Dienstag, 27. April 2010
Salim Lamrani interviewt Yoani SanchezSalim Lamranis Interview wurde ursprünglich auf der Website von Rebelion veröffentlicht und in The South Journal ins Englische übersetzt.
Ein Gespräch mit der kubanischen Bloggerin Yoani Sanchez
Der französische Journalist und Experte für die Beziehung Kubas zu den Vereinigten Staaten interviewte kürzlich die kubanische Bloggerin Yoani Sanchez in Havanna. Das Interview wurde auf der Website von Rebelion und der von Cubadebate veröffentlicht. Yoani Sanchez ist eine neue Figur in der Kuba-Opposition. Seit sie 2007 ihren Blog "Generación Y" geschaffen hatte, wurde sie mit mehreren internationalen Preisen ausgezeichnet, einschließlich des Ortega y Gasset Journalistenpreises 2008, dem Bitacoras com Prize 2008, dem Bob's Prize 2008, dem Maria Moors Cabot Prize 2008, der von der angesehenen US-Universität von Columbia verliehen wird. Gleichzeitig wurde die kubanische Bloggerin 2008 vom Time Magazine in die 100 einflussreichsten Persönlichkeiten gewählt, gemeinsam mit George W. Bush, Hu Jintao und dem Dalai Lama. Yoanis Blog wurde 2008 von CNN und dem Time Magazine in die Liste der 25 besten Blogs der Welt aufgenommen. Der Vorfall vom 6. November 2009 Salim Lamrani: Lassen Sie uns mit dem Vorfall vom 6. November 2009 in Havanna beginnen. Sie erklärten in Ihrem Blog, dass Sie gemeinsam mit drei anderen Freunden von "drei unbekannten kräftigen Männern" während "eines Nachmittags mit Schlägen, Geschrei und Beleidigungen überfallen wurden." Sie beschuldigten die kubanische Polizei, Gewalt gegen Sie verübt zu haben. Halten Sie Ihre Version der Ereignisse aufrecht? Yoani Sanchez: Ja, klar, ich versichere Ihnen, dass ich Gewalt ausgesetzt war. Sie hielten mich 25 Minuten in ihrer Gewalt. Ich wurde geschlagen. Es gelang mir, ein Stück Papier, dass einer der Männer in seiner Tasche hatte, an mich zu nehmen und es in den Mund zu stecken. Einer von ihnen drückte mir sein Knie auf die Brust und ein anderer schlug mich vom Vordersitz aus in die Nierengegend und auf den Kopf, damit ich meinen Mund öffnete und um das Stück Papier zu bekommen. Einen Moment lang dachte ich, ich käme nie aus diesem Auto heraus. SL: Die Geschichte in ihrem Blog ist wirklich erschreckend. Ich zitiere, Sie sprachen von "Schlägen und Stößen", von "schlagenden Knöcheln" von einer "Kette von Schlägen," "Knien auf Ihrer Brust," Schlägen in Ihre "Nieren und [...] und auf Ihren Kopf","Ziehen an Ihren Haaren", von Ihrem Gesicht als "rotangelaufen von dem Druck und wegen körperlicher Schmerzen" von den "Schlägen, die weiter gingen" und "all diesen blauen Flecken". Als Sie sich jedoch am 9. November mit der internationalen Presse trafen, waren diese Spuren auf Ihrem Körper verschwunden. Wie können Sie das erklären? YS: Sie waren professionelle Schläger. SL: OK, aber warum haben Sie die Fotos von den Spuren nicht gezeigt? YS: Ich habe Fotos. Ich habe Beweise. SL: Also, Sie haben Beweise? YS: Ich habe die Beweise auf Fotos. SL: Aber warum haben Sie die nicht veröffentlicht, um all' die Gerüchte zu entkräften, die besagen, dass Sie diesen Angriff erfunden hätten, damit die Presse über Ihren Fall berichte? YS: Ich verwahre sie zurzeit lieber, als sie zu veröffentlichten. Ich möchte sie eines Tages einem Gericht vorlegen, damit diese drei Männer verurteilt werden. Ich kann mich vollständig an ihre Gesichter erinnern, und ich habe die Fotos zumindest von zweien von ihnen. Was den dritten Mann betrifft, so muss er noch identifiziert werden, aber, da er der Anführer war, wird es leicht sein, ihn auszumachen. Ich habe auch noch das Stück Papier, das ich einem von ihnen wegnahm, das meinen Speichel trägt, weil ich es im Mund hatte. Auf dem Papier stand der Name einer Frau geschrieben. SL: Fein. Sie publizieren viele Fotos in Ihrem Blog. Es ist schwer zu verstehen, warum Sie es vorziehen, die Fotos zurzeit nicht freizugeben. YS: Wie gesagt, ich bewahre sie lieber für den Rechtsweg auf. SL: Sie sind sich bewusst, dass Ihre Einstellung denen nützt, die denken, dass Sie den Anschlag auf Sie erfunden hätten, nicht wahr? YS: Es ist meine Entscheidung. SL: Doch selbst die westlichen Medien, die Sie ziemlich begünstigen, haben einige ungewöhnliche Vorsichtsmaßnahmen getroffen, als Sie Ihre Geschichte wiedergaben. Der BBC-Korrespondent in Havanna Fernando Ravberg schrieb beispielsweise, dass Sie "keine blauen Flecken, Spuren oder Kratzer" hatten, die Nachrichtenagentur France Presse erzählte die Geschichte so, indem sie sorgfältig genug klarstellte, dass es Ihre eigene Version sei und gab ihr den Titel: "Cuba Blogger Yoani Sanchez sagt, geschlagen und kurzzeitig verhaftet worden zu sein". Andererseits versicherte der Reporter, dass Sie "nicht verletzt" seien. YS: Ich möchte deren Arbeit nicht gerne beurteilen. Es ist nicht meine Sache, über sie zu urteilen. Sie sind Professionelle, die sich in einer komplizierten Situation befinden, die ich nicht ermessen kann. Der Sachverhalt, ob physische Spuren existieren oder nicht, ist kein Beweis für das Ereignis. SL: Aber der Augenschein dieser Spuren würde enthüllen, dass Gewalt stattgefunden hat. Darum wäre die Veröffentlichung der Fotos so wichtig. YS: Sie sollten verstehen, dass sie professionell im Einschüchtern sind. Die Tatsache, dass drei unbekannte Männer mich in ein Auto zerrten, ohne irgend welche Ausweise zu zeigen, gibt mir das Recht, mich so zu beschweren, als hätten sie mir alle Knochen gebrochen. Die Fotos sind nicht so wichtig, weil die illegale Tat begangen wurde. Jetzt wäre es korrekt zu sagen: "Wenn es hier oder da weh tut", ist es eben mein innerer Schmerz. SL: OK, aber das Problem ist, dass Sie es alles als einen sehr gewaltsamen Angriff darstellten. Sie sprachen von "Kidnapping nach schlimmster sizilianischer Camorra Manier." YS: Ja, das ist wahr, aber es ist meine Rede gegen ihre. Die Frage der Einzelheiten, ob ich Beulen oder keine habe, bringt uns von der eigentlichen Sache ab, die darin besteht, dass sie mich für 25 Minuten illegal gekidnapped haben. SL: Entschuldigen Sie meine Beharrlichkeit, aber ich denke, dies ist wichtig. Es gibt einen gewissen Unterschied zwischen einer Identitätskontrolle, die 25 Minuten dauert und polizeilicher Gewalt. Meine Frage ist sehr einfach: Sie sagen, und ich zitiere: "Mein Wangenknochen und eine Augenbraue waren während des gesamten Wochenendes geschwollen." Da Sie doch Fotos haben, können sie die Spuren jetzt zeigen. YS: Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich sie lieber für das Gericht aufhebe. SL: Sie sind sich doch bewusst, dass es einigen Leuten schwer fällt, Ihrer Version zu glauben, wenn Sie die Fotos nicht veröffentlichen, nicht wahr? YS: Ich