Interview mit Leonard Weinglass, dem Anwalt von Gerardo Hernández

Von Gloria La Riva
15. Juni 2010
Exclusiv für freethefive.org

Gestern wurde bekannt gegeben, dass ein Antrag nach dem "Habeas-Corpus-Act" für Gerardo Hernández eingereicht wurde. Was ist ein "Habeas-Corpus-Antrag" und warum ist er auch unter der Bezeichnung "collateral" bekannt?

Wenn es ein Urteil gegeben hat, hat man das Recht, vor dem Bezirksberufungsgericht Berufung einzulegen, was wir getan haben, und bis hinauf zum Suoreme Court, was wir auch getan haben. Das ist die direkte Berufung. Wenn dieser Prozess wie im Fall von Gerardo Hernández beendet ist, hat man das Recht, einen "collateral appeal" oder einen "collateral attack" einzureichen, was eine sehr begrenzte Form darstellt, und früher als "federal habeas corpus" bezeichnet wurde. Jetzt ist es "Sektion 2255", in der man sich auf Verfassungsverstöße während des Verfahrens beruft, die nicht vorher in der Berufung überprüft wurden. An dem Punkt befinden wir uns jetzt.
Wir haben unseren Antrag, in dem wir auf solche Verfassungsverstöße hinweisen, die nicht Teil der vorherigen Berufung waren, am 14. Juni gestellt.

Warum ist dies die letzte Berufung für Gerardo? Gilt ein "Habeas Corpus" nicht unbegrenzt und ohne Beschränkung?

Es gibt definitiv eine Zeitbegrenzung beim "Habeas Corpus". Man muss den Antrag innerhalb eines Jahres nach der letzten Verhandlung des Rechtsstreits einreichen. In Gerardos Fall war das als der Supreme Court unseren Antrag auf Überprüfung am 15. Juni 2009 abgelehnt hat. Deshalb hatten wir ein Jahr bis zum 14. Juni 2010, um den "collateral attack" oder "Habeas Corpus" einzureichen. Wenn es passieren sollte, dass noch nach diesem Abgabetermin neue Beweise auftauchen, die vorher nicht zur Verfügung standen, kann man trotzdem in sehr beschränktem Rahmen wieder vor Gericht gehen und auf tatsächliche Unschuld klagen, was wir ebenfalls in den eingereichten Unterlagen verlangen.
Aber jeder Beweis für tatsächliche Unschuld, würde uns zurück vor Gericht bringen, obwohl es eine Zeitbegrenzung für den Antrag gibt.

Warum gibt es die Beschränkung von einem Jahr?

Sie wurde vom Kongress beschlossen [1996 von Präsident Clinton unterzeichnet]. Vorher gab es keine Zeitbeschränkung, aber mit der Reform von 1996 wurde sie eingeführt. Viele halten das für ungerecht, weil es häufig in zahlreichen Fällen vorkommt, dass Beweise nach über einem Jahr auftauchen, die Teil des "Habeas Corpus" sein sollten. Jetzt wird ein Angeklagter daran gehindert - es sei denn, er oder sie kann zurück vor Gericht gehen und es vom Recht, neue Beweise aus Gründen der tatsächlichen Unschuld zu erörtern, überzeugen.

Bei welchem Gericht wurde Gerardos Antrag gestellt, und was sind die nächsten Schritte, wenn er abgelehnt wird?

Der Antrag wurde beim Bezirksgericht Miami, dem Bezirk für das südliche Florida, gestellt. Es ist das selbe Gericht, vor dem das [ursprüngliche] Verfahren stattfand. Und normalerweise geht es zurück an den selben Richter. Allerdings ist es in Miami - wie bei zahlreichen anderen Bezirken - üblich, dass der vorsitzende Richter es häufig an den Magistrat weiterreicht, und der Magistrat prüft vorher die Unterlagen und hält, wenn nötig, eine Anhörung.
In gewissen Fällen, die sehr komplex sind, kann der Bezirksrichter den Fall festhalten und eine Anhörung vor ihr oder ihm selbst abhalten. Wir wissen nicht, ob Richterin Lenard, die Richterin beim [ursprünglichen] Verfahren war, den Fall für sich selbst festhält oder ob sie ihn an den Magistrat weiterreicht.

Wenn der Magistrat oder die Richterin glauben, der Fall sei es wert, was passiert dann?

Wenn einer glaubt, er sei es wert, wird ein Gutachten erstellt. Und in diesem Gutachten entscheidet das Gericht, welches Rechtsmittel angewandt wird. Das Rechtsmittel, das wir anstreben, ist natürlich ein neues Verfahren für Gerardo. Dann hat man den normalen Instanzenweg. Nachdem das Gericht eine Entscheidung getroffen hat, kann man vor das 11. Berufungsgericht gehen, und das wird den Fall überprüfen. Und wenn man dort verliert, kann man erneut beim US Supreme Court eine Überprüfung beantragen.

