23. Januar 2004
Der bekannte Zivilrechtsanwalt Leonard Weinglass, der Antonio Guerrero, einen der fünf kubanischen politischen Gefangenen in den Vereinigten Staaten, vertritt, erzählte Bernie Dwyer von Radio Havana Cuba in einem Telefoninterview aus seinem New Yorker Büro am Freitag dem 23., dass das Verteidigungs-Team sehr optimistisch ist bezüglich des Ergebnisses der Anhörung, die am 10. März in Miami stattfindet. Aber er hat natürlich betont, dass die Frage, wie von Anfang an in diesem Fall, offen bleibt, ob das Klima, das dort herrschen wird, erlauben wird, dass sich die Fakten und das Gesetz durchsetzen werden.
[Bernie Dwyer (BD)]: Wir nähern uns dem 10. März, dem Datum, das für die mündlichen Argumente im Fall der fünf in den USA inhaftierten kubanischen Männer vom 11th Circuit Court of Appeals für Miami festgesetzt wurde. Können Sie uns über die Arbeit, die Sie und die anderen Mitglieder des Verteidigungs-Teams geleistet haben, auf den neuesten Stand bringen?
[Leonard Weinglass (LW)]: Alle fünf Anwälte arbeiten hart an der Vorbereitung der Anhörung. Wir haben gerade, innerhalb der letzten beiden Tage, eine Notiz vom Gericht erhalten, wonach unser Fall einer von vieren ist, die für den 10. März vorgesehen sind, tatsächlich ist unser Fall der letzte, der an diesem Tag angehört wird. Das ist verhältnismäßig günstig, weil es uns die Möglichkeit eröffnet, dass wir länger angehört werden als fünfzehn Minuten.
Es gibt natürlich keine Garantie oder Sicherheit, aber die Möglichkeit ist jetzt gegeben. Zusätzlich werden wir innerhalb der nächsten drei Tage einen formalen Antrag an das Gericht stellen, uns mehr Zeit zuzubilligen, wegen der Länge des Verfahrens und des Umfangs der Gerichtsunterlagen. Hoffentlich wird uns mehr als drei Minuten pro Anwalt oder fünfzehn Minuten insgesamt zugebilligt, aber wir müssen das abwarten.
[BD]: Sie werden fünfzehn Minuten haben, ihre Argumente vorzutragen. Wird die US-Regierung die gleiche Zeit haben, ihre vorzutragen?
[LW]: Die Regierung bekommt die gleich Zeit, sodass die Regierung fünfzehn Minuten hat und wir fünfzehn Minuten haben. Wenn das Gericht unsere Zeit auf eine Stunde oder eine halbe Stunde ausdehnt, wird sie höchstwahrscheinlich auch die Zeit für die Regierung ausdehnen.
[BD]: Werden Sie, aus Ihrer früheren Erfahrung her, während der Anhörung oder kurz danach irgendwelche Anzeichen über die Reaktion der Richter auf die mündlichen Argumente erhalten?
[LW]: Das Gericht wird sich seine Entscheidung aufsparen, und wir werden eine förmliche schriftlich Entscheidung erhalten, wahrscheinlich in einer Zeit von ungefähr zwei bis vier Monaten nach der Anhörung. Trotzdem kann man während der Anhörung einige Anzeichen davon bekommen, zumindest wie das Gericht denkt, anhand der Fragen, die sie stellen.
[BD]: Können Sie noch einmal die wichtigsten Punkte der Berufung nennen, um unsere Erinnerung aufzufrischen?
[LW]: Da gibt es viele. Zuerst werden wir darlegen, dass der Beweis zu Punkt 3 gegen Gerardo Hernández gerichtlich nicht ausreicht, ihn wegen Mordverschwörung zu verurteilen.
Zweitens werden wir darlegen, dass der Beweis für Punkt 2, der eine Anklage wegen Verschwörung, Spionage zu begehen, unzureichend ist gegen meinen Klienten Antonio Guerrero und die beiden anderen, die mit ihm zusammen deswegen verurteilt wurden.
