Professor Noam Chomsky vom Massachusetts Institute of Technology, (MIT) Boston, spricht am 11. September 2009 von seinem Büro im "MIT" telefonisch mit Bernie Dwyer von Radio Havana Cuba.
Bernie Dwyer hat Professor Chomsky am 11. September interviewt, am Vorabend des Jahrestages der willkürlichen Verhaftung und Inhaftierung der Kubaner, Antonio Guerrero, Ramón Labañino, Gerardo Hernandez, Fernando González und Rene González, in Miami. Die Fünf wurden nach einem rechtlich fehlerhaften Prozess im Bezirksgericht von Miami in U.S.-Gefängnisse eingesperrt, weil sie zur Verteidigung Kubas vor den von den USA ausgehenden Terroranschlägen antikubanische in Miami ansässige Gruppen infiltrierten. Wie Professor Chomsky in diesem Interview sagt, "Sie waren keine Kriminellen. Sie waren Helden". Er weist darauf hin, "dass der einzige Weg, die Ungerechtigkeit auszuräumen, die vollständige Zurücknahme der Anklagen ist".
Bernie Dwyer (RHC): Die fünf in Miami 1998 verhafteten und dort inhaftierten Kubaner gehen jetzt in das 12. Jahr ihrer Gefangenschaft. Sie haben die feindselige Politik der Regierung der Vereinigten Staaten gegenüber Kuba oft kommentiert. Würden Sie die Cuban Five eher als Opfer dieser feindseligen Politik gegenüber Kuba betrachten als als Kriminelle, die Verbrechen begangen haben und verdienen hart bestraft zu werden?
Noam Chomsky: Sie waren keine Kriminellen. Sie waren Helden. Ich meine, sie stellten die Verbrechen der U.S.-Regierung bloß, die von U.S.-Boden aus begangen wurden, Verbrechen, welche die U.S.-Regierung duldet, wofür sie theoretisch selber bestraft werden sollte. Die Regierung hätte dies begrüßen müssen: Fein, wir können den Verbrechen ein Ende setzen. Die fünf Kubaner nahmen ein Risiko dabei auf sich, und das war eine heroische Tat, und statt geehrt zu werden, werden sie dafür hart bestraft. Und das ist's, was die globale Öffentlichkeit an dieser Rechtsverdrehung so entsetzt.
RHC: Drei der Cuban Five sind für eine Neufestsetzung ihrer Strafmaße zurück an das Bezirksgericht in Miami verwiesen worden. Würden Sie das als Gelegenheit für das U.S.-Rechtssystem ansehen, einige der an ihnen begangenen Fehler zu berichtigen?
Noam Chomsky: Es ist sicher eine Gelegenheit, aber der angemessene Weg, die Ungerechtigkeit auszuräumen, wäre nicht nur die Verbesserung ihrer Gefängnisbedingungen und die Erlaubnis zum Erhalt von Besuchen und die Reduzierung ihrer Strafmaße, sondern die vollständige Rücknahme der Anklagen, da diese völlig illegitim sind. Unglücklicherweise sehe ich das nicht kommen. Die Gerichte gehen kaum bis zu diesem Ausmaß gegen die Staatspolitik vor. Tatsächlich bezweifle ich sehr, ob die Gerichte sich dieses Hintergrundes überhaupt bewusst sind. Erinnern Sie sich, es gibt eine dichte intensive Propaganda dazu.
RHC: Also würden Sie es so empfinden, dass die Unabhängigkeit von Richtern hier nicht weiter aufrecht erhalten wird oder denken Sie, dass die Richter als Bestandteil der U.S.-Politik fungierten, als sie diese Männer bestraft haben?
Noam Chomsky: Ich kenne niemanden der Richter in diesem Fall persönlich, aber meine Annahme wäre, dass sie die illegalen Unregelmäßigkeiten und gelegentlichen Absurditäten kennen müssten, aber wahrscheinlich werden sie in diesem Fall die allgemeine Linie der Regierung akzeptieren. Höchstgebildete Leute tun das. Es ist eine sehr indoktrinierte Gesellschaft. Und es ist nicht überraschend, da sie nichts anderes hören.
