante Alice (Walker)

Deutsch: ¡Basta Ya!

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