René

 

  

Nie wollte ich alleine nach Kuba zurückkehren

von Deisy Francis Mexidor

Havanna, 5. Juli (PL) "Nie wollte ich Kuba alleine verlassen noch alleine nach Kuba zurückkehren, und es war immer, während ich mich darauf vorbereitete und vor allen Dingen je näher dieses Datum rückte, eine beunruhigende Vorstellung für mich," versicherte der Antiterrorist René González.

Exklusivinterview von Prensa Latina mit René, dem Antiterror-Kämpfer und Helden der Republik Kuba, der von einem korrupten Gericht der Stadt Miami zu 15 Jahren Haft und weiteren drei Jahren überwachter Freiheit verurteilt wurde. Er verließ das Gefängnis im Oktober 2011. Im Folgenden der gesamte Text dieses Dialoges:

Am 6. Dezember 1990 nahm das Leben von René González eine Wendung um 180°.
Mit knapp 34 Jahren "raubte" er ein Flugzeug und verließ Kuba, um seitdem ein anderes Leben zu führen.
Vor seinem inneren Auge stand noch das gelbe Nachthemd, das seine Tochter Irmita trug und die Silhouette der Frau, deren Anblick er liebte wie am ersten Tag: Olga.
Sie waren bei ihm auf dem Stück Himmel, als er das Wärmekraftwerk von Santa Cruz del Norte überflog, bis er sich schüttelte und sagte: "Sieh nach vorn, du fliegst!" gemäß dem Anliegen derer, die ihn kannten und ihm vertrauten, weil er sich als guter Mann erwiesen hatte.
Dreiundzwanzig Jahre später, fast 57-jährig, sind René González und die Seinen über den Kummer hinweg, über die unwiederbringlichen Verluste, die Ihnen die Trennung und die Zeit auferlegten, und er ist mit der selben Olga zusammen, in die er immer noch verliebt ist.
Er ist auch wieder an der Seite von der Irmita im gelben Nachthemd, jetzt eine Frau, die ihm einen Enkel geschenkt hat und von Ivette, die sich mit fast vier Monaten auf seine Brust zu setzen pflegte. Sie ist jetzt 15 Jahre alt.
Rasch in seinen Antworten, fröhlich und von ausnehmender Klugheit, so willigte René González ein, Prensa Latina ein Exklusivinterview zu geben.
Als Freund seiner Freunde, immer loyal wie in der Geschichte der drei Musketiere des Franzosen Alexandre Dumas, wollte René nie alleine nach Kuba zurückkehren, ohne seine Brüder Gerardo Hernández, Ramón Labañino, Antonio Guerrero und Fernando González, die noch im Gefängnis sind.
Durch Zufall wurde er als Sohn von Candido René González und Irma Sehwerert am 13. August 1956 in der US-amerikanischen Stadt Chicago geboren.

Man sagt, dass du als Kind am liebsten Spielzeuge auseinander genommen und wieder zusammengesetzt hättest.

Ja, das weckte schon immer meine Aufmerksamkeit. Das erste Spielzeug, an das ich mich erinnere, war ein kleiner Feuerwehrwagen im Kindergarten in Chicago. Man konnte Teile abnehmen, die Motorhaube öffnen und den Motor herausnehmen... Vielleicht beschloss ich deshalb, Mechaniker zu werden.
Schon als wir hier waren (in Kuba, wohin seine Familie 1961 zurückkehrte) widmete ich mich dem Reparieren von Spielzeugen der Jungen meines Alters im Stadtviertel, und dabei zerbrachen auch einige Werkzeuge vom Alten, ohne dass er herausfand, wie sie kaputt gegangen waren.
Ja, ich war schon immer an Mechanik interessiert, von Anfang an bis heute gefällt es mir, an Mechanik zu arbeiten. Diese Art von Handarbeit hat mich immer angezogen. Aber gut, danach überwog die Luftfahrt, bis zum heutigen Tag die andere Quelle meiner Leidenschaft.

Am 8. Dezember 1990 hatte es eine Kino-Verabredung mit Olga, für einen Film gegeben, ...den ihr dann nicht saht, eine Flasche Wein in einer Waschmaschine. Was war wirklich geschehen?

An diesem Tag kam der Abschied, den ich bis dahin immer wieder verschoben hatte. Es war eine schwierige Phase, und ich hatte schon mehrere Male ohne Erfolg versucht zu gehen, und täglich fiel der Abschied schwerer.
Es ist eine Abfolge von immer schwerer Werdendem bis dahin, seine Familie zu verlassen, ohne zu wissen, ob man sie wiedersehen wird und danach zurückzukehren, denn sie sagen einem nichts über die Bedingungen der Abreise.
Es ist eine Mischung aus dem, dass du einerseits dein Leben leben musst, aber gleichzeitig weißt, dass, wenn dich dein Vaterland in einem bestimmten Moment aus den uns bekannten Gründen ruft, du dein Leben plötzlich zu unterbrechen hast. 1)
An diesem Tag entscheiden sich die Dinge, zeigen sich die Umstände, und man kann schließlich abreisen; es ist immer ein traumatisches Ereignis für einen selbst und für die Familie, aber man muss es machen.
An jenem 8. Dezember verabschiedete ich mich von Olguita. Dieses Bild werde ich nie vergessen. Ich vergesse auch den vorherigen Tag nicht. Am vorherigen Tag brachte ich Irmita ins Haus meiner Mutter und legte sie auf ihr Sofa im Wohnzimmer, auf eine Schlafcouch, auf der sie immer schlief, wenn sie dort blieb. Ich legte sie schlafen, sah sie an und fragte mich, ob ich sie je wiedersehen würde.
Ich erinnere mich an dieses Bild, als ich sie zu Bett brachte in einem gelben Nachthemdchen, das ihr sehr gut stand. Ich betrachtete sie von Kopf bis Fuß, gab ihr einen Kuss und ging.
Und am nächsten Morgen stand ich auf, um endgültig zu gehen und zu fliegen. Es war während des Filmfestivals, wir hatten verabredet, uns einen Film anzusehen.
Olguita machte Frühstück. Ich verabschiedete mich in der Mitte des Zimmers.
Ich erinnere mich an ihre Silhouette im Gegenlicht der Küche und an das Blümchenkleid, das sie oft trug wie einen Hauskittel. Ich sah sie an und gab ihr einen Kuss... Das sind die Dinge, die man sich dann aus dem Kopf schlagen muss, wovon man das Gesicht abwenden und fortgehen muss.

