Interview von Radio Havanna mit Leonard Weinglass

12. März 2004

RADIO HAVANA CUBA: Vielen Dank Herr Weinglass, dass Sie mit uns von Radio Havana Cuba sprechen. Gut, inzwischen sind ein paar Tage seit der Anhörung zu der Berufung der Cuban Five in Miami vergangen, und wir sind sicher, dass Sie zusätzlich zu dem, was Sie der Presse über ihre positiven Eindrücke von der Anhörung erzählten, inzwischen Zeit hatten, über die gesamte Anhörung zu reflektieren, die Berufung im Allgemeinen. Würden Sie uns ihre Kommentare zur Anhörung und den gegenwärtigen Stand der Berufung mitteilen?

LEONARD WEINGLASS: Es stimmt, dass wir über die Fairness der Anhörung sehr erfreut waren, aber ich glaube, dass es auch wahr ist, dass man es nicht dahingehend missverstehen darf, dass die Anwälte glaubten, das Ergebnis müsse auch erfreulich sein. In Wahrheit wissen wir nicht, was dieses Gericht tun wird. Alles was wir wissen, ist, dass das Gericht sehr gute Fragen gestellt hat und die Anhörung unbefangen und intelligent geführt hat. Ob man das als Sieg bezeichnen darf, wissen wir nicht, das bleibt abzuwarten.

RHC: Betrachten wir Punkt 3, der ausgiebig während der Anhörung analysiert wurde, und wir sprechen immerhin über Mordverschwörung, - nicht so sehr Punkt 2, Verschwörung Spionage verüben zu wollen - ist es wahrscheinlich aufgrund der Fragen, die das Gericht stellte, dass er [Punkt 3] fallen gelassen wird?

LW: Das Gericht hat zur Verschwörung, Spionage verüben zu wollen, keine Fragen gestellt. Der Fokus war ausschließlich auf Punkt 3 der 26 Punkte gerichtet. Nichtsdestotrotz, fragte es nach Punkt 2, was Richard Klugh Gelegenheit gab, diese Frage sehr genau anzusprechen. Die Fragen nach Punkt 3 zeigten an, dass das Gericht besonders an diesem Punkt, den wir in unseren schriftlichen Anträgen hervor gehoben hatten, interessiert war. In der Beziehung waren wir ermutigt, aber es ist unmöglich zu wissen, ob sich ihr Interesse zu unseren Gunsten auswirkt. Aber wir waren erfreut, dass die richtigen Fragen gestellt wurden, doch sind wir unsicher, was das für das Ergebnis bedeutet.

RHC: Waren die Fragen des Gerichts strikt juristisch, technisch, oder zeigten sie eine politische Tendenz?

LW: Das war ein interessanter Teil der Anhörung. Das Gericht behandelte die Anhörung ohne jede enge nationalistische Befangenheit. Es gab keine anti-kubanische Rhetorik. Es war völlig anders als beim Verfahren [von 2001], die Atmosphäre war nicht von Feindseligkeit gegen Kuba geladen. Die Fragen waren exakt technisch im Sinne des Gesetzes, und darum argumentierten die Staatsanwälte sehr verschieden von der Art, wie sie es vor der Jury in Miami taten. Es gab keine Rhetorik, dass die Fünf in die Vereinigten Staaten gekommen seien, um die Vereinigten Staaten zu zerstören. Es wäre ein Desaster für die Staatsanwaltschaft geworden, hätte sie den selben Ton gewählt, den sie während des Verfahrens hatte.
Wir hatten einen Richter, der 80 Jahre alt war, und einen, der 84 war, beide haben ihren Abschluss an der besten Juraschule der Vereinigten Staaten gemacht und beide gehörten zu den besten ihrer Klasse. Keiner der Richter kam aus Florida, und keiner unserer Richter war früher Staatsanwalt. Das sind alles sehr positive Anzeichen, und die Art, in der die Anhörung geführt wurde, spiegelte den Charakter des Gerichtes wider.

RHC: Herr Weinglass, wir haben gehört, dass die Regierung, die Staatsanwaltschaft, nicht besonders effektiv in der Verteidigung ihrer Argumente gewesen sei, können Sie uns das ein wenig genauer ausführen?

