Süddeutsche Zeitung, 7. April 2003

Berufung auf neutralem Boden

In Atlanta soll ein Prozess gegen fünf Kubaner neu aufgerollt werden, die in Miami wegen Spionage verurteilt wurden

Es hätte ein spektakulärer Schlag der USA gegen den Terrorismus werden können. 1200 Seiten Akten, Videos und Audio-Bänder hatten die FBI-Beamten im Gepäck, als sie sich im Juni 1998 in Havanna auf den Heimflug machten. Die Unterlagen waren ihnen von Fidel Castros Geheimdienst übergeben worden und dokumentierten Terroraktionen, die exilkubanische Gruppen in Miami seit Jahren gegen die verhasste sozialistische Insel organisierten. Eine der folgenreichsten war ein Anschlag auf ein kubanisches Verkehrsflugzeug, das 1976 auf dem Weg von Barbados nach Havanna in der Luft explodierte. 73 Menschen starben. Im September 1997 ging in Havannas Touristenzentren eine ganze Serie von Bomben hoch. Sprengsätze detonierten in der berühmten Hemmingway-Bar "Bodeguita del Medio" und in mehreren Hotels. Ein italienischer Tourist kam ums Leben. Die Dokumente nannten alleine für die neunziger Jahre 140 Anschlagspläne und ihre Hintermänner.

Doch der Schlag des FBI gegen das Netzwerk in Miami blieb aus. Stattdessen nahm die Bundespolizei kurz nach ihrem Havanna-Besuch die zehn Kubaner in Florida fest, die das Material für die Dokumentation geliefert hatten. Mehr als zwei Jahre später wurde gegen fünf der Festgenommenen der Prozess eröffnet, vor dem District Court in Südflorida. Im Juni 2001 fiel das Urteil: drei Mal lebenslang, einmal 19 und einmal 15 Jahre Haft. Die Verurteilten wurden auf Hochsicherheitsgefängnisse im ganzen Land verteilt.

Am heutigen Montag soll der Fall vor einem Bezirksgericht in Atlanta noch einmal aufgerollt werden. Maßgeblich betrieben hatte das Berufungsverfahren der bekannte US-Anwalt Leonard Weinglass. Unterstützung hatte Weinglass von mehr als 80 Komitees erhalten, die mittlerweile weltweit Aktionen für die "Miami Five" organisieren. Auch Amnesty International hatte sich eingeschaltet. In einer Protestnote an das US-Justizministerium rügten die Menschenrechtler, dass den Gefangenen seit nunmehr vier Jahren der Besuch ihrer Familien verwehrt wird.

Weinglass hofft auf eine Korrektur des Urteils in Atlanta, da er sich hier auf "neutralem Boden" wähnt. In Miami hatte er einen fairen Prozess für unmöglich gehalten. Dort leben 700000 Exilkubaner, darunter Miamis Bürgermeister, der Polizeichef und der Herausgeber des Miami Herald. Daher schien ihm die öffentliche Meinung eindeutig gegen Castros Emissäre auf der Anklagebank zu sein. Weinglass hatte aber eine Verlegung des Gerichtsortes nicht durchsetzen können. Es gelang ihm lediglich, einen Mann aus dem Aufgebot der Geschworenen streichen zu lassen: den örtlichen Direktor der "Cubano- Amerikanischen Nationalstiftung", der Hardliner-Organisation unter den Castro- Gegnern in Miami.

Dennoch schienen Weinglass nicht alle Prozessbeteiligten völlig unvoreingenommen zu sein. Der Hauptanklagepunkt lautete "Verschwörung zur Spionage". Nun ist die Suche nach Informationen über private Gruppen, wie sie die "Fünf" betrieben hatten, in den Vereinigten Staaten keine Straftat. Nach US-Recht ist Spionage das Sammeln von Daten über die nationale Sicherheit, um den USA Schaden zuzufügen. Doch dies konnte Staatsanwalt Guy Lewis den Angeklagten nicht nachweisen. So bemühte er sich, eine versuchte Spionage zu belegen, eben besagte "Verschwörung". Eines Tages hätten die Angeklagten die "geheimen Informationen" schon noch erhalten, sagte er in seinem Plädoyer. "Auch wenn wir es nicht beweisen können, Leute, da wird doch ganz sicher die Bereitschaft bestanden haben, dies zu tun", sagte er an die Geschworenen gewandt. Die Jury folgte dieser Logik und fällte ihren Schuldspruch einstimmig.

Dass die "Fünf" bei ihrer Mission in Miami nicht ganz auf der falschen Fährte waren, bestätigte übrigens ganz nebenbei die Vorsitzende Richterin. Auf Antrag der US-Regierung verfügte sie in dem Urteil gegen einen der Angeklagten, dass es ihm nach Verbüßung seiner Haft verboten sei, sich an Orten aufzuhalten, an denen "terroristische Individuen oder Gruppen, Mitglieder von gewaltbereiten Organisationen und Elemente des organisierten Verbrechens anzutreffen sind".

Georg Hohmann

[Leonard Weinglass gehörte während des Prozesses in Miami 2001 noch nicht zu den Anwälten der Fünf. Der Antrag auf Verlegung des Verfahrens an einen anderen Ort (change of venue) wurde damals von Paul McKenna, dem Anwalt von Gerardo Hernández, gestellt. Weinglass nahm im Januar 2003 die Ablehnung dieses Antrags zum Anlaß, bei der Richterin Joan Lenard zu beantragen, den Prozeß von Miami für ungültig zu erklären, und einen neuen an einem anderen Ort anzuberaumen. Diesen Antrag lehnte die Richterin am 13.Februar 2003 ab. (s. auch unter "News", 13. Februar 2003).]
Anmerkung: ¡Basta Ya!

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