19. November 2000
Die Sitzung beginnt um 8:45 Uhr mit einer Diskussion über die Zeugenaussagen in Kuba. Die Verteidigung hat darum gebeten, doch die Staatsanwälte leisten dagegen Widerstand, und die Richterin ersucht jede Partei darum, dem Gericht ihre Argumente schriftlich einzureichen. Die vierte Gruppe der möglichen Juroren trifft um 9:30 Uhr ein.
Diesmal sind es 29.
Eine/r möchte nichts mit der Polizei zu tun haben.
Ein/e andere/r wurde von einem Polizisten angegriffen, und die anderen versuchten, es zu verheimlichen.
Eine/r möchte nichts mit der Regierung zu tun haben: "Die Vereinigten Staaten, sie unterstützen die Palästinenser und Kuba, weil Castro mit Sadam Hussein im Golfkrieg verbündet war." Eine tödliche Kombination von Ignoranz und Islamphobie.
Eine/r kennt Marlene Alejandre, die Ehefrau von einem der am 24. Februar 1996 Abgeschossenen.
Eine/r kennt José Basulto.
Das fünfte Gremium kommt am Nachmittag. Jetzt betrifft es mich, da eine ehemalige Mitarbeiterin der "Democracy Movement" [Demokratiebewegung] zu der Gruppe gehört. Sehr diskret bittet sie um eine "Parallelbesprechung" und erläutert der Richterin den Konflikt und lässt sie danach gehen. Die Sitzung wird heute ohne die Fertigstellung des Ausfüllens der persönlichen Fragebögen beendet und soll am nächsten Tag fortgeführt werden.
30. November 2000
Die Arbeit mit der Gruppe vom Vorabend wird um 9:15 Uhr wieder aufgenommen, 9 von ihnen werden für den Jurorendienst entschuldigt.
Nachdem die vorangehenden Befragungen einmal erledigt sind, sind die Sitze auf der gegenüberliegenden Seite für die potentiellen Juroren leer, und darauf folgt ein lächerliches Szenario: Die Staatsanwälte kommen den Familien der "Brothers to the Rescue"-Piloten unterwürfig entgegen und bieten ihnen die Plätze in der ersten Reihe in der Nähe der Regierungsbeamten an. Paul McKenna begegnet meinem Bruder und Antonios Mutter mit der selben Geste, doch die Staatsanwälte springen wie von der Tarantel gestochen auf, um das zu verhindern. Paul protestiert: Den jeweiligen Verwandten beider Parteien wird ein Raum innerhalb des Saales zugewiesen.
Es hat etwas Beschämendes, und nach weiteren Diskussionen teilt die Richterin die erste Reihe der Regierung und den öffentlichen Beamten im Allgemeinen zu. Die zweite Reihe wird für die Verwandten der abgeschossenen Piloten und in der dritten Reihe werden zwei Plätze für meinen Bruder Roberto und Mirta, die Mutter von Tony, reserviert.
Es beginnt die zweite Phase. Jedes Jury-Mitglied kommt zu einer persönlichen Befragung allein in den Raum.
Es bleibt unerwähnt, dass niemand Sympathie für Kuba hat. Zwei von ihnen erklären sich als neutral. Ein Mann weist Zeichen von überdurchschnittlicher Intelligenz auf: Der Prozess sei ein Zirkus, und hätte es vor eine Weile nicht die hysterischen Kubaner in Miami gegeben, wären die Angeklagten in ein Flugzeug nach Kuba gesetzt worden. "Es hat andere Fälle von Spionen in den Vereinigten Staaten mit nicht so viel Theater gegeben." Der Typ wird vom Dienst in der Jury befreit, und wir verlieren die Möglichkeit, dass jemand mit Hirn und Courage - einer übernatürlichen Kombination, wie wir später herausfinden müssen - in der Jury landet.
Die Staatsanwälte revoltieren, sie sagen, dass die Richterin den Besen zu tief ansetze [bzw. zu gründlich aussiebe, Anm. d. Ü,]. Ihre These lautet, dass, nur weil einer uns ein Bisschen hasse, bedeute das nicht, er werde voreingenommen sein. Sie sind unersättlich, und es reicht ihnen nicht, dass es niemanden gibt, der Sympathie für uns hätte. Sie müssen die endgültige Gruppe mit Leuten füllen, die unseren Kopf fordern, daher müssen wir alle entscheidenden Chancen ausschöpfen und haben immer noch keinen einzigen Geschworenen, der Spuren von Neutralität aufwiese.