RHC: Der "US Partnership for Civil Justice Fund" [Fond für US-Partnerschaft für Bürgerrechte, Anm. d. Ü.], reichte im Namen des "US National Committee to Free the Cuban Five" am 9. September eine Rechtsklage gegen das "US Broadcasting Board of Directors (BBG)" [Vorstandsgremium für Rundfunkübertragung, Anm. d. Ü.] ein, weil es "gesetzeswidrig versäumte, spezielle von der U.S.-Regierung bezahlte Verträge mit Journalisten aufzudecken", die Material veröffentlichten, das nachteilig für Kuba und für den Fall der Cuban Five war. Welche Wirkung hat das auf das BBG und Journalisten und Medien, die das Material veröffentlichten?
Noam Chomsky: So weit es den Propaganda-Arm der Regierung betrifft, so erwartet man von Propaganda-Agenturen nichts anderes, als Propaganda zu verbreiten, mit welchen Mitteln auch immer, sie können damit davon kommen. Aber es wirft ein sehr schlechtes Licht auf die Journalisten und die Journale, die es gestattet haben. Ich denke, aus diesem Grunde könnte es den Fall weiterbringen. Es ist eine Enthüllung der Praktiken, deren Kenntnisse darüber die Journale den Leuten vorenthalten möchten, weil es ihre eigene Glaubwürdigkeit untergräbt.
RHC: Ist es denn dann nicht nur fair zu sagen: Obwohl das BBG der Propaganda-Arm der U.S.-Regierung ist, ist es nicht in dessen Aufgabe, Leute dafür zu bezahlen, aufwieglerisches Material während eines Strafprozesses der U.S.-Regierung zu verbreiten?
Noam Chomsky: Es ist falsch, so etwas zu tun. Es mag sogar kriminell sein, aber das heißt nicht, dass ich es nicht erwartet hätte. So benimmt sich eben der Staat.
RHC: Würden Sie erwarten, dass das passiert?
Noam Chomsky: Leider ja.
RHC: Wenn die Öffentlichkeit sich mehr mit dem Fall der Cuban Five beschäftigte, glauben Sie dann könnte sie einige Änderungen in ihrer Lage als Gefangene mit langen Strafen in US-Gefängnissen oder gar ihre Freilassung bewirken?
Noam Chomsky: Sie könnte, aber das trifft eher auf die Beziehungen zu Kuba im Allgemeinen zu. Es werden, ich glaube seit ungefähr dreißig Jahren, Umfragen gemacht, ob die Vereinigten Staaten die Beziehungen zu Kuba normalisieren sollten, und sie sind relativ stabil. Ungefähr zwei Drittel befürworten eine Normalisierung, was ziemlich bemerkenswert ist, da man niemals irgend einen positiven Kommentar zu Kuba hört. Man hört nur harte Verurteilungen. Aber nichtsdestotrotz denkt die Mehrheit der Bevölkerung, wir sollten die Beziehungen normalisieren. Wäre irgendeine sinnvolle Diskussion und irgendein Austausch erlaubt, wäre die Zustimmung sicher erheblich höher als jetzt. Aber es hat keinen Einfluss auf die Politik, auch nicht bei Obama. Es ist ein sehr interessanter Fall.
Es gibt viele Fälle, wo die öffentliche Meinung und die Politik sehr stark von einander abweichen, aber es ist üblich, dass die Politik und die Interessen der Konzerne der Geschäftswelt einander entsprechen. Aber nicht in diesem Fall, in diesem Fall befürworten beträchtliche Teile des Unternehmensbereichs Verbesserungen oder Normalisierung der Beziehungen, wie Pharmakonzerne, Landwirtschaft, Energiekonzerne usw., die normalerweise ziemlichen Einfluss auf die Richtlinien der Politik besitzen. Aber dies ist einer dieser interessanten Fälle, in denen die Staatspolitik nicht nur von der öffentlichen Meinung abweicht, was normal ist, sondern auch von den Interessen der Geschäftswelt, was bei weitem nicht normal ist. Also ist hier noch etwas Anderes im Spiel.