Drittens werden wir darlegen, dass der Gerichtsort nicht Miami hätte sein dürfen. Das ist ein sehr starkes Argument, da Miami der schlimmst mögliche Gerichtsstand für diesen Fall war. Dann werden wir auch noch darlegen, dass die Urteile exzessiv und nach amerikanischem Recht illegal waren. Ich habe darauf hinzuweisen, dass, obwohl in diesem Fall keine einzige Seite mit geheimen Informationen vorkam, mein Klient Antonio Guerrero die selbe lebenslange Strafe absitzt wie einige der notorischten Spione der amerikanischen Geschichte, die Hunderte, wenn nicht Tausende, von Seiten mit geheimen Informationen an die Sowjetunion weitergaben. So werden wir die exzessive Natur der Urteile entlarven.
Dann gibt es eine ganze Anzahl von Angelegenheiten bezüglich des Verfahrens. Der Staatsanwalt beging Verfahrensfehler, das ist ein Punkt, die Verteidigung wurde in ihrer Ausübung behindert, indem die Regierung ihr fälschlich, mit der Behauptung, sie seien geheim, Dokumente verweigerte, zu denen die Verteidigung berechtigt war. Drittens verletzte die Regierung ihre eigenen Regeln, als sie in die Wohnung von Gerardo Hernández und anderen einbrach, um heimlich ihre Computer herunter zu laden, alles Verletzungen von US-Recht.
Zusätzlich werden wir darlegen, dass den Angeklagten fälschlich die "defense of necessity" [eine Art Notwehr] entzogen wurde. Nach US-Recht ist jeder berechtigt, er wird sogar dazu ermutigt, das Gesetz zu brechen, wenn der Gesetzesbruch die Wahrscheinlichkeit einer Gewalttat oder eines physischen Schadens verringert. In diesem Fall wurden Beweise vorgebracht, die sehr klar zeigten, dass die Fünf versuchten, die Gewalttaten und den physischen Schaden zu vermindern, die vom terroristischen Netzwerk in Südflorida gegen Kuba begangen wurden. Des wegen waren sie berechtigt, sich nicht als ausländische Agenten anzumelden, sie waren berechtigt Dokumente bei sich zu tragen, die ihre Identität verschleierten. Das sind geringfügige Vergehen, und das Gesetz erlaubt geringfügige Vergehen, wenn man versucht, etwas viel Schlimmeres zu verhindern.
Das war in diesem Fall genau so; der Richter hätte der Verteidigung nicht verbieten dürfen, dies der Jury darzulegen. Das war ein Unrecht, und wir werden das energisch klarstellen.
Also gibt es eine Menge Dinge in diesem Fall, die alle eine Menge Zeit brauchen, und es ist fast unmöglich, irgend eine Art von Gerechtigkeit in dieser Anhörung zu erreichen, wenn wir nicht mehr als drei Minuten zur Verfügung haben, unsere Argumente vorzutragen.
[BD]: Einer der zentralen Punkte in der Berufung ist es, dass Miami der schlimmst mögliche Gerichtsstand für die fünf kubanischen politischen Gefangenen war. Jetzt wird die Anhörung am 10. März in Miami abgehalten. Wird das den Fall ungünstig beeinflussen?
[LW]: Wir hoffen nicht. Die Richter sind natürlich vom 11th Circuit, das heißt die meisten der Richter, und wir wissen nicht welche drei wir haben werden, kommen nicht aus Miami. Einige ja, aber hoffentlich bekommen wir keine Richter aus Miami. Wir könnten sogar einen Richter von außerhalb des 11th Circuit bekommen, wir wissen noch nicht, wer unsere Richter sein werden.
Aber normalerweise werden Kriminalfälle aus Miami, gegen die beim 11th Circuit in Atlanta Berufung eingelegt wird, in Miami angehört. Wir dachten dieser Fall wäre eine Ausnahme, weil wir den negativen Einfluss dieses Gerichtsstands angeführt hatten. Unglücklicherweise hat der 11th Circuit entschieden, dass die Anhörung trotzdem in Miami ist. Ich will nicht sagen, dass dies allein uns schon benachteiligt, aber ich sage schon, dass es ein Mangel an Sensibilität auf seiten des Gerichts ist, in Bezug auf unser Argument gegen Miami als Gerichtsstand.
[BD]: Teilen Sie und die anderen Mitglieder des Verteidigungsteams eine optimistische Sicht bezüglich der Ergebnisse der mündlichen Anhörung in Miami?
[LW]: Offen gesagt hatten wir eine lange Diskussion per Konferenzschaltung am Donnerstag. Wir haben nun alle unsere Texte gelesen, annähernd siebenhundert Seiten schriftlicher Argumente und wir haben die Antwort der Staatsanwaltschaft gelesen. annähernd hundert Seiten, und wir sind alle der Ansicht, dass aufgrund der schriftlichen Argumente, die wir gelesen haben, unser Fall gegenüber der Regierung sehr, sehr stark da steht.