Auch mir ging es so, als ich ging. Als ich das Land verließ, im Flugzeug, nach einem traumatischen Start, als ich die Küste von Jibacoa (dem Strand im Norden Havannas) erreichte.

Ich flog dicht über dem Meer, damit sie mich nicht entdecken konnten, und sah bald zurück und erinnere mich deutlich an den Schornstein des Wärmekraftwerkes von Santa Cruz del Norte.
Ich sah ihn noch einen Augenblick lang an und dann schüttelte ich es ab und sagte mir: "Sieh nach vorne, du fliegst ein Flugzeug." Von nun an sah ich nicht mehr zurück.
Der Ruf des Vaterlandes erlegt dir manchmal solche Sachen auf, es ist zum Zerreißen, aber du machst es.

Was haben sie in dir gesehen, dass sie meinten, dass du diesen Auftrag erfüllen könntest?

Ich weiß es nicht. Ich hätte jemanden fragen müssen. Sie gaben mir einfach einen Auftrag. Sie traten an mich heran und fragten, ob ich bereit sei, einen Auftrag für das Land zu erfüllen, und ich sagte "Ja", und sie wiesen mich darauf hin, dass es gefährlich sein könne.
Das alles sagten sie mir, aber ich antwortete, dass ich nicht darüber nachzudenken brauchte, dass ich für das Land tue, was getan werden muss.
Ich habe mir immer wieder klargemacht, dass es kein Probleme gäbe, wenn ich ablehnte, dass es natürlich wäre, auch noch bis kurz vor Antritt des Auftrags, ihn abzulehnen, der einen das Leben kosten kann, der einem so viele Dinge abverlangt.
Ich zweifelte nicht. Ich fragte nie, warum sie mich ausgewählt hatten, und bis heute ist das für mich keine Frage. Ich habe mich immer als einen Soldaten der Revolution betrachtet.
Sie haben mir diesen Schützengraben zugewiesen, und ich übernahm ihn, ohne weiter nachzudenken. Ich weiß nicht, ob ich es mir eines Tages erklären kann, aber es gehört nicht zu den für mich wichtigen Angelegenheiten, das zu wissen.

Was war dein Ziel?

Mein Ziel war ein Ghetto, in dem man seit vielen Jahren ein Gebräu aus Ressentiments, Egoismus und Hass auf das Vaterland gekocht hatte, das es für viele einmal war. Ich will nicht verallgemeinern. Ich sage nicht, dass dort alle so denken, aber alle kennen die Geschichte, wie sich dieses Gefühl oder besser gesagt, dieses Ressentiment, entwickelt hat.
Wir kennen alle die Vorgeschichte der Unterwerfung dieser gewissen kubanischen Klasse unter den nordamerikanischen Imperialismus, den Ursprung dieses Phänomens; und mein Auftrag bestand im Wesentlichen darin, mich bei ihnen einzureihen und ihren Handlungen zuvorzukommen, die sie zur Zerstörung der kubanischen Revolution und zum Schaden des kubanischen Volkes planten.
Um eine Konfrontation zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten zu provozieren, handelten sie schon immer nach der Maxime: "Alles oder Nichts". Mich in einen von ihnen zu verwandeln, war schwierig, aber während du das tust, beginnst du gleichzeitig eine Art Genugtuung über deine Pflichterfüllung zu empfinden, das regt an.

Sprichst du von Miami?

Ich spreche von Miami, aber ich beziehe mich nicht so gerne auf die Stadt, sondern lieber auf das Element, das sie kontrolliert, das Element, das die Politik Miamis kontrolliert und offensichtlich auch Einfluss auf die nationale Politik hat.

Es gibt keinen Zweifel, dass es mit seiner aggressiven Politik gegenüber Kuba ein Werkzeug der amerikanischen Regierung ist. Dieses Element hat die Stadt korrumpiert, hat die Politik der Stadt korrumpiert, die Wirtschaft der Stadt wird von dieser Politik bestimmt; und dessen Kern ist, wie alle wissen, dass seit 50 Jahren davon geträumt wird, nach Kuba zurückzukehren und das zurückzufordern, was dessen Verfechter als ihr Eigentum betrachten.
Und dem wurde auch von den Medien nichts entgegengesetzt, deshalb gilt es, jeglichen Schaden abzuwenden, den sie dem Land zufügen könnten, und darin bestand mein Auftrag.
Obwohl es eine Großstadt mit einer Mischung aus verschiedenen Kulturen ist, glaube ich, dass diese Umwelt aus Ressentiments die Kultur als solche abgetötet hat. Das kulturelle Leben von dem Miami, wie ich es kannte, war sehr dürftig: schlechtes Theater, ein schauerlicher Humor, der sich fast ausschließlich in Anticastrismus äußerte.
Dieses kulturelle Gemisch solcher Länder, wie ich sie kennen lernte, ich weiß nicht, ob sie sich ändern können, kann sich nicht in einer reichen kulturellen Vielfalt verwirklichen, sondern eher auf jeweils unterschiedliche Art in nur kleinen nationalen Ghettos.
Der Anticastrismus beeinflusst so Vieles, sodass das Theater von Miami davon vieles aufnahm, es verwandelte sich in eine Parodie. Das trifft auf solche Künstler zu, die dorthin gegangen sind - auf solche von beachtlicher Qualität, namhafte Künstler - und in Miami haben sie nichts Ernstzunehmendes tun können, und das ist ein Beweis für dieses Phänomen.
Es ist eine sehr komplexe Stadt, mit Unterschieden zwischen den Reichtümern einiger Orte und der Gefahr, dem Elend der anderen. Ein Kontrast, der von einem Viertel zum anderen auftreten kann.

