Leonard Weinglass vom 20.04. - 23.04. in Berlin

Bericht von ˇBasta ya! (26. - 27.04. 2004)

Leonard Weinglass (1)

Leonard Weinglass, der Anwalt von Antonio Guerrero, einem der Fünf, stellte den Fall der "Cuban Five" bzw. "Miami Five" im Rahmen von fünf verschiedenen Veranstaltungen einer möglichst breiten Öffentlichkeit aus dem Berliner Umfeld vor.
Er kam auf Einladung des belgischen und deutschen Komitees zur Befreiung der Fünf sowie belgischer und deutscher Juristen nach Europa. Dank der Initiative belgischer Juristen war Ende letzten Jahres ein "European Lawyers Committee" gegründet worden, das sich für die Befreiung der fünf zu Unrecht verurteilten Kubaner einsetzen will.
Mit diesen bereits seit Langem geplanten Veranstaltungen unterstützen wir die Bemühungen des US-amerikanischen Komitees, "Free the Five" unter Leitung von Gloria La Riva und Alicia Jrapko darin, "die Mauer des Schweigens" um den Justizskandal einzureißen. Die US-Öffentlichkeit soll davon erfahren, damit das Demokratieverständnis und Rechtsbewusstsein der US-Bürger dazu beitragen kann, die Fünf zu rehabilitieren.

 

 

Die erste Station Leonards war Berlin.

Eröffnung seiner Vortragsreihe in den Räumen der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde e.V. GBM, Weitlingstr. 89, Berlin-Lichtenberg um 19:00 Uhr unter dem Titel: "Menschenrechte in den USA - der Fall der Miami 5":

