Leserbrief zu "Castros geduldige Kinder" in "DIE ZEIT" Nr.31, vom 24.07.03

An die Verantwortlichen der
Redaktion Feuilleton
Herrn Jens Jessen und
den Autor Herrn Bernd Lentz
E.Mail: DieZeit@zeit.de

Sehr geehrte Herren Jessen und Lentz,

wir hatten gehofft, dass sich die Zeit diesmal angesichts der drohenden Kriegsgefahr für Kuba aus der zurzeit laufenden Diffamierungskampagne, die gegenüber der Welt einen kriegerischen Angriff auf Kuba moralisch rechtfertigen soll, heraushalten würde.

Zu dem Vorwurf der Paranoia bzw. Panikmache seitens der kubanischen Regierung vorweg nur einige Zahlen der UNESCO: Bis 1999 hatte die kubanische Bevölkerung 3.478 Todesopfer und 2.099 Invalide aufgrund von Terroranschlägen der von der CIA ausgebildeten und finanzierten exilkubanischen Mafia zu beklagen. Auf Fidel Castro allein wurden über 600 Mordanschläge verübt, zuletzt plante Luis Posada Carriles, ihn auf dem Ibero-Amerikanischen Gipfel in Panama 2000 innerhalb einer Aula der Universität, die mit Studenten angefüllt war, umzubringen.

Es kann auch den Zeit-Redakteuren nicht entgangen sein, dass George W. Bush seinen Wahlsieg den Exilkubanern in Florida verdankt, da, wo sein Bruder Jeb Gouverneur ist. Wer wirklich wissen möchte, ob für Kuba aktuelle Kriegsgefahr besteht oder nicht, der braucht sich nur seine "Schwarze Liste der ‚Schurkenstaaten’" anzusehen, seine fadenscheinige Begründung für den Angriffskrieg auf den Irak, seine Reden zu lesen, z.B. die, die er anlässlich der Jahrestage der "Befreiung" Kubas von seinen spanischen Kolonialherren, jeweils am 20. Mai, gehalten hat oder einfach nur "The Miami Herald" oder "Sun-Sentinel":

Lt. Bericht vom 27.02.03 forderten die in Florida maßgeblichen Exil-Kubanern den gewaltsamen Sturz Fidel-Castros noch vor dem Sturz von Sadam Hussein, und lt. Bericht vom 30.03.03 forderten sie während ihrer Demonstration in der "Calle ocho"am 29.3. für den Irak-Krieg Bush auf, als nächstes Kuba anzugreifen.

Am 6.04.03 berichtete "Sun-Sentinel", aus Florida dass die exilkubanische Organisation, "Commando F-4" offen einen schwerbewaffneten Angriff auf Kuba plane.

Sie zitieren zwar den Titel und Untertitel des Buches "Los Dissidentes", lassen aber seinen Inhalt unberücksichtigt. Dabei könnte es viele kubanische Menschenleben, aber auch das US-amerikanischer Soldaten retten, wenn die Weltöffentlichkeit erführe, wie viel US-Steuergelder bereits in Kriegsvorbereitungen fließen. Stattdessen bedauern Sie zusammen mit der US-Interessenvertretung, dass jemand wie Elizardo Sanchez innerhalb Kubas nicht bekannter ist. Wer Elizardo Sanchez ist, das können die Kubaner in "Di$identes o Mercenarios" und wir Deutschen in "Originalton Miami, Die USA, Kuba und die Menschenrechte" von Hernando Calvo Ospina (kolumbianischer Journalist) und Katlijn Declerq (belgische Journalistin), 2001 im Papyrossa-Verlag erschienen, auf Seite 131 ff. nachlesen. Und wenn man sich die Mühe gemacht hätte zu rechercherieren, wie der Physiklehrer, Osvaldo Payá, zu seinem Sacharov-Preis vom Europa-Parlament kam, nämlich auf Betreiben von José Aznár, dessen Wahlkampf zur Hälfte von den Exilkubanern finanziert wurde, dass Payá nach Erhalt des Preises nach Florida fuhr, um sich dort mit den Exilkubanern zu "versöhnlichen Gesprächern" zu treffen, um dann unbehelligt nach Kuba zurück zu kehren, dann hätte man sein "Dissidententum" vielleicht in einem anderen Licht betrachtet.