Du sprachst von dem Bild, das du zurück gelassen hattest, als du gingst, auf dem rasanten Flug. Was empfandest du im Unterschied dazu, als du das Ziel bei deiner Ankunft erblicktest, bei deinem Empfang?

Mein Empfang war etwas untypisch. Die ganze Reise war untypisch. Die Umstände, unter denen ich gehen musste, waren sehr unsichere, und ich kam dort mit gerade so ausreichendem Treibstoff an.
Es gab einen Moment, in dem ich in Betracht ziehen musste, in der Nähe eines Schiffes zu wassern, weil der Treibstoff zur Neige ging. Aber es geschah so wie manchmal in den Filmen, die uns so vorkommen, als hätten sie nichts mit dem realen Leben zu tun.
Im entscheidenden Moment sah ich Land und hatte Glück: Meine Berechnungen bei der Abreise erwiesen sich als genau, und ich hatte die Militärbasis von Boca Chica vor mir.
Schon vor der Marinebasis sagte ich mir, wenn ich wassern müsste, dann wäre es nahe der Küste, und das Flugzeug kam an. Die Landung war traumatisch, sie war eine der schlechtesten Landungen meines Lebens, weil ich schon von der ganzen Flucht und dem Treibstoffproblem so angespannt gewesen war.
US-Bürger zu sein, vereinfachte die Dinge sehr, und von Anfang an gab es um mich nicht den Zirkus, der normalerweise dazu gehört, wenn einer unter solchen Umständen wie ich dort ankommt.
Die Formalitäten wurden auf andere Weise erledigt. Man machte gleich meine Großmutter ausfindig, man ließ mich nach einer eher formalen Vernehmung unverzüglich frei, und ich ging nach Sarasota.
Meine Einführung in die Umgebung von Miami musste ich danach schrittweise vornehmen, aber einmal angekommen, empfing man mich als den "Helden!", der Kuba ein Flugzeug entwendet hatte, der "Castro ein Flugzeug geraubt hat".

Der gute und der schlechte Terrorismus - glaubst du, dass es den gibt?

Für die Vereinigten Staaten ist alles, was ihnen passt, "Kampf für die Freiheit", und was ihnen nicht passt, ist Terrorismus.
Man wird es manchmal müde, darüber zu sprechen, weil es so offensichtlich ist, aber wir leben in einer etwas komplizierten Geschichtsepoche, und die Straflosigkeit stellt den Rest des Planeten manchmal unter das Joch gewisser Herrscher, die von den Leuten akzeptiert werden, und man fragt sich, warum.
Ich frage mich, warum es Regierungen gibt, die eine so heuchlerische Definition von Terrorismus akzeptieren müssen, warum Europa es muss, und warum es als unabhängig geltende Länder gibt, die das akzeptieren müssen.
Schließlich zeigt uns der gesunde Menschenverstand, dass das Thema Terrorismus nicht mehr als eine Ausrede für weitere Eroberungen ist, wie es zuvor das Zivilisieren, das Christianisieren war oder wie es zuvor der Kampf gegen den Kommunismus war.

René, es gelang dir, Olga und deine älteste Tochter Irmita Ende 1996 in die Vereinigten Staaten zu holen. Im April 1998 wurde Ivette geboren, und im September dann die -Verhaftung - eingesperrt. Kurze Zeit wart ihr nach einer traumatischen Trennung wieder zusammen gewesen.