Und es gibt uns so ein Gefühl, dass wir uns fast auf die Stärke unserer schriftlichen Argumente gegenüber den schriftlichen Argumenten der Regierung verlassen sollten.
Daher fühlen wir uns sehr optimistisch über den Stand der Tatsachen des Falles und den Standpunkt des Gesetzes dazu. Natürlich bleibt die Frage, wie sie für diesen Fall von Anfang an galt, ob das herrschende Klima, die Tatsachen anerkennt oder nicht und ob das Gesetz siegen wird.
Hoffentlich wird es das tun, doch wir fühlen uns stark wegen der Stärke des Falles.
[BD] Ihr Klient, Antonio Guerrero, wurde in der Woche, in der seine Mutter ihn besuchte, von seinem Gefängnis in Colorado in ein anderes Gefängnis in Springfield, Illinois, verlegt. Ihr wurde nichts davon gesagt, bevor sie sich zu ihrem letzten Besuch vor ihrer Rückreise nach Kuba aufmachte. Können Sie dazu etwas sagen?
[LW] Antonio wurde unglücklicherweise ohne vorherige Ankündigung verlegt, während seine Mutter aus Kuba ihn in Colorado besuchte. Er wurde nach Springfield, in ein medizinisches Zentrum für Bundesgefängnisinsassen verbracht, die um medizinische Beobachtung ersuchen. Ich glaube, er unterzieht sich dort sowohl einem kleineren chirurgischen Eingriff als auch einer allgemeinen körperlichen Untersuchung. Er wird dort eine Zeit lang da behalten, länger als ihm lieb wäre, aber gewöhnlich behalten sie die Leute für wenigstens einige Monate da, auch wenn sie wahrscheinlich nach einigen Wochen wohlbehalten zurück kehren könnten.
So weit ich weiß, ist er immer noch in Springfield in Illinois. Er und ich haben zweimal mit einander telefoniert. Er ist wohlauf und wird noch da behalten. Die einzige Beschwerde, die ich hätte ist, dass sie ihn, sobald er in Springfield eintraf, wieder ins "Loch" (Strafzelle) gesteckt haben, obwohl er zur medizinischen Beobachtung dorthin gereist ist, und dass er von seinem Chirurgen im Hinblick auf die Operation, die sie an ihm vornehmen wollen, untersucht wurde, während er im Loch war.
Ich empfand das als schrecklich inhuman gegenüber Antonio. Aber trotzdem, sie haben ihn in den ersten fünf Tagen so behandelt. Er ist nun aus dem "Loch" herausgekommen und erhält hoffentlich die medizinische Aufmerksamkeit, die er braucht.
[BD]: Gab es irgend einen Grund dafür, dass er dort bei seiner Ankunft im Gefängnis für medizinische Betreuung hineingesteckt wurde?
[LW]: Nein, sie geben keinen Grund an. Als ich Antonio danach fragte, sagte er, das gehöre zu ihrer normalen Vorgehensweise, was durchaus bemerkenswert, angesichts der Tatsache ist, dass es sich um ein medizinisches Zentrum handelt und die Leute dorthin gebracht werden, und er wurde geflogen, sie werden regelmäßig zur Behandlung von Notfällen dorthin gebracht, das ist kaum die Art von Behandlung, die man von einem medizinischen Zentrum erwartet, für Leute, die dort zur medizinischen Pflege und Beobachtung ankommen.
[BD]: Olga Salanueva und Adriana Pérez, die mit René González bzw. Gerardo Hernández verheiratet sind, wurden neulich Visa zur Einreise in die US verweigert, um ihre Ehemänner im Gefängnis zu besuchen. Dieses Mal sagten die US-Behörden, sie könnten aus humanitären Gründen keine Visa erteilen, weil sie eine Bedrohung für die Sicherheit der Vereinigten Staaten darstellten. Sind diese Begründungen nicht maßlos übertrieben?
[LW]: Natürlich, es gibt überhaupt keine glaubwürdigen Beweise dafür, dass Olga, Adriana oder Olgas Kinder eine Bedrohung für die Vereinigten Staaten seien. Es ist total unvorstellbar, dass sie in dieser Hinsicht einen glaubwürdigen Anspruch erheben könnten.