Der Saal war schließlich voll besetzt. Im Hintergrund lagen auf einem Tisch Informationsmaterialien aus, u.a. auf jeweils knapp 4 Seiten "Die unglaubliche Geschichte der fünf Männer...", "Eine Analyse im Überblick" von Leonard Weinglass (15 Seiten) und die neue CD mit den vertonten Gedichten von Antonio Guerrero.
Vor ungefähr 70 Zuhörern hießen die Gastgeber den renommierten Anwalt willkommen. Unter der Moderation des Juristen, Klaus Eichner, dankte auch Professor Dr. Wolfgang Richter, Vorsitzender der GBM Leonard Weinglass und stellte das Anliegen seiner 4.000 Mitglieder umfassenden linken Organisation vor. Seit ihrer Gründung nach dem Anschluss Ostdeutschlands an den Westen engagiere sie sich für die Wahrung der Menschenrechte bei der politischen Strafverfolgung vor allem in Ostdeutschland. Außerdem pflegten sie freundschaftliche Kontakte zum International Action Center (IAC) in den USA und zu Kuba. Daraufhin ergänzte Hans Bauer als Vertreter der Gesellschaft für rechtliche und humanitäre Unterstützung e.V., GRH, einer ebenfalls nach der Wende gegründeten Widerstands- und Opferorganisation mit 1.700 Mitgliedern die Angaben seines Vorredners. Er gab die Zahl der beschuldigten Funktionsträger der ehemaligen DDR mit 100.000 an. Nach 80.000 Ermittlungsverfahren habe es schließlich 1.000 Verurteilungen gegeben.
Leonard Weinglass dankte seinerseits für die Einladung und bezeichnete es als große Ehre, sich hier mit Leuten treffen zu können, die sich für Menschenrechte engagieren. In der Berichterstattung der Medien in den USA seien die Probleme bei der Wiedervereinigung Deutschlands nicht vorgekommen. Vielmehr habe man es nur als eine "einzige glorreiche Feier" dargestellt.
Wie angekündigt, begann Leonard Weinglass dann gleich mit der Darstellung des aktuellen politischen Kontextes der Fünf. Er wies u.a. daraufhin, dass die Verteilung der Fünf auf weit auseinander liegende US-Hochsicherheitsgefängnisse, bedeute, dass ein Anwalt, der sie alle Fünf besuchen wolle, eine Woche dazu brauche. Damit erschwere die Regierung wohl bewusst die Verteidigung der Angeklagten. Er nahm Bezug auf ihren Auftrag, Kuba vor weiteren Terrorangriffen aus den USA zu schützen, auf die feindselige Einstellung der US-Politik gegenüber Kuba, die besonders von den exilkubanischen Organisationen in Miami ausgehe (s. dazu seine Analyse im Überblick unter ww.miami5.de), auf die derzeitige Außenpolitik der USA und auf ihre innerstaatlichen Restriktionen.
Es gebe "eine Menge Information über den Verlust der Bürgerrechte innerhalb der Vereinigten Staaten nach dem 11. September."
246 Groß- und Kleinstädte haben sich jedoch bisher entschieden, sich außerhalb der neuen Gesetze zu stellen und damit Sicherheitszonen für die Menschenrechte von insgesamt 45 Millionen Menschen zu bilden. Soeben habe sich New York als 247. Sicherheitszone angeschlossen. Das sei besonders bemerkenswert, weil New York doch der Schauplatz des 11. Septembers war. Diese Entwicklung stimme ihn optimistisch. Aber eigentlich sei nicht der 11. September der Beginn der Beschneidung der Menschen- und Bürgerrechte in den USA gewesen. In Wirklichkeit habe diese Entwicklung bereits 1968 unter Nixon eingesetzt. Der Verlust von Menschenrechten habe sich auch unter Carter und Clinton ständig fortgesetzt. Mumia Abu Jamal habe z.B. 1996 infolge dieser Entwicklung sein Recht auf Berufung verloren. Unter der Präsidentschaft Clintons sei auch schon das 1. Antiterrorgesetz verabschiedet worden.
1970 habe er Vietnam-Kriegsdienstverweigerer vertreten [die Verteidigung der "Chicago 8" machten Weinglass seinerzeit berühmt]. Das Verfahren habe insgesamt 6 Monate gedauert. Er habe für seinen Einspruch bei der mündlichen Anhörung des Berufungsverfahrens 2 Tage Zeit gehabt.
Im März 2004 erhielt er nach einem ebenfalls sechsmonatigen Verfahren nur 3 Minuten.
Damit habe sich die Zeit für die Berufung seit 1970 quasi auf Null verkürzt.
Dazu erläuterte er: "Das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten setzt sich aus 9 Richtern zusammen. Vor 35 Jahren wurde dort zum ersten Mal ein liberaler Richter und gleichzeitig der erste Afroamerikaner eingesetzt." Jetzt gebe es zum ersten Mal seit 100 Jahren keinen Richter mehr, der sich gegen die Todesstrafe ausgesprochen habe. 1986 seien noch 3 Richter innerhalb des Obersten Gerichtshofes gegen die Todesstrafe gewesen.
Die Verschlechterung innerhalb der Rechtsprechung habe sich schon 1998 auf den Fall der Fünf ausgewirkt. "Von 2 Millionen Gefangenen wurden 3.500 zum Tode verurteilt, darunter 70 Jugendliche und Kinder."
Die Ungerechtigkeit in der Rechtsprechung korrespondiere mit der Ungerechtigkeit in der Politik gegenüber Kuba. Es gebe nur sehr wenige Fälle, "auf die sich unfaire Außenpolitik und unfaire Rechtsprechung gleichzeitig auswirken." Einen solchen Fall habe es seit 1970, nämlich dem der Vietnamkriegsgegner, nicht mehr gegeben.
Im Zusammenhang mit den seit über 40 Jahren immer wieder geführten Angriffen auf Kuba, deren Zunahme seit 1990 dazu führte, dass die Fünf den Auftrag zur verdeckten Ermittlung innerhalb der rechtsradikalen exilkubanischen Organisationen nach Südflorida annahmen, betonte er, wie verfehlt in diesem Fall die Anklage auf Spionage sei, da es ja um keinerlei US-Regierungsgeheimnisse gegangen sei, s. o.g. Analyse des Falles.
Um uns das feindselige Klima innerhalb der 650.000 Exilkubaner in Miami gegenüber Kuba zu verdeutlichen, schilderte er u.a. den Fall eines Journalisten, der es gewagt hatte, in einem Leitartikel von Miami Herald über eine Normalisierung der Beziehungen zwischen den Exilkubanern und ihrem Heimatland öffentlich nachzudenken. Eine daraufhin in seinem Auto deponierte Bombe habe ihm beide Beine abgerissen.
Untersuchungen der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation "American Watch" in Miami - "die einzige US-amerikanischen Stadt, die sie je untersuchten" - ergaben ebenfalls, dass es dort "gefährlich" sei, sich prokubanisch zu äußern ("American Watch" beschränke seine Ermittlungen normaler Weise auf das Ausland.).
Vor den Anwaltsbüros der Pflichtverteidiger der Fünf habe man zur Zeit ihres Prozesses demonstriert und ihnen gedroht, ihren Kindern in der Schule das Leben schwer zu machen.
Er berichtete davon, wie die Fünf nach ihrer Verurteilung während eines ganzen Monats, im März vorigen Jahres, ohne Angabe von Gründen in ihren jeweiligen Hochsicherheitsgefängnissen in Isolationshaft kamen, die ein Jahr lang dauern sollte, mit der Option, sie danach auf ein weiteres Jahr zu verlängern. Das sei auf Anordnung der Regierung geschehen, wie ihm die Gefängnisdirektoren versicherten hätten. Denn die Fünf seien vorbildliche Gefangene und durch keinerlei Verstöße gegen die Gefängnisordnung aufgefallen. Besonders hart habe es Gerardo getroffen. Er sei selbstmordgefährdet gewesen. Bis auf seine Unterhose wurde ihm jedes Kleidungsstück genommen. Er habe bei seiner Entlassung aus diesem Loch, den Raum besichtigen können. Selbst in Mumias Todestrakt habe er keinen schrecklicheren Ort gesehen. Es gab dort kein Fenster, aber das Licht habe 24 Stunden lang gebrannt, seine Schlafstelle habe aus einer schmalen Betonfläche und einem Laken bestanden, das Essen sei ihm durch eine Luke am Boden geschoben worden. Er habe, wie alle anderen. mit niemandem sprechen können, wenn er im Raum stand, konnte er mit beiden Händen gleichzeitig die Wände berühren. Len breitete zur Veranschaulichung beide Arme aus.
Hätte es nicht die internationalen Proteste und die Beschwerde von Amnesty International gegeben, wären sie nicht endlich doch nach einem Monat aus dieser Folter entlassen worden.