glaube, mit diesen Einzelheiten verfehlen wir das Thema, Tatsache ist, das drei Blogger in Begleitung eines ihrer Freunde auf dem Weg zu einem Platz in der Stadt waren, gerade an der Ecke 23 und der G-Straßen. Wir hatten gehört, dass dort eine Gruppe Jugendlicher zu einem Marsch gegen Gewalt aufgerufen habe. Sie sind alternative freundliche Leute, Hip-Hop- und Rap-Sänger, Künstler. Ich wollte als Bloggerin dort sein, um Fotos von ihnen zu machen und sie in meinem Blog zu veröffentlichen und um einige Interviews zu machen. Auf dem Weg zu diesem Platz wurden wir von einem "Geely"-Auto angehalten. SL: War es ein Akt der Verhinderung ihrer Teilnahme an der Veranstaltung? YS: Das war offenbar der Grund. Sie teilten uns das nicht förmlich mit, aber das war ihr Ziel. Sie sagten, ich solle in ihr Auto einsteigen. Ich fragte sie, wer sie seien. Einer von ihnen packte mich beim Handgelenk, und ich zog es zurück. Das geschah in einem zentral gelegenen Gebiet von Havanna, genau an einer Bushaltestelle. SL: Also, waren dort gerade Leute. Ich meine, es waren Zeugen da. YS: Ja., es gab Zeugen, aber die wollen nicht sprechen. Sie sind verängstigt. SL: Nicht einmal anonym? Warum hat die westliche Presse sie nicht anonym interviewt, wie sie es gewöhnlich tun, wenn sie kritische Artikel über Kuba veröffentlichen? YS: Ich kann die Reaktion der Presse nicht erklären. Ich kann Ihnen nur sagen, was passiert ist. Einer von ihnen, ein Mann um die fünfzig Jahr alt, von starkem Körperbau, so, als habe er schon immer "free wrestling" gemacht - Ich sage Ihnen das, weil mein Vater diesen Sport ausübte und er den gleichen Körperbau hatte. Ich habe ziemlich dünne Handgelenke, und es gelang mir, seinem Griff zu entkommen, und ich fragte ihn, wer er sei. Da waren drei Männer und der Fahrer. SL: Also dann gab es vier Männer statt drei. YS: Ja, aber ich konnte das Gesicht des Fahrers von hinten nicht erkennen. "Yoani, steigen sie ins Auto, sie wissen, wer wir sind." Ich antwortete: "Ich weiß nicht, wer sie sind." Der kleinste von ihnen sagte: "Hören sie, sie wissen, wer ich bin, sie kennen mich gut." Ich antwortete ihm: "Nein, ich weiß nicht, wer sie sind. Wer sind sie? Zeigen sie mir ihre Papiere oder ein anderes Dokument." Der andere sagte zu mir: "Kommen sie ins Auto, machen sie keine Schwierigkeiten." Dann fing ich an zu schreien: "Hilfe! Kindnapper!" SL: Wussten Sie, dass es Polizisten in Zivilkleidung waren? YS: Ich konnte es mir denken, aber sie zeigten mir nie irgend ein Dokument. SL: Was war denn dann Ihr Ziel? YS.: Ich wollte, dass die Sache legal abliefe; das heißt, dass sie mir ihre Dokumente zeigten und dann hätten sie mich mitnehmen können, obwohl ich den Verdacht hatte, dass sie wirklich die Behörden vertraten. Sie können keinen Bürger zwingen, in ein Privatauto einzusteigen, ohne jegliche Dokumente, andernfalls ist es illegal und gilt als Entführung. SL: Wie haben die Leute an der Bushhaltestelle reagiert? YS: Die Leute waren erstaunt, denn "Kidnapping" ist kein gebräuchliches Wort in Kuba, so ein Phänomen existiert hier nicht. Dann waren sie neugierig, was da geschah. Wir sahen nicht wie Kriminelle aus. Einer versuchte, sich uns zu nähern, aber einer der Polizisten schrie sie an: "Mischen Sie sich nicht ein, dies sind Konterrevolutionäre!" Und damit bestätigte sich, dass sie zur politischen Polizei gehörten, obwohl ich es mir schon denken konnte, als ich das "Geely"-Auto sah, ein neues chinesisches Fabrikat, das in Kuba noch nirgendwo zum Verkauf stand. Diese Autos gehören nur den Leuten der bewaffneten Armee und dem Innenministerium. SL: Meinen Sie damit, dass Sie von Anfang an wussten, dass sie Polizisten in Zivilkleidung waren, weil sie den Wagen identifizierten, den sie fuhren? YS: Ich ahnte es. Andererseits bestätigte es sich, als einer von ihnen einen uniformierte Polizisten rief. Eine Frauenpatrouille und ein Mann kamen und nahmen zwei von uns mit. Uns ließen sie in den Händen dieser unbekannten Männer zurück. SL: Aber zu diesem Zeitpunkt hatten sie keinen Zweifel mehr, wer sie waren, nicht wahr? YS: Nein, aber sie zeigten uns keine Dokumente. Der Polizist sagte nicht, dass sie von den kubanischen Behörden seien. Sie sagten kein Wort. SL: Es ist schwer verständlich, dass die kubanischen Behörden irgend ein Interesse an einem Angriff mit dem Risiko haben könnten, einen internationalen Skandal loszutreten. Sie sind berühmt. Warum sollten sie das tun? YS: Sie wollten mich radikalisieren, damit ich grobe Artikel gegen sie schriebe, aber sie kommen damit nicht durch. SL: Wir können nicht behaupten, dass Sie sanft mit der kubanischen Regierung umgingen. YS: Ich wende nie verbale Gewalt an oder persönliche Angriffe. Ich benutze nie harte Adjektive wie "blutige Unterdrückung", zum Beispiel. Ihr Ziel war es, mich zu radikalisieren. SL: Aber Sie springen sehr grob mit der kubanischen Regierung um. Man kann es in Ihrem Blog lesen: "das zu Wasser gelassene Schiff beginnt schiffbrüchig zu werden". Sie sprechen von "den Schreien des Despoten," von Leuten im Schatten, die sich wie Vampire von menschlicher Freude nähren, uns durch Schläge, Drohungen und Erpressungen Furcht einimpfen," "der Schiffbruch des Prozesses, des Systems, der Erwartungen, der Illusionen. [es ist] [totaler] Schiffbruch," das sind wirklich starke Worte. YS: Vielleicht, obwohl ihr Ziel war das Yoani-Sanchez-Phänomen durch Dämonisierung zu verbrennen. Aus diesem Grunde wurde mein Blog lange Zeit blockiert. SL: Aber es erscheint überraschend, dass kubanische Behörden beschlossen, sie körperlich anzugreifen.
YS: Es war plump. Ich kann nicht verstehen, warum sie mich davon abhielten, den Marsch aufzusuchen, da mein Denken ganz verschieden von dem derjenigen ist, die Unterdrückung anwenden. Ich kann's nicht erklären. Vielleicht wollten sie nicht, dass ich mich mit Jugendlichen treffe. Die Polizei dachte, ich würde einen Skandal auslösen oder eine aufwieglerische Rede halten. SL: Wozu soll es gut sein, sich der Polizei in Uniform zu widersetzen und Gefahr zu laufen, dafür verklagt zu werden und so ein Verbrechen zu begehen? Wenn man sich in Frankreich der Polizei widersetzt, geht man das Risiko ein, bestraft zu werden. YS: Jedenfalls haben sie sie mitgenommen. Die Polizei ergriff Claudia. Die anderen drei Personen schleppten uns in ihr Auto, und ich fing wieder an zu schreien: "Hilfe! Dies ist ein Kidnap!" SL: Warum? Wussten Sie, dass sie Polizisten waren, die keine Uniform trugen? YS: Sie zeigten keine Dokumente. Dann begannen sie mich zu schlagen und stießen mich ins Auto. Claudia war Zeugin, und sie sagte es auch aus. SL: Aber Sie sagten doch gerade, dass die Polizei-Patrouille Claudia mitgenommen habe oder nicht?
