"The Anti-Empire Report", Nr. 118

Von William Blum, veröffentlicht am 26. Juni 2013

Edward Snowden

Im Verlauf seines Berufslebens innerhalb der Welt der nationalen Sicherheit muss Edward Snowden durch zahlreiche eindringliche Einstellungsgespräche unter Anwendung von Lügendetektoren und äußerst gründlichen Hintergrundüberprüfungen gegangen sein sowie endlose sorgfältig angelegte Formulare ausgefüllt haben, um irgend eine Art von Falschheit oder Unstimmigkeit an ihm entdecken zu können. Die Washington Post (10. Juni) berichtete, dass "etliche Beamte sagten, die CIA wolle nun beginnen, den Einstellungsprozess von Snowden, auf der Suche, ob es irgend welche übersehenen Anzeichen dafür gegeben haben könnte, dass er eines Tages nationale Geheimnisse verraten würde, zweifelsfrei zu überprüfen."

Ja, da gab es etwas, was sie übersehen hatten: Edward hatte so etwas wie ein Gewissen, das in Habachtstellung war.

Mir erging es genauso. Ich trat meine Arbeit im State Department an, um ein Beamter des Außenministeriums zu werden - in der besten, der patriotischsten Absicht, mein Bestes zu geben, um die Bestie der Internationalen Kommunistischen Verschwörung zu erschlagen. Doch dann kam der Horror und zwar tagtäglich. Die Medien trugen es zu mir nach Hause, was die Vereinigten Staaten dem Volk in Vietnam antaten. Es machte mich im Innersten krank. Mein Gewissen hatte seine Sache gefunden und nichts hatte meine Befrager in den Einstellungsgesprächen hinsichtlich einer entsprechenden Gefahr alarmieren können. Keine Befragung meiner Freunde und Verwandten hätte auch nur den leisesten Hinweis ergeben können, dass ich ein radikaler Antikriegsaktivist werden könnte. Meine Freunde und Verwandten wären davon genau so überrascht gewesen wie ich selber. Es hatte einfach nichts für das Sicherheitsbüro des State Departments gegeben, wodurch sie hätten wissen können, dass ich nicht eingestellt werden und mir keine Ermächtigung für geheime Verschlusssachen erteilt werden sollte. (1)

Darum, was kann der arme nationale Sicherheitsstaat tun? Gut, sie könnten in Erwägung ziehen, sich selbst gut zu benehmen. Aufhören, all diese schrecklichen Dinge zu tun, Leute wie mich und Edward Snowden und Bradley Manning und so viele andere zu beunruhigen. Aufhören mit den Bombenanschlägen, den Invasionen, den endlosen Kriegen, der Folter, den Sanktionen, den Umstürzen, der Unterstützung von Diktaturen, der ungehinderten Unterstützung von Israel, aufhören mit all' den Dingen, die die Vereinigten Staaten so verhasst machen, die die antiamerikanischen Terroristen produzieren, die den nationalen Sicherheitsstaat dazu zwingen - aus reiner Selbstverteidigung - die ganze Welt auszuspionieren.

Abhöraktionen auf dem Planeten

So lautet der Titel eines Essays, den ich 2000 schrieb, der dann als ein Kapitel in meinem Buch Rogue State: A Guide to the World's Only Superpower [Schurkenstaat, Ein Führer zu der einzigen Supermacht der Welt, Anm. d. Ü.] erschien. Hier sind einige Ausschnitte daraus, die helfen könnten, die derzeitigen Enthüllungen um Edward Snowden in eine Gesamtschau zu stellen...
Können sich Menschen des 21. Jahrhunderts einen größeren Angriff auf das Privatleben aller auf der ganzen Erde und innerhalb der gesamten Geschichte vorstellen? Und wenn, dann müssen sie nur abwarten, bis die Technologie ihre Vorstellung eingeholt hat.