Es gibt andere Fälle wie diesen. Und ich glaube, dass hier etwas im Spiel ist, was professionell noch nicht verstanden und besonders untersucht worden, aber, wie ich glaube, von Bedeutung ist. Wir könnten es das Mafiaprinzip nennen. Wenn z.B. ein kleiner Ladenbesitzer Schutzgelder nicht bezahlt, schickt der Pate nicht nur einen Geldeintreiber, sondern statuiert ein Exempel an dem Menschen. Sie töten ihn, schlagen ihn zusammen, zerstören seinen Laden oder so etwas Ähnliches. Sie statuieren ein Exempel an ihm.
Man kann keinen Ungehorsam dulden, auch nicht vom kleinsten Mann, nicht weil der Pate das Geld braucht, es kann ein unbedeutender Betrag sein, aber wenn der Ungehorsam Erfolg hat, könnte er sich verbreiten. Er könnte zum Beispiel werden. Wenn ein kleiner Ladenbesitzer nicht gehorcht und damit durchkommt, könnte es ein anderer nachmachen. Und dann bricht das gesamte Kontrollsystem zusammen. Aber es basiert häufig mehr auf Angst als auf tatsächlicher Gewaltanwendung. Das ist ein wichtiges Prinzip. Das ist in kriminellen Vereinigungen wie der Mafia üblich.
Aber es findet auch Einzug in die Staatspolitik. Das Problem der Vereinigten Staaten mit Kuba ist, wie es ausdrücklich in internen Dokumenten heißt, Ungehorsam. Lesen Sie die freigegebenen Dokumente der Kennedy-, Johnson- und liberalen Ären. Die Dokumente sprechen von "Kubas erfolgreicher Missachtung der US-Politik", die 150 Jahre zurückgeht und zur Monroe-Doktrin führte. Also hat das nichts mit Russland zutun, es ist Kuba, das die Prinzipien missachtet, die besagen die Vereinigten Staaten müssten die Hemisphäre dominieren.
Natürlich konnten sie in den 1820ern nicht die Hemisphäre dominieren, aber in späteren Jahren schafften sie es, und Ungehorsam wird nicht geduldet, er ist nach den Prinzipien der Mafia gefährlich für sie. Wenn ein Land nicht gehorcht und damit durchkommt, kommen die anderen auf die gleiche Idee und das System bricht ziemlich schnell zusammen. Und Sie finden das ständig in den internen geheimen Akten. Z.B. im Fall des Sturzes der Allende-Regierung in Chile hat der Nationale Sicherheitsrat, als er die Maßnahmen zum Sturz der Regierung ergriff, erklärt, dass das Problem nicht auf Chile begrenzt sei. In ihren Worten: "Wenn wir Lateinamerika nicht kontrollieren können, wie wollen wir dann den Rest der Welt kontrollieren?"
Also ist das unser Hinterhof, und wenn wir den nicht in Ordnung halten können, werden andere Menschen keine Angst vor uns haben, und wir sind nicht in der Lage, sie zu kontrollieren. Um auf Kuba zurückzukommen, als John F. Kennedy ins Amt kam, richtete er, im Gegensatz zu Eisenhower, seine Aufmerksamkeit auf Lateinamerika. Also richtete er eine Studiengruppe für Lateinamerika unter Leitung von Arthur Schlesinger ein, einem bekannten liberalen Historiker, und sie lieferte Empfehlungen ab, die ihr Schlesinger gegeben hatte, der schrieb, das Problem mit Castro sei es, dass Castro die Idee habe, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und nicht auf uns zu hören und uns zu gehorchen, und wenn das Erfolg habe, könnte es an anderen Orten in Lateinamerika gefährlich werden, wo die Menschen sich ziemlich genau den gleichen Problemen gegenüber sehen wie in Kuba vor Castro. Und dann bricht das System zusammen.