YS: Sie sah die Szene aus der Entfernung, während das Polizeiauto davon fuhr. Ich verteidigte mich und schlug um mich wie ein Tier, das glaubt, sein letztes Stündlein habe geschlagen. Sie fuhren in Vedado umher, als sie versuchten, mir das Stück Papier aus dem Mund zu nehmen. Ich fasste einem von ihnen an die Hoden, und er steigerte die Gewalt. Sie brachten uns in eine ärmliche Gegend, La Timba, die in der Nähe vom Revolutionsplatz liegt. Der Mann stieg aus, öffnete die Tür des Wagens und forderte uns auf auszusteigen. Ich wollte nicht ‚rauskommen. Da packten sie uns mit Gewalt, auch Orlando und dann verließen sie uns. SL: Gaben Sie Ihnen Ihr Handy und Ihre Kamera zurück? YS: Ja. SL: Klingt es nicht drollig für Sie, dass sie sich bemühten zurückzukommen? Sie hätten ihr Mobiltelefon und Ihre Kamera konfiszieren können, die ja Ihre Arbeitsmittel sind. YS: Also, ich weiß es nicht. Das Ganze dauerte 25 Minuten. SL: Sie sind sich doch bewusst, dass, solange Sie die Fotos nicht veröffentlichen, Ihre Version dem Zweifel unterworfen ist und dass es einen Schatten auf die Glaubwürdigkeit von allem wirft, was Sie sagen. YS: Es macht mir nichts aus. Die Schweiz und die Rückkehr nach Kuba SL: Sie beschlossen 2002, in die Schweiz auszuwandern. Zwei Jahre später kehrten sie nach Kuba zurück. Es erscheint schwer verständlich, warum Sie das "europäische Paradies" verließen, um in das Land zurückzukehren, das Sie als Hölle beschreiben. Meine Frage ist einfach: Warum? YS: Das ist eine gute Frage. Erstens mag ich es, gegen den Strom zu schwimmen. Ich möchte mein Leben auf eigene Art gestalten. Absurd daran ist nicht die Sache des Gehens und Wiederkommens, sondern das kubanische Migrationsgesetz, das bestimmt, dass jede Person, die elf Monate in Übersee verbringt, ihr ständiges Aufenthaltsrecht verliert. Unter anderen Bedingungen, könnte ich zwei Jahre in Übersee verbringen und mit dem Geld, das ich dort verdient hätte, könnte ich nach Kuba zurückkehren, um mein Haus zu reparieren und einige andere Dinge zu tun. Danach ist nicht der Beschluss zur Rückkehr nach Kuba erstaunlich, sondern das kubanische Migrationsgesetz. SL: Reichlich überraschend ist insbesondere der Umstand, die Chance zu haben, in einem der reichsten Länder der Welt zu leben, Sie sich aber entschieden haben, in Ihr Land zurückzukehren, das Sie, nachdem Sie es für fast zwei Jahre verlassen hatten, auf eine apokalyptische Weise beschreiben. YS: Es gibt dafür etliche Gründe. Erstens war ich nicht fähig, meine Familie zu verlassen. Wir sind eine kleine Familie, aber einander sehr verbunden - mit meiner Schwester und meinen Eltern. Mein Vater war während meines Aufenthalts in der Schweiz krank, und ich hatte Angst, er könnte sterben, und ich könnte ihn nicht mehr sehen. Ich fühlte mich wegen meines besseren Lebens als ihres auch schuldig. Jedes Mal, wenn ich ein paar Schuhe kaufte oder ins Internet ging, musste ich an sie denken. Ich fühlte mich schuldig. SL: OK, doch Sie konnten ihnen aus der Schweiz durch Geldsendungen helfen. YS: Das stimmt, aber es gab noch einen anderen Grund. Ich dachte, mit alldem, was ich in der Schweiz gelernt hätte, könnte ich die Dinge ändern, wenn ich nach Kuba zurückkehrte. Man empfindet auch diese Nostalgie für die Leute, seine Freunde. Es war keine wohl überlegte Entscheidung, aber ich bereue sie nicht. Ich wollte zurückkehren, und das habe ich getan. Eigentlich könnte es ungewöhnlich erscheinen, aber ich mag es, ungewöhnliche Dinge zu tun. Ich eröffnete einen Blog. Und die Leute fragten mich, warum ich das täte, während mich der Blog aber beruflich befriedigt. SL: Das ist schon richtig, aber trotz all dieser Gründe ist es immer noch schwer zu verstehen, warum Sie nach Kuba zurückkehrten, während die Menschen im Westen denken, dass alle Kubaner ihr Land verlassen möchten. Es ist umso überraschender in Ihrem Fall, weil Sie Ihr Land auf, ich wiederhole, auf so eine apokalyptische Weise darstellen. YS: Als Philologe würde ich dieses Wort, "apokalyptisch" für einen sehr hochtrabenden Begriff halten. Es gibt etwas, das meinen Blog charakterisiert: verbale Moderation. SL: Das ist nicht immer der Fall. Zum Beispiel beschreiben Sie Kuba als "ein riesiges Gefängnis mit ideologischen Mauern". Diese Begriffe sind sehr heftig. YS: Das habe ich nie geschrieben. SL: Das waren die Worte, die Sie während eines Interviews mit dem Fernsehsender France 24 am 22. Oktober 2009 benutzten. YS: Haben Sie das auf Französisch oder Spanisch gelesen? SL: Auf Französisch. YS: Trauen Sie Übersetzungen nicht, denn ich habe das nie gesagt. Ziemlich oft stoße ich auf Worte, die ich nicht gesagt habe. Zum Beispiel schrieb mir die spanische Zeitung ABC Worte zu, die ich nie formuliert hatte, und ich protestierte dagegen. Der Artikel wurde von der Internetseite zurück genommen. SL: Was waren das für Worte? YS: "In Kubas Krankenhäusern sterben mehr Menschen an Hunger als an Krankheiten." Es war eine glatte Lüge. Ich habe das nie gesagt. SL: Dann haben die westlichen Medien also das, was Sie gesagt haben, manipuliert? YS: Das würde ich nicht sagen. SL: Wenn sie Ihnen Worte zuschreiben, die Sie nicht gesagt haben, dann ist das Manipulation. YS: Die Granma-Zeitung manipuliert die Realität mehr als die westliche Presse, wenn sie sagt, ich sei ein Produkt der Prisa Mediengruppe. SL: Müssten Sie dann nicht, genau genommen, denken, dass die westlichen Medien Sie benutzen, weil Sie den Kapitalismus "sui generis" in Kuba befürworten? YS: Ich bin nicht dafür verantwortlich, was die Medien tun. Mein Blog ist persönliche Therapie, eine Art Exorzismus. Ich habe das Gefühl, in meinem eigenen Land mehr manipuliert zu werden, als in irgend einem anderen. Sie kennen dieses Gesetz in Kuba, Gesetz 88, genannt das "Gag"-Gesetz, das die Leute inhaftiert, die das tun, was mir machen. SL: Was meinen Sie? YS: Ich meine, dass unsere Unterhaltung als Verbrechen angesehen werden und dass man mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden könnte. SL: Entschuldigung, die Tatsache, dass ich Sie interviewe, könnte Sie ins Gefängnis bringen? YS: Natürlich! SL: Ich habe nicht das Gefühl, dass Sie das sehr beunruhigt, da Sie mir dieses Interview am hellichten Tag geben, in der Lobby eines Hotels im Herzen Havannas. YS: Ich bin nicht beunruhigt. Dieses Gesetz besagt, dass jede Person, die Kuba der Verstöße gegen die Menschenrechte beschuldigt, mit den Wirtschaftssanktionen kooperiert, da Washington die Sanktionen gegen Kuba wegen der Menschenrechtsverletzungen verhängt. SL: Wenn ich nicht irre, wurde das Gesetz 88 1996 in Reaktion auf das Helms-Burton-Gesetz erlassen, und es bestraft insbesondere die Leute, die mit der Anwendung des amerikanischen Gesetzes in Kuba kollaborieren, die Washington beispielsweise mit Information über ausländische Investoren in Kuba versorgen, damit sie in Amerika vor Gericht gestellt werden. So weit ich weiß, wurde bisher niemand dafür verurteilt. Lassen Sie uns über freie Meinungsäußerung reden. Sie haben eine gewisse Freiheit, sich über Ihren Blog zu äußern. Sie werden an diesem Nachmittag in einem Hotel interviewt. Bemerken Sie keinen Widerspruch zu Ihrer Versicherung, dass es in Kuba keine freie Meinungsäußerung gebe und der Realität Ihres Schreibens und Ihrer Aktivitäten, die das Gegenteil zeigen? YS: Ja, aber Sie können meinen Blog nicht in Kuba sehen, weil er blockiert worden ist. SL: Ich kann Ihnen versichern, dass ich ihn heute Morgen