Olguita kam im Dezember 1996 an. Es war, als hätten wir uns noch am vorherigen Tag gesehen. Ich weiß nicht, ob das normal ist, aber in unserer Familie hat sich eine Chemie eingestellt, dass wir, als wir uns wiedertrafen, das Leben fortsetzen und zusammen leben konnten, als ob wir nicht getrennt gewesen wären - eine Sache, wie sie mir auch mit Kuba passiert ist.
Vielleicht weil meine beiden größten Lieben Kuba und Olguita sind, aber natürlich ist mir das nicht nur in diesen beiden Fällen so geschehen, sondern auch mit Irmita.
Wir waren sehr glücklich in dieser etwas länger als ein Jahr andauernden Zeit. Irma sagte, dass wir ihr wie ein Liebespaar erschienen wären. Ich glaube, dass sie jetzt das Gleiche sagen würde, dass wir wie ein Paar aussehen.
Unglücklicherweise wurde dieses Glück mit der Verhaftung unterbrochen. Die Verhaftung hat in den Vereinigten Staaten eine hohe Bedeutung für das Rechtsverfahren bzw. die Art, in der sie sie durchführen.
Für sie ist es im Rechtssystem vorrangig, dass du Dein verfassungsmäßiges Recht aufgibst, dich zu verteidigen, um deine Unschuld zu beweisen, und das System funktioniert auf dieser Grundlage.
Wo man in den Vereinigten Staaten von Verhaftung spricht, nennen wir das normalerweise Überfall. Dein Haus wird auf brutale Weise angegriffen, um dich schon vom ersten Moment an außer Gefecht zu setzen.
Ich habe gesagt, dass es mit dem vergleichbar ist, was sie mit einem Land der Dritten Welt machen, wenn sie es angreifen und bombardieren, bis es aufgibt. Es ist das, was sie Anschlag und Schock nennen, und diese [Überrumpelungs-]Technik wenden sie auch bei einer Verhaftung an.
Offensichtlich versteifen sie sich in unserem Fall darauf, der das Verhältnis zu Kuba einbezieht, bei dem es dieses Ressentiment gibt, diese Mentalität, dem Land nicht vergeben zu können, dich brechen zu müssen, und das ist für sie von größerer Bedeutung.
Dazu gehört die Festnahme, bei der sie die Türen des Hauses eintreten, dich zu Boden werfen und dich fesseln. Sie behandeln dich grob, damit du dich von diesem Moment an aufgibst, in unserem Fall deine Überzeugungen und deine Fähigkeit zum Widerstand.
Danach kamen die Verhöre. Zum Schluss können sie sehen, wer Widerstandskraft hat und wer nicht. Zuvor noch die Zwangsunterbringung im Loch, die Behandlung während der anderthalb Jahre in Gefängniszellen, diese missbräuchliche Behandlung nicht nur an uns, sondern auch an der Familie.
Die ersten Tage sind sehr schwierig, vor allem, wenn sie dich so behandeln, weil du normalerweise, wenn du festgenommen worden bist, vom ersten Moment an mit deiner Familie sprechen kannst.
Man denkt, dass sie dir, wenn du in die Haftanstalt kommst, die Regeln des Ortes erklären, dass sie dich in die allgemeine Gefängnispopulation eingliedern und du deine Familie anrufen kannst. Aber in unserem Fall beraubten sie uns alles dessen.
Die ersten drei Tage waren sehr, sehr schwer, allein in einer Zelle ohne jemanden, der dir sagt, was geschehen wird, ohne dass dir jemand sagt, wie das geht, wie bei einem Tier, dem man das Essen bringt und den Teller wegnimmt.
Außerdem ist es Bestandteil ihrer Kalkulation. Sie nehmen dich am Samstagvormittag auf diese Weise fest, dass du bis am Montag keinen Kontakt mit irgend jemandem anderen haben kannst, bis das Gericht seine Arbeit wieder aufnimmt.
All das ist sehr gut kalkuliert. Es ist einstudiert. Ich dachte an diesen drei Tagen an Olguita, an die Mädchen, mit dem FBI im Haus, weil sie das Haus in Beschlag genommen und das FBI darin geblieben war, als wollte es auf sie einschlagen. Was würde Olguita machen, um das Problem mit Ivette zu lösen, die gerade vier Monate alt war? Das sind die Fragen, die dich in einem Prozess mürbe machen.
Zum ersten Mal Luft holen konnte ich an diesem Montag vor Gericht, als ich nämlich diesen Mut von Irmita und Olguita sehen konnte, als ich zwischen all diesem Spektakel dorthinunter gegangen war, denn man hatte noch ein zusätzliches Spektakel inszeniert.
Es war die gesamte Konterrevolution herbeizitiert worden. Alle Welt war dort, um die "Spione" zu sehen. Sie brachten einen dorthin, fast wie ein Clown in einen orangefarbenen Overall gekleidet, ohne dass man sich hätte rasieren oder kämmen können, ohne alles.
Sie führen dich zu ihrer Belustigung durch diesen ganzen Tumult. Alles ist gut vorbereitet, der Gerichtssaal voller Menschen, alle feindselig, und inmitten dieser Feindseligkeit Irmita, die davon ausgenommen war.
Ich gehe und nehme ein "Papi" wahr. Als ich hinsehe, ist es Irmita, die für mich den Daumen hochhält, inmitten all dieser Leute - das gab mir Kraft.
Ab da begann es etwas erträglicher zu werden in dem Sinne, dass du zu verstehen beginnst, dass du für deine Sicherheit, Dein Wohlergehen auf die Weise reagieren musst, wie du es kannst und auf dich vertrauen musst, wie es die draußen [außerhalb davon] tun werden.
Es ist sehr wichtig, dass du immer ein optimistisches Bild vermittelst, dass dich niemand fertig machen wird. Ich glaube, dass sich in diesem Sinne eine Kommunikation etabliert hat, die wir auch mit den Familien der Fünf erreichen konnten.

Als ihr in der zentralen Haftanstalt von Miami wart, ging Olga unten auf der anderen Straßenseite daran vorbei, damit man sie und deine Töchter sehen konnte.

Das ist eine schwierige Vorstellung, ein Bild, das bleibt, denn sie ließen mich meine Töchter nicht sehen, es gehörte zu dem gesamten Verfahren, mich mürbe zu machen. Sie dachten sich eine Haftverfügung aus, die sie nur auf uns anwandten.
Ich war wie jeder der Töchter hat. Man wandte diese Verfügung auf mich an, damit sie nicht heraufkommen und mich besuchen konnten. Den Grund dafür erklärten sie mir nie.
Normalerweise konnte der Häftling, der im Loch war, seine Kinder empfangen, indem sie ihn zuvor hinunter in den Besucherraum führten oder, wenn es ein sehr hochkarätiger, sehr komplizierter Fall war, brachten sie ihn in den dritten Stock in ein Büro, wo er seine Töchter und Söhne sehen konnte.
In meinem Fall war es so, dass ich zu der Zeit meine Töchter nicht sehen durfte und daher bestand die einzige Möglichkeit, sie zu sehen, darin, dass Olguita draußen auf der Straße war und auf dem Bürgersteig gegenüber stand.
Ich machte ihnen vom Fenster aus ein Zeichen mit dem orangefarbenen Overall. Ich bewegte den Overall im Fenster, einem Rechteck aus Panzerglas von acht Zoll, bestenfalls anderthalb Metern.
Ich bewegte ihn in diesem Rechteck auf und ab, damit sie meine Zelle finden konnte, und von dort aus konnten wir uns visuell verständigen.
Ich erinnere mich noch deutlich daran, dass Ivette ein Etwas mit schwarzem Haar war. Sie machte gerade ihre ersten Schritte und deshalb hatte Olguita dort mit Irmita das Auto geparkt, wo sie den Bürgersteig überqueren konnten.
Ich sah sie dort an der Ecke, wie sie auf Ivette achtete, die ihre ersten Schritte machte und hinfiel, ich sah das haarige Etwas, das sich hinsetzte und wieder aufstand.
Es war sowohl erbaulich als auch gefährlich, denn das Gebiet war gefährlich. Manchmal beobachtest du sie und siehst aber auch unbekannte Personen näher kommen, von denen du nicht weißt, wer sie sind. Glücklicherweise waren es immer nur Passanten.
Ich stand auf, wenn jemand vorbeiging, denn du fragst dich, was geschehen wird, wenn sie etwas machen und ich hier oben bin. Du kannst aber nichts machen, denn du bist auf Höhe des 13. Stockwerks eingesperrt, kannst keinen Wächter rufen, weil es sie nicht gibt, aber eine Eisentür. Es war wirklich schwer.
Daher mischte sich in die Freude, sie zu sehen, die Beklemmung, dass ihnen etwas vor deinen Augen passieren könnte, und du könntest nicht reagieren, müsstest zusehen, ohne sie verteidigen zu können, ohne irgend etwas tun zu können.
Glücklicherweise passierte nichts, und das war die Art, auf die wir uns sahen. Es ist ein unmöglich zu vergessender Anblick, und ich stelle mir vor, dass sie auch meinen Anblick nicht vergessen, wie ich den Overall dort oben bewegte. Dass der Overall orange war, war von Vorteil unter so vielen Nachteilen, weil diese Farbe so viel leichter durch Glas hindurch zu sehen ist.