Wie ein riesiger Staubsauger am Himmel saugt die National Security Agency (NSA) alles auf: Privat-, Büro-, Mobilfunktelefonate, E-Mails, Faxe, Fernschreiben ... Satellitenübertragungen, faser-optische Kommunikationen, Mikrowellenverbindungen, ... Stimmen Texte, Bilder, die von um die Erde kreisenden Satelliten ständig aufgefangen, dann von hochentwickelten Computern aufbereitet werden... wenn es um elektromagnetische Energie geht, ist die NSA mit absoluter High-Tech zur Stelle. Vierundzwanzig Stunden am Tag. Vielleicht werden täglich Milliarden von Nachrichten abgefangen. Keiner kann entkommen. Nicht die Präsidenten, die Premierminister, der UN-Generalsekretär, der Papst, die Königin von England, Botschaften, transnationale Gesellschaften CEOs, Freund, Feind, deine Tante Lena... sollte Gott ein Telefon haben, so wird es überwacht... kann sein, dass dein Hund nicht erfasst wird. Der Ozean wird dich nicht davor schützen. Amerikanische U-Boote haben seit Jahrzehnten in der Tiefsee Anzapfstellen für Unterwasserkabel installiert.

Nach einem System mit dem Decknamen ECHELON, das in den 1970ern eingerichtet wurde, operieren die NSA und ihre Juniorpartner in Britannien, Australien Neuseeland und Kanada in einem Netzwerk aus gewaltigen hochautomatisierten Abhörstationen, mit denen sie den Globus unter sich absichern. Jeder der Teilnehmer kann jeden anderen bitten, seine eigene heimische Kommunikation abzuhören. Er kann dann wahrheitsgemäß behaupten, dass er seine eigenen Bürger nicht ausspioniert.

Abgesehen von besonders anvisierten Personen und Institutionen arbeitet das ECHELON-System, indem es wahllos riesige Mengen von Kommunikation auffängt und zur Computer-Identifizierung und zum Aussuchen von interessanten Nachrichten aus der Masse der nicht gewünschten, nutzt. Jede aufgezeichnete Nachricht - alle Botschaftsdepeschen, Geschäftsverhandlungen, Sex-Gespräche, Geburtstagsgrüße - werden nach Schlüsselwörtern durchsucht, um herauszufinden, was für den Suchenden von irgend einem Interesse sein könnte. Alles, was für die Kennzeichnung eines Gesprächs erforderlich ist, ist, dass man ein paar der Schlüsselwörter in das ECHELON-Wörterbuch eingibt. - "Er wohnt in einem hübschen alten weißen Haus auf der Bush-Straße, genau neben mir. Ich kann da innerhalb von zwei Minuten herüber schießen." Innerhalb gewisser Grenzen können Computer Telefongespräche "belauschen" und erkennen, wenn Schlüsselwörter genannt werden. Diese Anrufe werden extrahiert und getrennt aufgezeichnet, um sie dann von Menschen in ganzer Länge abhören zu lassen. Die Liste spezifischer Ziele ist zu jeder Zeit zweifellos weitreichend, sie schließt Leute wie die von Amnesty International und von christlichen Hilfswerken ein.

ECHELON wird ohne offizielle Anerkennung seiner Existenz, geschweige denn von irgend einer demokratischen Aufsicht oder öffentlichen oder legislativen Debatte darüber, ob es einem anständigen Zweck diene, angewandt. Die Reichweite des globalen ECHELON-Netzwerkes ist ein Produkt von jahrzehntelangen intensiven Aktivitäten des Kalten Krieges, sein Budget hat - weit davon entfernt, größtenteils reduziert zu werden - nur noch zugenommen, und ist sowohl an Macht als auch in seiner Reichweite gewachsen; wieder ein Beweis dafür, dass der Kalte Krieg keine Schlacht gegen so etwas wie "die internationale kommunistische Verschwörung" war.

Das Europäische Parlament begann Ende der 1990er angesichts dieser Einmischung in kontinentale Angelegenheiten aufzuwachen. Das Komitee für Bürgerrechte des Parlaments gab einen Report in Auftrag, der 1998 erschien und eine Reihe von Maßnahmen empfahl, wie mit der wachsenden Macht der Überwachungstechnologie umzugehen sei. Es riet unverblümt: "Das Europäische Parlament sollte die Vorschläge aus den Vereinigten Staaten, Privatnachrichten über das globale Kommunikationsnetzwerk [Internet] für Geheimdienste zugängig zu machen, zurückweisen." Der Report prangerte die britische Rolle als Doppelagent an, indem sie ihre eigenen europäischen Partner ausspionierten.