Auf Fragen aus dem Auditorium nach den Chancen der Fünf [z.B. auf ein neues Verfahren an einem
neutralen Ort] berichtete Weinglass, nur einer der 3 über 80-jährigen Richter aus Atlanta habe sich bei der mündlichen Anhörung am 10. März in Miami als liberal erwiesen. Er sei 85 und stamme aus New York. Die beiden anderen seien bekannt für ihre konservative Einstellung. Einer von beiden sei auf einer Militärbasis geboren und sein Vater ein hoher Militärbeamter gewesen. Die Dritte im Bunde, eine Frau aus Georgia, habe sich dort nicht zum ersten Mal gegen eine Prozessverlegung ausgesprochen. Allerdings habe sie Beispiele ins Feld geführt, die mit dem Fall der Fünf in keinster Weise zu vergleichen seien. Dennoch sei es möglich, dass der Richter aus New York von den beiden anderen Richtern überstimmt werde.
Als er den Fall der Fünf dagegen anderen Juristen und Studenten an verschiedenen juristischen Fakultäten des Landes vorgetragen habe, sei man einhellig der Meinung gewesen, dass die Fünf ihren Fall nach Lage der Dinge nur gewinnen könnten.

Das Problem sei, man verlange von 3 US-Richtern, dass sie Kubas Recht auf Verteidigung anerkennten.
Möglicherweise erzielten die Anwälte nur Teilerfolge. Wenn er inbezug auf irgend etwas optimistisch sei, dann inbezug auf Gerardos Anklage auf Verschwörung zum Mord.

Auf die Frage, ob die Verteidiger vor den Obersten Gerichtshof zögen, wenn ihr Antrag auf Berufung abgelehnt werde, antwortete Leonard: "Ja, das werden wir! – Aber falls unser Antrag angenommen werden sollte, wird auch die Regierung vor den Obersten Gerichtshof ziehen und Einspruch dagegen erheben. Voraussetzung für die Annahme unseres Berufungsantrags ist: Alle 18 Berufungsrichter in Atlanta müssten überzeugt werden." Das hieße, "sie müssten unsere schriftlichen Anträge auch gelesen haben." Er berichtete, dass ihre schriftlichen Anträge laut Gesetz nur einen bestimmten Umfang haben dürften, den sie aber voll ausgeschöpft hätten. Einige Berufungsrichter von Atlanta haben damit argumentiert, man könne nicht verlangen, dass sie bei ihrem Gehalt von 150.000 Dollar im Jahr alles lesen müssten.
Es gebe so viele Möglichkeiten, wie der Fall entschieden werden könnte. Man könne es jetzt noch nicht absehen.