Wohl die allermeisten Kubafreunde waren buchstäblich zu Tode erschrocken, als sie von den vollstreckten Todesurteilen an 3 von 11 Fährenentführern lasen, von denen auch Sie berichten, ..."drei junge Männer", wie Sie sie verharmlosend nennen: "Sie hatten kurz zuvor eine Fähre entführt und dabei Geiseln genommen. Sie wollten nach Miami, wurden aber im Hafen von Havanna überwältigt. Wenige Stunden nach einem Eilverfahren richtete man sie hin." Sie sagen nicht, dass die Fähre nicht hochseetauglich war, dass sie die Frauen, Kinder und Touristen in Lebensgefahr brachten, bis zuletzt mit Waffengewalt bedrohten, diese nur gerettet werden konnten, weil eine beherzte französische Touristin einfach ins Wasser sprang und dadurch Verwirrung auslöste..., dass diese drei ‚jungen Männer’ gesuchte Kriminelle waren, die der Strafverfolgung entgehen wollten (Immerhin konnten sie vorher in der Zeitung lesen, dass die voran gegangene Flugzeugentführung für deren Täter glimpflich ausgegangen war, denn sie wurden zunächst in Miami gegen Kaution freigelassen.), einer von ihnen ein gesuchter Mörder, dass sie nicht "wenige Stunden" später hingerichtet wurden, sondern nach drei Tagen, in denen die kubanische Nationalversammlung zusammentrat und mehrheitlich beschloss, das Moratorium bezügl. der Anwendung der Todesstrafe aufzuheben, und Sie sagen nicht, obwohl Sie es wissen könnten, wenn Sie es wollten, dass Fidel Castro sich innerhalb dieser Nationalversammlung gemeinsam mit Vertretern der Kirche gegen die Vollstreckung der Todesurteile ausgesprochen hatte, s. Interview mit Jaime Crombet, Vizepräsident der kubanischen Nationalversammlung vom 1. Juni 2003 in "Neues Deutschland".

Sie sagen aber sehr richtig: "Ein souveräner Staat hat jedes Recht, ihm (James Cason) diese Provokationen ("Dissidenten" aus Staatsgeldern seines Heimatlandes zur Subversion zu ermuntern) zu verbieten. Haben Sie die internationalen Pressekonferenzen am 9. und 18.4. 03 nicht gelesen, in der der kubanische Außenminister Felipe Pérez Roque Videoaufnahmen der Gerichtsverhandlungen zeigte und Quittungsbelege für die US-Bestechungsgelder vorlegte? (Beide Pressekonferenzen finden Sie z.B. unter www.cuba-si.org. Sie hätten Sie auch in Kuba als Broschüre kaufen können.)

Das ist in den Augen der kubanischen Regierung Hochverrat, s. die o. g. Zahlen der UNESCO.

Aber Sie scheinen, jedenfalls im Ansatz, begriffen zu haben, was geschehen wäre, wenn Kuba James Cason des Landes verwiesen hätte. Es hätte den USA einen Interventionsanlass geboten, der sich nicht nur darauf beschränkt haben könnte, dass kubanische Diplomaten ihrer "Lobbyarbeit" für Kuba innerhalb der USA nicht mehr hätten nachgehen können. Die Vertretung kubanischer Interessen innerhalb der USA, das, was Sie zynisch "Lobbyarbeit" nennen, ist lebensgefährlich. Als der jetzige Präsident der Nationalversammlung, Ricardo Alarcon, damit beauftragt war, wurde ein Mordanschlag auf ihn verübt. Felix Garcia Rodriguez, kubanischer Diplomat in den Vereinten Nationen, wurde am 11.9.1981 von Anti-Kuba-Terroristen ermordet.

Was kümmert es Journalisten wie Sie, ob und wie verzweifelt Kuba, angesichts der Handelsblockade seitens der USA, die Kuba 72 Milliarden Dollar gekostet hat und dem Verlust des Handelspartners Sowjetunion mit friedlichen Mitteln um sein Überleben kämpft, ohne seine Errungenschaften aufgeben zu müssen, die selbst der Präsident der Weltbank, James D. Wolfensohn anerkennen musste, s. Ihr Artikel vom 29.11.2001, Nr. 49 "Die Kreuzritter des Westens" von Thomas Assheuer).

Zur "Lobbyarbeit" kubanischer Diplomaten in den USA gehört auch die Wahrnehmung eines international verbrieften Rechts, nämlich die konsularische Betreuung von kubanischen Gefangenen in den USA. Warum nur beteiligt sich auch "Die Zeit" am Schweigekomplott der Massenmedien über den Fall der fünf kubanischen politischen Gefangenen in den USA, die nach einem nachweislich unfairen Schauprozess in Miami-Dade zu 15 Jahren bis zu zweimal lebenslänglich + 15 Jahren Haft verurteilt wurden, weil sie unter Einsatz ihres Lebens exilkubanische Terrororganisationen unterwanderten, um nicht nur die Kubaner vor weiteren Terroranschlägen zu schützen? (Weiter Informationen, s. www.miami5.de , www.freethefive.org , www. antiterroristas.org ) Sie wurden am 12.09.1998 als "Spione" verhaftet, nachdem die kubanische Regierung ihre gesammelten Ermittlungen im Juni 1998 dem FBI übergeben hatte.