Du sagst, dass man an euch Lynchjustiz verübte.

Der Satz stammt nicht von mir. Er ist von Eddy Levis, einem cubano-amerikanischen Juden aus Miami, der aus Prinzip immer ein Verteidiger der Fünf gewesen ist.
Nie habe ich die Empörung vergessen, mit der er das sagte. Aber es war so, eine Lynchjustiz, eine Farce, ein römischer Zirkus ins heutige Miami übertragen, mit Sitzreihen, mit Clowns, mit allem, was es im Zirkus gibt.
Die gekaufte Presse, die durch die eigene Presse vor der Richterin eingeschüchterten Geschworenen, Geschworene, die sich über diese Aktionen, diese Einschüchterungsaktivitäten beklagt hatten, ohne dass es der Richterin als allzu wichtig erschienen war.
Eine Presse, die sich völlig ungestraft in Verstößen gegen die Anordnungen der Richterin erging und sich der Fürsprache für die Staatsanwaltschaft widmete, eine Staatsanwaltschaft, die während des Prozesses machte, was sie wollte, wie Zeugen zu erpressen, unverschämt zu lügen, Geschworene zu täuschen, die ohne Respekt Gesetze verletzt, ja, da ist es wieder dieses Wort: Lynchjustiz.
Mit Ausnahme des Galgens und des Stricks, wie sie im Wilden Westen zum Einsatz kamen, waren alle Elemente einer Lynchjustiz in unserem Prozess vorhanden. Der einzige Unterschied bestand darin, dass die Richterin das Schafott war, die Verfügungsgewalt hatte, das andere passt auf unseren Fall.
Das ganze Szenarium einer Lynchjustiz wie im Mittelalter, das man manchmal in Filmen sieht, wo man jemandem den Kopf abschlägt, wobei sich die Leute unterhalten, sich vergnügen und schreien, dieses Szenarium wandte man auf unseren Prozess an.
Und dazu trugen alle Teilnehmer vor Gericht bei, die Staatsanwaltschaft, die politischen Autoritäten, die Zulassungsbehörde, von der man annimmt, dass sie neutral sei.
Alle nahmen daran teil und zwar mit Freude, mit einer ungesunden Anteilnahme: Sie waren froh - jeder einzelne freute sich über seinen Beitrag; du siehst es, wie sich dort alle diese Elemente mit einander verschwören, wie sich auch ein Stadtviertel verschwört, Lynchjustiz zu begehen.

René, es war eine demokratische Administration, die euch ins Gefängnis brachte und eine republikanische, die euch im Gefängnis hielt, die euch den Prozess machte, und eine andere demokratische Regierung lässt euch weiterhin im Gefängnis verbleiben. Welches Kriterium ist Deiner Meinung nach dafür verantwortlich?

Es gibt keinen großen Unterschied zwischen einer demokratischen und einer republikanischen. Manchmal bieten die Demokraten zwischenzeitlich mehr Hoffnung auf politischen Wandel auf effektivere Politik, aber sie [die Hoffnung] trägt dazu bei, diese [Politik] beizubehalten...
Als gut gilt, wer sagt: "Das Verändern dient dazu, dass alles unverändert weitergeht."
Hinsichtlich der Kuba-Politik hat es nie Unterschiede zwischen Demokraten und Republikanern gegeben; es ist ein Problem des nordamerikanischen Establishments.
Es ist eine obsessive Politik, zu der die Regierungen beider Parteien gleichermaßen beigetragen haben, und bis jetzt haben wir keinen Unterschied gesehen, man könnte meinen, dass es mit Obama vor Ende seines Mandats wegen des Aufeinandertreffens von mehreren Umständen irgendeine Veränderung geben könnte.
Aber das Establishment zu korrigieren, kostet Arbeit, und es tut weh, und es kann sein, dass diese Verbindung aus Straffreiheit und dem Gefühl der Überlegenheit, die sich dieses Establishment im Laufe der Jahre angeeignet hat, andauert.
Offensichtlich müssen sie der Welt beweisen, dass sie dafür, dass sie tun, was sie wollen, Straflosigkeit genießen und niemand sie bestrafen kann, und man könnte meinen, dass sie das genießen.
Für einen nordamerikanischen Präsidenten ist es sehr leicht, wie es beispielsweise (George W.) Bush gemacht hat, die ganze Welt zu belügen, ein Land (den Irak) zu überfallen und 100 Millionen Menschen auszulöschen, ohne dass ihm das viel Probleme machte.
Trotzdem ist es viel schwieriger, etwas richtig zu stellen, wie es die Korrektur des Unrechts wäre, das die nordamerikanischen Gerichte an fünf Menschen begangen haben, das ist viel schwieriger, als das, was Bush getan hat.
Die US-amerikanische Gesellschaft ist überwiegend von der Vorstellung durchdrungen, dass sie schwach wären oder dass es eine Schwäche des Präsidenten wäre, wenn sie etwas wieder gut machten.
Bis jetzt sagt uns die Geschichte, dass eine großzügige Geste viel Arbeitet kostet, vor allem gegenüber jemandem, der sich nicht demütigen lassen hat. Und das werden wir uns nicht.