Trotz dieser Einwände haben die USA die ECHELON-Überwachung in Europa kontinuierlich erweitert, teils wegen erhöhten Interesses an Handelsspionage, um industrielle Informationen ausfindig zu machen, die amerikanischen Firmen einen Vorteil über die ausländische Konkurrenz verschaffen könnten.

Deutsche Sicherheitsexperten entdeckten vor einigen Jahren, dass ECHELON an schwerer Handelsspionage in Europa beteiligt war. Zu den Opfern gehörten deutsche Firmen wie der Hersteller von Windkraftanlagen Enercon. 1998 entwickelte Enercon etwas, das es für eine Geheimerfindung hielt, die es in die Lage versetzte, Elektrizität aus Windkraft auf viel preisgünstigere Weise zu gewinnen, als es bis dahin möglich war. Als das Unternehmen versuchte, seine Erfindung in den Vereinigten Staaten zu vermarkten, wurde es mit seinem amerikanischen Rivalen, Kenetech, konfrontiert, der bekannt gab, dass er eine nahezu identische Entwicklung bereits patentieren lassen habe. Kenetech erreichte dann eine gerichtliche Verfügung gegen Enercon, den Verkauf von dessen Geräten in den USA zu verbieten. In einer der seltenen öffentlichen Enthüllungen durch einen NSA-Mitarbeiter, der seinen Namen nicht preisgeben wollte, wohl aber zustimmte, als Schattenriss im deutschen Fernsehen aufzutreten, um dort aufzudecken, wie er Enercons Geheimnisse durch Abhören von Telefonaten und Anzapfen von Computer-Verbindungen, die zwischen Enercons Untersuchungslabor und seiner 12 Meilen entfernten Produktionsstätte verliefen, gestohlen hatte. Einzelheiten der Erfindung des Unternehmens waren dann an Kenetech weiter geleitet worden.
1994 verloren auch Thomson S.A. in Paris und die in Blagnac Cedes, Frankreich, ansässige Airbus-Industrie lukrative Verträge, die ihnen von amerikanischen Konkurrenten mit Hilfe der verdeckt von NSA und CIA gewonnenen Information weggeschnappt worden waren. Die selben Agenturen hörten 1995 auch japanische Vertreter während der Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten über den Handel mit Autozubehör ab.
Die deutsche Industrie beklagte, dass sie wegen der Verbote seitens ihrer Sicherheitsbehörden, ähnliche Industriespionage zu betreiben, in einer besonders benachteiligten Lage sei. "Deutsche Politiker unterstützen immer noch die ziemlich naive Idee, dass man unter politischen Verbündeten nicht gegenseitige Geschäftsspionage betreiben sollte. Die Amerikaner und Briten hegen solche Illusionen nicht," sagte 1999 der Journalist Udo Ulfkotte, ein Experte in europäischer Industriespionage.

Im selben Jahr forderte Deutschland, dass die Vereinigten Staaten drei CIA-Funktionäre wegen ihrer Beteiligung an Wirtschaftsspionage in Deutschland zurück rufen sollten. Der Zeitungsbericht behauptete, dass die Deutschen "wegen der Abhörkapazitäten des riesigen US-Radar- und Kommunikationskomplexes in Bad Aibling, nahe bei München, schon lange argwöhnisch waren," wo sich tatsächlich eine NSA Abfangstation befindet. "Die Amerikaner erzählen uns, dass sie lediglich zur Überwachung der Kommunikation potentieller Feinde da sei, aber wie können wir restlos sicher sein, dass sie nicht Information abfangen, wovon wir denken, dass sie völlig geheim bleiben sollte?" fragte ein hoher deutscher Beamter. Den japanischen Beamten hat Washington höchstwahrscheinlich zu den über Dutzenden von Geheimschaltbasen, die Japan ihnen erlaubt hat, auf seinem Territorium zu installieren, genau dasselbe erzählt.
In ihrem Bestreben, Zugang zu immer mehr privater Information zu erhalten, haben sich NSA, das FBI und andere Teilnehmer der US-Sicherheitsführungsschicht seit Jahren für eine Kampagne engagiert, amerikanische Telekommunikationshersteller und deren Betreiber dazu anzuhalten, ihre Geräte und Netzwerke so auszustatten, dass es den Behörden erleichtert wird, sie anzuzapfen. Einige Industrie-Insider sagen, sie glaubten, dass einige US-Geräte, die für den Export bestimmt sind, NSA-"Hintertüren" (auch "Fallen" genannt) enthalten.