vor diesem Interview von diesem Hotel aus besucht habe. YS: Das ist möglich, aber die meiste Zeit ist er blockiert. Jedenfalls kann ich zurzeit in der kubanischen Presse nicht den kleinsten Raum einnehmen, keine Gelegenheit im Radio oder Fernsehen erhalten, wo ich doch eine moderate Person bin. SL: Sie können aber in Ihrem Blog veröffentlichen, was Sie wollen, nicht wahr? YS: Aber ich kann nicht ein Wort in der kubanischen Presse veröffentlichen. SL: In Frankreich, was ein demokratisches Land ist, haben weite Teile der Bevölkerung keinen Zugang zu den Medien, weil die meisten Ausgaben der privaten Wirtschaft gehören oder Finanzgruppen. YS: Ja, aber es ist anders. SL: Wurden Sie wegen Ihrer Aktivitäten bedroht? Wurde Ihnen für das, was Sie schreiben, je mit Gefängnis gedroht? YS: Nein, keine direkten Gefängnisandrohungen, aber sie erlauben mir nicht, nach Übersee zu reisen. Ich bin zurzeit zu einem spanischsprachigen Kongress in Chile eingeladen, ich habe alle Formalitäten erfüllt, aber sie lassen mich nicht gehen. SL: Haben Sie eine Begründung erhalten? YS: Überhaupt keine, aber ich würde gerne etwas gerade rücken. US-Sanktionen gegen Kuba sind grausam. Es ist eine verfehlte Politik. Ich habe das viele Male gesagt, aber sie haben es nicht veröffentlicht, weil es sie ärgert, dass ich dieser Ansicht bin, die im Widerspruch zu der archetypischen Position jedes Oppositionsmitglieds steht. Die Wirtschaftssanktionen SL: Also, Sie sind gegen die Wirtschaftssanktionen. YS: Absolut, und ich sage es in jedem Interview. Vor einigen Wochen habe ich einen Brief an den US-Senat mit der Bitte geschickt, dass es den amerikanischen Bürgern erlaubt sein sollte, nach Kuba zu reisen. Es ist grausam, mitanzusehen, wie sie amerikanischen Bürger nicht erlauben, Kuba zu besuchen, so, wie die kubanische Regierung mir verbietet, aus meinem Land zu reisen. SL: Wie ist Ihre Meinung zu den Hoffnungen, die durch die Wahl Obamas ausgelöst wurden, der eine Änderung der Politik gegenüber Kuba versprach, aber so viele Menschen enttäuscht hat? YS: Er kam ohne die Unterstützung der in Miami ansässigen fundamentalistischen Lobby an die Macht, die den anderen Kandidaten unterstützte. Ich habe von meiner Seite bereits eine Erklärung gegen die Sanktionen abgegeben. SL: Diese fundamentalistische Lobby widersetzt sich der Aufhebung der Sanktionen. YS: Sie können mit ihnen diskutieren und ihnen meine Kriterien darlegen, aber ich würde nicht sagen, dass sie Feinde ihres Heimatlandes sind. Das glaube ich nicht. SL: Eine Gruppe von ihnen nahm 1961 auf Anordnung der CIA an der Invasion gegen ihr eigenes Land teil. Etliche von ihnen sind in Terroranschläge gegen Kuba verstrickt. YS: Die kubanischen Exilanten haben das Recht zu denken und Entscheidungen zu treffen. Ich ziehe ihr Stimmrecht vor. Hier wurden die kubanischen Exilanten sehr stigmatisiert. SL: Meinen Sie den "historischen" Exilanten oder diejenigen, die aus wirtschaftlichen Gründen ausgewandert sind? YS: Eigentlich opponiere ich gegen alles Extreme. Aber diese Personen, die die Wirtschaftssanktionen gutheißen, sind keine antikubanischen Leute. Man sollte [stattdessen] annehmen, dass sie Kuba nach ihren eigenen Kriterien verteidigen. SL: Vielleicht, aber die Wirtschaftssanktionen treffen die empfindlichsten Bereiche der kubanischen Bevölkerung und nicht die Führer. Danach ist es schwer, die Sanktionen zu begünstigen und gleichzeitig zu beabsichtigen, das Wohlergehen der kubanischen Bevölkerung zu verteidigen. YS: Das ist ihre Meinung. So ist es. SL: Sie sind nicht naiv. Sie wissen, dass das kubanische Volk unter den Sanktionen leidet. YS: Sie sind einfach anders. Sie denken, dass sie das Regime durch Verhängung von Sanktionen ändern könnten. Jedenfalls denke ich, dass die Blockade der kubanischen Regierung ein perfektes Argument dafür liefert, ihre Intoleranz, Kontrolle und interne Unterdrückung aufrecht erhalten zu können. SL: Wirtschaftssanktionen haben Auswirkungen. Oder denken Sie, dass die Sanktionen Havanna nur als Entschuldigung dienen? YS: Sie sind die Entschuldigung, die zu Unterdrückung führt. SL: Beeinträchtigen sie das Land in wirtschaftlicher Hinsicht nach Ihrer Meinung? Oder ist das nur von untergeordneter Bedeutung? YS: Das eigentliche Problem ist der Mangel an Produktivität in Kuba. Wenn sie morgen die Sanktionen aufheben würden, bezweifle ich, dass es sich als gelöst zeigen würde. SL: Wenn das so ist, warum heben die Vereinigten Staaten die Sanktionen nicht auf und nehmen der kubanischen Regierung damit ihre Entschuldigung? Dann würde es sich erweisen, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten das Ergebnis heimischer Politik wären. Wenn Washington so sehr auf Sanktionen besteht, trotz deren anachronistischen Charakters, trotz der breit angelegten Mehrheit der internationalen Gemeinschaft von 187 Ländern 2009, trotz der Ablehnung der Mehrheit der US-Bevölkerung, trotz der Ablehnung seitens der Geschäftswelt, muss es einen Grund geben, glauben Sie nicht? YS: Einfach deswegen, weil Obama in den Vereinigten Staaten kein Diktator ist, und er die Sanktionen nicht aufheben kann. SL: Er kann sie nicht völlig aufheben, weil das Einverständnis des Kongresses dazu notwendig ist, aber er könnte sie beträchtlich mildern, was er bisher nicht getan hat; außer der Aufhebung der durch Bush 2004 auferlegten Beschränkungen hat sich fast nichts geändert. YS: Nein, das ist nicht wahr, denn er hat auch US-Telekommunikationskonzernen erlaubt, mit Kuba Geschäfte zu machen. Internationale Preise, Der Blog und Barack Obama SL: Sie müssen zugeben, dass das alles sehr wenig ist, da wir doch wissen, dass Obama eine neue Annäherung an Kuba versprochen hat. Lassen Sie uns zu Ihrem persönlichen Fall zurückkommen. Wie können Sie sich diesen Durchmarsch an Preisen erklären sowie den internationalen Erfolg? YS: Ich kann nicht viel dazu äußern, abgesehen von meiner Dankbarkeit. Jeder Preis enthält eine Dosis Subjektivität seitens der Jury. Jeder Preis kann hinterfragt werden. Viele lateinamerikanische Autoren verdienten beispielsweise den Literaturnobelpreis eher als Gabriel Garcia Marquez. SL: Sagen Sie das, weil sie ihn nicht für talentiert halten oder wegen seiner begünstigende Haltung gegenüber der kubanischen Revolution? Sie leugnen nicht sein Talent als Autor oder doch? YS: Es ist meine Meinung, aber ich würde nicht behaupten, dass er den Preis angenommen habe und ihn dann dafür beschuldigen wollen, ein Agent der schwedischen Regierung zu sein. SL: Er erhielt den Preis für seine literarische Arbeit, während Sie Preise für Ihre politische Haltung gegenüber der Regierung erhielten. Das ist unser Eindruck. YS: Lassen Sie uns über den Ortega and Gasset Preis sprechen, der von der Zeitung El Pais verliehen wurde, der mehr Debatten auslöst. Ich gewann ihn in der "Internet"-Kategorie. Manche sagen, dass andere Journalisten den Preis noch nicht gewonnen haben, aber ich bin eine Bloggerin und eine Pionierin auf diesem Gebiet. Ich halte mich für eine Figur im Internet. Die Ortega und Gasset Jury besteht aus hochangesehenen Persönlichkeiten, und ich würde nicht sagen, dass sie sich an einer Verschwörung gegen Kuba beteiligt hätten. SL: Aber sie können nicht leugnen, dass die Zeitung El Pais eine sehr feindselige politische Ausrichtung gegenüber Kuba behauptet. Und einige Leute denken, dass der Preis, zu dem 15.000 Euros gehören, eine Vergütung für Ihr Schreiben gegen die Regierung war.