Was ist deine Wahrnehmung von der möglichen Normalisierung der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Kuba?

Ich glaube, dass es momentan im Vergleich zu anderen Augenblicken ein Aufeinandertreffen von Umständen gibt, die diese Möglichkeit begünstigen könnten, und ich denke, wenn diese Gelegenheit verstreicht, wer weiß, wann sie sich wiederholen wird.
Wir dürfen den Optimismus nicht übertreiben, denn - wie ich dir sagte - es ist sehr schwer für die nordamerikanische Regierung, ein Verbrechen zu korrigieren, es fällt ihnen viel leichter, eines zu begehen, als es zu korrigieren.
Die nordamerikanische Gesellschaft, vor allem das politische Establishment, dessen eigene Presse, dieser ganze Apparat, hat sich etwas nach rechts bewegt. Im Allgemeinen reagieren sie auf die Krisen, indem sie sich nach rechts bewegen.
Es gibt Elemente in der nordamerikanischen Gesellschaft, die Obama nie verzeihen werden, dass er dort ist; aber er hatte nicht die Fähigkeit, den Mut, diesen Druck zu überwinden und diesen Elementen mit der gleichen Verachtung zu begegnen.
Die Welt fordert, dass sie die Blockade aufheben; Lateinamerika richtet sein Verhältnis zu den Vereinigten Staaten nach deren Verhältnis zu Kuba aus. Es gibt gewisse Elemente, die auf diese Möglichkeit hinweisen, aber ich wage nicht, das eine oder andere vorherzusagen, und andererseits glaube ich doch, dass es das Fenster für diese Möglichkeit dazu gibt.

Wie läuft es im Gefängnis ab, das heißt, kann man in einer Umgebung, die so feindselig ist, von der Solidarität anderer Häftlinge sprechen?

Die Leute fühlen sich von den Fünfen ein Bisschen angezogen, im Allgemeinen näherten sich uns die Kubaner, die dort waren. Ich glaube, sie sehen in uns ein Bisschen das Kuba, das sie vermissen.
Ich erinnere mich an einen Häftling, der ein recht guter Friseur war, er frisierte niemanden, aber uns, die Fünf, frisierte er, und er sagte uns: "Ich bin nicht dafür, aber ich frisiere die Fünf.", oder solche Sachen.
Ich glaube, dass sie in dir sehen, was sie von Kuba vermissen, sie sehen auch die Würde, den kubanischen Stolz; um so mehr gibt es ein Element in Miami, dass zum Glück abnimmt, das aber voller Ressentiments und Hass ist und nichts davon wissen will, dass in Kuba nicht alles schlecht ist. Trotzdem gibt es viele Kubaner, die diesen Hass nicht hegen, dieses Ressentiment; und dann im Gefängnis, da nähern sie sich dir an, und das war es, was geschah.

Es kam einer zu mir und sagte: "Nein, ich bin Kubaner". Ich kannte seinen Namen, er war ein Unternehmer und nichts weiter. Ich fragte, was ihm fehle und half ihm.
Ich denke, das ist es, was uns Fünfen im Allgemeinen sehr geholfen hat, denn im Gefängnis bilden sich viele Interessengemeinschaften: Ich gebe dir und du gibst mir oder zahltst mir. Und wenn du anfängst, dieses Muster zu durchbrechen, antworten dir die Leute entsprechend und darüber hinaus respektieren sie dich. Allerdings glaube ich, dass das Einfluss darauf hat.
Es ist wichtig, sich im Gefängnis um positive und gut funktionierende Beziehungen zu bemühen, und es ist auch gut, eine gute Spur zu hinterlassen, weil letztendlich, glaube ich, dass das Gute, das du tust, immer widerhallt.
Du weißt nicht, ob eine Person, der du hilfst, anderen dann auf gleiche Weise hilft, sowie es diejenigen gibt, die dabei bleiben, das Schlechte zu vermehren, aber ein Revolutionär sollte versuchen, das Gute zu mehren.

Ich würde dir gerne Sätze und Wörter für deine jeweilige Assoziation vorgeben.

Ich bin nicht sehr gut darin, aber schieß’ los.

1977

Eine sehr wichtige Erfahrung für mein Leben: Angola.

Militäreinheit 3075

Eine andere wichtige Erfahrung: Ich muss dort hingehen.

Panzer T34

Das ist einer der besten Panzer in der Geschichte, und ich fuhr ihn, hatte das Glück, T34-Schütze in Angola zu sein.

San Nicolás de Bari

Eine meiner Leidenschaften: der Flugsport.

Teté

Die beste Großmutter der Welt.

1983

Olguita (er lächelt)

Habt ihr in dem Jahr geheiratet?

Ja.

Obwohl du den Bezug schon hergestellt hattest, möchte ich darauf zurück kommen: die Farbe Orange.

Also, gut, die Farbe Orange (er lächelt) - wie immer haben wir versucht, aus allem das Beste zu machen... Sie half mir darüber hinaus, mich aus meiner Zelle bemerkbar zu machen, wenn Olguita kam, damit wir uns sehen konnten. Ich glaube, es ist uns erlaubt, diesen Agenten so etwas wie eine moralische Ohrfeige zu geben.
An dem Tag, an dem sie Olguita verhafteten und ihr einen orangefarbenen, ziemlich schmutzigen und hässlichen Overall gegeben hatten, brachten sie mich plötzlich in einen Raum. Als ich eintrat, saß sie vor mir, und es war wie in einem Zirkus, wie in einem Theater, wo sich die großen Juroren versammelt haben, um sich die Szene anzusehen.
Dennoch, als Olguita und ich uns sahen, umarmten wir uns dort. Ich sagte zu ihr: "Die Farbe Orange steht dir, dreh’ dich ’mal," und wir lachten noch, denn wir hatten gut lachen, weil wir ihnen damit eine Ohrfeige versetzten, die sie nicht vergessen haben können.