Die Vereinigten Staaten haben versucht, die Länder der Europäischen Union davon zu überzeugen, dass sie ihnen auch "Hintertür"-Zugang zu verschlüsselten Programmen gewähren sollten, indem sie behaupten, dass dies den Bedürfnissen der Strafvollzugsagenturen diene. Doch ein im Mai 1999 veröffentlichter Bericht des Europäischen Parlaments versicherte, dass Washingtons Pläne zur Kontrolle der Verschlüsselungs-Software in Europa nichts mit Gesetzesvollzug zu tun habe, sondern vielmehr mit US-Industriespionage. Laut einem ehemaligen Geheimdienstbeamten hat die NSA auch FBI-Agenten auf Einbruchmissionen geschickt, um code books von ausländischen Einrichtungen in den Vereinigten Staaten abzugreifen und CIA-Beamte zur Rekrutierung von ausländischen Büroangestellten in Kommunikationsbetrieben in Übersee und um deren geheime Codes zu kaufen, geschickt.

Vor Jahrzehnten, Anfang der 1950er, verkaufte die Schweizer Firma Crypto AG die ausgefeilteste und sicherste Chiffrierungstechnologie. Die Firma begründete ihre Reputation und Sicherheitsvorsorge für ihre Klienten mit ihrer Neutralität im Kalten Krieg oder jedem anderen Krieg gegenüber. Zu den ausländischen Kunden gehörten etwa 120 Nationen, einschließlich der obersten US-Geheimdienstziele wie Iran, Irak, Libyen und Jugoslawien. Im Vertrauen darauf, dass ihre Korrespondenzen geschützt waren, sandten sie die aus ihren Hauptstädten an ihre Botschaften, Militärstationen, Handelsbüros und in ihre Spionagehöhlen rund um die Welt, über Telex, Radio und Fax. Und während der ganzen Zeit könnten diese Regierungen aufgrund von Abkommen zwischen der Firma und der NSA die Nachrichten auch Washington in die Hände geliefert haben und zwar unkodiert. Da vor dem Verkauf durch ihre Crypto AG-Apparate manipuliert, so dass sie, wenn sie diese benutzten, der dem beigefügte Chiffrierungsschlüssel automatisch und heimlich gemeinsam mit der entschlüsselten Nachricht überliefert werden konnte. NSA-Analysten konnten die Nachrichten so leicht lesen wie die Morgenzeitung.

1986 begannen die Libyer wegen der veröffentlichten US-Behauptungen hinsichtlich des Bombenattentats in der Disko, La Belle in West-Berlin, zu argwöhnen, dass etwas an den Apparaten der Crypto AG faul sein könnte und wechselten zu einer anderen Schweizer Firma, Gretag Data Systems AG. Aber es scheint, als hätte die NSA diesen Standort ebenfalls erfasst. 1992, nach einer Reihe von verdächtigen Vorfällen in den vorherigen Jahren, kam der Iran zu einem ähnlichen Schluss wie Libyen und verhaftete einen Crypto-AG-Angestellten, der im Iran auf Geschäftsreise war. Er wurde schließlich freigekauft, doch der Zwischenfall wurde bekannt und der Betrug begann, sich tatsächlich zu entwirren.

Im September 1999 wurde aufgedeckt, dass NSA sich mit Microsoft arrangiert hatte, spezielle "Schlüssel" in der Windows Software zu installieren und zwar in allen Versionen von 95 bis OSR2 aufwärts. Ein amerikanischer Computer-Wissenschaftler, Andrew Fernandez von Cryptonym in North Carolina, hatte Teile des Windows-Instruktions-Code auseinander genommen und den schlagenden Beweis gefunden - die Microsoft-Entwickler hatten versäumt, Fehlersuch-Symbole, die gebraucht werden, um die Software zu überprüfen, bevor sie freigegeben wird, zu entfernen. Innerhalb des Codes waren Kennzeichen für zwei Schlüssel. Der eine lautete "KEY", der andere "NSAKEY". Fernandez stellte seine Entdeckung auf einer Konferenz vor, an der auch einige Unternehmer von Windows teilnahmen. Die Unternehmer leugneten nicht, dass der NSA-Schlüssel in die Software eingebaut worden war, weigerten sich jedoch, darüber zu sprechen, was der Schlüssel bewirke oder warum er ohne Wissen des "Users" eingebaut worden war. Fernandez sagte, dass die NSA-"Hintertür" in dem auf der Welt am meisten genutzten System bewirke, dass es "der US-Regierung den Zugang zu deinem Computer in hohem Maßstab erleichtert".