Auf die Frage, "Was kann die internationale Solidarität in diesem Fall leisten?" antwortete Weinglass, "Oh, sehr viel! Denn das Interesse der US-Medien scheint an dem Fall durch das Interesse aus Europa zu wachsen." Unsere Möglichkeiten seien dabei nach wie vor Unterschriftensammlungen, Briefe an die US-Botschaft, an die US-amerikanischen Behörden etc.
Er betonte, dass z. B. Mumia Abu Jamal hingerichtet worden wäre, wenn es nicht die Proteste dagegen aus Europa gegeben hätte. Innerhalb Europas würde mehr über ihn gesprochen und geschrieben als an seinem Geburtsort Philadelphia.
Und auch der ebenfalls von ihm vertretene Fall Angela Davis wäre letztlich anders entschieden worden, wenn es die internationale Solidarität nicht gegeben hätte.
So habe es innerhalb der US-amerikanischen Presse Aufsehen erregt, dass bei der Anhörung in Miami auch Anwälte aus Europa und Argentinien anwesend waren.
Man könne die US-Bürger anscheinend nur aufrütteln, wenn man sie aus Übersee auf die innerhalb ihres Landes verschwiegenen Ereignisse aufmerksam mache.
Es sei doch "peinlich für die USA, dass ihr Land Terroristen sponsert."
Ihm selbst sei erst durch die Fünf bewusst geworden, "wie lange Kuba bereits Unrecht geschieht" und wie weit die Geschichte der Annexionspolitik der USA inbezug auf Kuba zurück reicht. Denn "schon 1802 sprach Thomas Jefferson davon, dass Kuba ihnen eines Tages wie eine reife Frucht in den Schoß fallen müsse."
Für weitere Nachfragen zu der Geschichte des Falles der Fünf aus dem Publikum, konnten wir auf die Informationsmaterialien hinweisen, die daraufhin bald vergriffen waren.

21.04., 10:00 Uhr, Pressekonferenz im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin:

Pressekonferenz (1)

Nach den Angaben der dort Anwesenden nahmen 10 - 12 Vertreter der Medien teil, u.a. auch der "Berliner Zeitung" und von den Sendern 3-Sat und MDR. Am 22. veröffentlichten "Junge Welt" und "Neues Deutschland" ihre Interviews mit Leonard Weinglass, s. auch www.miami5.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 

13:30 Uhr Empfang in der kubanischen Botschaft:

Leonard Weinglass im Gespräch mit Botschaftsrätin Juana Martínez
und dem DKP-Vorsitzenden Heinz Stehr (1)

Daran nahmen einige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und zahlreiche Abgeordnete der Kubasolidaritätsgruppen teil, wie natürlich auch Mitglieder des Komitees. Leonard Weinglass und seine Ehefrau wurden so belagert, dass es den Mitgliedern des Komitees kaum möglich war, mit ihnen auch nur ein Wort zu wechseln. Das Hauptgesprächsthema der Anwesenden war die soeben vergangene Pressekonferenz. Von deren Teilnehmern hörten wir hoffnungsfrohe Kommentare. Die Botschaftssekretärin, Juanita Martínez, sagte z.B., sie glaube, dass sich "ein neues Fenster" geöffnet habe.

 

 

 

 

 

 

21.04., 19:00 Uhr, Referat über politische Fälle der US-Justiz am Beispiel der Miami 5 in den Räumen der BAR-Gesellschaft, Littenstr. 9, 10179 Berlin: Laut Aussage von RA Eberhard Schultz sprach Leonard Weinglass dort vor etwa 20 Berliner Juristen.