Ein Bleistift, ein Tagebuch

Ich weiß nicht, ob man das einen Stift nennen kann. Ich würde sagen, mit einem Stummel von nur einem Zentimeter zu schreiben, erfordert Vorstellungskraft und Erfindungsgabe.
Das Tagebuch war, wie man weiß, ein Brief, den ich Olguita schrieb, und wie ich ihr vom ersten Tag an sagte, ist es der längste Brief meines Lebens. Ich wusste nicht, dass er so lang werden würde, aber, die Richterin brauchte immerhin sieben Monate, um zum Ende zu kommen, und so kam schließlich das Tagebuch dabei heraus.
Ursprünglich schrieb ich Olguita, um ihr meine Loyalität zu beweisen, weil sie bei dem Prozess dabei sein wollte, aber sie war ja fünf Tage vor Beginn des Prozesses ausgewiesen worden, und ich hielt es für angebracht, ihr dieses Tagebuch zu schreiben, damit sie von mir erfährt, was dort vorging.
Es kostete mich so viel Arbeit, das zu tun, weil es darin bestand, Notizen zu machen, den Gerichtssaal zu verlassen, wieder nach oben in die Zelle zu gehen - aber gut, schließlich war es getan. Ich glaube, sie hat es verdient.

Wirtschaftsstudium

Das ist erstens etwas, dass ich abschließen muss, zweitens glaube ich, ist es genau so eine Pflicht wie die, in die Vereinigten Staaten zu gehen und dort seine revolutionäre Pflicht als Kubaner zu erfüllen, jetzt ist es die Wirtschaft, und es ist eine Pflicht, die man erfüllen muss, und das werde ich.

Candido René

Der Alte war die Würde in Person. Ich hörte ihn nichts sagen, was er nicht so empfand, niemals. Ich hörte ihn weder über seine Gefühle sprechen, noch verschwieg er sie. Er war ein integrer Mann, er sagte, was er dachte und handelte danach.
Was er wollte, erreichte er auch.
Wo er auch immer hinkam, er vertrat vor den Leuten eine Moral, was ihn sehr beliebt machte, und das ist das Bild, das mir von einem außergewöhnlichen Vater kommt, der sich nie, obwohl er drei Mal verheiratet war, von seinen Söhnen getrennt hat, denen er nie ein schlechtes Beispiel gegeben hat, niemals.
Wenn der Alte eine Schlechtigkeit begangen hätte, so wüsste ich es nicht - gut, mit Ausnahme der einen oder anderen, über die wir dann aber alle zusammen gelacht haben - aber er war ein integrer Mann und von einer Würde, die uns viel gegeben hat.

Marianna, 7. Oktober 2011

Ein ersehnter Moment, voller Glück, aber gleichzeitig konfliktträchtig, denn ich wollte weder alleine herauskommen noch alleine nach Kuba zurückkehren, und für mich war es immer eine verstörende Vorstellung, auf die ich mich, je näher das Datum kam, je mehr vorbereitete.
In Wirklichkeit hatte ich immer die Hoffnung, dass wir Fünf viel früher als am 7. Oktober 2011 zurückkehren könnten.
Ich sollte das Positive sehen, wie wir es in all diesen Jahren getan haben, und mich an meinen Töchtern erfreuen, eben den Teil annehmen, den guten Teil.
Aber das Wissen, dass deine Genossen im Gefängnis sind, wiegt schwer. Ich habe immer gehofft, dass sie es zufrieden sind, wenn ich frei sein werde. Ich kenne ihre Gefühle, und sie wissen auch, was ich empfinde.

Wie hat sich René González in den 20 Jahren verändert? Ich spreche nicht vom Physischen.

Physisch, sagt Olguita, hätte ich mich nicht verändert, zumindest nicht viel. Aber ich glaube, dass einer mit der Erfahrung ständig wächst.
In 20 Jahren sah ich Dinge, die ich zuvor nicht kannte, und in diesem Sinne ändert man sich. Ich glaube, dass es wichtig ist, sich zu verändern, sich zu entwickeln. Mir tun die Leute leid, die sich nicht verändern, die weder die Fähigkeit haben, sich zu verändern noch die, etwas aufzuarbeiten...
Ich habe all die Erfahrungen versucht zu nutzen, um als Mensch an mir zu arbeiten und das Bestmögliche aus mir herauszuholen.
In diesem Sinne, hinsichtlich der Aufarbeitung in diesen Gefängnisjahren konnte ich einige Sachen darüber lesen, was ich zuvor versäumt hatte.
Ich denke, wenn ich mich verändert habe, dann in meinen Ansichten und meinen Gewohnheiten.
Ich habe eine etwas erweiterte Lebenssicht als zuvor und hoffe: zum Guten, und dass diese Veränderung meinem Land dienen wird.

Wie geht es deinem Herzen? Ich fragte dich das in einem Brief vom Jahr 2003 und wiederhole es jetzt.

Mein Herz? Standhaft.

In jenem Moment sagtest du, es schlägt weiter für Kuba...

Und es ist ungebrochen. Es wird weiterschlagen.

In einem Interview mit deiner Ehefrau Olga am 4. Oktober 2011, drei Tage, bevor du aus dem Gefängnis kamst, drückte sie uns gegenüber den Wunsch aus, ich zitiere: "noch einmal zusammen durch das jetzige Havanna zu gehen, das so anders sein wird, wenn René zurückkehrt."