Einer der Punkte der Berufung ist der von Journalisten, die ohne Wissen der Verteidigung bezahlt wurden, angeblich unabhängige Journalisten, die aber Geld von Radio und TV-Martí erhielten.

Das ist ein klassischer Fall von neu entdeckten Beweisen von verfassungsmäßigen Ausmaßen. Das Verfahren fand in den Jahren 2000 und 2001 statt. Niemand wusste damals, dass diese Journalisten von der Regierung bezahlt wurden. Aber 2006 wurde aufgedeckt, dass einige der Journalisten über Radio und TV-Martí auf der Gehaltsliste der Bundesregierung standen. Da das bis 2006 nicht aufgedeckt wurde, handelt es sich um neu entdeckte Beweise. Da dies ein Beweis für die Manipulation der Vorurteile durch die Regierung ist, hat es verfassungsmäßige Ausmaße.
Und es ist eine Verletzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Also zitieren wir in unseren Unterlagen die Enthüllungen von 2006 (1) und all' die ausgezeichnete Arbeit, die das National Committee geleistet hat, um diesen Enthüllungen Substanz zu geben, und nach dem "Freedom of Information Act" [Gesetz zur Freiheit der Information] weitere Informationen zu bekommen, mit denen in Zukunft die Klage gestützt wird.
Es gibt noch mehr Informationen, als der Rechtsstreit unter dem "Freedom of Information Act" bietet, es müssen mehr und mehr Informationen über diese Journalisten gesammelt werden, ihre Zustimmung zu Verträgen, was sie taten und unter wessen Oberhoheit.
Wir erwarten, dass der Fall mindestens für sechs Monate beim Bezirksgericht verbleibt, vielleicht noch länger. Wenn wir also neue Informationen bekommen, können sie ergänzt werden.

Sie haben eine lange Geschichte der Verteidigung von Leuten, die wegen ihres Eintritts für soziale Gerechtigkeit strafverfolgt wurden. Wie sehen Sie den Fall der Cuban Five im Kontext Ihrer Verteidigung von politischen Gefangenen?

Dieser Fall ist den Fällen innerhalb dieses Rahmens sehr ähnlich. Wenn die Staatsanwaltschaft erst einmal ein politisches Interesse an deren Ausgang hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die unternommenen Schritte unangemessen waren und dass Maßnahmen ergriffen wurden, die zurzeit der Verhandlung nicht bekannt waren oder erst später bekannt wurden. Dieser Fall fällt in die Kategorie der politischen Prozesse, bei denen die Regierung ein politisches Interesse an dessen Ausgang hat.
Wir sind dabei, zusätzliche Informationen zu finden, die die Regierung zurück gehalten hat, die sie nicht lieferte, die sie bisher dazu nutzte, diesen Prozess zu manipulieren, um eine Verurteilung zu erreichen. Wie schon bei vergangenen Fällen, so wird dies ein Offenbarungsprozess werden, in dem wir Dinge finden werden, die zurzeit der Verhandlung nicht bekannt waren und die erst später durch zusätzliches nachbohren und prozessieren bekannt wurden.

Welche Anwälte sind an den Berufungsanträgen beteiligt?

Die meisten Anwälte sind geblieben, und andere sind dazu gekommen.
Dies ist ein typischer Verlauf. Häufig braucht man, wie im Fall von Tom Goldstein, das Sondergutachten eines Anwaltes, der für eine bestimmte Gerichtsbarkeit arbeitet. Goldstein ist ein Experte im Rechtsstreit am US Supreme Court. Er gibt sowohl an der Harvard- wie auch der Stanford-Universität Seminare für Rechtsstreite am Obersten US-Gerichtshof.
Als wir auf die Ebene des Supreme Court's kamen, wandten wir uns an Tom Goldstein, und wir nutzten den Vorteil seiner Expertise, obwohl wir da nicht erfolgreich waren.
Was mich betrifft, so bin ich 2003, vor sieben Jahren, hinzugekommen, an der Stelle, als die Berufung fällig war. Meine Arbeit zur Auswahl der Geschworenen und des Gerichtsortes wurde in dieser Zeit gebraucht, und ich wurde ein Berufungsanwalt, der die Sache des Gerichtsortes und der Auswahl der Geschworenen anficht, was praktisch in der ersten Runde Erfolg hatte, aber dann ein Jahr später durch ein "En-Banc-Gericht" revidiert wurde.
Wenn der Fall durch mehrere Instanzen läuft, gibt es unterschiedliche Erfordernisse und bestimmte Anwälte mit bestimmten Qualifikationen, die zu den Erfordernissen passen.