22.04.: Treffen mit den Komiteemitgliedern in den Räumen der kubanischen Botschaft um 14:00 Uhr: Erfreulicherweise waren wir zu über 30 Teilnehmern. Wir danken der kubanischen Botschaft für ihre Gastfreundschaft und ihre großzügige Bewirtung.
Mit Leonhard Weinglass saßen uns Victor Grossmann gegenüber, der freundlicherweise wieder die Übersetzung übernahm, sowie V. Grundmann, die Organisatorin dieser Berliner Veranstaltungen und Ralf Minkenberg als Moderator, Vertreter des Netzwerksvorstandes, dem der Freundschaftsgesellschaft und dem aus dem Westen angereisten Teil des Komitees.
Leonard sprach uns im Namen der Fünf seinen Dank aus und ging dann in medias res.
Jetzt beantwortete er detailliert die Fragen, die uns schon am Abend seines ersten Auftritts im Haus der GBM bewegt hatten:
"Der Prozess der Fünf wird sehr kompliziert. ... Er gleicht einem Vabanquespiel. Wenn die schriftliche Entscheidung der 3 Richter aus der Anhörung eingegangen ist, wird der Fall klarer."
Die nächste Berufung ginge dann an alle 18 Richter aus Atlanta. Das dauere wieder 5 – 12 Wochen.
Er betonte, bei dem Berufungsantrag der Verteidigung handele es sich nur um eine "Bitte", sich des Falls anzunehmen. "Wenn sie dieser Bitte entsprechen, muss der Prozess neu verhandelt werden. Bis dahin kann es 6 Monate dauern." Bei deren Ablehnung sei "die Bitte an den Supreme Court [Obersten Gerichtshof] möglich." Aber "94 %" solcher "Bitten werden abgelehnt." Auch wenn der Oberste Gerichtshof der Bitte entspräche, dauere es wieder 5 - 6 Monate. Und das sei dann das Ende des "direkten Appeal’s [Berufungsantrags]".
Danach sei aber ein neues Verfahren möglich: der "Collateral Appeal [Neben- oder Seitenberufungsantrag]". Dieser Prozess werde dann nach dem "Habeas corpus"-Prinzip verhandelt [ein rechtstaatliches Prinzip, das auch in unserem Grundgesetz verankert ist, wonach niemand ohne richterliche Anordnung verhaftet werden darf.] Dazu seien neue Beweise erforderlich, die belegen, dass "die Verfassung" bei der vorherigen richterliche Anordnung "gebrochen wurde." Dafür habe die Verteidigung Beweise und sie bereite sich schon jetzt darauf vor. Bei diesem Verfahren sind dann keine Geschworenen zugelassen. Das sei dann die eigentliche, direkte Berufung.
Dann ginge der Fall aber an die Richterin Joan Lenard in Miami zurück und würde ganz von vorne aufgerollt.
Er glaube nicht, dass der Prozess noch in diesem Jahr entschieden werden könne, "auch nicht 05 oder 06"... "obwohl vielleicht doch 04".
"Mumia Abu Jamal ist jetzt in seinem 23. Jahr." Dennoch glaube er nicht, dass sich der Fall der Fünf so in die Länge ziehe. Denn im Unterschied zu dem Fall von Mumia sei dies eine Angelegenheit der Bundesregierung, und die sei durch die Öffentlichkeit, vor allem aus dem Ausland, leichter beeinflussbar.
Je mehr Unterstützung aus dem Ausland käme, je aussichtsreicher sei der Prozess für die Fünf.
Als "kleinen Tipp am Rande" gab er uns noch mit, es sei seiner Meinung nach besser von den "Cuban Five" als von den "Miami Five" zu sprechen.
Obwohl wir noch einige Fragen hatten, war auch diese Veranstaltung damit beendet. Der arme Len war bisher in Begleitung seiner Ehefrau von einer Veranstaltung zur nächsten gehetzt und hatte noch nichts von Berlin gesehen. Er wollte eigentlich zumindest den Reichstag besichtigen. Daher sprach der Botschaftssekretär, Jesús Siérra, ein Machtwort und beendete das Treffen.

19:00 Auditorium Maximum der Humboldt-Universität: Schon vor dem Eingang des Gebäudes hatten sich zwei junge Männer mit der Kamera des kubanischen Fernsehens aufgebaut. Sie folgten uns später in den Hörsaal. Vor den Türen der Aula waren etliche Informations- und Verkaufstische der Solidaritätsgruppen aufgebaut. Auf denen stapelten sich u.a die bereits oben genannten Informationsschriften und die CD mit Antonios vertonten Gedichten. Leider hatte sich kurz vor den jetzigen Veranstaltungen herausgestellt, dass sein Gedichtband, "Desde mi altura" schon vergriffen war. Es gab dort natürlich eine Sammelbüchse für die Fünf. Die Aula füllte sich mehr und mehr. Bald waren die vordersten Reihen besetzt. Als Leonard Weinglass eintraf, hatte sich der Raum so weit gefüllt, dass sich die Nachzügler zu beiden Seiten nur noch auf die hintersten Reihen verteilen konnten. Leider waren jedoch nicht alle Plätze besetzt, und auch von der deutschen Mainstream-Presse schien niemand anwesend zu sein.