Wir sind zusammen spazieren gegangen. Mir kam es nicht so anders vor. Ein Bisschen anders. Nicht so viel. Ich hatte mich genügend auf die Begegnung mit Havanna vorbereitet.
Und ich glaube, dass es mir half, mich dem Havanna anzupassen, das ich offensichtlich nicht mehr als das Gleiche vorfand, das es für mich gewesen war, aber gut, ich hoffe weiterhin mit Olguita spazieren gehen zu können.

Im jetzigen Havanna ist deine Familie gewachsen, jetzt gibt es dort Ignacio René, deinen Enkel.

Ich sah ihn zum ersten Mal, als ich noch dort (in Miami) war. Aber nun gut, wir werden ihn schon an dem Ort zum Laufen bringen, an dem Irmita laufen gelernt hat; ich hoffe, das ist zur Familientradition geworden.

Wie ist dein jetziger Zustand, René? Was geschieht? Hat sich die Richterin schon geäußert?

Sie hat sich geäußert. Mein Fall ist offiziell abgeschlossen.

Bist du ein vollkommen freier Mann?

Solange meine vier Brüder nicht in Kuba sind, bin ich kein völlig freier Mann, ich kann mich in Kuba bewegen, kann mich in der Welt bewegen, aber solange sie nicht zurückgekommen sind, fühle ich mich nicht völlig frei.

Der 12. September naht, schon 15 Jahre Haft, was denkst du?

Dass es zu viel Zeit war. Jeder Tag, den sie im Gefängnis verbringen, ist ein an ihnen begangenes Unrecht.
Es ist eine mit vier multiplizierte Ungerechtigkeit, und wir müssen das uns Mögliche tun, um sie schnell aus dem Gefängnis zu befreien.
Im Fall der Fünf gibt es keine Gerechtigkeit mehr, aber wir leben auch in einer Welt, in der es so ist, in der vielen Leuten keine Gerechtigkeit widerfährt.
Nicht für die Opfer - (des internationalen Terroristen Luis) Posada Carriles, nicht für die Opfer von Orlando Bosch. Man wird keine Gerechtigkeit üben (beide waren bspw. Urheber des Sprengstoffanschlags auf ein vollbesetztes ziviles kubanisches Flugzeug im Jahr 1976 mit 73 Menschen an Bord).
Auch nicht für die Opfer von (George W.) Bush, die in einem Krieg massakrierten Kinder, Frauen und Männer, einem der aus politischen Interessen geführten Kriege.
Historisch gesehen bleiben viele Opfer zurück, die auf Gerechtigkeit warten, die nie etwas getan haben; aber im Falle der Vier, die noch in Haft sind, haben wir die Möglichkeit, dieser Ungerechtigkeit zumindest ein Ende zu setzen.

In Washington begehen sie gerade die Aktionstage für die Fünf. Du hast dazu gesagt, dass die Solidarität bzw. die Aktionen gerade nach Washington getragen werden, weil dort der Ort ist, wo sich alles zusammenbraut. Richtig?

Ich glaube, es ist wichtig, im jetzigen Zusammenhang Druck auf die nordamerikanische Regierung zu machen. Sie wissen schon von dem Fall und Obama kennt ihn, er hat darauf bestanden.
Ich habe gewusst, dass die (ehemalige Außenministerin) selbst Hillary Clinton an vielen Orten der Welt, die sie besucht hat, auf den Fall angesprochen wurde, aber es ist notwendig, diesen Druck zu erhöhen. Und die einzige Art, das zu tun, ist, all die bereits angesammelte Energie - denn es gibt viel Energie - auf Washington zu konzentrieren. Ich glaube, dass ein Teil der Lösung darin besteht, das Washington diesen Druck spürt, und danach gilt es zu handeln.

Was wird aus René González in dieser Zeit?

Ich werde weiter ein kubanischer Patriot sein. Der Kampf für die Fünf hat für mich Vorrang.
Ich möchte ein Kubaner sein, der mehr an diesem Prozess teilnimmt. Ich glaube, dass Kuba einen interessanten und außerdem entscheidenden Moment erlebt. In diesen Jahren wird sich entscheiden, ob wir einen lebensfähigen Sozialismus erbauen oder ob sie uns erobern werden.
Ich möchte an diesem Prozess teilhaben, ich möchte dabei helfen, einen lebensfähigen Sozialismus zu erbauen.
Für mich sind das die Prioritäten: die Freiheit für die Fünf, das heißt, zu kämpfen, bis der letzte der Fünf gekommen ist und zu dem Prozess beizutragen, in dem sich das Land entwickelt, um jetzt unseren Sozialismus zu vervollkommnen.

Ihr seid fünf und werdet fünf bleiben?

Natürlich. Eine Zahl, die sich nur durch fünf oder durch eins teilen lässt (lächelt), aber, ja doch, wir bleiben weiter Fünf. Ich habe immer gesagt, dass der Kampf nicht für einen, nicht für zwei, nicht für drei, nicht für vier ist, sondern für die Fünf ist.

Fußnoten:
Das Ministerium für ausländische Angelegenheiten benachrichtigte die nordamerikanischen Behörden mit seiner Note 450 vom 13. Mai 1993 über die vom PUND gegen Kuba von nordamerikanischem Boden ausgehenden Aktivitäten, aber dessen antikubanische Aktionen wurden fortgesetzt.

Am 29. Dezember 2001 erhielten Gerardo Hernández, Ramón Labañino, Antonio Guerrero, Fernando González und René González von der Nationalversammlung der Macht des Volkes in Abwesenheit den Ehrentitel "Helden der Republik Kuba".

1) Anmerkung d. Ü.: Seine persönlichen Erfahrungen für die Motivation, "dem Ruf des Vaterlandes" zu folgen, beschreibt René in seinem Brief vom 22. Juli 2005.

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Deutsch: ¡Basta Ya! (jg, jmb)

(Quelle: Prensa Latina)

 

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