Im Februar 2000 wurde aufgedeckt, dass die "Strategic Affairs Delegation (DAS)", der Geheimdienstarm des französischen Verteidigungsministeriums, 1999 einen Bericht erstellt hatte, der ebenfalls bestätigte, dass NSA geholfen hatte, die geheimen Programme in der Microsoftware zu installieren. Laut dem DAS-Report "scheint es, dass die Erzeugung von Microsoft großenteils, zumindest finanziell, von NSA unterstützt wurde und dass IBM von der selben Administration angewiesen wurde, das [Microsoft] MS-DOS-Betriebssystem zu akzeptieren". Der Report erklärte, dass es "aufgrund von Gerüchten über die Existenz von Spionageprogrammen bei Microsoft und durch die Anwesenheit von NSA-Personal im Entwicklungsteam von Bill Gates einen starken Verdacht auf mangelnde Sicherheit" gegeben habe. Das Pentagon, so besagte der Report, sei Microsofts größter Kunde auf der Welt.

In den letzten Jahren tauchten Enthüllungen auf, wonach die Vereinigten Staaten 2003, während des Countdowns zur Irak-Invasion den UN-Generalsekretär Kofi Annan, die UN-Waffen-Inspekteure im Irak und alle Mitglieder des UN-Sicherheitsrates abgehört hatten, als sie sich darüber berieten, was man im Irak unternehmen solle.

Es ist so, als ob das amerikanische nationale Sicherheits-Establishment sich fühle, als habe es ein unveräußerliches Recht abzuhören, als ob es einen verfassungsgemäßen Gesetzeszusatz gäbe, der auf die gesamte Welt anwendbar sei, der geltend mache, dass "der Kongress kein Gesetz beschließen darf, das die Freiheit der Regierung beschneidet, jedermanns persönliche Kommunikation abzufangen". Und der vierte Gesetzeszusatz wäre wie folgt geändert worden: "Personen sollen in ihrer Persönlichkeit, Häusern, Papieren und Vermögenswerten vor unbegründeten Durchsuchungen und Beschlagnahmungen sicher sein - außer in Belangen der nationalen Sicherheit, seien sie real oder vorgegeben." (2)

Der führende Whistleblower aller Zeiten: Philip Agee

Bevor es Edward Snowden, William Binney und Thomas Drake, bevor es Bradley Manning, Sibel Edmonds und Jesselyn Radack gab... gab es Philip Agee. Was Agee enthüllte, ist nach wie vor die aufsehenerregendste und wichtigste Information über die US-Außenpolitik, die je ein Whistleblower über die amerikanische Regierung enthüllte.

Philip Agee verbrachte 12 Jahre (1957-69) als CIA-Fachbeauftragter, am längsten davon in Lateinamerika. Sein erstes Buch, "Inside the Company: CIA-Diary" [Innerhalb der Firma: CIA-Tagebuch], herausgegeben 1974 - eine Pionierarbeit über die Methoden der Agentur und deren verheerende Auswirkungen - erschien in etwa 30 Sprachen rund um die Welt und war in vielen Ländern ein Bestseller, es beinhaltete auf seinen 23 Anhangseiten die Namen von Hunderten Undercover-Agenten und Organisationen.

Unter CIA-Manipulation, unter ihrer Leitung, gewöhnlich über ihre Gehaltsliste, standen ehemalige und gegenwärtige Präsidenten von Mexiko, Kolumbien, Uruguay und Costa Rica, "unser Minister für Arbeit", "meine Polizei", Journalisten, Gewerkschaftsführer, Studentenführer, Diplomaten und viele andere. Wenn die Agentur antikommunistische Propaganda ausstreuen wollte, Zwietracht in linken Reihen herstellen oder kommunistisches Botschaftspersonal ausgewiesen haben wollte, brauchte sie nur einige gefälschte Dokumente zu erstellen, sie den entsprechenden Ministern einer Regierung und Journalisten zu präsentieren und - Hokuspokus - der Skandal war da.