Das Podium (2)
Links von Weinglass nahm die junge Dolmetscherin Katrin Hadeler auf dem Podium Platz, die bereits während der Pressekonferenz übersetzt hatte, rechts von ihm die stellvertretende Vorsitzende des Netzwerkes und Moderatorin des Abends, Kristine Karch, daneben wiederum V. Grundmann als Vertreterin des Komitees. Vor V. Grundmann stand noch eine weitere hohe Sammelbüchse für die Fünf, die später zum Einsatz kommen sollte.
Leonard hatte sein Referat wieder vorzüglich aufgebaut. Diesmal sprach er vor allem für die unter uns, denen der Fall völlig neu war. Wie jedes Mal sprach er ruhig, langsam und deutlich.
Er begann mit den Worten, dass er einen der "Fünf" verteidige, "die ihr Leben dem Antiterrorismus gewidmet haben" ... "die freiwillig und unbewaffnet" in den Landesteil der USA kamen, der von den Exilkubanern beherrscht werde. ... Sein Klient sei ein Dichter. ... Man könne diesen Fall nur in seinem Kontext verstehen. Er hob den konstanten Druck hervor, dem Kuba über 40 Jahre lang durch das "US-Embargo" ausgesetzt ist, besonders aber seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und den sich nach 1990 häufenden Terroranschlägen. ... Innerhalb einer Gemeinde von 650.000 Exilkubaner beherrschten deren reichste und einflussreichste Mitglieder von Miami aus das Geschehen - seit dem Anschlag auf die Schweinebucht 1962 militärisch ausgerüstet und ausgebildet durch die CIA. Er nannte sie "mercenary groups [Söldnergruppen]" mit Ausbildungslagern und einer "air force", eigenen Flugzeugen und Flugplätzen. Über 3000 Menschen seien ihren Anschlägen zum Opfer gefallen. Die rechtsradikalen exilkubanischen Gruppen seien ein klassisches Beispiel für Terrorismus, d.h., "Gewaltausübung zwecks politischer Machtgewinnung." Wieder erwähnte er den Bombenanschlag auf ein Zivilflugzeug der Cubana Airlines von 1976, dem 73 Menschen zum Opfer fielen, unter ihnen die gesamte olympische kubanische Fechtmannschaft. Der Initiator dieses und anderer Anschläge, Orlando Bosch, führe heute seinen Hund völlig frei auf der Hauptstraße Miamis spazieren. Er sei zwar wegen des Anschlages in Venezuela inhaftiert gewesen, von dort aber unter dubiosen Umständen freigekommen und habe dann sein Aufenthaltsrecht in Miami beantragt. Sein Antrag stieß bei den US-Behörden zunächst auf Ablehnung, schließlich wolle man keinen Terroristen beherbergen. Doch sein Anwalt sei mit Jeb Bush, dem Sohn des damaligen Präsidenten, George Bush, befreundet gewesen. Jeb aber wollte gerne Gouverneur von Florida werden. Er erwirkte bei seinem Vater für Orlando Bosch das Aufenthaltsrecht und wurde 1998 tatsächlich Gouverneur von Florida. Sein Freund, der Anwalt von Orlando Bosch, hingegen stieg zum Mitglied des Bundesgerichtes auf. "Dieser Jurist ist der Neffe des durch die kubanische Revolution gestürzten Diktators, Fulgencio Batista.", schloss Weinglass, um uns allen das politische Klima in Miami zu verdeutlichen.