LW. Ich glaube, die Regierung hatte sich auf andere Argumente vorbereitet als die zu denen sie gezwungen wurde. Bevor die Staatsanwaltschaft zu Wort kam, sagte der vorsitzende Richter, das Gericht wolle nur etwas über Punkt 3 und den Gerichtsort hören, zwei der Punkte, in denen der Standpunkt der Regierung angreifbar war, was die Staatsanwaltschaft sofort in die Defensive drängte, da sie den schwächsten Teil ihrer Anklage rechtfertigen musste.

RHC: Sie haben etwas zusätzliche Zeit bekommen - in Ihrem Fall haben wir gehört, Ihnen wären zusätzliche 5 Minuten und 40 Sekunden gewährt worden - und andere bekamen einige Minuten, wie wir verstanden haben, als Ausgleich dafür, dass die Staatsanwaltschaft ebenfalls mehr Zeit bekommen hatte. Wurde diese zusätzliche Zeit gewährt, weil die Fragen das verlangten, oder wurde dem schon im Voraus zugestimmt?

LW: Als Anwälte konnten wir nicht wissen, warum das Gericht tat, was es tat, aber wir waren sehr erfreut darüber. Wir haben das Gericht beobachtet, als es sieben andere Fälle vor unserem am Dienstag und Mittwoch anhörte. In keinem der Fälle haben die Anwälte zusätzliche Zeit wie wir bekommen. Ich bekam dreimal soviel Zeit, wie mir zugeteilt worden war, und an einer Stelle wurde ich unsicher, weil ich so lange sprach, dass ich den Richter fragte, ob ich mich hinsetzen solle, und der vorsitzende Richter bat mich fortzufahren. Da ging es um den Gerichtsort.

RHC: Speziell was das Argument bezüglich des Gerichtsortes angeht, was ich so verstanden habe, als dass es der eigentliche Vorstoß Ihrer Präsentation war, hörte ich wie Sie zu den Medien in Miami sagten, dass es letztendlich gut gewesen sei, dass die Anhörung in Miami stattfand, da die Richter so selbst die antikubanische Atmosphäre wahrgenommen hatten, die in Miami vorherrscht. Worauf genau haben Sie sich bezogen, wenn Sie das überhaupt beschreiben können?

LW: Ich glaube, dass jeder, der in die Stadt Miami kommt, sehr schnell die Tatsache wahrnimmt, dass sich Miami von jeder anderen Stadt in Amerika unterscheidet. Es strahlt eine Voreingenommenheit gegen Kuba aus, sodass ich glaube, dass die Richter, die nach Miami kamen, dieses Gefühl spüren konnten.
Genau am Tag der Anhörung, oder einen Tag davor, stand in dem angesehenen Magazin The New Yorker ein sehr langer Artikel über Miami und seine Einstellung zu Kuba, obwohl wir natürlich nicht wissen, ob die Richter den Artikel gelesen haben. Einen Tag vor der Anhörung waren die Vorwahlen in Florida, und Dienstag nacht, als jeder der Anwälte die Nachrichten sah, berichteten diese über die Ergebnisse der Vorwahlen, und dass John Kerry aktiven Wahlkampf in Florida führte, es aber wohlweislich vermied nach Miami, der größten Stadt, zu kommen. Dies kann nur mit der Rolle der kubano-amerikanischen Gemeinde erklärt werden.

RHC: Herr Weinglass, in Kuba haben angesehene Juristen und Jura-Professoren Szenarien in Zusammenhang mit der Berufung entwickelt, wie sie die Zukunft des Falles sehen. Sie sprechen von der Akzeptanz eines neuen Gerichtsortes, von reduzierten Strafen, usw. Haben Sie, die Verteidiger, selbst ähnliche Szenarien entwickelt?

LW: Zu diesem Zeitpunkt kann niemand wissen, was der nächste Schritt sein wird, bis wir die Meinung des Gerichts haben. Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, dass es unmöglich ist, klar zu sagen, was nach der Entscheidung passieren wird. Aber der Rechtsstreit um diesen Fall wird fast sicher weitergehen, besonders unter dieser Administration in Washington.