"Die gemeinsten Lügen werden oft durch Stillschweigen verbreitet." sagte schon Robert Louis Stevenson, und ich möchte hinzufügen "durch geschickt zusammengestellte Einzelinformationen, die vorher aus ihrem eigentlichen Kontext isoliert wurden." Aber häufig behindern auch Vorurteile die Sicht und die Einzelinformationen werden zwar gesammelt, aber so aneinandergefügt, dass sie nur wieder die eigene Sicht bestätigen können.

Wir wissen nicht, mit welchen zwielichtigen Gestalten Sie sich in Kuba getroffen haben, die angeblich ihre Bücher stehlen müssen. Gerade Bücher sind in Kuba spottbillig zu haben. Mein Mann und ich waren noch im Januar/Februar in Kuba u.a. auch auf Buchmessen und haben dort lauter fröhliche, wissbegierige und lesewütige Menschen getroffen, die stapelweise Bücher kauften.

Und wir wissen auch nicht, warum auch Sie die kubanische Revolution und vor allem sein jetziges System auf die Person Fidel Castros reduzieren, genau wie es die Exilkubaner und die Bush-Administration zu tun belieben. In Kuba gibt es dank seiner permanenten Bildungs- und Aufklärungsarbeit über 700.000 Intelektuelle mit Hochschulabluss. In seiner Regierungsvertretung gibt es herausragende Männer, wie Ricardo Alarcon, Carlos Lage, Felipe Perez Roque..., Fidel Castro hat seinen Abgang sehr gut vorbereitet, und er kann es sich im Gegensatz zu George W. Bush nicht leisten, "sein Volk" zu belügen. Inzwischen ist eine aufgeklärte, tatkräftige Generation nachgewachsen, die nicht wieder in die Verhältnisse der Kolonialzeit zurückfallen möchte und auch nicht in die Freihandelszone des restlichen Lateinamerikas oder Afrikas eingemeindet werden möchte, dessen Hunger und Elend sie kennt, denn sie leisten dort mehr Entwicklungsarbeit als die reichen Länder, durch die Entsendung seiner gut ausgebildeten Menschen. Bitte informieren Sie sich, bevor sie wieder über Kuba berichten.

William Blum schrieb in seiner "kurzen Interventionsliste der USA" in die Angelegenheiten anderer Länder anlässlich des 11. Septembers zu Kuba:

The saddest part of this is that the world will never know what kind of society Cuba could have produced if left alone, if not constantly under the gun and the threat of invasion, if allowed to relax its control at home. The idealism, the vision, the talent, the internationalism were all there. But we'll never know. And that of course was the idea.

http://www.blythe.org/nytransfer-subs/2001-Caribbean-Vol-4/Blum:_Brief_History_of_US_Interventions

oder auf Deutsch:

Das Traurigste an dieser Geschichte ist, dass die Welt nie erfahren wird, welche Gesellschaft Kuba hätte hervorbringen können, wenn es sich selbst überlassen worden wäre, wenn es nicht dauernd unter Beschuss und unter der Bedrohung durch eine Invasion gestanden hätte, wenn es ihm erlaubt gewesen wäre, sich zu entspannen und in seinen Kontrollmechanismen nachzulassen.
Der Idealismus, die Vision, das Talent, der Internationalismus, das alles war da. Aber wir werden es nie erfahren. Und das war ja auch der Sinn der Sache.

http://www.cuba-si.org/archiv/usa/usa-011022.htm

Mit freundlichen Grüßen

Josie Michel-Brüning und Dirk Brüning

P.S.: Wenn Sie kubanischen Quellen aufgrund tradierter Vorurteile im Interesse jeweiliger US-Regierungen bezüglich der Rolle Fidel Castros innerhalb Kubas nicht glauben können, dann lesen Sie doch bitte das Buch des kanadischen Journalisten und Autors, Arnold August, "Democracy in Cuba and the 1997-98 Elections", der an diesen Wahlen als ausländischer Beobachter teilnehmen durfte (ISBN - 0-9685084-0-5, ebd. "Chapter 6, The first Phase of the 1997-98 Elections/ 253 ff." und "Chapter 7. The second Phase of the 1998-98 Elections/ 299 ff").

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