YS: Die Leute denken, was sie denken wollen. Ich denke, dass meine Arbeit belohnt wurde. Mein Blog hat 10 Millionen Besucher monatlich. Er ist ein Wirbelsturm. SL: Wie schaffen Sie es, die Kosten für einen solchen Umfang zu bewältigen? YS: Ein Freund in Deutschland pflegt das zu verhandeln, denn die Seite wurde in Deutschland eingerichtet. Sie wurde jetzt über ein Jahr lang von Spanien geführt, und ich habe dank des "Bob's Prize" ein 18-monatiges kostenloses Management erhalten. SL: Und was ist mit der 18-sprachigen Übersetzung? YS: Es sind Freunde und Bewunderer, die das ehrenamtlich und kostenlos machen. SL: Viele Menschen finden es schwer, das zu glauben, denn keine andere Website der Welt, auch die der wichtigsten internationalen Einrichtungen, beispielsweise die der Vereinten Nationen, der Weltbank, des internationalen Währungsfonds, der OECD, der Europäischen Union, haben so viele Sprachversionen. Nicht einmal die Website des US-Außenministeriums oder der CIA haben solche Vielfalt. YS: Ich sage die Wahrheit. SL: Sogar Präsident Obama antwortet auf Ihr Interview. Wie würden Sie das erklären? YS: Erstens möchte ich sagen, dass es keine selbstgefälligen Fragen waren. SL: Wir können nicht sagen, dass Sie kritisch waren, da Sie ihn nicht darum baten, die Wirtschaftssanktionen aufzuheben, aber dass Sie sagten "sie werden für die Rechtfertigung des Produktionsdesasters genutzt und um diejenigen zu unterdrücken, die anders denken." Das ist genau das, was Washington diesbezüglich sagt. Die gewagteste Frage war, als Sie ihn fragten, ob er daran denke, in Kuba einzumarschieren. Wie erklären Sie die Tatsache, dass Präsident Obama einen Teil seiner Zeit damit verbrachte, Ihnen zu antworten, trotz seines außergewöhnlich engen Terminkalenders, einer einmaligen ökonomischen Krise, der Gesundheitsreform, des Iraks, Afghanistans, der Militärstützpunkte in Kolumbien, des Putsches in Honduras und Hunderter von Anfragen für Interviews von den wichtigsten Medien der Welt, was ihn alles erwartet. YS: Ich bin vom Glück begünstigt. Ich würde Ihnen gerne erzählen, dass ich auch Fragen an Präsident Raúl Castro geschickt habe, und er hat noch nicht geantwortet. Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Abgesehen davon hat er jetzt den Nutzen davon, Obamas Antworten erhalten zu haben. SL: Wie haben Sie Obama erreicht? YS: Ich gab meine Fragen an etliche Leute weiter, die zu mir gekommen waren, um mich zu sehen, und erhielt so die Möglichkeit, mit ihm in Kontakt zu kommen. SL: Glauben Sie, dass Obama Ihnen antwortete, weil Sie eine kubanische Bloggerin sind oder weil Sie in Opposition zur Regierung stehen? YS: Das glaube ich nicht. Obama antwortete, weil er mit Bürgern spricht. SL: Er erhält Tausende von Anfragen jeden Tag. Warum sollte er Ihnen antworten, wenn Sie nur eine Bloggerin sind? YS: Obama steht meiner Generation nahe, meiner Art zu denken. SL: Aber warum Sie? Es gibt Millionen von Bloggern rund um die Welt. Glauben Sie nicht, dass Sie für Washingtons Medienkrieg gegen Havanna aktiviert worden sind? YS: Meiner Meinung nach wollte er vielleicht einige Aspekte ansprechen, wie die Invasion auf Kuba. Vielleicht gab ich ihm die Gelegenheit, sich in einer Angelegenheit zu äußern, die er seit langem behandeln wollte. Die politische Propaganda spricht ständig von einer möglichen Invasion auf Kuba. SL: Ja, aber es gab eine, nicht wahr? YS: Wann? SL: 1961. Und 2003 sagte der Vize-Außenminister für Interamerikanische Angelegenheiten Roger Noriega, dass jede kubanische Einwanderungswelle in die Vereinigten Staaten als eine Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werde und einer militärischen Antwort bedürfe. YS: Das ist eine andere Sache. Zurück zum Interview, ich glaube, es hat ermöglicht, einige Aspekte zu klären. Ich habe den Eindruck, dass keine Seite eine Normalisierung der Beziehungen wollte, Annäherung und Verständigung. Ich habe ihn das gefragt, als wir nach einer Lösung suchten. SL: Wer ist, Ihrer Meinung nach, verantwortlich für diesen Konflikt zwischen den beiden Ländern? YS: Es ist schwierig, jemanden zu beschuldigen. SL: In diesem besonderen Fall sind es die Vereinigten Staaten, die unilaterale Sanktionen gegen Kuba verhängen, und nicht umgekehrt. YS: Ja, aber Kuba hat Besitztümer der Vereinigten Staaten konfisziert. SL: Ich habe den Eindruck, Sie arbeiten als Advokat Washingtons. YS: Konfiszierungen fanden statt. SL. Das ist wahr, aber sie geschahen in Einklang mit internationalem Gesetz. Kuba hat genauso Besitztümer von Frankreich, Spanien, Italien, Belgien und dem Vereinigten Königreich konfisziert, und diese Länder entschädigt. Das einzige Land, das die Entschädigung zurückwies waren die Vereinigten Staaten. YS: Außerdem hat Kuba die Installation von Militärbasen und Raketen eines weit entfernten Imperiums erlaubt ... SL: ...Genauso wie die Vereinigten Staaten Nuklearbasen gegen die UdSSR in Italien und der Türkei installierten. YS: Atomraketen konnten die Vereinigten Staaten erreichen. SL: Genau wie die US-Atomraketen Kuba und die UdSSR erreichen konnten. YS: Das ist wahr, aber ich glaube, es gab eine Eskalation der Konfrontation zwischen den beiden Ländern. Die fünf kubanischen politischen Gefangenen und die Dissidenz SL: Lassen Sie uns ein anderes Thema angehen. Es wird eine Menge über die fünf kubanischen politischen Gefangenen in den Vereinigten Staaten geredet, die zu lebenslangen Strafen verurteilt wurden, weil sie extrem rechte Fraktionen in Florida infiltriert hatten, die in den Terrorismus gegen Kuba verwickelt sind. YS: Das ist keine Angelegenheit, die die Bevölkerung interessiert. Das ist politische Propaganda. SL: Aber was ist ihre Meinung in dieser Sache? YS: Ich versuche so neutral wie möglich zu sein. Sie sind Agenten des Innenministeriums und haben die Vereinigten Staaten infiltriert, um Informationen zu sammeln. Die kubanische Regierung sagt, sie hätten keine Spionageaktivitäten begangen, sondern sie hätten kubanische Gruppen infiltriert, um Terrorakte zu verhindern. Aber die kubanische Regierung hat immer gesagt, diese Gruppen seien mit Washington verbunden. SL: Dann haben die radikalen Gruppen Verbindungen zur US-Regierung. YS: Das ist, was die politische Propaganda behauptet. SL: Dann ist es nicht wahr. YS: Wenn es wahr ist, bedeutet es, dass die Fünf Spionageakte begangen haben.
SL: Dann müssten die Vereinigten Staaten in diesem Fall zugeben, dass gewalttätige Gruppen Teil der Regierung sind. SL: Glauben Sie, das die Fünf entlassen werden sollten oder dass sie ihre Strafen verdienen? YS: Ich glaube, es wäre es wert, ihren Fall zu überprüfen, aber in einem politischen Kontext größerer Ruhe. Ich glaube nicht, das der politische Gebrauch des Falles gut für sie sein könnte. Die kubanische Regierung hält den Fall in den Medien zu hoch. SL: Vielleicht weil es eine Sache ist, die in der westlichen Presse völlig zensiert wird. YS: Ich glaube, diese Personen könnten gerettet werden, sie sind Menschen, mit Familien und Kindern, aber es gibt auch Opfer auf der anderen Seite. SL: Aber die Fünf haben keine Verbrechen begangen. YS: Nein, aber sie haben Informationen geliefert, was zum Tod einiger Leute führte. SL: Wenn Sie sich auf die Ereignisse vom 24. Februar 1996 beziehen, als zwei Flugzeuge der radikalen Organisation "Brothers to the Rescue" abgeschossen wurden, nachdem sie mehrfach den kubanischen Luftraum verletzt und Flugblätter abgeworfen hatten, in denen zum Aufstand aufgefordert wurde. YS: Ja. SL: Trotzdem hat der Bezirksstaatsanwalt eingeräumt, dass es unmöglich sei, Gerardo Hernández' Schuld in dieser Angelegenheit zu beweisen. YS: Das ist wahr. Ich glaube, das ist, was dabei herauskommt, wenn die Politik sich in Angelegenheiten der Justiz einmischt. SL: Halten Sie dies für einen politischen Fall? YS: Für die kubanische Regierung ist es ein politischer Fall. SL. Und für die Vereinigten Staaten? YS: Ich habe verstanden, dass es dort Gewaltenteilung gibt, aber die politische Atmosphäre könnte die Richter und Geschworenen beeinflusst haben, aber ich glaube nicht, dass wir über einen politischen Fall sprechen, der von Washington geführt wird. Es ist schwierig, einen klaren Eindruck von dem Fall zu bekommen, da wir nie in der Lage waren, die vollen Informationen darüber zu bekommen. Aber die Entlassung von politischen Gefangenen ist eine Priorität für die Kubaner. Die US-Finanzierung kubanischer Dissidenten SL: Wayne S. Smith, der letzte Botschafter der Vereinigten Staaten [sic, Wayne war Chef der US-Interessenvertretung in Havanna während der Carter-Administration, gefolgt von einigen anderen] erklärte, dass das Schicken von Geld an kubanische Dissidenten illegal und unklug sei. Er fügte hinzu: "Niemand sollte Dissidenten Geld geben, schon gar nicht mit dem Ziel, die kubanische Regierung zu stürzen." Und er erklärt: "Wenn die Vereinigten Staaten erklären, dass es ihre Absicht sei, die kubanische Regierung zu stürzen, und dann zugibt, dass eine der Maßnahmen, dieses Ziel zu erreichen, die Versorgung kubanischer Dissidenten mit Fonds sei, dann befinden die sich tatsächlich in der Position von Agenten, die von einer ausländischen Macht dafür bezahlt werden, ihre eigene Regierung zu stürzen." YS: Ich glaube, die Finanzierung der Opposition von Seiten der Vereinigten Staaten wird als Realität präsentiert, was nicht der Fall ist. Ich kenne mehrere Mitglieder der Gruppe der 75 Dissidenten, die 2003 verhaftet wurden, und bezweifle diese Version sehr. Ich habe keine Anzeichen dafür, dass die 75 aus diesem Grund verhaftet wurden. Ich glaube nicht an die Beweise, die vor dem kubanischen Gericht präsentiert wurden. SL: Ich glaube nicht, dass es möglich ist, diese Realität zu ignorieren. YS: Warum? SL: Die US-Regierung selbst gibt zu, dass sie die interne Opposition seit 1959 finanziert. Es reicht, neben den freigegebenen Archiven, Sektion 1705 des Torricelli-Gesetzes von 1992, Sektion 109 des Helms-Burton-Gesetzes von 1996 und die beiden Berichte der "Commission for Assistance to a Free Cuba" vom Mai 2004 und Juli 2006 nachzuschlagen. Alle diese Dokumente zeigen, dass der Präsident der Vereinigten Staaten die interne Opposition in Kuba mit dem Ziel, die Regierung in Havanna zu stürzen, finanziert. YS: Ich weiß nicht, aber ...