RHC: Waren Sie in der Lage nach dieser Entwicklung mit Ihrem Klienten Antonio Guerrero, den Sie repräsentieren, zu sprechen, und wenn ja, wie geht es ihm?

LW: Gerade vor zehn Minuten habe ich mein Büro in New York angerufen, und man hat mir erzählt, dass Antonio heute versucht hat, mich anzurufen, wir hatten also noch nicht die Gelegenheit miteinander zu sprechen. Aber ich habe gestern abend mit seiner Mutter gesprochen, und sie hat heute morgen mit ihm gesprochen - er ist zurück in Colorado, seine Gesundheit ist wiederhergestellt, er gewinnt an Gewicht und fühlt sich stark. Er hat meiner Sekretärin erzählt, dass er mich anrufen wird, sobald ich zurück in New York bin.

RHC: Auf der Grundlage Ihrer eigenen Erfahrung als Anwalt, mit so vielen interessanten und kontroversen Fällen, an denen Sie durch die Jahre teilgenommen haben, wie würden Sie da diesen Fall der Cuban Five beschreiben? Würden Sie sich trauen, ihn mit früheren Erfahrungen zu vergleichen?

LW: Ja, dieser Fall ist außergewöhnlich. Sehr wenige Fälle bringen sowohl die Justiz in der internationalen Arena als auch der Justiz zu Hause zur Sprache, wie es dieser Fall tut. Der letzte Fall ähnlicher Natur, an den ich mich erinnern kann, liegt 35 Jahre zurück, im "Pentagon Papers Trial", in dem ich auch das Glück hatte, als Anwalt zu fungieren. Dieser Fall betrachtete sowohl die Beziehungen der USA zu Vietnam als auch die Rechtsfrage, wie mit einem patriotischen Amerikaner, der das Richtige tat, als er die falschen Handlungen der Regierung aufdeckte, umzugehen sei. Ähnlich ist es in diesem Fall, die Beweisführung muss sich mit der Geschichte der USA und der von Kuba beschäftigen; die Jury hörte Zeugen aus Kuba, Beamte der Regierung, über diese Geschichte. Das hat es vorher nie gegeben, und die Jury wurde mit Informationen vertraut gemacht, von denen viele Amerikaner nie gehört hatten. Also diese beiden Fälle waren strukturell sehr ähnlich und beinhalteten sowohl das Recht zu Hause als auch das Recht anderswo. Das passiert selten.

RHC: Würden Sie eine Meinung wagen zu der Rolle der Solidarität, die der Fall international erfahren hat, die dazu geführt hat, dass die Medien letztlich Interesse daran gefunden haben, und zu den Beobachtern des Falles, Leute, die sich für den Fall interessierten und den weiten Weg nach Miami machten, um ihrer Besorgnis über den Fall Ausdruck zu verleihen?

LW: Wir waren sehr dankbar für die internationalen Beobachter und die wichtige Rolle, die sie spielten. Solange dieser Fall als lokale Angelegenheit von Miami betrachtet wird, wird es keine volle Gerechtigkeit geben. Die Rolle des internationalen Terrorismus ist ein zentrales Thema dieses Jahrhunderts; dieser Fall untersuchte die terroristischen Aktivitäten gegen Kuba, und in diesem Licht muß er gesehen werden. Damit ist die Stimme der internationalen Gemeinschaft unverzichtbar, um diesen Fall zu verstehen.
Auch hat der Fall möglicherweise im letzten Jahr eine grundlegende Veränderung erfahren, als die Fünf ins Loch gesteckt wurden, und sofort eine internationale Reaktion einsetzte, und eine Reaktion innerhalb der USA, einschließlich Anhörungsaufrufen des Kongresses, und was passierte? Die USA gaben nach und mussten die Fünf aus dem Loch entlassen. Das war der erste Sieg in der fünfjährigen Geschichte des Falles, und er trat ein wegen der internationalen und nationalen Reaktionen. Kein Richter befahl den Vereinigten Staaten, sie zu entlassen; wir sind in der Angelegenheit nicht vor Gericht gegangen, und trotzdem gab die Regierung der Vereinigten Staaten nach.

RHC: Wir haben gerade gehört, dass Sie international unterwegs sind, Sie reisen in andere Länder. Was glauben Sie könnten Gespräche mit Juristen aus aller Welt in der Angelegenheit bringen?