Und das finden Sie immer wieder. Ich will nicht auf Beispielen herumreiten, aber das Mafiaprinzip ist häufig dabei. Das macht Sinn und die Politik sehr resistent gegen Veränderungen, weil es ein Staatsinteresse gibt, das mit Langzeitproblemen der Vorherrschaft und Kontrolle zutun hat und resistent gegen die öffentliche Meinung ist, was normal ist, aber auch gegen Geschäftsinteressen, was weniger normal ist. Es gibt zurzeit auch andere Fälle.
Nehmen Sie die US-Politik gegen den Iran. Der größte Teil der Welt, eine große Mehrheit, denkt, dass der Iran das gleiche Recht hat, Uran anzureichern, wie andere Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags auch. Die meisten Amerikaner stimmen dem zu. Das ist gewiss nicht Regierungspolitik. Tatsächlich ist es noch nicht einmal auf der Agenda der Regierungspolitik. Eine große Mehrheit der Amerikaner, über 80%, glaubt, es sollte in der Region eine atomwaffenfreie Zone geben, einschließlich Israel, Iran und aller dort stationierten amerikanischen Streitkräfte, aber das ist nicht einmal vorstellbar.
Darüber hinaus ist eine große Mehrheit gegen Bedrohungen gegen den Iran, völlig im Gegensatz zur Politik.
Wie im Fall von Kuba, stimmen große Bereiche der Geschäftswelt zu. Viele der Energiekonzerne, die gewöhnlich recht einflussreich auf die Richtlinien der Politik sind, würden besonders im Mittleren Osten die Normalisierung der Beziehungen begrüßen. Der Iran besitzt erhebliche unausgebeutete Reserven an Öl und Gas und würde gerne damit Profite machen, aber er wird von der [US-] Staatspolitik blockiert. Also haben wir wieder eine Situation, in der die öffentliche Meinung, entscheidende Sektoren der Geschäftswelt und andere eine Bewegung in Richtung Normalisierung der Beziehungen und Verhandlungen und Abkommen auf der Basis, dass der Iran die gleichen Rechte hat wie andere Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags, befürworten, aber der Staat [die USA] will das nicht akzeptieren. Und wieder führt das zurück zu erfolgreicher Missachtung. 1979 stürzten die Iraner den Tyrannen, den die USA 25 Jahre zuvor durch einen Militärputsch eingesetzt hatten, und sind seit dem unabhängig, und das ist gefährlich für das Mafiaprinzip.
Die fanatische Feindseligkeit gegenüber Hugo Chávez ist eine andere Sache. Sie können von Chávez denken, was Sie wollen, ihn mögen oder nicht mögen, was auch immer, aber die Dämonisierung seiner Person geht weit über jede vernünftige Bewertung seiner Politik hinaus. Und die Dämonisierung begann, als er anzeigte, unabhängig zu werden. In der ersten Zeit seiner Präsidentschaft wurde er als böser Bube gehandelt, den wir nur gerade nicht zähmen können, aber als es deutlich wurde, dass er seine eigene Politik verfolgen würde, setzte die Verteufelung ein. Es gehört wieder mehr zu dem, "Angelegenheiten in die eigene Hand zu nehmen", was wiederum woanders zum Anreiz genommen werden könnte und das System die Kontrolle über seine Aushöhlung kosten könnte.
Und ich denke, der Fall der Cuban Five fällt unglücklicherweise in diese Kategorie. Also, ja, um auf Ihre Frage zurückzukommen, die öffentliche Meinung kann eine Änderung bewirken, aber es ist in diesem Falle ein hoher Berg zu erklimmen.
Dieses Interview wurde am 12. September 2009 erstmalig von Radio Havana Cuba ausgestrahlt.
Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db)