Agees Ziel bei der Namensnennung all' dieser Personen war einfach, es der CIA so schwer wie möglich zu machen, ihr schmutziges Geschäft weiter zu betreiben.

Zur üblichen Agententaktik gehörten Leitartikel und erfundene Geschichten zu schreiben, die bewusst ohne Anzeichen für eine CIA-Autorenschaft oder CIA-Bezahlung in lateinamerikanischen Medien veröffentlicht werden sollten. Der Propagandawert solcher "Nachrichten" sollte durch deren Aufgegriffenwerden von anderen CIA-Standorten in Lateinamerika vervielfacht werden können, die sie dann durch eine der CIA gehörende Zeitung oder einen Radiosender weiter zu verbreiten pflegten. Einige dieser Geschichten kamen in die Vereinigten Staaten zurück, um dann von ahnungslosen Nordamerikanern gelesen oder gehört zu werden.

Die Anwerbung der Arbeiterklasse wurde als Sondermaßnahme eingeführt. Es wurden Arbeiterorganisationen zu Dutzenden gegründet, manchmal bestanden sie aus kaum mehr als aus Namen und Standorten, wurden geändert, miteinander kombiniert, liquidiert, und es wurden wieder neue gegründet, in dem nahezu wahnsinnigen Versuch, die richtige Kombination herauszufinden, mit der man die bereits existierenden linksorientierten Gewerkschaften gegen einander ausspielen und ihnen die nationale Führerschaft nehmen könnte.

1975 waren diese Enthüllungen neu und schockierend; für viele Leser war es der erste Hinweis darauf, dass die amerikanische Außenpolitik nicht ganz dem entsprach, was ihre Schulbücher sie gelehrt hatten, noch dem, was die "New York Times" berichtete.

"Als ein vollständiger Rechenschaftsbericht über Spionagearbeit, der wahrscheinlich überall veröffentlicht werden kann, ein authentischer Rechenschaftsbericht darüber, wie ein gewöhnlicher amerikanischer oder britischer ‚Fachbeamte' fungiert... Alles mit tödlicher Akkuratesse dargelegt," schrieb Miles Copeland, ein ehemaliger CIA-Standortleiter und brennender Feind von Agee. (Es gibt keinen früheren CIA-Beamten, der bei den Mitgliedern der Führerschaft des Geheimdienstes verhasster ist als Agee, keiner kommt dem auch nur nahe, teilweise wegen seiner Reisen nach Kuba und wegen seines langzeitlichen Kontakts mit dem kubanischen Geheimdienst.)

Im Gegensatz zu Agee, behielt WikiLeaks die Namen von Hunderten Informanten der nahezu 400.000 freigegebenen Dokumente über den Irak-Krieg für sich.

1969 trat Agee aus der CIA aus (und Kollegen, die "lange vorher aufgehört hatten, an das zu glauben, was sie taten").

Während er auf der Flucht vor der CIA Inside the Company schrieb - zeitweilig buchstäblich um sein Leben rannte - wurde Agee ausgewiesen oder die Aufnahme in Italien, Britannien, Frankreich, Westdeutschland, die Niederlande und Norwegen verweigert. (Westdeutschland gab ihm schließlich Asyl, weil seine Ehefrau eine führende Ballerina in dem Land war.) Agees Bericht über seine Zeit auf der Flucht kann genauestens in seinem Buch On the Run (1987) nachgelesen werden. Es ist eine aufregende Lektüre.

Fußnoten:

1) Nachzulesen in meinem Buch über mein State Department und andere Abenteuer, in:
West-Bloc Dissident: A Cold war Memoir (2002) ? http://williamblum.org/books/west-bloc-dissident

2) Siehe: Rogue State: A guide to the World's Only Superpower, chapter 21,

Jeder Teil dieses Reports kann ohne Erlaubnis mit der Wiedergabe des Autors, William Blum, und einem Link zu seiner Website verbreitet werden.

Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb)

(Quelle: Anti-Empire Report vom 26. Juni 2013)

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