Einige Leute haben gefragt, ob es nach der letzten Berufung noch irgend eine Befreiungsmöglichkeit gebe, irgendwelche Gerichte, die auf internationalem Gebiet für die Fünf verfügbar sein könnten?

Im Mai 2005 hat eine Arbeitsgruppe der UN-Menschenrechtskommission, die Gruppe für Willkürliche Verhaftungen, ein von fünf Richtern herausgegebenes Urteil erlassen, wonach der Gerichtsort ein Verstoß gegen internationales Prozessrecht sei und die USA dringend darum gebeten, den Fall an einem anderen Gerichtsort zu verhandeln. Natürlich haben die USA darauf nicht reagiert. Es gibt andere Orte, andere Gerichtsbarkeiten, den Inter-Amerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte, an den wir uns wenden können, nachdem wir unsere Berufungsmöglichkeiten erschöpft haben und wir kein Recht mehr haben, vor irgend ein amerikanisches Gericht zu gehen.
Wir können die internationalen Gerichte anrufen. Das Internationale Gericht für Menschenrechte in Lateinamerika ist das, an das wir uns wahrscheinlich wenden würden.
Kein eigentliches Justizvollzugsgericht. Sie haben in der Vergangenheit über mexikanische Männer geurteilt, die in der Todeszelle waren und denen das Recht verwehrt worden war, sich auf den Warschauer Pakt zu berufen.

Wir sprechen gerade über Gesetze und Rechtsangelegenheiten. Was denken Sie, welche anderen Mittel stehen noch zur Verfügung, um Gerechtigkeit für die Cuban Five zu erlangen?

Der Antrag vom 14. Juni war im Namen von Gerardo Hernández. Dieser Fall ist jetzt exemplarisch für den Bedarf einer Intervention durch internationale Organe, Organisationen und Personen, denn er verbüßt gerade Strafurteile von zwei Mal lebenslänglich, plus 15 Jahren, in einer Situation, in der die meisten anerkennen würden, dass er im Sinne der Anklagen unschuldig sei. Er ist auch die erste Person in der US-Geschichte, die wegen des Abschusses eines Flugzeugs durch die Luftwaffe eines anderen Landes angeklagt wurde.
Das gab es noch nie. Und ich würde, was ihn betrifft, sagen, dass er tatsächlich unschuldig ist. Dies ist gleichzeitig ohne Präzedenzfall, ein Fall, bei dem die Staatsanwälte der Vereinigten Staaten am Ende des Verfahrens durch einen Eilantrag an das Appellationsgericht anerkannten, dass sie keine ausreichenden Beweise hätten, sie nannten es ein "unüberwindliches Hindernis", um die Verurteilung in seinem Fall durchzusetzen. Dieser Berufungsantrag wurde vom Bezirksgericht zurückgewiesen. Der Fall wurde dann natürlich den Geschworenen von Miami überlassen, und Beweise waren für diese Jury offenbar für die Verurteilung nicht nötig.
Daher ist Gerardo nach dem üblichen US-Gesetz hinsichtlich dieser Anklagen eindeutig nachweislich unschuldig. Doch es ist auch international gesehen ohne Präzedenzfall, dass eine einzelne Person für die Bestrafung herausgegriffen wird, nachdem ein souveränes Land sein Militär zur Verteidigung seiner Grenzen eingesetzt hat.
Gerardos Fall ist wirklich einer, der nach außergerichtlicher Intervention schreit, nach außergerichtlichen Organen und Menschen, die rund um die Welt an Menschenrechten interessiert sind.

Welche Botschaft haben Sie für Gerardo und die Bewegung?

Ich habe vor zwei Tagen mit Gerardo gesprochen, er hatte mich aus seinem Hochsicherheitsgefängnis in Kalifornien angerufen. Er wollte über den aktuellen Stand informiert werden. Er ist eine sehr starke, gefestigte Person. Er glaubt an seine eigene Unschuld, sein Land. Er glaubt, dass er nichts Falsches getan und gegen kein Gesetz verstoßen hat. Er ist ein beispielhafter Gefangener gewesen, ohne einen einzigen Verstoß in den fast 12 Jahren der rigorosen Hochsicherheitshaft. Er hat Hoffnung, dass sein Fall letztendlich Gerechtigkeit erfahren wird. Und er wünscht sich, dass die Menschen außerhalb ihre Stimmen erheben, um seine Sorge über seine Zwangslage bekannt zu machen. Er ist außerordentlich zuversichtlich, dass er letztendlich rehabilitiert wird.

(1) Lesen Sie dazu bitte auch 10 Journalisten aus Miami nehmen U.S.-Zahlungen an aus dem Miami Herald vom 8. September 2006.

Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db)

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