Ich gehe nach Europa und werde dort mit Anwälten und Richtern sprechen, weil die rechtlichen Aspekte des Falles so weit außerhalb akzeptierbarer Grenzen der gerechten Anwendung des Gesetzes liegen, dass der politische, der offensichtlich politische Denkansatz der Vereinigten Staaten noch hinzukommt. Anwälte und Richter verstehen das sofort, und es ist so offensichtlich in jedem Aspekt dieses Falles: dies ist der erste Spionagefall ohne ein einziges Dokument mit geheimen Informationen; am Tag ihrer Verhaftung haben sowohl das Pentagon als auch das Justizministerium gesagt, die Sicherheit der Vereinigten Staaten sei nicht gefährdet oder bedroht; während des Verfahrens sagten pensionierte Generäle und ein Admiral dasselbe, und trotzdem sitzen mein Klient Antonio Guerrero, genau wie Ramón und Gerardo dieselben lebenslänglichen Strafen ab, die verhängt wurden über einige der berüchtigsten Spione in der Geschichte der Vereinigten Staaten, wie Aldrich Ames und Robert Hanssen, Männer die Hunderte, wenn nicht Tausende, von Dokumenten einer fremden Regierung übergaben, was zum Tode von amerikanischen Agenten und zu unschätzbarem Schaden für die nationalen Sicherheitsinteressen führte. Also kann dieser Fall rechtlich nur als politische Operation gegen die Regierung Kubas betrachtet werden. Aus Sicht eines Juristen benutzt die Regierung der Vereinigten Staaten das Rechtssystem auf unzulässige Weise, um ein politisches Ergebnis zu erreichen.

RHC: Wie, glauben Sie, wird sich der ganze Wahlkampf in den Vereinigten Staaten, angesichts der letzten Monate von George W. Bush’s Wahlkampagne, auf den Fall auswirken?

LW: Das macht etwas Sorgen. Obwohl es keine Sicherheit gibt, erwarten wir eine Entscheidung im Juni oder Juli, vielleicht auch August, und das ist während der Wahlkampfsaison. Es gibt eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Justizminister John Ashcroft die Gelegenheit nutzen wird, um einen weiteren Angriff gegen Kuba oder das Gericht, falls wir uns durchsetzen, zu reiten. Wie darauf von den Hauptkandidaten während der Kampagne reagiert wird: wird es das Gericht beeinflussen, das dann aufgerufen ist, die Entscheidung zu revidieren? Wird es die demokratischen Kandidaten zwingen, negativ zu reagieren, um ihre Unterstützung der Vereinigten Staaten zu demonstrieren? Das alles sind jetzt nur Fragen, aber sie sind unbequem für uns, denn wenn die Entscheidung politisiert wird, wird das höchst wahrscheinlich negativ sein, egal, was dabei ‘raus kommt.

RHC: Wie sind die Chancen nach dieser Anhörung auf Erleichterungen in den Haftbedingungen, inbezug auf die Erlaubnis, Besuche empfangen zu dürfen, usw.?

LW: Ich sehe nicht, daß die Anhörung vor einer Entscheidung irgend einen Einfluss darauf hat. Wenn Punkt 3 fallen gelassen wird und die lebenslangen Strafen für Punkt 2 ausgesetzt werden, dann hätte das Einfluss nicht nur auf die Haftbedingungen, sondern auch auf den Ort, an dem man sie festhält. René steht unter mittleren Sicherheitsbedingungen, und Fernando auch, und wenn Punkt 3 und Punkt 2 fallen gelassen werden, würden die anderen drei wahrscheinlich auch so untergebracht, obwohl das für einige Zeit aufgeschoben werden würde, weil die Regierung verlangen könnte, dass die Entscheidung vom gesamten Gericht geprüft wird - wir haben den Fall vor drei Richtern erörtert, und das gesamte Gericht wären sechzehn oder achtzehn Richter - und beide Seiten können beantragen, dass das gesamte Gericht die Entscheidung überprüft - wir würden das sicher tun, sollten wir verlieren - und wir erwarten, die Regierung würde das auch tun, wenn sie verlieren würde.

Deutsch: ¡Basta Ya!

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