SL: Wenn Sie erlauben, werde ich die fraglichen Gesetze zitieren. Also, Sektion 1705 des Torricelli-Gesetzes legt fest: "Die Vereinigten Staaten werden Nichtregierungsorganisationen Unterstützung gewähren, die geeignet ist für Personen und Organisationen, die für einen demokratischen und gewaltfreien Wechsel in Kuba eintreten." YS: Wer hat Ihnen erzählt, dass das Geld die Dissidenten erreicht hat? SL: Die US-Interessenvertretung hat es in einem Kommuniqué zugegeben: "Es ist schon seit langer Zeit US-Politik, dem kubanischen Volk humanitäre Hilfe zu gewähren, insbesondere den Familien politischer Gefangener. Wir erlauben auch privaten Organisationen, das selbe zu tun." YS: Gut ... SL: Sogar Amnesty International, das von der Existenz von 58 politischen Gefangenen in Kuba spricht, erkennt an, dass sie im Gefängnis sind "für den Erhalt von Materialfonds von der US-Regierung, um Aktivitäten durchzuführen, die die Behörden als subversiv und Kuba beschädigend betrachtet. YS: Ich weiß nicht, ob ...
SL: Auf der anderen Seite geben die Dissidenten selbst zu, Geld von den Vereinigten Staaten zu erhalten. Laura Pollán, eine der so genannten "Damen in Weiß", erklärte: "Wir akzeptieren Hilfe, Unterstützung von der Ultrarechten bis zur Linken, bedingungslos." Opponent Vladimiro Roca gab ebenfalls zu, dass die kubanische Dissidenz von Washington subventioniert wird und behauptet, die erhaltene finanzielle Hilfe sei "absolut legal." Für Dissident René Gómez ist die wirtschaftliche Unterstützung seitens der Vereinigten Staaten "nichts, was man verbergen oder für was wir uns schämen müssten." YS: Das ist alles die Schuld der kubanischen Regierung, die den wirtschaftlichen Wohlstand seiner Bürger verhindert, die ihrer Bevölkerung Rationierungen auferlegt. Die Leute müssen Schlange stehen, um an Waren zu kommen. Man muss zuerst die kubanische Regierung anklagen, die Tausende von Leuten dazu gebracht hat, fremde Hilfe anzunehmen. SL: Das Problem ist, dass die Dissidenten ein Verbrechen begehen, das vom kubanischen Gesetz und allen Strafgesetzbüchern der Welt streng bestraft wird. Sich von einer ausländischen Macht finanzieren zu lassen, ist in Frankreich und dem Rest der Welt ein schweres Verbrechen. YS: Wir können zugeben, dass die Tatsache der Finanzierung einer Opposition der Beweis für Einmischung ist, aber ... SL: Aber in diesem Fall sind die Leute, die Sie als politische Gefangene bezeichnen, gar keine politischen Gefangenen, weil sie ein Verbrechen begangen haben, wenn sie Geld von den Vereinigten Staaten annehmen, und das kubanische Gesetz hat sie dafür bestraft. YS: Ich glaube, dass sich diese Regierung viele Male in die inneren Angelegenheiten anderer Länder eingemischt hat, indem sie Rebellenbewegungen und die Guerilla finanzierte. Sie hat in Angola interveniert und ... SL: Ja, aber es war eine Hilfsaktion für eine Unabhängigkeitsbewegung gegen den portugiesischen Kolonialismus und Süd Afrikas Rassentrennungs-Regime. Als Süd Afrika in Namibia einmarschierte, intervenierte Kuba, um die Unabhängigkeit des Landes zu verteidigen. Nelson Mandela hat Kuba dafür öffentlich gedankt, und das war der Grund dafür, dass er seine erste Reise nach Havanna unternahm und nicht nach Washington oder Paris. YS: Ja, aber viele Kubaner sind dafür gestorben, weit entfernt von ihrem Land. SL: Ja, aber es war für eine edle Sache, ob in Angola, im Kongo oder in Namibia. Die Schlacht von Cuito Cuanavale von 1988 machte die Beendigung der Apartheid in Süd Afrika möglich. Das ist es, was Mandela sagt! Sind Sie nicht stolz darauf? YS: OK, am Ende ist es die Einmischung meines Landes im Ausland, was mich mehr ärgert als alles andere. Es ist nötig, den Wohlstand zu entkriminalisieren. SL: Auch die Annahme von Geld von einer ausländischen Macht? YS: Die Leute müssen wirtschaftlich autonom sein. SL. Wenn ich richtig verstehe, sind sie für die Privatisierung gewisser Sektoren der Wirtschaft. YS: Privatisierung? Nein, den Ausdruck mag ich nicht, weil er eine abschätzige Konnotation hat, aber legt sie in die Hände von Privatpersonen, ja. Soziale Errungenschaften in Kuba? SL: Es ist also eine Frage der Semantik. Was sind, Ihrer Meinung nach, die sozialen Errungenschaften dieses Landes? YS: Jede Errungenschaft machte enorme Kosten. Alle Dinge, die positiv aussehen könnten, gingen auf Kosten der Freiheit. Mein Sohn erhält eine sehr indoktrinierende Ausbildung, und ihn wird eine Geschichte Kubas gelehrt, die überhaupt nichts mit der Realität zu tun hat. Ich hätte lieber eine weniger ideologische Ausbildung für meinen Sohn. Auf der anderen Seite will niemand in diesem Land Lehrer werden, weil die Gehälter sehr niedrig sind. SL: OK, aber das hält Kuba nicht davon ab, das Land zu sein, das die höchste Zahl von Lehrern pro Einwohner in der Welt hat mit maximal 20 Schülern pro Klassenraum, was zum Beispiel in Frankreich nicht der Fall ist. YS: Ja, aber es hat Kosten erzeugt, und deswegen sind für mich Ausbildung und Gesundheit keine echten Errungenschaften. SL: Wir können etwas, das von allen internationalen Institutionen anerkannt wird, nicht abstreiten. Bezüglich der Ausbildung beträgt die Analphabetenrate in Lateinamerika 11,7% und 0,2% in Kuba. Die Rate für die Grundschulabschlüsse beträgt in Lateinamerika 92% und in Kuba 100% und für die höhere Schulbildung 52% bzw. 99,7%. Diese Zahlen sind von der UNESCO-Abteilung für Erziehung. YS: Ich stimme zu, aber 1959 war die Situation nicht so schlecht, obwohl die Bedingungen in Kuba schwierig waren. Es gab ein blühendes intellektuelles Leben, ein lebendiges politisches Denken. Tatsächlich waren die meisten der heutigen angeblichen Errungenschaften, die als Erfolg des Systems präsentiert werden, inhärent in unserer Idiosynkrasie [unserer Eigenheit oder Überempfindlichkeit innewohnend - ??? - Anm. d. Ü.]. Diese Errungenschaften existierten schon vorher.