Zweitens wurde die Sache des Familienrechts, Gefangene in Bundesgefängnissen besuchen zu dürfen, gerade im letzten Jahr vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten mit einer bemerkenswerten Bestimmung angesprochen; der Oberste Gerichtshof stellte ganz unzweideutig fest, dass, wenn die Verfassung der Vereinigten Staaten irgendein Interesse schütze, dann das der Aufrechterhaltung der Familie.
Und in diesem Fall meinten sie, dass eine Vertretung der Regierung eine Familie nicht zerrütten dürfe, indem sie einen Gefangenen in Gewahrsam daran hindere, die Beziehung zu seiner Ehefrau und seinen Kindern aufrechtzuerhalten. Ich halte die Verfassung der Vereinigten Staaten für wichtiger als alle anderen Statuten, einschließlich der Einwanderungsgesetze.
Daher ist es eine eindeutige und fundamentale Verletzung der Verfassung der Vereinigten Staaten, diese Familien im Fall von Olga und Adriana davon abzuhalten, ihre Zusammengehörigkeit zu bewahren.
Als wir darüber hinaus in den Vorschriften des Bundesgefängnisbüros nachschlugen, stellten wir fest, dass deren Regeln die Erlaubnis von Familienbesuchen erfordern, aus dem einfachen Grund, dass sie durch Erfahrung zu dem Ergebnis gekommen sind, dass ein Insasse/in, der oder die regelmäßig von seiner oder ihrer Familie besucht wird, ein bessere/r Gefangene/r sein wird, weniger problematisch, weniger zornig, weniger feindselig und eben besser für die Einrichtung. Daher ist es sogar im Interesse des Bundesgefängnisses, wie es in seinen Vorschriften geschrieben steht, dass Gefangenen nicht nur erlaubt wird, ihre Ehegatten und ihre Kinder zu sehen, sondern dass sie dazu ermutigt werden, denn die Erfahrung hat gezeigt, dass es sie zu besseren Gefangenen macht.
Daher begünstigen die US-Verfassung und die Gefängnisregeln eindeutig die Besuchserlaubnis für Olga und Adriana. Außerdem erhielt die Regierung der Vereinigten Staaten einen Protestbrief von Amnesty International, der darauf hinwies, dass es das Völkerrecht verlangt, dass ein Gefangener die Erlaubnis erhält, seine Familienmitglieder zu sehen. Das ist eine sehr klare Forderung des internationalen Menschenrechts. Daher sollte ihnen sowohl nach internationaler als auch nach der Verfassung, wie auch nach den Regeln des Bundesgefängnisbüros, die Besuchserlaubnis gegeben werden.
[BD]: Die US-Behörden scheinen sich regelrecht darin verbohrt zu haben, weiter Visa zu verweigern. Gibt es irgend etwas, was man deswegen unternehmen kann?
[LW]: Wir leben in außergewöhnlichen Zeiten. Wir leben in einer Zeit, da die Regierung den Leuten, die in Guantánamo als so genannte ‘combatants [Kämpfer]’ gefangen gehalten werden, das Recht verweigert wird, Anwälte zu nehmen.
Sogar Leuten, die in den Vereinigten Staaten gefangen gehalten werden, wird das Recht auf Anwälte verweigert. Dies sind die fundamentalsten Rechte, und außerdem stellen wir seit 9/11 [dem 11.September 2001] fest, dass diese Rechte nicht mehr garantiert sind.
Also, in gewissem Sinne, in einem sehr schrecklichen Sinne, ist es nicht überraschend, dass im Falle von Olga und Adriana sogar die Grundrechte der Familie verweigert werden, denn das ist das neue Amerika.
Das ist Amerika, dass Jurastudenten, Dekane von Rechtsschulen, sogar Richter jetzt dagegen zum Protest aufrufen, dass wir unsere Grundrechte verlieren, die alle Leute über zweihundert Jahre lang besaßen, und gerade während der letzten zwei Jahre sind wir im Begriff, sie zu verlieren.
Und daher ist die Arroganz der Regierung, sich gegen das Völkerrecht zu stellen und sogar gegen die US-Verfassung, unglücklicherweise nicht überraschend, sondern der Teil eines Musters und einer Praxis, die wir neuerdings in der Vereinigten Staaten zu ertragen haben.
Deutsch: ˇBasta Ya!