Die Richterin ergibt sich den Forderungen der Staatsanwälte. Sie wird gegenüber Leuten, die ihre Vorurteile zugeben, nicht so fordernd sein. Die Schrauben sind gegen uns eine weitere Umdrehung fester angezogen worden und damit unsere letzte Hoffnung auf einen fairen Prozess.
Jetzt beginnt die Richterin, diejenigen einzulassen, die ernste Vorurteile gegen uns hegen, und die entscheidenden Chancen, zu denen wir berechtigt sind, verdampfen eine nach der anderen. Eine junge Frau gibt offen ihre kubanische Herkunft und ihre Vorurteile gegen die Angeklagten zu, aber die Richterin lädt sie ein, wiederholt ihre Fragen, nötigt und drängt sie. Gerardo bringt das auf die Idee zu folgendem Cartoon:
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Aber trotz alledem können Sie unparteiisch sein, nicht wahr?
Ja...ja...ja
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Am Ende wird die Frau - Ileana Briganti - zugelassen, und eine weitere entscheidende Chance geht mit ihr.
1. Dezember 2000
Ein schön kurzer Tag, weil die Richterin nur 24 Leute prüft, von denen uns acht bereits für schuldig halten, also sind sie entschuldigt, trotz des Murrens der Staatsanwaltschaft, für die es nicht genug sind, die die Richterin ausgesiebt hat. Der letzte Kandidat hatte keinerlei Beziehung zu Kuba, aber das Problem, dass er für den Landkreis arbeitete, in dem der Tag zu Ehren von Orlando Bosch begangen wird, oder Nasário Sargén erscheint und sammelt das Geld für Kubas Freiheit ein.
Also fürchtet David Cuevas, kurz gesagt, um seine Arbeit beim Landkreis, falls das Urteil "nicht schuldig" lauten sollte. Das Problem ist, dass er nicht weiß, wie er das ausdrücken soll. (Wer weiß, ob er seinen Job nicht noch schneller verliert, wenn er das sagt). Der Ausweg aus diesem Problem für den armen Mann ist, überhaupt keine Frage mehr zu verstehen. Die Richterin drängt, damit er wenigstens etwas versteht, aber der Kerl gibt nicht auf. Manchmal ist er weit weg, und es scheint, als ob er begreift, aber dieses Verhalten ist nur das Vorspiel, bevor er fragt, ob die Richterin die Frage wiederholen könne.
Langsam, akribisch zeichnet sich Cuevas’ Konflikt ab. In Schlummer gefallen hören wir, dass die Richterin das Bekenntnis heraus holt, dass er um seine Sicherheit fürchtet, aber er muss immer noch sagen wie, wo, warum und wann. Die Richterin findet die richtigen Fragen:
- Fürchten Sie sich vor dem Urteil "schuldig"?
- Nein.
- Fürchten Sie sich vor den Konsequenzen eines Urteils "nicht schuldig"?
- Ja.
Und Mr. Cuevas verlässt erleichtert den Raum, weil er nicht in die Jury muss. Da Freitag ist, haben wir für den Rest des Wochenendes frei.
3. Dezember 2000
Sonntag. Das Gerichtsgebäude ist geschlossen, aber die Mühlen der "Gerechtigkeit" mahlen weiter im Propagandaministerium der Staatsanwaltschaft.
El Nuevo Herald schlägt aus der Feder von Rui Ferreira Alarm. "Cubano-Amerikaner könnten aus der Jury ausgeschlossen werden," alarmiert er die Leser. Kurz gesagt: Ihr Kerle seid zu ehrlich, wenn ihr zugebt, dass ihr nicht unparteiisch sein könnt. Schmeißt den Motor an und vergesst die Skrupel.
Der restliche Tag verläuft normal, während wir warten was nach dem Aufruf des offiziellen Sprachrohrs der Staatsanwaltschaft von Miami passieren könnte.
Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db)
Quelle: Blog von René González