SL: Das ist nicht wahr. Ich werden eine Quelle zitieren, die über jeden Verdacht erhaben ist: einen Bericht der Weltbank. Es ist ein langes Zitat, aber wert, wiederholt zu werden. YS: Gut, aber ... SL: Die Lebenserwartung betrug vor der Revolution 58 Jahre. Jetzt beträgt sie fast 80 Jahre und ist damit ähnlich denen vieler entwickelter Länder. Zurzeit hat Kuba 67.000 Ärzte verglichen mit 6.000 1959. Laut der englischen Zeitung "The Guardian" hat Kuba doppelt so viel Ärzte wie England, für eine Bevölkerung die vier Mal kleiner ist. YS: OK, aber in Sachen Freiheit Rede gibt es einen Rückgang verglichen mit Batistas Regierung. Das Regime war eine Diktatur, aber es gab eine pluralistische und offene Freiheit von Presse, Radio und allen politischen Richtungen. SL: Das ist nicht wahr. Es gab Zensur. Zwischen Dezember 1956 und Januar 1959, während des Krieges gegen das Batista-Regime, wurde an 630 von 759 Tagen Zensur verhängt. Und Opponenten wurden in der Regel verurteilt. YS: Es ist wahr, dass es am Ende Zensur, Einschüchterung und tote Menschen gab. SL: Dann können Sie nicht sagen, dass die Situation unter Batista besser war, weil Opponenten ermordet wurden. Das ist heute nicht mehr der Fall. Glauben sie, dass der 1. Januar ein tragisches Datum in der kubanischen Geschichte ist? YS: Nein, nein, überhaupt nicht. Es war ein Prozess, der eine Menge Hoffnung machte, aber die meisten Kubaner betrog. Für viele Menschen war es ein strahlender Tag, aber sie beendeten eine Diktatur und etablierten eine andere. Ich bin nicht so negativ wie manche. Luís Posada Carries, der "Cuban Adjustment Act" und Auswanderung SL: Was halten Sie von Luís Posada Carriles, einem früheren CIA-Agenten, der verantwortlich für eine große Zahl von Verbrechen in Kuba ist und den die Vereinigten Staaten sich weigern vor Gericht zu stellen? YS: Das ist eine politische Angelegenheit, für die die Leute sich nicht interessieren. Das ist Vernebelung SL: Es interessiert zumindest die Verwandten der Opfer. Was ist ihre Ansicht in dieser Sache? YS: Ich mag keine Gewalttaten. SL: Verurteilen Sie seine Terrorakte? YS: Ich verurteile alle Terrorakte, sogar die, die heute im Irak vom angeblichen irakischen Widerstand begangen werden, der Iraker tötet. SL: Was tötet mehr Iraker, die Angriffe des Widerstands oder die US-Bombardierungen? YS: Weiß ich nicht. SL: Ein Wort zum "Cuban Adjustment Act", der festlegt, dass Kubaner, die legal oder illegal in die Vereinigten Staaten auswandern, automatisch den Status permanenter Einwohner erhalten. YS: Es ist ein Vorteil, den die anderen Länder nicht genießen. Aber die Tatsache, dass Kubaner in die Vereinigten Staaten auswandern wollen, liegt daran, dass die Situation hier schwierig ist. SL: Und die Vereinigten Staaten das reichste Land der Welt sind. Es gibt dort auch viele europäische Immigranten. Sie geben zu, dass der "Cuban Adjustment Act" ein wundervolles Werkzeug für die Anstiftung von legaler und illegale Emigration ist. YS: Er ist in der Tat eine Art Anstiftung SL: Betrachten Sie ihn nicht als Werkzeug, die Gesellschaft und die Regierung zu destabilisieren? YS: In dem Fall können wir auch sagen, dass die Tatsache, dass Nachfahren von Spaniern, die in Kuba geboren wurden, die spanische Staatsbürgerschaft erhalten, ein destabilisierender Faktor ist. SL: Das gehört nicht zur Sache, weil es dafür historische Gründe gibt und, nebenbei, Spanien wendet dieses Gesetz auf alle lateinamerikanischen Länder an, nicht nur auf Kuba, während der "Cuban Adjustment Act" einzigartig in der Welt ist. YS: Ja, aber es gibt starke Beziehungen. Baseball wird sowohl in Kuba als auch in den Vereinigten Staaten gespielt. SL: Und auch in der Dominikanischen Republik, und es gibt keinen "Dominikanischen Adjustment Act". YS. Es gibt aber eine Tradition der Annäherung. SL: Warum wurde das Gesetz dann nicht vor der Revolution erlassen? YS: Weil die Kubaner damals ihr Land nicht verlassen wollten. Damals war Kuba ein Einwanderungs- und nicht ein Auswanderungsland. SL. Das ist absolut falsch, da Kuba in den 1950ern schon auf Platz zwei unter den lateinamerikanischen Staaten belegte, was die Zahl der Migranten in die Vereinigten Staaten betrifft, nur hinter Mexiko. Aus Kuba kamen mehr Emigranten in die Vereinigten Staaten als aus den mittelamerikanischen und südamerikanischen zusammen, während Kuba heute nur den zehnten Platz belegt, trotz "Cuban Adjustment Act" und Wirtschaftssanktionen. YS: Kann sein, aber die Besessenheit, das Land zu verlassen, gab es nicht. SL: Die Zahlen sagen das Gegenteil. Heutzutage, ich wiederhole mich, belegt Kuba nur den zehnten Platz des amerikanischen Kontinents bezüglich Auswanderung in die Vereinigten Staaten. Dann ist die Besessenheit, von der Sie reden, in mindestens neun Ländern des Kontinents stärker. YS: Ja, aber zu der Zeit reisten Kubaner aus und kehrten wieder zurück. SL: Wie heute, da jedes Jahr Kubaner aus dem Ausland zurückkommen, um hier ihren Urlaub zu verbringen. Dazu kommt, dass vor 2004, bevor Präsident Bush die Restriktionen erließ und die Reisen von Kubanern aus den USA auf 14 Tage alle drei Jahre beschränkte, bildeten die Kubaner die Minderheit in den Vereinigten Staaten, die am häufigsten in ihr Heimatland reiste, viel häufiger als Mexikaner zum Beispiel, was zeigt, dass die breite Mehrheit der Kubaner in den Vereinigten Staaten Wirtschtschaftsauswanderer sind und nicht politische Exilanten, weil sie für Besuche in ihr Land zurückkehren, was politische Exilanten nicht täten. YS: Ja, aber fragen Sie sie, ob sie hier bleiben würden, um wieder hier zu leben. SL: Aber das haben Sie getan, richtig? Nebenbei, im Juli 2007 schrieben Sie in Ihrem Blog, das Ihr Fall kein Einzelfall war. Und ich zitiere: "Vor drei Jahren [...] in Zürich [...], entschied ich mich, in mein Land zurückzukehren um zu bleiben. Meine Freunde dachten, ich würde scherzen, meine Mutter wollte nicht wahr haben, dass ihre Tochter nicht mehr in der Schweiz bei Milch und Schokolade lebte." Am 12. August 2004 sprachen sie bei Einwanderungsbeamten in Havanna vor, um Ihren Fall zu erklären. Sie schrieben: "Ich war überrascht, dass ich mich an der Schlange derjenigen, die zurückkamen anstellen sollte [...] Also traf ich ganz plötzlich auf andere ‚verrückte Leute' wie mich, jeder von ihnen mit der eigenen grauenhaften Geschichte der Rückkehr." Dann existiert das Phänomen der Rückkehr in dieses Land. YS: Ja, aber diese Leute kehren aus persönlichen Gründen zurück. Es gibt welche, die haben Schulden im Ausland, andere hielten das Leben im Ausland nicht aus. Gut, Dutzende von Gründen. SL: Dann ist, trotz Schwierigkeiten und täglicher Unsicherheit, das Leben gar nicht so schrecklich hier, da einige zurückkommen. Glauben Sie, dass Kubaner ein zu idyllisches Bild vom Leben im Ausland haben? YS: Das kommt von der Propaganda des Regimes, das das Leben im Ausland zu negativ darstellt, und das hat bei den Leuten, die die westliche Art zu leben allzu sehr idealisiert haben, das Gegenteil zur Folge. Das Problem ist, dass in Kuba eine Auswanderung für mehr als elf Monate endgültig ist, statt dass man zwei Jahre im Ausland leben und dann für eine Zeit zurückkommen und dann wieder ausreisen könnte usw. SL: Dann ist, wenn ich es richtig verstehe, das Problem in Kuba von wirtschaftlicher Natur, da die Leute das Land verlassen, um ihren Lebensstandard zu steigern. YS: Viele würden gerne reisen und wieder zurückkommen, aber die Migrationsgesetze erlauben es ihnen nicht. Ich bin sicher, dass viele Leute, wenn es möglich wäre, für zwei Jahre emigrieren würden, und dann wieder zurückkommen und dann wieder ausreisen und zurückkommen usw. SL: Es gab interessante Kommentare darüber in Ihrem Blog. Einige Emigranten sprachen über ihre Enttäuschung über die westliche Art zu Leben. YS: Das ist sehr menschlich. Du verliebst dich in eine Frau und drei Monate später verlierst du deine Begeisterung. Du kaufst ein Paar Schuhe und zwei Tage später gefallen sie dir nicht mehr. Enttäuschungen sind Teil der menschlichen Natur. Das schlimmste ist, das die Leute nicht zurückkommen können. SL: Aber die Leute kommen zurück. YS: Ja, aber nur in den Ferien. SL: Aber sie haben das Recht, so lange zu bleiben, wie sie wollen, sogar mehrere Jahre, obwohl sie einige Vorteile als permanente Einwohner verlieren, wie die Rationierungskarte, Bevorzugung bei der Unterkunft usw. YS: Ja, aber die Leute können nicht für Monate bleiben, sie haben ihr Leben im Ausland, ihre Jobs usw. SL: Das ist etwas anderes, und es ist für alle Emigranten in aller Welt das selbe, sie können vollständig nach Kuba zurückkehren, wann immer sie wollen und dort bleiben solange sie wollen. Das Einzige ist, dass sie einige Vorteile verlieren, wenn sie länger als elf Monate außerhalb des Landes bleiben. Auf der anderen Seite finde ich es schwer zu verstehen, wenn die Realität hier so schrecklich ist, warum will dann jemand, der die Gelegenheit hat, im Ausland zu leben, in einem entwickelten Land, wieder nach Kuba zurückkommen? YS: Aus zahlreichen Gründen, ihre Familienbande usw. SL: Die Realität ist nicht dramatisch. YS: Das würde ich nicht sagen, aber einige Leute haben bessere Bedingungen als andere. SL: Was ist Ihrer Meinung nach das Ziel der US-Regierung bezüglich Kuba? YS: Die Vereinigten Staaten wollen einen Regierungswechsel in Kuba, aber das will ich auch. SL: Dann haben sie mit den Vereinigten Staaten ein gemeinsames Ziel. YS: Wie viel Kubaner. SL: Davon bin ich nicht überzeugt, aber warum? Wieso ist das eine Diktatur? Was will Washington von Kuba? YS: Ich glaube, das ist eine geopolitische Angelegenheit. Es gibt auch den Willen des kubanischen Exils, der berücksichtigt werden muss, und die wollen ein neues Kuba, den Wohlstand der Kubaner. SL: Durch das Aufzwingen von Wirtschaftssanktionen? YS: Es hängt davon ab, auf wen Sie sich beziehen. Die Vereinigten Staaten, glaube ich, wollen verhindern, dass die Migrationsbombe explodiert. SL: Ist das so? Mit dem "Cuban Adjustment Act", der Kubaner verlockt, ihr Land zu verlassen? Warum setzen sie ihn dann nicht außer Kraft? YS: Ich glaube, dass das wirkliche Ziel der Vereinigten Staaten ist, die kubanische Regierung zu beenden, um eine stabilere Zone zu schaffen. Es ist eine Menge über David gegen Goliath geredet worden, um von dem Konflikt zu sprechen. Aber für mich ist der einzige Goliath die kubanische Regierung, die Kontrollen, Illegalität, niedrige Löhne, Unterdrückung, Einschränkungen aufzwingt. SL: Glauben Sie nicht, dass die US-Feindseligkeit dazu beigetragen hat? YS: Ich glaube nicht nur, dass sie dazu beigetragen hat, sondern auch, dass sie zum Hauptargument dafür geworden ist, dass wir in einer belagerten Festung leben, und dass Dissidenz Landesverrat ist. Tatsächlich glaube ich, dass die kubanische Regierung das Ende der Konfrontation fürchtet. Die kubanische Regierung will den Erhalt der Wirtschaftssanktionen. SL: Wirklich? Das ist genau das, was Washington in einer irgendwie widersprüchlichen Weise sagt, weil, wenn das so wäre, sollte es die Sanktionen aufheben, damit die kubanische Regierung für ihre Verantwortung einsteht. Die Sanktionen als Entschuldigung für die Probleme in Kuba wären nicht mehr da. YS: Jedes Mal wenn die Vereinigten Staaten versucht haben, die Situation zu verbessern, hatte die kubanische Regierung eine kontraproduktive Einstellung. SL: Wann haben die Vereinigten Staaten versucht, die Situation zu verbessern? Seit 1960 sind die Sanktionen, außer während der Carter-Aera, ständig verschärft worden. Da ist es schwierig, diesen Diskurs aufrecht zu erhalten. 1992 haben die Vereinigten Staaten das Torricelli-Gesetz mit extraterritorialen Auswirkungen verabschiedet, 1996 das Helms-Burton-Gesetz, extraterritorial und rückwirkend, 2004 hat Bush neue Sanktionen eingeführt und verschärfte sie 2006. Da kann man nicht sagen, die Vereinigten Staaten hätten versucht, die Situation zu verbessern. Die Fakten zeigen das Gegenteil. Nebenbei, wenn Sanktionen für die kubanische Regierung von Vorteil sind und nur zur Entschuldigung dienen, warum sie dann nicht abschaffen? Die Führer sind nicht diejenigen, die unter Sanktionen leiden, sondern das Volk. YS: Obama hat einen Schritt in diese Richtung unternommen, vielleicht nicht genug, aber interessant. SL: Er hat nur die Restriktionen abgeschafft, die Bush den Kubanern aufgezwungen hat, die sie daran hinderte, Kuba für mehr als besten Falls 14 Tage alle drei Jahre zu besuchen und nur wenn sie ein direktes Familienmitglied in Kuba haben. Er hat sogar den Begriff Familie neu definiert. Dadurch konnte jemand, der in Kuba nur einen Onkel hatte, nicht in sein Heimatland reisen, weil der Onkel nicht als "direktes" Familienmitglied betrachtet wurde.. Obama hat nicht alle von Bush erlassenen Sanktionen aufgehoben, sodass wir nicht einmal zum Status vor Clinton zurückgegangen sind. YS: Ich glaube, beide Seiten sollten sich im Ton mäßigen, und Obama hat das getan. Obama kann keine Sanktionen aufheben, weil er die Bewilligung des Kongresses braucht. SL: Aber er kann sie erheblich mildern, indem er einfach Rechtsverordnungen unterschreibt, was er bisher abgelehnt hat. YS: Ja, er hat andere Dinge zu tun, wie Arbeitslosigkeit und die Gesundheitsreform. SL: Immerhin fand er Zeit, auf Ihre Anfrage zu antworten. YS: Ich bin ein Glückspilz. SL: Die Position Kubas ist die folgende: Wir müssen nichts vor den Vereinigten Staaten tun, da wir den Vereinigten Staaten keine Sanktionen aufzwingen. YS: Ja, und die Regierung sagt auch, die Vereinigten Staaten sollten keine inneren Veränderungen verlangen, weil das Einmischung sei. SL: Das ist es auch, richtig? YS: Ist es dann auch Einmischung, wenn ich einen Wandel fordere? SL: Nein, weil Sie Kubanerin sind und aus dem Grund ein Recht haben, die Zukunft Ihres Landes mitzubestimmen. YS: Das Problem ist nicht, wer diesen Wandel fordert, sondern die in Frage stehenden Änderungen. SL: Ich bin nicht sicher, weil ich als französischer Bürger es nicht mögen würde, wenn sich die belgische oder deutsche Regierung in die inneren Angelegenheiten Frankreichs einmischen würden. Akzeptieren Sie als Kubanerin es, wenn die US-Regierung Ihnen erzählt, wie Ihr Land regiert wird? YS: Wenn das Ziel eine Aggression gegen das Land ist, ist es offensichtlich inakzeptabel. SL: Halten Sie Wirtschaftssanktionen für eine Aggression? YS: Ja, ich halte sie für eine Aggression, weil sie keinen Erfolg gebracht haben und eine Mutter des kalten Krieges sind, dass sie keinen Sinn machen, dass sie das Volk treffen, und das hat die Regierung stärker gemacht. Aber ich wiederhole, dass die kubanische Regierung für 80% der derzeitigen Wirtschaftskrise verantwortlich ist und dass die anderen 20% auf die Wirtschaftssanktionen fallen. SL: Noch einmal, ich wiederhole, das ist exakt die Position der US-Regierung und die Zahlen sagen das Gegenteil. Wenn das der Fall wäre, glaube ich nicht, dass 187 Länder aus aller Welt sich die Mühe machen würden, für eine Resolution gegen die Sanktionen zu stimmen. Dies ist das 18. aufeinander folgende Mal, dass die große Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten erklärt, gegen die wirtschaftliche Bestrafung zu sein. Wenn es eine untergeordnete Angelegenheit wäre, glaube ich nicht, dass sich diese Nationen die Mühe machten abzustimmen. YS: Aber ich bin kein Wirtschaftsspezialist, es ist mein persönliches Gefühl. SL: Was empfehlen sie denn dann für Kuba? YS: Ich glaube, die Wirtschaft muss liberalisiert werden. Das geht nicht über Nacht, weil es einen Bruch auslösen und zu sozialen Unterschieden führen würde, was die verletzlichsten Menschen beträfe. Aber es muss graduell gemacht werden und die kubanische Regierung hat die Möglichkeit, es zu tun. SL. Ein "sui generis" Kapitalismus, wie Sie sagen. YS: Kuba ist eine sui generis Insel. Wir können einen sui generis Kapitalismus schaffen. SL: Yoani Sánchez, vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Anwesenheit YS: Vielen Dank Salim Lamrani ist Gastprofessor an der Sorbonne und der Universität Paris-Ost, Marne-la-Vallée. Er ist französischer Journalist und Spezialist für Beziehungen zwischen Kuba und den USA. Deutsch (aus der englischen Fassung): ˇBasta Ya! (jmb, db),
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