Ein Blick ins Publikum (2)
Er berichtete von den Anschlägen auf kubanische Touristenzentren, von dem jungen Italiener [Fabio di Celmo], der dabei ums Leben kam, alles das geschehe um der kubanischen Wirtschaft zu schaden und um das Regime zu stürzen. Kuba habe seine Proteste sowohl an das Weiße Haus als auch an den Sicherheitsrat geschickt - ohne Erfolg.
Er erinnerte an Bushs Worte vor dem Angriff auf Afghanistan: Ein Land, das Terroristen beherberge, müsse damit rechnen, selber angegriffen zu werden.
Kuba habe 1998 dem FBI 4 Bände mit Beweismaterial, d.h. Fotos, Videos, Angaben der Namen und Standorte gegeben und habe eine Kopie davon an die New York Times geschickt.
Anstatt die Verfolgung der Straftäter aufzunehmen, habe man wenige Monate später [am 12. 09.] die fünf Informanten verhaftet...
Nach seiner Verurteilung sei sein Klient Antonio im Gefängnis mit zwölf exilkubanischen Straftätern zusammengebracht worden. Die Behörden hätten wohl gehofft, deren Aggressionen gegen einen loyalen Kubaner würden ihn zermürben. Das Gegenteil sei der Fall gewesen. Sie hätten nicht umhin gekonnt, seine moralische Integrität zu respektieren. Heute unterrichte Antonio in diesem Gefängnis z.B. Mathematik [zumindest zwischenzeitlich auch noch "Basic-English" und Physik, wie uns Antonio bereits Ende 2002 geschrieben hatte].
Auch hier erinnerte Weinglass an die gegen jedes Recht verstoßende Isolationshaft der Fünf, die nur nach einem Monat beendet worden sei, weil die internationalen Solidaritätsgruppen heftig protestierten [und auch Amnesty International]...
Bevor Kristine die Gelegenheit für Fragen aus dem Publikum ankündigte, stellte V. Grundmann mit knappen Worten die Aufgabe von ˇBasta ya! dar. Sie sagte u.a., dass wir ein Solidaritätskomitee von über 200 auf der ganzen Welt seien und bat um Spenden für unsere Sammelbüchse.

Len und die Übersetzerin Katrin Hadeler (2)
Leonard Weinglass antwortete, während die Sammelbüchse umging, geduldig und ausführlich auf die Fragen aus dem Publikum. Er nahm sie zum Anlass, auch über die Fragen hinaus noch weitere Informationen zu geben.
Eine Frage schien er allerdings nicht richtig verstanden zu haben. Sie galt eigentlich dem Status der Gefangenen, nachdem ihnen ein Wiederaufnahmeverfahren gestattet worden sei: Inwieweit könnte das ihre Haftbedingungen erleichtern, denn Untersuchungsgefangene werden üblicherweise anders behandelt als bereits rechtskräftig verurteilte. [Dirk und ich dachten dabei daran, dass die Fünf z.B. wieder gemeinsam in einem Gefängnis untergebracht würden, z.B. auf dem Gefängnishof wieder miteinander sprechen könnten, Besuchserleichterungen bekämen etc...]
Leonard verstand offensichtlich nur das Stichwort "Haftbedingungen" und sagte, "Oh, beinahe hätte ich etwas sehr Wichtiges vergessen zu erwähnen". Zwei der Gefangenen, nämlich Gerardo und René sei es nicht erlaubt, den Besuch ihrer Ehefrauen zu empfangen. ...
Immerhin war dies eine wichtige Information für alle, die den Fall noch nicht kannten.
Und damit endete auch diese Veranstaltung unter Applaus.
Eine Dame aus dem Publikum ging ans Podium und überreichte Leonard einen Blumenstrauß mit den Worten, sie möchte sich bei ihm als "Mensch, Mutter und Großmutter" bedanken. Len freute sich sichtlich. Auch ihr wurde applaudiert.
V. Grundmann bedankte sich im Namen des Komitees und sagte, nachdem er leider keine Zeit gehabt hätte zu sehen, wie schön Berlin im Frühling sein könne, möchten wir ihm als kleine Entschädigung den Bildband, "Berlin im Frühling" schenken. Sie überreichte ihn unter unserem heftigen Applaus.

Die Verfasserin weiß nicht, wie viel Geld in der Büchse war, die sie im Saal herumreichte, aber nach den vielen Scheinen und Münzen zu urteilen, mögen es um die 150 € gewesen sein.

Spätestens auf der nächsten Komiteesitzung wird sich herausstellen, ob wir der Sache auch finanziell weiter gewachsen sind.

Die Bilanz aus den Ereignissen fällt schon insofern positiv aus, weil wir mehr Menschen als bisher über den Fall informieren konnten, wir neue Komiteemitglieder gewonnen haben und sich einige Vertreter der Mainstream-Presse für unsere Cuban Five interessieren konnten, die früher oder später vielleicht doch noch darüber berichten werden. In jedem Fall ist uns allen klarer geworden als bisher, dass wir einen langen Atem brauchen.

An dieser Stelle möchte ich allen danken, die dieses Ereignis möglich gemacht und bereits darüber berichtet haben.

Josie Michel-Brüning, ˇBasta Ya!

(1) Fotos: Detlef Deymann

(2) Fotos: Rainer Schultz

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